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Theodor W. Adorno: Ăsthetische Theorie
Anne Eusterschulte, Sebastian TrÀnkle, Anne Eusterschulte, Sebastian TrÀnkle
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Theodor W. Adorno: Ăsthetische Theorie
Anne Eusterschulte, Sebastian TrÀnkle, Anne Eusterschulte, Sebastian TrÀnkle
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Theodor W. Adornos posthum veröffentlichte Ăsthetische Theorie exponiert die Krise der Kunst im Zeitalter ihrer gesellschaftlichen Integration. GesĂ€ttigt mit der Erfahrung konkreter Kunstwerke, hinterfragt sie das tradierte Kategoriensystem philosophischer Ăsthetik. Der vorliegende Band unternimmt erstmals eine kommentierende Auslegung, um den dichten Text aufzuschlieĂen und ein Weiterdenken von Adornos kritischer Ăsthetik anzuregen.
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Informations
1 Einleitung
Anne Eusterschulte
Sebastian TrÀnkle
1.1 Ein âKommentarâ zur Ăsthetischen Theorie?
Die Textgestalt der Ăsthetischen Theorie fordert LektĂŒre wie Verstehen heraus. In ihr stellt sich die Verwobenheit und Verdichtung von Problemen dar. Gilt fĂŒr die Ăsthetische Theorie, was Adorno fĂŒr seine Philosophie insgesamt reklamiert, dass sie âwesentlich nicht referierbarâ ist (AGS 6, 44)? Was hieĂe das fĂŒr einen Kommentar zu Adornos Ăsthetischer Theorie?
Einerseits verweigert die Weise, wie Adorno seine systematischen Reflexionen entfaltet, je selbst kritisch befragt und vom Stand des Objekts aus fortwĂ€hrend revidiert und prĂ€zisiert, eine Festschreibung von Befunden. Die konstellative Schreibweise, die dieses dialektische Verfahren kunstvoll darbietet, erlaubt keine isolierte Interpretation einzelner Abschnitte oder Thesen. Das heiĂt aber andererseits nicht, dass jegliche Form einer Kommentierung unmöglich gemacht wĂŒrde. Weist doch bereits der Anspruch, mit dem die Ăsthetische Theorie auftritt, sofern sie sich wesentlich als âInterpretation, Kommentar, Kritikâ versteht (448), auf die unverzichtbare begriffliche âExplikationâ (524) und âEntfaltung der Werkeâ (507). Aufgabe philosophischer Deutung und Kommentierung ist es, einen Reflexionsprozess begrifflich auszubilden, den die Kunst in sich vollzieht und damit zu sagen, was diese, als unbegriffliche, selbst nicht sagen kann (113). Die Ăsthetische Theorie trĂ€gt die Spannung âzwischen dem Nicht-sich-verstehen-Lassen und dem Verstanden-werden-Wollenâ aus, die laut Adorno âdas Klima der Kunstâ kennzeichnet (448 â Herv. AE/ST), und sucht dem Verstanden-werden-Wollen gerecht zu werden. Soll ihr das gelingen, so muss sie unter sprachlicher Anschmiegung an die Kunst gleichwohl als Theorie verstĂ€ndlich sein. Sofern die Ăsthetische Theorie philosophischer Kommentar zur Kunst und selbst kunstvolle Darstellung ist, fordert sie die BeitrĂ€ge dieses Bandes heraus, diese Spannung in den kommentierenden AnsĂ€tzen zu explizieren und fĂŒr ein Verstehen zu öffnen.
Die Schwierigkeiten, denen damit zu begegnen ist, sind von systematischem Gewicht. Im Folgenden werden sie zunĂ€chst in Adornos Denk- und Darstellungsform (II.) aufgesucht. Damit rĂŒckt die Editionslage (III.) in ein anderes Licht, zeigt sich doch, dass der Fragmentcharakter des Textes Ausdruck eines theoretischen Reflexionsprozesses ist. Die systematische Bedeutung der Textgestalt wird durch die Diskussion des philosophischen Programms (IV.) erhĂ€rtet, das auf eine dialektische Ăsthetik hinauslĂ€uft. Im Zuge dessen adressieren wir die Rezeptionsgeschichte, fragen nach der Auswirkung prominenter Lesarten auf das VerstĂ€ndnis der Ăsthetischen Theorie und visieren abschlieĂend ihre ungebrochene Brisanz.
1.2 Denkbewegung und Darstellungsform
An einen Kommentar mag die Erwartung gerichtet sein, Begriffsdefinitionen zu leisten, eine systematisch stringente, widerspruchsfreie und vor allem terminologisch eindeutige Argumentation freizulegen sowie grundlegende theoretische Aussagen sowohl kontextuell zu erschlieĂen als auch summarisch zu erklĂ€ren. Doch gegen einen solchem Modus kommentierender Auslegung sperrt sich die Denk- und Darstellungsweise von Adornos Ăsthetischer Theorie. Keineswegs mangelt es dem Text an systematischer LuziditĂ€t oder begrifflicher Stringenz. Doch weder erstarrt Theorie hier zu einer Denkarchitektur auf dem Grundriss begrifflich fixierter Koordinaten, um ein in sich geschlossenes System zu konstituieren, noch lĂ€sst sich die Theoriebildung Adornos ĂŒber einen methodischen Ansatz erfassen, der ĂŒber begriffliche Ableitungen zu definitiven, d. h. zeitlosen, allgemeingĂŒltigen WahrheitsansprĂŒchen zu gelangen suchte.
Vielmehr verwirft Adorno dezidiert Konzeptionen einer Ăsthetik als inadĂ€quat, die ein geschichtsloses Wertesystem zu etablieren trachten, sofern Ă€sthetische Kategorien allein in Rekurs auf den je spezifischen geschichtlichen Gehalt der konkreten GegenstĂ€nde zu bilden sind. âĂsthetik verlĂ€uft nicht in der KontinuitĂ€t wissenschaftlichen Denkens.â (524 f.) Sein methodisches Vorgehen initiiert eine vielschichtige Denkbewegung, in der sich Ebenen der Reflexion ĂŒberlagern. Gerade darin wird Adornos Begriffsarbeit theoriebildend. Sie bewegt sich in steter Auseinandersetzung mit traditionalen Kategorien, BewertungsmaĂstĂ€ben und Institutionalisierungen der Ăsthetik als Disziplin, um eine abstrahierende, von den historisch-materialen PhĂ€nomenen âabsehendeâ Ăsthetik in Frage zu stellen. Adorno kritisiert deren Begriffe dort, wo sie als zeitlose Invarianten auftreten, um sie fĂŒr eine reichere Reflexion auf die PhĂ€nomene der KĂŒnste, die Bedingungen Ă€sthetischer Erfahrung wie die Möglichkeit einer philosophischen Ăsthetik zurĂŒckzugewinnen. So entfaltet sich ein Denken, das sich einerseits in negativem Rekurs auf bestehende Theorieformationen positioniert, andererseits der spezifischen Eigenlogik Ă€sthetischer GegenstĂ€nde zu folgen sucht. Es ist der postulierte âVorrang des Objektsâ (166; AGS 6, 185 â 190), der immer wieder neu ansetzende Perspektivierungen verlangt und ĂŒber je unterschiedlich justierte Begriffsarrangements konstellative Dynamiken in Bewegung setzt, die von einem Begriffskern zeugen, d. h. einem Wahrheitsgehalt, der als solcher nicht diskursivierbar ist. So gilt es eine theoretische Sprache zu entwickeln, die die lebendige PotentialitĂ€t der Kunst im Medium philosophischer Begriffsbildungen zum Austrag kommen lĂ€sst. Gleich einem theoretischen Kristallisationsprozess, der vom Besonderen aus erst Allgemeines greifbar werden lĂ€sst und jenes nicht etwa diesem subsumiert. Ein solches Denken trĂ€gt sich in der Darstellungsform der Ăsthetischen Theorie ab, die sich nicht als durchgĂ€ngiger Text mit einer festgelegten Laufrichtung darbietet, sondern ĂŒber die Fragmentarisierung und multiple Refiguration von Problemkomplexen in ihrer Form die Fixierung auf ein Sinnkontinuum unterlĂ€uft.
Die Frage der Darstellungsform, d. h. Adornos fortwĂ€hrendes Nachdenken ĂŒber eine angemessene Disposition der Materialien, steht stets in Analogie zur Reflexion auf die Ă€sthetische Eigenlogik der Kunstwerke. Das hat nichts mit einer Verlagerung der Philosophie ins Ăsthetische zu tun, sondern ist Ausdruck des Anspruchs, der Eigengesetzlichkeit des Objekts folgend eine entsprechende philosophische Auseinandersetzungs- und Darstellungslogik zu entwickeln. Und so verlangt die Disposition der Ăsthetischen Theorie â entsprechend der Textgestalt und Schreibweise â, âdaĂ man das Ganze aus einer Reihe von Teilkomplexen montieren muĂ, die gleichsam gleichgewichtig sind und konzentrisch angeordnet, auf gleicher Stufe; deren Konstellation, nicht die Folge, muĂ die Idee ergeben.â (Zit. n. Tiedemann/Adorno 1971, 541) Das von Adorno als âparataktischâ (ebd.) bezeichnete Schreibverfahren zielt auf ein gleichgewichtiges und âberechtigtes Nebeneinander von Problemkomplexen, um eine unbegriffliche Ă€sthetische Wahrheit ĂŒber Begriffskonfigurationen zu Bewusstsein zu bringen. Dieser Versuch, das theoretisch Allgemeine in Hingabe an das je Besondere Ă€sthetischer GegenstĂ€nde zu fassen, reflektiert immanent die stĂ€ndige Gefahr abstrakter Theoriebildung. Ist theoretische Begriffsarbeit im Kontext einer philosophischen Ăsthetik unverzichtbar, so bedarf sie der kritischen Einsicht in das GewalttĂ€tige begrifflicher Abstraktion. Dieser Spannung sucht Adorno durch eine dynamische, polyzentrische Textgestalt, die Ausdruck einer ebensolchen Beweglichkeit des Denkens ist, gerecht zu werden, ist es âdoch ihre Anstrengung, wie sie sich zusammensetzt, mit Begriffen so gut, wie es nur geht, zu reparieren, was die Begriffe anrichten.â (Adorno 1966â68, 19658; vgl. ND, 62)
In der Form der Darstellung besteht eine strukturelle Verwandtschaft zur Kunst: âWie diese in jedem Werk ein Kraftfeld ist, so mĂŒssen in der Ăsthetik die gleichwohl unvermeidlichen Allgemeinbegriffe zu dynamischen Konstellationen zusammentreten, in denen eine jegliche durch ihr VerhĂ€ltnis zur anderen sich spezifiziert und dadurch tendenziell den Anspruch auf Invarianz zurĂŒcknimmt, der jeder isolierten Kategorie innewohnt.â (Adorno 1966â68, 19658) Nicht nur die Begriffe treten zu Konstellationen zusammen, auch die Problemkomplexe spezifizieren sich reziprok in einem variablen Zusammenhang, wodurch der vergegenstĂ€ndlichte Geist in einen âflĂŒssigen Aggregatzustandâ zurĂŒckversetzt wird (531).
Rekurse auf das Konzept des Kraftfeldes ziehen sich durch die gesamte Ăsthetische Theorie und werden in systematischen Transpositionen akzentuiert. So treten spezifische Aspekte Ă€sthetischer Reflexion in einen Diskussionszusammenhang ein, der von verschiedenen Ansatzpunkten aus gefĂŒhrt wird. Diese intratextuellen Bezugsfelder adressieren zudem Auseinandersetzungen im Horizont anderer Schriften Adornos wie von ihm herangezogener Referenzquellen. Das stellt eine teppichhafte Begriffs- und Reflexionsverflechtung her, die von monadischen Komplexionen gleichsam ausstrahlt und ĂŒber die Verdichtung von Interferenzen theoretische PrĂ€zision gewinnt. Das heiĂt stets auch, musiktheoretisch formuliert, ein Thema in Variationen durchzuspielen und damit Tendenzen einzelner Momente in- und gegeneinander laufen zu lassen, um so systematische Zentrierungen auszudrĂŒcken.
Die parataktische Textdisposition bestimmt die Ăsthetische Theorie insgesamt, aber ebenso die Koordination von Problemen innerhalb einzelner Abschnitte und reicht bis in die Strukturierung von Satz- und Wortfolgen hinein. Wir haben es mit einem multifokalen Schreibverfahren zu tun, das eine theoretische Vertiefung des Gedankens ĂŒber die Konstitution relationaler Bezugsfelder vornimmt. Die Schreib- und Darstellungsweise, gleich der Ă€sthetischen Form des Kunstwerks, bildet ein Kraftfeld und richtet sich gegen traditionelle Methodenideale und Denkmodelle, die ĂŒber die Antagonismen einer zerklĂŒfteten Welt hinwegtĂ€uschen. Adorno hat dies in Der Essay als Form in Rekurs auf Walter Benjamin formuliert. Das Wie der Darstellung ist entscheidend. Begriffe ĂŒber sich hinauszutreiben und âso darzustellen, daĂ sie einander tragen, daĂ ein jeglicher sich artikuliert je nach Konfigurationen mit anderenâ, heiĂt Verzicht auf einen gesicherten Richtungssinn, um eine lebendige Interaktion zu gewinnen. âAls Konfiguration aber kristallisieren sich die Elemente durch ihre Bewegung. Jene ist ein Kraftfeld, so wie unterm Blick des Essays jedes geistige Gebilde in ein Kraftfeld sich verwandeln muĂ.â (AGS 11, 21 f.) Dies ist die methodische Herausforderung, der sich die Ăsthetische Theorie in der Exploration einer Denk- und Schreibform stellt, um der âKunstfremdheitâ (Adorno 1961/62, 6370; 517) einer philosophischen Manie, PhĂ€nomene auf Immergleiches zurechtzustutzen, entgegenzutreten. Zu dynamisieren ist diesem Anspruch nach ebenso die Lesehaltung wie die Vollzugsweise der Theoriebewegung.
Die geforderte kritische âMobilitĂ€t des Gedankensâ (520; vgl. Adorno 1961/62, 6385) fĂŒhrt auf die programmatische Konzeption einer âdialektischen Ăsthetikâ (siehe IV.), deren Begriffsbildungen die WidersprĂŒche innerhalb begrifflicher Setzungen exponieren. Doch die dialektische ZertrĂŒmmerung illusionĂ€rer IdentitĂ€tslogiken geht stets ein Risiko ein. âAffinitĂ€t zur offenen geistigen Erfahrungâ, inklusive der Gefahr des Irrtums, âhat mit dem Mangel an jener Sicherheit zu zahlen, welchen die Norm des etablierten Denkens wie den Tod fĂŒrchtet.â (AGS 11, 21) FĂŒr Adorno setzt diese mangelnde RĂŒckversicherung der offenen Systematik jedoch erst eine kritische Reflexion frei. Wenn er fĂŒr den Essay formuliert, dass sein KunstĂ€hnliches darin bestehe, dass das âBewuĂtsein der NichtidentitĂ€t von Darstellung und Sache [âŠ] jene zur unbeschrĂ€nkten Anstrengungâ nötige (AGS 11, 26), dann mag dies auf die Darstellungsform der Ăsthetischen Theorie zurĂŒckfĂŒhren, deren Gesamtkomposition nichts mit Beliebigkeit zu tun hat. Deren offener, beweglicher Gedankengang bleibt nicht freischwebend, wenn er es vermag, sich konsequent an die Eigenlogik seines Gegenstandes zu binden: âDie Konsequenz seiner DurchfĂŒhrung aber, die Dichte des Gewebes trĂ€gt dazu bei, daĂ er trifft, was er soll.â (AGS 6, 45) Die Darstellungsform der Ăsthetischen Theorie zielt â hiervon zeugen die langjĂ€hrigen Umarbeitungsschritte â auf die systematische Anstrengung, den PhĂ€nomenen der Kunst gerecht zu werden. In einer Notiz hĂ€lt Adorno mit Blick auf die Endredaktion des Textes fest: âHauptfehler meines Buches beim Stand vom 17. November 1961: zu abstrakt. Es darf kein Satz ĂŒbrig bleiben, der nicht die Vermittlungen zur konkreten Kunst aussprĂ€che. Dies wird ein Hauptdesiderat der endgĂŒltigen Redaktion sein.â (Adorno 1961 â 69, 20685)
Nun könnte die Frage aufgeworfen werden, ob Adorno diesem Anspruch gerecht wird. Mag es doch so erscheinen, als habe die Vermittlung zu konkreten GegenstĂ€nden kĂŒnstlerischer Praxis allenfalls in Abbreviaturen Eingang in die Publikationsgestalt der Ăsthetischen Theorie gefunden. Doch eingehende LektĂŒre macht offenkundig, dass in den Text unablĂ€ssig Referenzen auf konkrete GegenstĂ€nde eingeflochten sind. Die Theorieentwicklung lebt aus der Kunsterfahrung. Konstellativ laufen in der Ăsthetischen Theorie FĂ€den aus einer FĂŒlle von EinzelbeitrĂ€gen Adornos zur Musik, Bildenden Kunst, Literatur und Architektur etc. zusammen bzw. spinnen sich auf diese aus.
Die Gewebestruktur hat, insbesondere angesichts des Redaktionszustands der Ăsthetischen Theorie, Diskussionen darĂŒber provoziert, ob es sich hierbei um ein unfertiges Gebilde handle, das entsprechend keine stabile Referenzgrundlage fĂŒr eine Auseinandersetzung biete, oder ob sich eine stringente Denkbewegung ihren Weg bahne. Widmen wir uns...