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Die Drohung
er Intendant war kahlköpfig. Die letzten seidenweichen StrĂ€hnen, welche die Natur ihm gelassen hatte, rasierte er sich ab. Seines edel gebildeten SchĂ€dels brauchte er sich nicht zu schĂ€men. Mit WĂŒrde und Selbstbewusstsein trug er das mephistophelische Haupt, in das der Herr MinisterprĂ€sident sich vergafft hatte. Im fahlen, etwas aufgeschwemmten Gesicht schimmerten die kalten Juwelenaugen so unwiderstehlich wie je. Der empfindliche Leidenszug an den SchlĂ€fen rĂŒhrte zu einem respektvollen Mitleid. Die Wangen begannen ein wenig schlaff zu werden, hingegen hatte das Kinn, mit der markanten Kerbe in der Mitte, seine herrische Schönheit behalten. Vor allem wenn der Intendant es hochreckte, wie dies seine Art war, wirkte es sowohl imponierend als reizend; neigte er indessen das Gesicht, so entstanden Falten am Hals, und es stellte sich heraus, dass er eigentlich ein Doppelkinn besaĂ.
Der Intendant war schön. Nur Personen, die so scharf blickten wie die alte Frau Generalin durch ihre Lorgnette, glaubten feststellen zu dĂŒrfen, dass seine Schönheit nicht ganz echt, nicht ganz legitim und mehr eine Leistung des Willens war als eine Gabe der Natur. âEs verhĂ€lt sich mit seinem Gesicht so Ă€hnlich wie mit seinen HĂ€ndenâ, behaupteten solche Boshaften und Ăberkritischen. âDie HĂ€nde sind breit und hĂ€sslich, aber er weiĂ sie zu prĂ€sentieren, als wĂ€ren sie spitz und gotisch.â
Der Intendant war sehr wĂŒrdig. Das Monokel hatte er gegen eine Hornbrille mit breitem Rand vertauscht. Seine Haltung war aufrecht, zusammengenommen, beinah steif. Der Zauber seiner Persönlichkeit lieĂ das Fett ĂŒbersehen, das er doch in Wahrheit reichlich ansetzte. Meistens sprach er mit einer leisen, belegten, dabei singenden Stimme, die gebieterische, kokett wehleidige und sinnlich werbende Töne auf diskrete Art miteinander abwechseln lieĂ und zuweilen, bei festlichen AnlĂ€ssen, den ĂŒberraschend aufleuchtenden Metallton hergab.
Jedoch konnte der Intendant auch munter sein. Im Repertoire der Mittel, mit denen er verfĂŒhrte, hatte die typisch rheinische, bei ihm aber ĂŒbermĂŒtig persönlich geprĂ€gte Lustigkeit ihren wichtigen Platz. Wie der Intendant zu scherzen verstand, wenn es galt, verdrossene BĂŒhnenarbeiter, widerspenstige Schauspieler oder die schwer zu behandelnden ReprĂ€sentanten der Macht fĂŒr sich zu gewinnen! Er brachte Sonnenschein in ernste VersammlungssĂ€le, er erhellte mit der ihm angeborenen und durch eine lange Routine perfektionierten Schalkhaftigkeit trĂŒbe Probenvormittage.
Der Intendant war beliebt. Beinah alle Menschen mochten ihn, rĂŒhmten seine Leutseligkeit und waren der Ansicht, er sei ein feiner Kerl. Ihm gegenĂŒber schien sogar die politische Opposition, die nur bei geheimen ZusammenkĂŒnften, in sorgfĂ€ltig verschlossenen RĂ€umen ihre Ansicht Ă€uĂern konnte, milde gestimmt. Es sei doch ein rechtes GlĂŒck â so meinten die, welche mit dem Regime nicht einverstanden waren â, dass auf einem so wichtigen Posten, wie der es war, den Höfgen innehatte, ein deklarierter Nicht-Nationalsozialist sitze. In diesen verschwörerischen Zirkeln wollte man wissen, dass der Chef des Staatstheaters sich den Ministerien gegenĂŒber manches leistete und herausnahm. Er hatte Otto Ulrichs an die preuĂische BĂŒhne gebracht â eine ebenso riskante wie lobenswerte Tat. Seit Neuestem hielt er sich sogar einen PrivatsekretĂ€r, der Jude oder mindestens Halbjude war â: Johannes Lehmann hieĂ der junge Mensch, er hatte sanfte, goldbraune, etwas ölige Augen und war dem Intendanten ergeben wie ein treuer Hund. Lehmann war zum Protestantismus ĂŒbergetreten und sehr fromm. Neben germanistischen und theatergeschichtlichen Kollegs hatte er theologische gehört. FĂŒr Politik interessierte er sich nicht. âHendrik Höfgen ist ein groĂer Menschâ, pflegte er zu sagen und verlieh dieser Meinung in den jĂŒdischen Kreisen, zu denen er durch seine Familie, und in den oppositionell-religiösen, zu denen er durch seine Frömmigkeit Beziehung hatte, eifrig Ausdruck.
Hendrik honorierte den ergebenen Johannes aus eigener Kasse: Er lieĂ es sich etwas kosten, einen Menschen von der Paria-Rasse in seinem Dienste zu haben und, auf solche Weise, den Gegnern des Regimes zu imponieren. FĂŒr das Gehalt eines âarischenâ PrivatsekretĂ€rs wĂ€re das Staatstheater aufgekommen; jedoch konnte der Intendant nicht gut die öffentliche Kasse fĂŒr den Sold eines âNicht-Ariersâ in Anspruch nehmen. Vielleicht hĂ€tte ihm der MinisterprĂ€sident sogar diese Laune verziehen. Aber Hendrik legte Wert darauf, das finanzielle Opfer zu bringen. Die zweihundert Mark, die er monatlich zu zahlen hatte und die ĂŒbrigens in seinem Etat eine minimale, kaum spĂŒrbare Rolle spielten, lohnten sich ihm. Denn gerade sie gaben seiner schönen Tat ein besonderes Gewicht und vergröĂerten ihre Wirkung. Der JĂŒngling Johannes Lehmann war ein bedeutender Aktivposten in der Bilanz jener âRĂŒckversicherungenâ, die Höfgen sich ohne gar zu groĂe Risiken leisten durfte. Er brauchte sie, ohne sie hĂ€tte er seine Situation kaum ertragen, sein GlĂŒck wĂ€re zerstört worden durch ein schlechtes Gewissen, das wunderlicherweise nie ganz schweigen wollte, und durch eine Angst vor der Zukunft, die den groĂen Mann zuweilen bis in seine TrĂ€ume verfolgte.
Im Theater selbst â dort also, wo er als hohe Amtsperson handelte â erschien es ihm keineswegs ratsam, sich gar zu viel herauszunehmen: Der Propagandaminister und seine Presse schauten ihm auf die Finger. Der Intendant musste froh sein, wenn er das ĂuĂerste an kĂŒnstlerischer Blamage, wenn er die AuffĂŒhrung völlig dilettantischer StĂŒcke, das Engagement total unbegabter, nichts-als-blonder Schauspieler verhindern konnte.
SelbstverstĂ€ndlich war das Theater garantiert âjudenreinâ, von den BĂŒhnenarbeitern, Inspizienten und Portiers bis hinauf zu den Stars. SelbstverstĂ€ndlich durfte die Annahme eines StĂŒckes nicht erwogen werden, wenn die Ahnentafel des Verfassers nicht bis ins vierte und fĂŒnfte Glied nachweisbar tadellos war. StĂŒcke, in denen sich eine Gesinnung vermuten lieĂ, die das Regime als anstöĂig empfinden konnte, kamen ohnedies nicht in Frage. Es war nicht ganz leicht, unter solchen UmstĂ€nden ein Repertoire zusammenzustellen; denn auch auf die Klassiker konnte man sich nicht verlassen. In Hamburg hatte es bei einer AuffĂŒhrung des âDon Carlosâ demonstrativen und fast aufrĂŒhrerischen Beifall gegeben, als Marquis Posa vom König Philipp die âGedankenfreiheitâ forderte; in MĂŒnchen war eine Neuinszenierung der âRĂ€uberâ so lange ausverkauft gewesen, bis die Regierung sie verbot: Schillers Jugendwerk hatte als aktuell-revolutionĂ€res Drama gewirkt und begeistert. Intendant Höfgen wagte sich also weder an den âCarlosâ noch an die âRĂ€uberâ, obwohl er selber gerne sowohl den Marquis Posa als auch den Franz Moor gespielt haben wĂŒrde. Fast alle modernen StĂŒcke, die bis zum Januar 1933 in den Spielplan einer anspruchsvollen deutschen BĂŒhne gehört hatten â die frĂŒhen, noch kraftvollen Werke Gerhart Hauptmanns, die Dramen Wedekinds, Strindbergs, Georg Kaisers, Sternheims â, wurden wegen zersetzend kulturbolschewistischen Geistes scharf und mit Empörung abgelehnt: Intendant Höfgen konnte sich nicht erlauben, eines von ihnen zur AuffĂŒhrung vorzuschlagen. Die jĂŒngeren Dramatiker von Talent waren beinah ausnahmslos emigriert oder lebten in Deutschland nicht anders denn in der Verbannung. Was sollte Intendant Höfgen spielen lassen in seinen schönen Theatern? Die nationalsozialistischen Dichter â forsche Knaben in schwarzen oder braunen Uniformen â schrieben Dinge, von denen jeder, der etwas vom Theater verstand, sich mit Grausen abwandte. Intendant Höfgen erteilte AuftrĂ€ge an jene von den militanten Buben, denen er am ehesten einen Funken von Begabung zutraute: An fĂŒnf von ihnen lieĂ er ein paar tausend Mark auszahlen, ehe sie noch mit der Arbeit begonnen hatten, damit er nur endlich ein StĂŒck bekĂ€me. Die Resultate aber fielen jĂ€mmerlich aus. Was abgeliefert wurde, waren patriotische Tragödien, die das Machwerk hysterischer Gymnasiasten zu sein schienen. âEs ist wahrhaftig keine Kleinigkeit, in diesem Deutschland auch nur halbwegs vernĂŒnftiges Theater zu machenâ, Ă€uĂerte Hendrik im Kreise der Intimen und stĂŒtzte sein fahles, ĂŒberanstrengtes, ein wenig angewidertes Gesicht in die HĂ€nde.
Die Situation war sehr schwierig, aber Intendant Höfgen war sehr geschickt. Da es keine modernen Lustspiele gab, entdeckte er alte Possen und hatte starke Erfolge mit ihnen; monatelang machte er volle HĂ€user mit einer verstaubten französischen Komödie, ĂŒber die unsere GroĂvĂ€ter sich amĂŒsiert hatten. Er selber spielte die Hauptrolle, zeigte sich dem Publikum in einem wunderbar bestickten RokokokostĂŒm, sein köstlich geschminktes Gesicht wirkte mit einem schwarzen SchönheitspflĂ€sterchen am Kinn derartig pikant, dass alle Weiber im Parkett vor Wonne kicherten, als hĂ€tte man sie gekitzelt, seine GebĂ€rden hatten eine Beschwingtheit, seine Konversation eine Verve, die den wacker fabrizierten GroĂvater-Scherz wirken lieĂen wie den glanzvollsten modernen ReiĂer. â Da Schiller, mit seiner ewigen Beschwörung der Freiheit, anrĂŒchig war, bevorzugte der Intendant Shakespeare, den die maĂgebende Presse als den groĂen Germanen, als das völkische Genie par excellence proklamiert hatte. â Lotte Lindenthal, Favoritin eines Halbgottes und reprĂ€sentative Menschendarstellerin des neuen Deutschland, konnte es wagen, als Minna von Barnhelm aufzutreten â also in einer Komödie, deren Verfasser fĂŒr seine Judenfreundlichkeit ebenso unliebsam bekannt war wie fĂŒr seine gĂ€nzlich unzeitgemĂ€Ăe Liebe zur Vernunft. Weil die Lindenthal mit dem Fliegergeneral buhlte, verzieh man Gotthold Ephraim Lessing seinen âNathan der Weiseâ. Auch die âMinna von Barnhelmâ machte gute Kasse. Die Einnahmen der staatlichen BĂŒhnen, die unter der Direktion des Dichters CĂ€sar von Muck so miserabel gewesen waren, verbesserten sich zusehends, dank der Gewandtheit des neuen Intendanten.
CĂ€sar von Muck, der im besonderen Auftrag des FĂŒhrers eine Vortrags- und Propaganda-Tournee durch Europa unternahm, hĂ€tte Anlass gehabt, sich ĂŒber die Triumphe seines Nachfolgers zu Ă€rgern. Er Ă€rgerte sich in der Tat, zeigte es aber nicht, sondern schrieb Ansichtskarten an seinen âFreund Hendrikâ aus Palermo oder aus Kopenhagen. Auf ihnen ward er nicht mĂŒde zu betonen, wie schön und herrlich es sei, so in Freiheit durch die Lande zu streifen. âWir Dichter sind doch alle Vagabundenâ, schrieb er aus dem Grand Hotel in Stockholm. Er hatte reichlich Devisen mitbekommen. In seinen teils lyrisch, teils militant gestimmten Feuilletons, die alle Zeitungen in groĂer Aufmachung publizieren mussten, war viel von Luxusrestaurants, reservierten Theaterlogen und EmpfĂ€ngen auf Botschaften die Rede. Der Schöpfer der âTannenbergâ-Tragödie entdeckte seine Neigung fĂŒr die groĂe Welt. Andererseits fasste er seine Lustpartie als erhabene sittliche Sendung auf. Der mondĂ€n-poetische Agent der deutschen Diktatur im Ausland liebte es, seine suspekte TĂ€tigkeit als âSeelsorgerberufâ zu bezeichnen und zu betonen, dass er nicht mit Bestechungsgeldern fĂŒr das Dritte Reich werben wolle, wie etwa sein Chef â der Hinkende â dies tat; vielmehr mit kleinen zarten Liebesliedern. Ăberall hatte er Abenteuer, die so reizend wie bedeutsam waren. In Oslo zum Beispiel erreichte ihn ein Anruf aus der nördlichsten Telefonzelle Europas. Eine besorgte Stimme fragte ihn aus der Polargegend: âWie ist es in Deutschland?â Da versuchte der seelsorgerische Globetrotter mit aller Andacht ein paar SĂ€tze zu formen, die wie eine Handvoll MĂ€rzenbecher, Schneeglöckchen und erste Veilchen in der Dunkelheit drĂŒben erblĂŒhen sollten. â Ăberall war es nett, nur in Paris fĂŒhlte der SĂ€nger der Schlacht von den Masurischen SĂŒmpfen sich unbehaglich. Denn dort irritierte ihn ein militaristisch-kriegerischer Geist, der ihm fremd war und den er nicht mochte. âParis ist gefĂ€hrlichâ, berichtete der Dichter nach Hause, und er dachte mit ernster RĂŒhrung an den feierlichen Frieden, der in Potsdam herrscht. â Nur ganz nebenbei, zwischen all den starken Erlebnissen, die seine Reise fĂŒr ihn mit sich brachte, intrigierte Herr von Muck, brieflich und telefonisch, ein wenig gegen seinen Freund Hendrik Höfgen. Der deutsche Dichter hatte in Paris, durch irgendwelche Spione â Agenten der Geheimen Staatspolizei oder Mitglieder der deutschen Botschaft â herausbekommen, dass es dort eine Negerin gab, die in unstatthaften und hĂ€sslichen Beziehungen zu Höfgen gestanden hatte und auch heute noch von ihm erhalten wurde. CĂ€sar ĂŒberwand die ihm angeborene Aversion gegen welsche Unmoral und begab sich in das zweifelhafte Etablissement am Montmartre, wo Prinzessin Tebab als Vögelchen wirkte. Er bestellte Champagner fĂŒr sich und die schwarze Dame; als diese aber erfuhr, dass er aus Berlin komme und etwas ĂŒber Hendrik Höfgens erotische Vergangenheit zu wissen wĂŒnsche, sprach sie einige verĂ€chtliche und derbe Worte, stand auf, streckte ihm das schöne Hinterteil hin, von dem grĂŒner Federnschmuck wallte, und begleitete diese GebĂ€rde auch noch mit einem GerĂ€usch, welches ihre gespitzten Lippen produzierten und das die fatalsten Assoziationen hervorrufen musste. Das ganze Lokal amĂŒsierte sich. Der deutsche Barde war auf lĂ€cherliche und blamable Art abgefahren. Er machte drohende Stahlaugen, schlug mit der Faust auf den Tisch, Ă€uĂerte mehrere sĂ€chsisch akzentuierte SĂ€tze der EntrĂŒstung und verlieĂ das Lokal. Noch in derselben Nacht unterrichtete er telefonisch den Propagandaminister davon, dass mit dem Liebesleben des neuen Intendanten irgendwie nicht alles in Ordnung sein könne. Ohne Frage: Hier waltete ein trĂŒbes Geheimnis, und der Liebling des MinisterprĂ€sidenten bot AngriffsflĂ€chen. Der Propagandaminister dankte seinem Freunde, dem Dichter, aufs Lebhafteste fĂŒr die interessanten Mitteilungen.
Aber wie schwer war es nun schon geworden, dem ersten Theatermann des Reiches, dem groĂen Liebling der MĂ€chtigen und des Publikums etwas anzuhaben! Hendrik wurde allgemein geschĂ€tzt, er saĂ fest im Sattel. Auch sein Privatleben machte den gĂŒnstigsten Eindruck. Auf eine gewisse nervöse und eigenwillig originelle Art hatte der junge Herr Intendant, im Rahmen seiner HĂ€uslichkeit, geradezu etwas Patriarchalisches bekommen.
Hendrik hatte sich seine Eltern und Schwester Josy aus Köln nach Berlin kommen lassen. Mit ihnen bewohnte er eine groĂe, schlossartige Villa im Grunewald. In der Etage am Reichskanzlerplatz, ĂŒber die der Mietvertrag noch fĂŒr einige Monate lief, logierte vorlĂ€ufig Nicoletta. Die Villa mit Park, Tennisplatz, schönen Terrassen und gerĂ€umigen Garagen gab dem jungen Intendanten das Relief, den hochherrschaftlichen Hintergrund, den er nun brauchte und wollte. Wie lange war es her, dass er auf leichten Spangenschuhen, mit flatterndem Ledermantel, das Monokel vorm Auge â eine auffallende und beinah komische Erscheinung â durch die StraĂen geeilt war? Noch am Reichskanzlerplatz war er Bohemien gewesen, wenn auch Bohemien mit luxuriösem Lebensstil. Im Grunewald aber wurde er Grandseigneur. Geld spielte keine Rolle: Wenn es sich um ihre Favoriten handelte, war die Hölle nicht geizig, die Unterwelt zahlte, der Schauspieler Höfgen, der vom Leben nichts beansprucht hatte als ein reines Hemd und eine Flasche Eau de Cologne auf dem Nachttisch, konnte sich Rennpferde, groĂe Dienerschaft und einen ganzen Park von Automobilen leisten. Niemand, oder fast niemand, nahm AnstoĂ an dem Pomp, den er entfaltete. In allen Illustrierten war das schöne Milieu zu sehen, in dem der junge Herr Intendant sich von anstrengender Arbeit erholte â âHendrik Höfgen, im Garten seiner Besitzung den berĂŒhmten Rassehund Hoppi fĂŒtterndâ, âHendrik Höfgen, im Renaissance-Speisezimmer seiner Villa mit seiner Mutter beim FrĂŒhstĂŒckâ â, und die meisten Leute fanden es recht und billig, dass ein Mann, der sich um das Vaterland derartige Verdienste erwarb, auch seinerseits stark verdiente. Ăbrigens war ja all die Pracht, mit welcher der Intendant sich umgab, klein und bescheiden, verglichen mit dem mĂ€rchenhaften Aufwand, den sein gewaltiger Herr und Freund, der Fliegergeneral, sich vor den Augen der Volksgemeinschaft provokant und prahlerisch gönnte âŠ
Die Grunewald-Villa war das Eigentum des jungen Intendanten; er nannte sie âHendrik-Hallâ und hatte sie einem jĂŒdischen Bankdirektor, der nach London ĂŒbersiedelt war, fĂŒr eine relativ niedrige Summe abgekauft. In Hendrik-Hall war alles höchst fein und gewiss ebenso groĂartig, wie es im Palais des âProfessorsâ gewesen war. Die Diener trugen schwarze Livreen mit silbernen Borten, nur der kleine Böck durfte ein wenig schlampig umhergehen. Meistens zeigte er sich in einer schmutzigen, blau und weiĂ gestreiften Jacke; zuweilen in der braunen SA-Uniform. Der törichte Bursche mit den wĂ€ssrigen Augen und dem harten Haar, das ihm immer noch wie eine BĂŒrste vom SchĂ€del stand, genoss eine besondere und bevorzugte Stellung in Hendrik-Hall. Ihn bewahrte der Schlossherr wie ein drolliges kleines Andenken an vergangene Zeiten. Der kleine Böck war im Grunde eigens dafĂŒr engagiert, um sich bestĂ€ndig ĂŒber die wundersame Verwandlung seines Meisters zu erstaunen und zu entzĂŒcken. Das tat er denn auch und sagte tĂ€glich mindestens einmal: âNein, wie schön und reich wir geworden sind! Es ist doch nicht zu schildern! Wenn ich daran denke, dass wir uns einmal sieben Mark fĂŒnfzig haben pumpen mĂŒssen, um abendessen zu können!â Der kleine Böck kicherte ehrfurchtsvoll und gerĂŒhrt bei der Erinnerung. â âEin braves Tierâ, sagte Höfgen von ihm. âEr ist mir auch in schlechten Zeiten treu gewesen.â â Die betonte Freundlichkeit, mit der er vom kleinen Böck sprach, schien einen geheimen Trotz zu enthalten. Wem galt er, gegen wen richtete er sich? War es nicht Barbara gewesen, die ihm seinen Böck, den ergebenen Knecht, nicht hatte gönnen wollen? In der Hamburger Wohnung war nur ein FrĂ€ulein geduldet worden, das ihren zehnjĂ€hrigen Dienst auf dem Gute der Generalin hinter sich hatte â damit sich nur ja nichts Ă€nderte im Leben der gnĂ€digen Frau, der Geheimratstochter. Hendrik, in all seinem Glanz, konnte die kleinsten Niederlagen der Vergangenheit nie vergessen.
âJetzt bin ich Herr im Hause!â, sagte er.
Jetzt war er Herr im Hause, ĂŒber dessen Schwelle beinah nur noch Menschen kamen, die mit Bewunderung und Ehrfurcht auf ihn blickten. Die Familie, die er an seines Daseins festlicher Schönheit teilhaben lieĂ, bekam auch seine Launen zu spĂŒren. Hendrik veranstaltete zuweilen gemĂŒtliche Abende am Kaminfeuer oder reizende Sonntagvormittage im Garten. HĂ€ufiger aber geschah es, dass er sein fahles, beleidigtes Gouvernantengesicht zeigte, sich in seine GemĂ€cher verschloss und vorwurfsvoll behauptete, er leide an schwerer MigrĂ€ne â âweil ich so sehr viel arbeiten muss, um fĂŒr euch das Geld herbeizuschaffen, ihr Nichtstuerâ: Dies sagte er nicht, deutete es jedoch drastisch an durch leidendes und gereiztes Wesen. âKĂŒmmert euch nicht um mich!â, riet er den Seinen, und nahm es dann nachhaltig ĂŒbel, wenn man wirklich ein paar Stunden lang nicht nach ihm sah.
Am besten verstand es seine Mutter Bella, mit i...