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Achtsamkeit in Schule und Bildung (E-Book)
Tagungsband
Detlev Vogel, Ursula Frischknecht-Tobler
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- German
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Achtsamkeit in Schule und Bildung (E-Book)
Tagungsband
Detlev Vogel, Ursula Frischknecht-Tobler
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Dieses E-Book enthĂ€lt komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen.Lehrpersonen klagen ĂŒber Erschöpfung, immer mehr Kinder erfahren Stress und konsumieren gar Medikamente, um mit dem hohen Leistungsdruck fertig zu werden. Ist Achtsamkeit die Lösung? UnzĂ€hlige Studien belegen die positive Wirkung von Achtsamkeit auf die Gesundheit von Lehrpersonen und SchĂŒlerinnen und SchĂŒlern sowie auf Lernklima und Beziehungskultur. Auch unruhige Kinder können mit einfachen Ăbungen Konzentration und Stille erleben.
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Informations
ACHTSAMKEIT IN SCHULE UND LEHRERINNEN- UND LEHRERBILDUNG
Lehrpersonen stehen im Spannungsfeld, ein stetig anwachsendes Fachwissen zu vermitteln und dem weitgespannten Beziehungsnetz von Schulleitung, Kolleginnen und Kollegen, Eltern sowie SchĂŒlerinnen und SchĂŒlern gerecht zu werden. Die vielfĂ€ltigen Herausforderungen, die sich dadurch ergeben, haben Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden.
Auch die SchĂŒlerinnen und SchĂŒler stehen unter steigendem Leistungsdruck. Das ist nicht mit den AnsprĂŒchen einzelner Eltern zu erklĂ€ren, sondern spiegelt die Anforderungen einer durchökonomisierten Gesellschaft wider. Vor diesem Hintergrund wird die Schaffung einer lernförderlichen AtmosphĂ€re zur Grundvoraussetzung des Bildungsprozesses. Achtsamkeitsprogramme bieten sowohl fĂŒr Lehrpersonen als auch fĂŒr SchĂŒlerinnen und SchĂŒler die Möglichkeit der Stressreduktion (z. B. Chiesa & Serreti, 2009), Emotionsregulation (Flook et al., 2013) und erhöhen die KonzentrationsfĂ€higkeit (Hölzel et al. 2007). Durch den nichtwertenden Fokus auf den Augenblick in allen seinen Aspekten steigt die EmpathiefĂ€higkeit (Dekeyser et al., 2008) und das schafft die Basis von Beziehungskompetenz.
Ausgehend von einer Darstellung der aktuellen Problemlage werden die wichtigsten Forschungsergebnisse im schulischen Kontext und die bestehenden Programme fĂŒr LehrerInnen und SchĂŒlerinnen und SchĂŒler vorgestellt. Insbesondere sollen Wirkfaktoren von Achtsamkeit fĂŒr den eigenen Unterricht erlĂ€utert werden, um eine sehr konkrete Vorstellung des Transfers in den schulischen Alltag zu erhalten, denn Bildung braucht Bilder, um sich wieder den ursprĂŒnglichen Aspekten des Bildungsauftrages anzunĂ€hern. Eng damit verbunden ist die Frage nach den Zielen schulischer Bildung und den Bedingungen, um diese realisieren zu können.
Aspekte einer lernförderlichen AtmosphÀre
«Wir können die Probleme von heute nicht mit den Antworten von gestern lösen», schreibt Jesper Juul. «Wir verfĂŒgen ĂŒber ein umfangreiches wissenschaftliches, organisatorisches und politisches Wissen und Erfahrungen, die es uns möglich machen, viele der von Menschen selbst verursachten Probleme zu beschreiben und zu lösen. Allerdings wird uns das nicht gelingen, wenn wir dafĂŒr dieselben Werkzeuge und Bezugssysteme verwenden, mit denen wir die Probleme geschaffen haben» (Juul 2012, S. 47). Doch welche Basis braucht es, damit jener Raum geschaffen wird, der neue Antworten auf die BedĂŒrfnisse unserer Gesellschaft geben kann? Und wie kann Schule zu einem Ort werden, der es ermöglicht, anknĂŒpfend an das bestehende Wissen Kompetenzen zu vermitteln, die zu kreativen Lösungen ĂŒber die «Antworten von gestern» hinaus fĂŒhren können? Was kann die Haltung der Achtsamkeit im schulischen Kontext bewirken?
Antworten sind im RĂŒckbezug auf den Ursprungsgedanken von Schule im Abgleich mit Aspekten der gegenwĂ€rtigen Situation an den Schulen zu finden.
Das Wort «Schule» geht etymologisch auf den altgriechischen Begriff ÏÏολΟ (scholĂ©) zurĂŒck, welcher «Musse» bedeutet. Die Musse, das Innehalten (altgriechisch: Ă©chein), um den Dingen wirklich auf den Grund zu gehen (Konrad 2007, S. 18), stellt eine der Grundvoraussetzungen (die in der heutigen Lernpsychologie wiederentdeckt werden) fĂŒr das Lernen als kreatives VerknĂŒpfen von Informationen dar. Es braucht eine druck- und angstfreie AtmosphĂ€re, die Raum zum Neudenken und Entwickeln bietet, oder wie der Neurologe Gerald HĂŒther (2011, S. 128) es formuliert: «KreativitĂ€t, so scheint es, ist eine Leistung, die nicht dadurch erreicht werden kann, dass man sein Denkorgan besonders anstrengt, um ein bestimmtes Problem zu lösen. Vielmehr kommen uns die wirklich kreativen EinfĂ€lle wohl eher ausgerechnet dann, wenn es uns gelingt, unser Gehirn ohne Druck und ohne gezielte Anstrengung zu benutzen.» Ein NobelpreistrĂ€ger der Physik wurde in einem Interview gefragt, ob er benennen könne, warum gerade er die bahnbrechenden Erkenntnisse hatte und nicht andere, ebenfalls exzellente KollegenInnen aus seinem Team. Er erwiderte, dass es vielleicht einfach daran gelegen habe, dass er sich neben der intensiven Forschungsarbeit den Freiraum gegeben habe, jedes Wochenende tauchen zu gehen. Diese Auszeit wĂŒrden sich viele der KollegenInnen nicht nehmen. Und seine besten Ideen seien ihm gekommen, wenn er nicht in der direkten Auseinandersetzung mit der Thematik steckte, sondern einen Abstand dazu hatte.
Der Begriff der Bildung wurde im Mittelalter vom Philosophen und Theologen Meister Eckhardt (1260â1311) eingefĂŒhrt, der als dessen Ziel das Erlernen von Gelassenheit sah (vgl. Bechthold-Hengelhaupt 1990). Der mittelhochdeutsche Begriff «gelÄÊen» bedeutet gottergeben im Sinne von «das Schicksal annehmend», aber auch sich niederlassen (Wahrig, 1986), welches an das Niederlassen im Moment, in der Meditation erinnert.
Gelassenheit, die aus Akzeptanz resultiert, ist aber nicht zu verwechseln mit GleichgĂŒltigkeit, die ein Nichtagieren impliziert. Im Sichniederlassen im Moment und Akzeptieren, dass es jetzt genau so ist, wie es ist, und nicht so, wie ich es mir wĂŒnschen wĂŒrde, liegt die Basis, die adĂ€quates Handeln ermöglichen kann. «Komme ich in eine Klasse und ziehe dort ganz nach Plan meinen Unterricht durch, ohne ĂŒberhaupt zu beachten, dass die SchĂŒlerIinnen vollkommen desinteressiert und unruhig sind, kann ich mir zwar vorgaukeln, dass ich eine gute Stunde gehalten habe, aber mit der RealitĂ€t hat das nichts zu tun. Die SchĂŒlerInnen werden vom Inhalt der Stunde kaum etwas abspeichern. Nehme ich die Situation von Anfang an wahr und akzeptiere den momentanen Zustand der SchĂŒlerinnen und SchĂŒler als âčnicht in der Lage, weiteren Stoff aufzunehmenâș, dann werde ich in der Lage sein, genau mit dieser Situation umzugehen, eine aktivierende Methode an den Beginn zu stellen, eine kurze Bewegungseinheit oder auch eine AchtsamkeitsĂŒbung» (KrĂ€mer, 2019, S. 27).
Neben der Musse und Gelassenheit gilt es eine dritte QualitĂ€t zu berĂŒcksichtigen. 1890 benannte der amerikanische Psychologe William James in seinem Werk «Principles of Psychology», die Schulung einer fokussierten Aufmerksamkeit als weitere Grundvoraussetzung von Lernen: «Das Vermögen, eine wandernde Aufmerksamkeit willentlich zurĂŒckzubringen, wieder und immer wieder, ist die eigentliche Wurzel von Urteilskraft, Charakter und Wille. Eine Erziehung, die das Vermögen ausbildet, wĂ€re die Erziehung par exellence. Doch ist es leichter, dieses Ideal zu definieren, als praktische Anleitungen zu seiner Verwirklichung zu geben» (1910, S. 424).
Wie sieht es nun, unter Betrachtung einigen Daten aus der Schweiz, mit diesen drei Voraussetzungen in der gegenwÀrtigen Situation an den Schulen aus?
Situation von SchĂŒlerinnen und SchĂŒlern und Lehrpersonen
Die Internationale HBSC-Studie (2014) befragte Schweizer Jugendliche im Alter von 11â15 Jahren, wie stark sie den Stress durch die Arbeit in der Schule einschĂ€tzen. Die Studie wird seit 1998 alle 4 Jahre durchgefĂŒhrt und dabei konnte ein kontinuierlicher Anstieg des Levels beobachtet werden (Eichenberger et al., 2017).
Abbildung 2: Stress durch die Arbeit fĂŒr die Schule
Quelle: http://www.suchtschweiz.ch
Dabei bezeichneten sich bei der zuletzt 2014 durchgefĂŒhrten Befragung 12â22 Prozent als «einigermassen gestresst» und 6â12 Prozent als «sehr gestresst».
Diese Ergebnisse werden in der Juvenir-Studie der Jacobs Foundation (2015) bestĂ€tigt, die zuletzt 2014 die 15- bis 21-JĂ€hrigen befragte: «Insgesamt ist Stress also fĂŒr knapp die HĂ€lfte (46 Prozent) der jungen Frauen und MĂ€nner in der Schweiz in den Jugendjahren prĂ€gend. Nur 14 Prozent der Befragten geben an, sich nie oder selten gestresst zu fĂŒhlen» (Ebd., S. 8). Gefragt nach den Hauptbelastungen liegt die Schule klar an erster Stelle, sogar vor den «Anforderungen» von verschiedenen Seiten. Interessant ist hierbei auch die Aufteilung nach Geschlechtern, wobei die MĂ€dchen deutlich stĂ€rker belastet sind (66 Prozent weiblich, 45 Prozent mĂ€nnlich). Die Folge von permanenten Stresserfahrungen sind psychische oder psychosomatische Erkrankungen. Nun der Blick nach Deutschland: Fast jedes zweite Kind zeigt Symptome von Schulstress wie Kopf- oder Magenschmerzen, Schlafstörungen, fast jede/-r dritte SchĂŒler/-in leidet unter depressiven Stimmungen, wie eine Befragung von 11- bis 18-JĂ€hrigen der DAK (2011) zeigt. Hierbei ist der Anteil der mĂ€nnlichen (29 Prozent) und weiblichen Betroffenen (29 Prozent) ausgeglichen.
Ein weiteres besorgniserregendes Feld sind die Zahlen des VerdrÀngungskonsums durch die gesellschaftlich anerkannte Droge Nr. 1: des Alkohols. Laut einer DAK-Studie (2010) liegt das Einstiegsalter bei 11 Jahren, wobei die Jungen tendenziell höhere Werte zeigen als die MÀdchen. Geben 10 Prozent der 12-jÀhrigen Jungen an, wöchentlich zu trinken, sind es mit 15 Jahren schon 44 Prozent und ab 16 Jahren 70 Prozent. Dabei berichten 50 Prozent, sich an «monatlichen Rauschtrinken» zu ...