Linguistics and Literary Studies / Linguistik und Literaturwissenschaft
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Linguistics and Literary Studies / Linguistik und Literaturwissenschaft

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Linguistics and Literary Studies / Linguistik und Literaturwissenschaft

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Die BeitrĂ€ge des Bandes zeigen, dass die disziplinĂ€re Begegnung zwischen Sprach- und Literaturwissenschaft weit mehr ist als eine Tradition akademischer Institutionen. In 16 allgemein-theoretischen und textbezogenen Analysen werden BerĂŒhrungspunkte zwischen den beiden Disziplinen beleuchtet, auch solcher institutioneller Art. Es werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Alltagsdiskurs und Literatur herausgearbeitet und linguistische Begrifflichkeiten auf literarische Texte angewandt. Dies betrifft Fragen wie Sprechakt, Referenz, und Inferenz, die Strukturen und die Relevanz des kognitiven und kulturellen Hintergrunds fĂŒr beide Diskursformen, Rhetorik und Perspektivierungen, Sprach- und Schreibstile, Gattungen und andere Ebenen diskursiver Traditionen.

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Information

Publisher
De Gruyter
Year
2014
ISBN
9783110370683
Edition
1

III Vom Sprechakt zum Text: Illokution, Referenz und Inferenz / From Speech Acts to the Text: Illocution, Reference, and Inference

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Andreas Kablitz, Köln

Referenz und Fiktion63

Abstract: Starting from John Searle’s influential but problematic attempt to describe fictionality in terms of the pretension of an illocutionary act, Kablitz criticizes linguistically based approaches that seek to explain fictional speech by deducing from the structures and sign system of language that language is always fictive. As an alternative to these theories Kablitz suggests a referential approach to fictionality, which is based upon the validity claim of a statement, i.e. the predication existent on the sentence level. In fictional speech this validity claim can be both fictive and factual and is grounded in the definition of reference as implication. Accordingly, language presupposes existence and adds new information, but does not create something new itself. Specific idiosyncratic patterns of fictional speech can be described as a licence of ‘VergleichgĂŒltigung’. Reference is replaced by semantic codification and characteristics respectively and thus understood as a text semantic process. This process is illustrated by an analysis of selected passages from Theodor Storm’s novella Immensee.


Die Frage nach dem Status des Referenten in fiktionalen Texten hat eine lebhafte, kontroverse und, wenn ich recht sehe, bis auf den heutigen Tag zu keinem Konsens gebrachte Debatte hervorgerufen. So ist grundsĂ€tzlich strittig, ob der fiktionale Text ĂŒberhaupt einen Referenten besitzt oder dieser Referent fiktiv ist. Und wie steht es um die FĂ€lle, in denen ein fiktionaler Text auf historische FaktizitĂ€t referiert? WĂ€re er unter diesen Bedingungen kein fiktionaler mehr? Die FĂŒlle der Fragen, die sich hier stellen und die einer Antwort harren, ist betrĂ€cht-lich. Der folgende Beitrag möchte zur Beantwortung dieser Fragen beitragen.
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1 Fiktion: FiktionalitÀt vs. FiktivitÀt

Der wohl nach wie vor prominenteste linguistische Beitrag zur Debatte ĂŒber literarische Fiktion stammt von John Searle (1975). Seiner Grundannahme ĂŒber den Status fiktionaler Rede zufolge erweckt der Autor eines fiktionalen Textes den Anschein eines illokutionĂ€ren Aktes.64 Weil er diesen Akt de facto nicht vollzieht, verfolgt er dabei auch keine tĂ€uschende Absicht.65 Eine solche Unterscheidung gehört gewissermaßen zum Urgestein der Fiktionstheorie. Schon der Kirchenvater Augustinus hat, wenn auch begrifflich ein wenig unbeholfen, darauf hingewiesen, dass fĂŒr Schauspiel und Dichtung eine LĂŒge charakteristisch sei, die keine TĂ€uschung bezwecke.66 Die PrĂ€tention des illokutionĂ€ren Aktes besagt also, dass der Autor hier durch konventionelle Regelungen ermĂ€chtigt wird, wissentlich falsche Aussagen zu machen. Dies bedeutet fĂŒr Searle auch, dass in fiktionaler Rede Referenz nur im Sinne eines als ob, nur als PrĂ€tention einer Referenz stattfindet.67 Nun gilt aber zugleich, dass ein fiktionaler Text (a work of fiction) durchaus auch auf Faktisches referieren kann, so etwa, um bei Searles Beispiel zu bleiben, auf allseits als existent bekannte StĂ€dte.68 Auf diese Weise aber entsteht eine theoretisch unbefriedigende Konstellation. Denn einerseits wird FiktionalitĂ€t vermittels der Struktur des Sprechaktes definiert, zum anderen aber mithilfe einer Unterscheidung zwischen den Wahrheitswerten der PhĂ€nomene, auf die der fiktionale Text referiert. Denn Searle spricht von „real references“ (1975: 330), die aber ‚wirklich‘ nur sind und nur sein können, wenn die GegenstĂ€nde, auf die sie Bezug nehmen, tatsĂ€chlich existieren. Dies aber wĂŒrde bedeuten, dass ein Text zugleich fiktional und nicht-fiktional ist69 – eine zweifellos wenig ĂŒberzeugende Lösung.70 Deshalb bietet sich zunĂ€chst eine Differenzierung an, die solche WidersprĂŒche zu vermeiden vermag (vgl. Kablitz 2008).
GrundsĂ€tzlich ist bei fiktionaler Rede zwischen dem Status des Textes und dem Status der im Text dargestellten Personen, GegenstĂ€nde und Sachverhalte zu unterscheiden. Dabei gilt, dass ein fiktionaler Text sich dadurch von anderen unterscheidet, dass er von der ansonsten geltenden Verpflichtung ausgenommen ist, Aussagen ĂŒber Faktisches zu machen. Diese Lizenz erscheint nĂ€herhin als eine VergleichgĂŒltigung gegenĂŒber dem Wahrheitswert seiner SĂ€tze. Denn fiktionale Rede kann, wie auch Searle treffend feststellt, ebenso Faktisches wie Fiktives zum Inhalt haben. Diese Unterscheidung in der Sache geht also mit einer termino-logischen Differenzierung einher. ‚FiktionalitĂ€t‘ meint die Eigenschaft einer Rede, fĂŒr die gleichermaßen wahre wie unwahre Behauptungen zulĂ€ssig sind. ‚FiktivitĂ€t‘ bezeichnet stattdessen eine Eigenschaft der GegenstĂ€nde und Sachverhalte, die ein Text zum Inhalt hat. Dabei gilt, dass es keine eineindeutige Beziehung zwischen fiktionaler Rede und dem Wahrheitswert ihrer Sachverhalte gibt. Ebenso ist Fiktives kein Privileg fiktionaler Texte. Es kommt auch in der LĂŒge, im Traum oder der Rechtsfiktion71 vor. Was die Besonderheit literarischer Fiktion ausmacht, ist also das fĂŒr sie spezifische VerhĂ€ltnis zwischen der FiktionalitĂ€t der Rede und der potentiellen FiktivitĂ€t oder FaktualitĂ€t der Sachverhalte, ĂŒber die sie Aussagen macht. Daraus folgt auch, dass sich FiktivitĂ€t im Unterschied zur FiktionalitĂ€t skalieren lĂ€sst. Ein Text kann mehr oder minder fiktiv, man denke etwa an den Unterschied zwischen dem historischen Roman und der Phantastik, aber nur fiktional oder nicht fiktional (alias faktual) sein.
Die im Voraufgehenden analysierte Indifferenz fiktionaler Rede gegenĂŒber dem Wahrheitswert ihrer SĂ€tze fĂŒhrt bisweilen zur Unentscheidbarkeit der FiktivitĂ€t eines Sachverhaltes in einem fiktionalen Text. Nehmen wir den Fall des in dieser Hinsicht sehr plastischen Eingangssatzes von Gustave Flauberts Roman L’Éducation sentimentale: „Le 15 septembre 1840, vers six heures du matin, la Ville-de-Montereau, prĂšs de partir, fumait Ă  gros tourbillons devant le quai Saint-Bernard“ (1952: 33). [Am 15. September 1840, gegen sechs Uhr morgens, rauchte die Ville-de-Montereau, zur Abfahrt bereit, mit großen Schwaden vor dem Quai Saint-Bernard.] Der Text setzt ostentativ mit einer Zeitangabe ein, die auf ein zweifelsohne faktisches Datum verweist. Gleiches gilt fĂŒr die prĂ€zi-sierende Angabe der Uhrzeit „gegen sechs Uhr morgens“. Ebenso gilt fĂŒr die Angaben zum Raum, dass es sich um einen genau lokalisierbaren Ort in Paris handelt, um den Quai Saint-Bernard, der sich im 5. Arrondissement, unweit der nordwestlich gelegenen Île Saint Louis befindet. Raum und Zeit des Geschehens werden also systematisch der faktischen Chronologie wie Geographie subsu-miert.
Anders steht es indessen um die Ville-de-Montereau. Dass es sich dabei um ein Schiff handelt, geht aus dem Zusammenhang unmissverstĂ€ndlich hervor. Hat es indessen ein Schiff dieses Namens je gegeben? Wir wissen es nicht, und deshalb verstehen wir dieses Schiff als fiktiv, weil – jedenfalls bislang – niemand von der Existenz eines gleichnamigen Schiffes Kenntnis gewonnen oder gegeben hat. Diese Schlussfolgerung ist fĂŒr die Natur fiktionaler Rede höchst bezeichnend und kann ein StĂŒck weit erklĂ€ren, warum man ĂŒblicherweise eine große AffinitĂ€t zwischen dem Fiktionalen und dem Fiktiven annimmt. Denn das Prinzip, das bei dieser Schlussfolgerung zum Tragen kommt, lautet: Im Zweifel fĂŒr die FiktivitĂ€t. Wo immer Personen, Sachen oder Sachverhalte als unbekannt gelten mĂŒssen, scheinen wir berechtigt zu sein, sie als fiktiv zu betrachten. Je dichter die Hinweise auf Faktisches werden, man denke nur an den Historischen Roman, desto schwieriger fĂ€llt es, die betreffende Entscheidung zu treffen.72 Und auch in unserem Fall lĂ€sst sich nicht mit völliger Gewissheit ausschließen, dass es die Ville-de-Montereau vielleicht doch gegeben hat. Doch fĂŒr fiktionale Rede gilt hier wie sonst: In dubio fiktiv.
Bei dieser PrĂ€ferenz fĂŒr die FiktivitĂ€t im Zweifelsfall kommt vermutlich noch einmal die charakteristische Besonderheit fiktionaler Rede zum Tragen, die sie Faktuales wie Fiktives zum Inhalt haben lĂ€sst. Denn die markierte Option dieser beiden Alternativen besteht zweifelsohne in der Zulassung von Fiktivem in einem fiktionalen Text, da diese Lizenz eine elementare Regel der Kommunikation aufhebt: die Verpflichtung zu wahren Aussagen. Grice (1975) hat dieses Gebot als die quality-Maxime seines fĂŒr alle gelingende Kommunikation grundlegenden Cooperative Principle bezeichnet.73 Weil es deshalb den fiktionalen Text auszeich-net, dass er die Behauptung von Fiktivem zulĂ€sst, setzt sich diese seine spezifische Eigenheit in den ZweifelsfĂ€llen durch, in denen die FaktizitĂ€t des Gesagten in Frage steht.
Diese AffinitĂ€t fiktionaler Rede zur FiktivitĂ€t ihrer GegenstĂ€nde besitzt noch eine weitere Facette. Denn auch dort, wo ein fiktionaler Text auf Faktisches zurĂŒckgreift, könnte ebenso gut etwas Fiktives stehen, weil es in einem Text mit diesen Lizenzen auftritt. Dieser Umstand hat eine Konsequenz, die ich hier nur andeuten kann. Auch wahre Sachverhalte laden aus den genannten GrĂŒnden in einem fiktionalen Text zu der Frage ein, warum an dieser Stelle gerade sie zum Thema gemacht sind. Nicht zuletzt auf dieser Frage beruht ja die schlechthin gegebene, besondere AffinitĂ€t fiktionaler Literatur zur Interpretation. Denn alles, was gesagt wird, ist unter den Bedingungen dieser Rede nicht durch eine FaktizitĂ€t des Gesagten determiniert, sondern hĂ€tte auch ganz anders gesagt werden können. Davon aber bleiben auch wahre Sachverhalte in fiktionaler Rede nicht unberĂŒhrt, weil an ihrer Stelle eben auch ganz anderes stehen könnte. Deshalb bedarf es auch in ihrem Falle einer ErklĂ€rung, warum an dieser Stelle eben dies zum Gegenstand der Rede gemacht wird.74
Der Stellenwert der Suspension einer Verpflichtung auf wahre Sachverhalte, der das basale Merkmal fiktionaler Texte ausmacht,75 erhellt nicht zuletzt aus dem Vergleich der Bedingungen von FiktionalitĂ€t in unterschiedlichen Medien. Wer in Wien im Kunsthistorischen Museum Brueghels GemĂ€lde Großer Blumen-strauß in einem HolzgefĂ€ĂŸ (1606/7) betrachtet, wird nicht unbedingt davon ausgehen, dass der Maler auf diesem Bild einen Strauß festgehalten hat, den welche Floristin auch immer, wo und wann auch immer, gebunden hat. Ob es diesen Strauß außerhalb dieses Bildes also je gegeben hat, ist völlig ungewiss. Anders verhĂ€lt es sich bei der Sprache. Man kann, wie diskutiert, in ihrem Fall nichts sagen, ohne etwas zu behaupten. Jede Äußerung geht mit der Behauptung einher, dass bestimmte EntitĂ€ten, ĂŒber die in dieser Äußerung Aussagen gemacht werden, auch existieren. Sprachliche Äußerungen kommen also ohne Behauptungen nicht zustande. Denn die PrĂ€supposition, dass das, was gesagt wird, sich auch so verhĂ€lt, wie es gesagt wird, gehört zu den grundlegenden Regeln der Kommunikation. Die Bedeutung dieser Annahme wird nicht zuletzt daran ersichtlich, dass der Verstoß gegen sie mit hohen Sanktionen versehen ist: moralisch als LĂŒge, juristisch als Betrug.76
Auf diese Weise aber ergibt sich, wie mir scheint, ein nachgerade komple-mentĂ€res VerhĂ€ltnis zwischen beiden Medien. WĂ€hrend im Falle der Sprache bestimmte Sonderregelungen zu treffen sind, um ihren irreduziblen Behauptungsgestus außer Kraft zu setzen, mĂŒssen umgekehrt bei der Malerei bestimmte Verfahren hinzukommen, um die Annahme zu stĂŒtzen, das Bild bilde Faktisches ab. Eine solche Sonderregelung im Falle der Sprache stellt bekanntlich der sog. Fiktionsvertrag dar, der, wie gesehen, eine VergleichgĂŒltigung gegenĂŒber dem Wahrheitswert von SĂ€tzen zur Folge hat. Er sorgt dafĂŒr, dass es gleichgĂŒltig wird, ob der fiktionale Text Faktisches oder Fiktives zum Inhalt hat. Umgekehrt kann im Falle der Malerei entweder eine BildĂŒberschrift (z.B. Van Goghs BrĂŒcke von Langlois aus der Gegend von Arles) oder eine ikonographische Tradition (z.B. Lamm oder Kreuzstab als Attribute Johannes’ des TĂ€ufers) oder einfach die Wiedererkennung einer historischen GrĂ¶ĂŸe (z.B. Adolf Hitlers Gesicht im Bild des Teufels in einem Fresko der St. Stephanuskirche in Sistig in der Eifel) dafĂŒr sorgen, dass das Bild als Wiedergabe faktischer Gegebenheiten verstanden wird. Bezeichnenderweise entsprechen diese fĂŒr die Malerei geltenden UmstĂ€nde denen, die wir bei der Sprache im Falle fiktionaler Rede beobachten konnten. Denn auch hier gilt: In dubio fiktiv. Es bedarf auch hier sozusagen des Gegenbewei-ses. 77 Es ist nicht zuletzt diese KomplementaritĂ€t zwischen normalsprachlicher, faktualer Rede und der bildenden Kunst, die im Folgenden meinen Blick auf die Eigenheiten sprachlicher Referenz bestimmen wird. Anders gesagt: Warum besitzen sprachliche Äußerungen eine solche unhintergehbare, nur durch Zusatz-regelungen außer Kraft zu setzende Bindung an das Faktische, wĂ€hrend dies fĂŒr das Bildmedium offenkundig nicht gilt?

2 Referenz als infiniter Regress von ExistenzprÀsuppositionen

Da auch der Begriff der Referenz mit wechselnden Bedeutungen benutzt wird, zunĂ€chst ein paar terminologische Bemerkungen. Ich werde von Referenz dort sprechen, wo ich die Bezugnahme einer Äußerung auf einen Sachverhalt meine, dessen Existenz unabhĂ€ngig von dieser Äußerung ist – respektive als unabhĂ€ngig davon vorausgesetzt wird.78 (Auf diese Unterscheidung werden wir zurĂŒckkommen.) Ich spreche von Referenten stattdessen dort, wo ich die faktischen Sachverhalte meine, auf die sich sprachliche Äußerungen beziehen.
Ich möchte bei meinem Versuch einer Antwort auf die am Ende des letzten Abschnitts aufgeworfene Frage zunĂ€chst auf eine Eigenheit sprachlicher Referenz eingehen, die mir in der linguistischen Diskussion ĂŒber dieses PhĂ€nomen, soweit ich sie ĂŒberblicke, ein wenig zu kurz zu kommen scheint. Dabei handelt es sich um den grundlegenden Sachverhalt, dass es keine Referenz außerhalb von sprachlichen SĂ€tzen, also nicht fĂŒr einzelne Zeichen gibt.79 Aus dieser Tatsache ergibt sich eine fundamentale Asymmetrie im VerhĂ€ltnis zwischen der Zeichenbe-deutung und dem Referenten sprachlicher Zeichen.
Ein schönes Beispiel fĂŒr die mangelnde Beachtung dieser Asymmetrie bietet das berĂŒhmte semiotische Dreieck von Charles Kay Ogden und Ivor Armstrong Richards (1923). Denn dessen prekĂ€re Konsistenz ergibt sich gerade aus der Ausblendung der PrĂ€dikation als einer unverzichtbaren Voraussetzung aller Referenz.
In diesem Modell symbolisiert das Zeichen eine Bedeutung, mit deren Hilfe ein Gegenstand bezeichnet wird:
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Abb. 1: Das semiotische Dreieck von Charles Kay Ogden und Ivor Armstrong Richards (1923: 11).
Signifikant sind vor allem die Terme, die entlang der Seiten dieses Dreiecks aufgefĂŒhrt sind (wobei schon selbst bei nur flĂŒchtigem Blick auffĂ€llt, dass eine dieser Linien nur gestrichelt vorkommt). Sowohl im VerhĂ€ltnis zwischen Lautzei-chen (symbol) und mentalem Bedeutungsinhalt (thought or reference) wie in der Beziehung zwischen letzterem und dem Referenten des Zeichens (referent) werden Kausalrelationen angesetzt (a causal relation/other causal relation). Man mag sich im Hinblick auf die Beziehung zwischen signifiant und signifiĂ© noch darĂŒber streiten, ob wir es dabei mit einem VerhĂ€ltnis von Ursache und Wirkung zwischen Laut und Bedeutung zu tun haben. Die Annahme einer kausalen Beziehung fĂŒr die Referenz auf den durch die sprachliche Äußerung bezeichneten Gegenstand (refers to) aber ist offensichtlich irrefĂŒhrend. Denn es bedarf eines Aktes der Bezeichnung, um diesen Bezug allererst herzustellen. Keine Bedeutung ‚verursacht‘ hingegen einen Bezug zu einem Referenten; um ihn zu erzeugen, bedarf es eben der PrĂ€dikation. Indessen erklĂ€rt sich die PlausibilitĂ€t der Beanspruchung einer Kausalrelation an dieser Stelle nicht zuletzt aus der Ausblendung des sprachlichen Verfahrens der PrĂ€dikation. Weil es nicht in den Blick gerĂ€t, steht letztlich dahin, wie ein Bezug zwischen Bedeutung und Referentem, der fĂŒr die Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat evident ist, ĂŒberhaupt zustande kommt. Deshalb findet auch an dieser Stelle der Rekurs auf eine Beziehung von Ursache und Wirkung statt, die nach dem Modell des VerhĂ€ltnisses von Laut und Bedeutung gebildet ist, um einen Zusammenhang zwischen Bedeutung und Referent allererst herzustellen.
Die prekĂ€rsten Konsequenzen der Ausgrenzung der PrĂ€dikation aus der Referenz aber kommen anhand der schon erwĂ€hnten gestrichelten Linie des semiotischen Dreiecks im VerhĂ€ltnis zwischen Zeichen und Referenten zum Vorschein. Die Charakteristik dieser Beziehung bedient sich des PrĂ€dikats ‚wahr‘ (true). Doch einzig Aussagen, d.h. SĂ€tze, erlauben es, ĂŒber ihre Wahrheit zu befinden. Im Bezug zwischen einzelnen Zeichen und einzelnen GegenstĂ€nden macht die Frage nach der Wahrheit stattdessen keinen Sinn. So deutet im Grunde wohl schon der zur gestrichelten Linie verkĂŒmmerte Strich an, dass es mit der Angemessenheit der hier in Anschlag gebrachten Kategorie der Wahrheit womöglich nicht zum Besten steht...

Table of contents

  1. Linguistics and Literary Studies / Linguistik und Literaturwissenschaft
  2. linguae & litterae
  3. Title Page
  4. Copyright Page
  5. Table of Contents
  6. I Einleitung / Introduction
  7. II Disziplinen, Institutionen, Diskurse / Disciplinary Differences, Institutional Settings and their Discourses
  8. III Vom Sprechakt zum Text: Illokution, Referenz und Inferenz / From Speech Acts to the Text: Illocution, Reference, and Inference
  9. IV Stil – VarietĂ€t – Perspektive / Stylistics –Language Varieties – Perspectives of Presentation
  10. V Gattungen zwischen Produktion und Wahrnehmung / Genres: Patterns of Text Production and Perception
  11. VI Abschließende Bemerkungen / Epilogue
  12. Zu den Autoren / About the Contributors