Alt, krank und verwirrt
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Alt, krank und verwirrt

Einführung in die Praxis der Palliativen Geriatrie

Marina Kojer, Gian Domenico Borasio, Monika Führer, Maria Wasner, Ralf J. Jox, Marina Kojer

  1. 360 páginas
  2. German
  3. ePUB (apto para móviles)
  4. Disponible en iOS y Android
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Alt, krank und verwirrt

Einführung in die Praxis der Palliativen Geriatrie

Marina Kojer, Gian Domenico Borasio, Monika Führer, Maria Wasner, Ralf J. Jox, Marina Kojer

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Información del libro

Die meisten Hochbetagten, die heute in Pflegeheimen leben und sterben, sind multimorbid, demenzkrank und gebrechlich. Sie sind körperlich und seelisch labil und besonders verletzlich. Gesundheitliche oder seelische Probleme können daher schnell zu ernsten Konsequenzen führen. Palliative Geriatrie orientiert sich jedoch nicht nur an Symptomen, Diagnosen und Leitlinien, sondern hat stets einen ganzheitlichen Blick auf die Menschen. Was ist ihnen wichtig? Was belastet sie? Was wünschen sie sich? Wie können wir ihnen helfen, ihre persönlichen Ziele zu erreichen? Dieses Buch zeigt anhand vieler Praxisbeispiele auf, wie es gelingen kann, den Betroffenen trotz Krankheit, Demenz und Todesnähe bis zuletzt ein gutes Leben zu ermöglichen. Fachliche Kompetenz allein reicht dafür nicht! Palliative Geriatrie fordert von den Betreuenden aller Berufsgruppen auch ein hohes Maß an Mit-Menschlichkeit: Wertschätzung, Achtsamkeit, Zuwendung, Verständnis und Mitgefühl.

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Información

Año
2021
ISBN
9783170391642
Edición
4
Categoría
Medizin
Categoría
Geriatrie

Vorwort zur 1. Auflage

 
 
Die Liebe nimmt an, nicht weg.
Sie ergreift nicht Besitz.
Sie ist zugetan.
Sie ist das Geheimnis
der Brotvermehrung.
 
Christine Busta
Ich arbeite seit mehr als 20 Jahren mit und für fortgeschritten multimorbide, demenzkranke, völlig hilflos gewordene alte und hochbetagte Menschen. In dieser Zeit habe ich mich mit ganzer Kraft, mit Herz und Verstand dafür eingesetzt, erst meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, später auch andere von meinem Weg des Respekts, der Behutsamkeit und der Mit-Menschlichkeit zu überzeugen. Dieses Buch, unser Buch, ist das Ergebnis jahrzehntelangen Bemühens, gleichsam die Bilanz meines Berufslebens. Es ist nicht mein Buch, es ist unser Buch. Ich bin zutiefst dankbar dafür, dass ich nicht nur »den undenkbaren Traum« träumen durfte wie Don Quichotte, sondern meine Vision im Wirken meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lebendig werden sah. Wir, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedener Berufsgruppen, haben dieses Buch gemeinsam geschrieben. Jeder Beitrag der 21 Co-Autorinnen und -autoren, ob groß oder klein, war für das Gelingen wertvoll. Erst alle gemeinsam ergaben ein Ganzes.
Wir widmen das Buch unseren Patientinnen und Patienten, den vielen kranken, alten Menschen, die wir betreuen und betreut haben. Ihnen gilt unser besonderer Dank: Sie sind und waren unsere Lehrerinnen und Lehrmeister, sie nehmen uns immer wieder an der Hand und führen uns, bis wir, oft erst nach langer Zeit, endlich begreifen, was für sie wichtig ist. Sie sind unersetzbare Kritikerinnen und Kritiker, sie machen uns auf unsere Fehler aufmerksam und lassen sich nicht so leicht täuschen. Sie sind unsere Freundinnen und Freunde und beschenken uns reichlich mit ihrem Lächeln, ihrem Vertrauen und ihrer Zuneigung. Sie sind nicht zuletzt auch unsere Kraftquellen und geben uns den Mut, auch dann weiterzumachen, wenn es schwer wird.
Nach diesen sehr persönlichen Sätzen möchte ich Sie, unsere Leserinnen und Leser, kurz mit dem Umfeld vertraut machen, in das unsere Patientinnen und wir eingebettet sind. Die Entwicklung der Abteilung für Palliativmedizinische Geriatrie kann nur im Gesamtkontext des Geriatriezentrums am Wienerwald (GZW) gesehen werden. Als Teil einer Krankenanstalt der Gemeinde Wien haben wir geringe Freiräume; wir haben vor allem keinen nennenswerten Einfluss auf Personalsituation und Wohnqualität. Frei verändern können wir ausschließlich uns selbst: Unsere Haltung, unser Verhalten, unsere Konzepte, unsere Kompetenz und Professionalität.
Das GZW wurde vor knapp 100 Jahren gegründet und war damals als Versorgungsinstitution für sozial Schwache gedacht. Über viele Zwischenstufen entwickelte es sich im Laufe der Jahre zum größten Pflegeheim (Pflege-Krankenhaus) Europas. In seiner Anlage gleicht das GZW einer kleinen Stadt. In dem weitläufigen Gelände bleibt zwischen den Gebäuden genug Platz für Bäume und große Grünflächen. Fast jede der 13 Abteilungen ist in einem eigenen Pavillon untergebracht. In einem weiteren Pavillon befindet sich der Großteil der Ambulanzen der Geriatrischen Poliklinik. Alle erforderlichen Untersuchungen können rasch und unkompliziert von geriatrisch geschultem Fachpersonal durchgeführt werden.
Im Unterschied zu vielen anderen Pflegeheimen verfügt das GZW über rund 120 angestellte Ärztinnen und Ärzte, die bestimmten Abteilungen oder Ambulanzen zugeordnet sind. Zwischen 1990 und 2000 wurde die medizinische und pflegerische Versorgung in vielen Richtungen wesentlich verbessert und genauer an die Bedürfnisse unserer hochbetagten Patientinnen und Patienten angepasst. Einzelne Abteilungen, zum Teil auch einzelne Stationen, haben spezifische Arbeitsschwerpunkte gefunden und sich in diesen Bereichen zunehmend spezialisiert. Die bedarfsgerechte Zuweisung erfolgt über zwei Aufnahmestationen und ein mobiles Team.
Im krassen Gegensatz zu den hervorragenden ärztlichen und pflegerischen Leistungen steht leider die unzulängliche Wohnqualität. Der größte Teil unserer Patientinnen und Patienten ist nach wie vor in 7–8-Bettzimmern ohne eigene Nasseinheiten untergebracht. Die Wege zur Toilette sind für hochbetagte, gebrechliche, von Inkontinenz bedrohte Menschen viel zu weit. Es gibt so gut wie keine Rückzugsmöglichkeiten. Das größte Handicap aber ist der, am eigentlichen Bedarf der Patientinnen gemessene Mangel an Pflegepersonal. Verglichen mit dem Personalstand der meisten anderen Pflegeeinrichtungen in Österreich dürfen wir uns nicht beklagen. Für die Leistungen, die wir erbringen sollten und selbst von uns erwarten, ist der Personalschlüssel allerdings bei weitem zu gering. Ungeachtet dieser Strukturmängel gelingt es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des GZW jedoch erstaunlicherweise, in den wesentlichen Bereichen hervorragende Leistungen zu erbringen.
Im Rahmen dieser Gesamtstruktur wuchs und reifte im Laufe vieler Jahre in mir und später auch in meinen Mitarbeiterinnen der Wunsch, uns besonders für fortgeschritten multimorbide Hochbetagte einzusetzen, für schwer Behinderte, schwer demenziell Erkrankte, für Menschen, die nur mehr eine kurze Lebensspanne vor sich haben. Wir beschlossen, uns für die Hilflosesten zu engagieren, aus denen nach landläufiger Meinung »nichts mehr werden kann«. Wir versuchten sie besser zu verstehen, unsere fachliche und menschliche Kompetenz sowie Kreativität dazu zu nutzen, ihre körperlichen und seelischen Schmerzen, ihre Angst, Bedrückung und Einsamkeit zu lindern. Aus dieser Haltung, im Verein mit gezielter Fortbildung und zunehmender Erfahrung, entstand mit der Zeit unser Konzept der Palliativen Geriatrie.
Zu meinem großen Glück fand ich in meiner Kollegin Susanne Pirker eine Mitstreiterin aus tiefster, persönlicher Überzeugung. Ohne sie wäre es mir vermutlich nur sehr schwer gelungen, gegen den Strom der modernen Geriatrie, gegen den Strom der inneren Antriebe vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schwimmend, genug Überzeugungsarbeit zu leisten und genügend Menschen für diese Form der Arbeit zu begeistern. Ohne sie wäre ich Gefahr gelaufen, auch selbst zu verzagen. Susanne Pirker hatte gemeinsam mit ihrer Stationsleitung Michaela Zsifkovics auf der eigenen Station viel bewegt. Darüber hinaus war sie der gute Geist der Abteilung. Ihre selbstverständliche Offenheit, ihr einfaches, unglaublich treffsicheres Denken, ihre Geduld, ihre Bescheidenheit, ihr stiller Fleiß und nicht zuletzt ihre Liebe zu den Menschen verliehen ihr Kraft und öffneten ihr die Herzen. Ich habe sie stets bewundert, sie oft um Rat gefragt, viel von ihr gelernt und bin zutiefst dankbar dafür, dass ich elf Jahre lang mit ihr zusammenarbeiten und gemeinsam mit ihr die Weichen für eine menschlichere Geriatrie stellen durfte.
Immer wieder waren wir enttäuscht oder fanden uns auf einem Irrweg wieder, doch immer häufiger entdeckten wir auch kleine »Edelsteine«, erlebten positive Überraschungen und gewannen so allmählich viel mehr Freude an unserer Arbeit. Auf diesem Weg haben wir eine Reihe von Konzepten entwickelt, die der kritischen Prüfung durch die Praxis standhalten konnten. Mit ihrer Hilfe gelingt es uns immer öfter, die Wünsche und Bedürfnisse schwerkranker, fortgeschritten dementer und todesnaher Hochbetagter besser zu erkennen und unsere Patientinnen und Patienten heute besser und liebevoller zu betreuen als früher.
Um allen, die alte Menschen beruflich, ehrenamtlich oder als Angehörige behandeln, pflegen und betreuen, Mut zu machen und ihnen uns bereits bekannte Irrwege zu ersparen, haben wir 1999 beschlossen, unsere Erfahrungen schriftlich festzuhalten. In der Folge machten sich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Pflegende, Ärztinnen, Ärzte und Therapeutinnen in ihrer Freizeit an die Arbeit, um ihren Teil zum Entstehen dieses Buches beizutragen. Besonderen Wert legten wir dabei auf den engen Bezug zur Praxis, die einfache Umsetzbarkeit und die gute Lesbarkeit. Manche Leserin, manchen Leser mag es als ungewohnt berühren, dass wir unsere Patientinnen und Patienten oft beim Vornamen nennen. Das ist kein Zeichen von Respektlosigkeit! Wir sprechen die alten Menschen so an, wie sie selbst angesprochen zu werden wünschen. So betreuten wir z. B. eine alte Dame namens Rudolfine, die von Anfang an sagte: »Ich bin die Tante Rudi! Bitte nennen Sie mich so.« Vor allem in Wien ist – zumal in der Generation der heute (2002) 90-Jährigen – die Anrede »Frau Maria« oder »Tante Maria« noch immer sehr gebräuchlich. Ein großer Teil unserer demenzkranken Patientinnen und Patienten identifiziert sich selbst nur mehr mit dem Vornamen und nicht mit dem Familiennamen. Auch viele nicht Demenzkranke fühlen sich nur dann angenommen oder verstanden, wenn wir sie in dieser viel persönlicheren Art ansprechen.
Unser »Werk« erhebt keinen Anspruch darauf, der Stein der Weisen zu sein. Es bleibt lückenhaft, behandelt einige wichtige Themen nicht oder reißt bestehende Probleme nur kurz an. So verbindet dieses Buch nicht nur sein Thema, sondern auch seine Begrenztheit mit Palliative Care: Da und dort kann es uns hilflosen Helferinnen und Helfern bestenfalls gelingen, weniger Fehler zu machen als vorher.
Ich möchte diese Einführung nicht beenden, ohne allen Co-Autorinnen und Autoren dieses Buches von ganzem Herzen für ihre spontane Bereitschaft mitzumachen und für ihren großen Einsatz zu danken. Manche von ihnen haben seit ihrer Schulzeit nichts mehr geschrieben und mussten eine hohe Hemmschwelle überwinden, ehe sie ihre Gedanken zu Papier brachten.
 
Marina Kojer
April 2002

Danksagung

 
 
Ich möchte meinem Freund, PD Dr. Ulf Schwänke, herzlich für seine Bereitschaft danken, Fragen und Probleme, die sich während der Überarbeitung ergaben, geduldig mit mir zu diskutieren und die fertigen Kapitel kritisch zu lesen. Seine wertvollen Anregungen haben zu wesentlichen Ergänzungen und Verbesserungen geführt.

Teil I: Die Suche nach neuen Wegen in der Geriatrie

1 Palliative Geriatrie

Marina Kojer

Als ich Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in der Geriatrie zu arbeiten begann, erkannte ich bald, dass sich vieles ändern musste, wenn ich in diesem Beruf Erfüllung finden sollte. Nichts war so, wie ich es mir vorgestellt hatte: Meine Patientinnen waren weder »lieb« noch »dankbar« noch »zufrieden«, sondern zum Großteil mürrisch, aggressiv, unzugänglich und unglücklich. Es fiel mir schwer, mich ihnen zuzuwenden. Ich musste herausfinden, was diese alten Menschen brauchten und wünschten (aber sichtlich nicht bekamen!). Wie konnte ich ihnen als Ärztin dazu verhelfen? Die meisten Pflegekräfte und Ärztinnen, denen ich begegnete, wirkten uninteressiert-gleichmütig und schienen sich dabei auch recht wohl zu fühlen. Würden sie sich jemals aus ihrer Lethargie aufrütteln und für neue Ideen begeistern lassen? An der Logik der Altenarbeit, der ich hier begegnete, stimmte etwas von Grund auf nicht. Was es genau war, hätte ich nicht sagen können, ich wusste nur, dass das, was geschah, an den meisten Patientinnen vorbeizielte.
Das größte Pflegeheim Europas war damals in vieler Hinsicht ein Aufbewahrungsort für anderwärts nicht mehr tragbare alte Menschen. Im Gegensatz zu den meisten solcher Institutionen beschäftigte es eine große Zahl angestellter Ärztinnen. Sie betreuten 3.000 Langzeitpatientinnen rund um die Uhr. Sie behandelten allfällige akute Krankheiten und führten, da sie im Allgemeinen nur wenig Zeit mit ihren Patientinnen verbrachten, darüber hinaus ein ziemlich bequemes Leben. Die Pflegenden arbeiteten intensiv, die meisten Tätigkeiten dienten allerdings der Aufrechterhaltung der Reinlichkeit. Einige Schwestern, gütige, mütterliche Frauen, suchten aufrichtig nach einem Weg zu den alten Menschen, ein paar schlecht oder gar nicht ausgebildete Gutwillige taten freundlich, was von ihnen verlangt wurde, die meisten anderen erledigten einfach ihren Job. Eine Zeitlang überlegte ich ernsthaft, ob ich mich nicht nach einem anderen Arbeitsplatz umsehen sollte.
Meine Ratlosigkeit angesichts dieser bedrückenden Gegenwart machte mich zu Beginn fast aktionsunfähig. Ich war enttäuscht – enttäuscht vom Alltag des Pflegeheims (ich hatte es mir ganz anders vorgestellt), enttäuscht von den Patientinnen (sie »wollten« mich gar nicht), enttäuscht von mir selbst. Da ich mich von Kindheit an zu alten Menschen besonders hingezogen gefühlt hatte, hatte ich mich bewusst für eine Arbeit in der Geriatrie entschieden. Ich war mit vielen unrealistischen Ideen und Plänen hierhergekommen, doch diese idealistischen Vorstellungen verloren angesichts ernüchternder Tatsachen rasch ihren Glanz.
Ich war gekommen, um mich als Ärztin und als Mensch für alte Menschen einzusetzen. Ich wollte nicht nur ihre Krankheiten behandeln, ich wollte sie als ganze Menschen wahrnehmen, mich ihnen zuwenden, ihr Vertrauen und ihre Zuneigung gewinnen und mit ihnen über ihr Leben sprechen. Meine Patientinnen sollten das Pflegeheim als zweite Heimat erleben und Freude am Leben haben. Die Realität schaute anders aus. Wenn ich zurückdenke, tauchen viele Bilder vor mir auf, Bilder, die sich – wenn auch mit unterschiedlichen Gesichtern, Körpern und Stimmen – im Laufe der Jahre noch oft wiederholten. Erst in den letzten zehn Jahren meiner Tätigkeit als ärztliche Leiterin einer Abteilung kamen seltener neue, negative Bilder hinzu.
Der demenzkranke, alte Mann ist mit einem zusammengerollten Leintuch an seinem Stuhl festgebunden. Wird das Leintuch entfernt, versucht er sogleich aufzustehen und fällt hin. Er könnte sich dabei verletzen, davor muss er »geschützt« werden. Es »geht nicht anders«. Er sitzt regungslos, den Kopf nach vorne geneigt, mit resigniert geschlossenen Augen. Sein unbewegtes Gesicht ist eine Maske der Trostlosigkeit. Er wirkt auf mich wie ein angeketteter Strafgefangener. Ich spreche ihn an – sein Gesicht bleibt regungslos, er hebt seinen Kopf nicht.
Urlaubszeit, Krankenstände, Personalnot, Zeitnot. Ich gehe im Nachtdienst zur Zeit der Abendarbeit über den Gang. Eine Patientin schreit, ihre Stimme ist voller Angst: »Mama, Mama hilf mir...

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