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Einführung – Wissensthemen der Menschheit, früher und heute
Alle Menschen streben nach Wissen
, lautet die optimistische Grundthese in Aristoteles’ Metaphysik.
Wenn Aristoteles wüsste, was der Durchschnittsbürger heute so alles weiß, würde er sicher staunen. Bedurfte es doch zu früheren Zeiten des ständigen Umgangs mit gescheiten Persönlichkeiten oder eines eigenen Studiums, bevor man sich zu den Wissenden zählen durfte. Heute gibt es fast weltweit eine allgemeine Schulpflicht für wenigstens die Grundausstattung an Wissen. Und wenn man die Zeit und Bereitschaft mitbringt, kann man sich heute jederzeit und allerorts zusätzliches Wissen aneignen. Wissen ist nicht mehr wie früher einigen wenigen vorbehalten, sondern nahezu frei zugänglich für alle. Das Internet mit seinen offenen Systemen hat diese Entwicklung in den letzten 30 Jahren noch gewaltig beschleunigt.
Dabei führen die reine Verfügbarkeit von Quellen und deren Gebrauch nicht gleich zu Wissen an sich. Wir können Daten sammeln oder uns komplexere Informationen aneignen. Wissen aber ist mehr. Es verbindet Kenntnisse von Details und von vielen Einzelthemen zu einem großen Ganzen. Gestützt auf Erfahrungswerte, einem regelmäßigen Austausch mit Anderen und einem Lernen aus Irrtümern wird Wissen über die Zeit zur Bildung. Und selbst bei Letzterem ist der persönliche Erfolg, etwa hierdurch schlauer geworden zu sein, noch nicht garantiert. Manches Wissen ist nicht nur unnütz, sondern falsch, politisch belastet oder führt uns in eine unerwünschte Richtung.
Trotzdem soll schon manch einer mit seinem antrainierten unnützen Wissen in einer Quizshow eine Million gewonnen haben oder vielleicht auch eine politische oder wirtschaftliche Karriere begründet haben. Dann war es anscheinend so unnütz nicht.
Der Sinn des Wissens ist also differenziert zu sehen. Da ist der allgemeine Teil, der uns bei der Befriedigung unserer Grundbedürfnisse im Alltag hilft, also um durch das Leben mit seinem Konkurrenzdruck
durchzukommen
. Interessant und anspruchsvoller wird es aber erst bei der Teilnahme am kulturellen Zusammenleben in der Gemeinschaft, also bei der Ausübung spezieller Fähigkeiten als Beruf, in der Forschung oder aus reiner Neigung. Erst dadurch kann die angestrebte Selbstverwirklichung in einem erfüllten Leben gelingen.
Wissen muss auch Spaß machen dürfen. Der Weg zur höheren Stufe der Bildung – etwas heute so antiquiert klingendem wie der
Weisheit
– ist aber nicht ohne eigene Anstrengungen zu erreichen und erfordert einen offenen und zugleich kritischen Geist. Am Ende ist es entscheidend, dass Wissen nicht nur angehäuft wurde, sondern eine Metamorphose von Quantität zur Qualität stattgefunden hat und die Zusammenhänge in einer eigenen
Weltanschauung
gereift sind.
Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen.
Was man nicht nützt, ist eine schwere Last;
Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.
(J.W. von Goethe, Faust)
Bei allem, was wir heute unseren genetischen Anlagen zuschreiben, wir kommen als unbeschriebenes Blatt auf diese Welt. Allenfalls bringen wir gewisse Strukturen und Anlagen mit, die die Entwicklung von Kapazitäten und Begabungen ermöglichen und beeinflussen. Beschrieben wird dieses Blatt erst durch unsere Umwelt und sukzessive, mit zunehmendem Alter, durch uns selbst. Die Erkenntnisse über die Beschaffenheit der Welt fallen uns dabei genauso wenig in den Schoß, wie sie zu paradiesischen Zeiten in Form eines Apfels vom Baum der Erkenntnis gepflückt werden konnten. Wir müssen uns selbst darum kümmern.
Auch von Goethe stammt der vielzitierte Satz, dass es offenbar einen tiefen Drang in uns gibt, um verstehen zu wollen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Dies unterscheidet unsere Spezies von allen anderen und war auch schon so in der Anfangszeit des Homo Sapiens, und dieser Eigenschaft verdanken wir den zivilisatorischen und kulturellen Fortschritt. Auch standen schon immer einige klassische Hauptthemen im Mittelpunkt des menschlichen Interesses.
Immer ging es um die Frage der Fragen: Woher kommen wir, wo gehen wir hin und was soll das Ganze eigentlich? Das ist die Schlüsselfrage der Erkenntnistheorie, die unmittelbar einen ganzen Haufen weiterer Einzelfragen aufwirft, mit denen sich die Menschheit seit Anbeginn beschäftigt und auch plagt. Zuweilen gleicht diese Beschäftigung einer Art Sisyphusarbeit, denn immer wenn man gerade geglaubt hat, etwas grundlegend verstanden zu haben, bringen neue Erkenntnisse wieder Zweifel auf. So wird die Wissenschafts- und Erkenntnisgeschichte des Menschen zu einem fortwährenden Prozess von
Trial and Error
. Irrtümer führen zu neuen Thesen, und die langjährige Überprüfung jener anhand der Realität fördert neues Wissen zutage. Wissen bleibt unvollständig und relativ, und der weise Ausspruch des Philosophen Sokrates
Ich weiß, dass ich nichts weiß
weiterhin gültig. Der kleinste gemeinsame Nenner aller Philosophen lautet wohl:
Es ist nicht nichts
, und in seinem Umkehrschluß:
Irgendwo ist immer etwas
. Wer sich jedoch damit begnügt, kann die Suche nach der Weltformel gleich einstellen.
Die Kernthemen der Menschheit waren immer durch das Bemühen geprägt, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Dies führt ganz automatisch zur Untersuchung des Phänomens von Raum und Zeit, und so lauteten die ersten Fragen auch: Wie kamen die Dinge in den Raum? Wann war ein Anfang? Wird ein Ende sein und wann? Ist der Raum endlich und abgeschlossen? Oder hatte gar der Raum selbst einen zeitlichen Anfang?
Die Frage nach der Zeit beinhaltet automatisch die Frage der Kausalität, denn schließlich kommt die Ursache vor der Wirkung, jedenfalls in unserer Erfahrungswelt, und damit erhält die Zeit auch eine Richtung, in die sie
fließt
.
Tempus fugit wussten schon Griechen und Römer zu berichten, und noch heute ziert dieser Spruch die eine oder andere aus China importierte Uhr. Dagegen ist die Zeit aber nicht nur im Sinne der Relativitätstheorie relativ, sondern auch in unserer Empfindung. Die Kunst der Muße, die die alten griechischen Philosophen noch als eine von vier Kardinaltugenden formuliert haben, ist uns heutzutage völlig abhanden gekommen. Stress unter dem Diktat von selbst- und fremdauferlegten Pflichten und Zwängen ist an der Tagesordnung. Die immer schneller werdende Taktung und damit Vermessung des persönlichen Tagesablaufs nimmt keine Rücksicht auf unsere innere Uhr und führt zu Spannungen. Burn-out ist das Schlagwort aus unserer Arbeitswelt für eine neue Zivilisationskrankheit, die meist zum Time-out führt.
Dabei ist die Kunst der Vermessung unserer Umwelt eine der Voraussetzungen für eine erfolgreiche Wissenschaft. Die ersten Fingerstriche im Sand oder die Zählkerben auf dem 20 000 Jahre alten Ishango-Knochen waren die Anfänge der Wissenschaft, bevor wir heute mit komplizierten Caesium-Atomuhren die Sekunde in 9 192 631 770 Einzeltakte zerlegen.
Messungen waren schon immer Bestandteil unseres Realitäts-Checks und haben aus vagen Vermutungen dokumentierte Erkenntnisse werden lassen. Auch rein grundsätzlich gehört das Quantitative zum Qualitativen dazu, und nicht erst der mittelalterliche Alchemist und Philosoph Paracelsus wusste bereits, dass alles eine Frage der Dosierung ist. Ein Zuviel des Guten kann sogar fatale Folgen haben, zumindest bei Arzneimitteln, aber bekanntlich auch im sonstigen Alltagsgeschehen.
Die Einbindung in die verschiedenen mehr oder weniger fest getakteten Abläufe unseres Lebens verschließt heute auch den Blick für weiterführende philosophische Fragen von auch praktischer Relevanz. Wenn wir schon nicht ergründen können, wie das mit dem Urknall so im Einzelnen abgelaufen ist, sollten wir uns dann nicht wenigstens die Zeit nehmen, uns mit dem zukünftigen Schicksal unserer eigenen Spezies zu beschäftigen?
Nach der Sichtweise der Paläontologen ging es mit unserer Spezies erst im Holozän nach der letzten Kaltzeit so richtig voran. Aus unserer heutigen Sicht begann die Zivilisationsentwicklung ziemlich zäh, wurde lange von Stagnation und Rückschlägen geprägt, bis endlich vor etwa 5000 Jahren mit der Herausbildung des Phänomens der Schrift in Westasien und Altägypten die Bronzezeit für einen gewissen Aufschwung sorgte.
Auch damals spielte schon das globale Klima eine wesentliche Rolle. Gutes Wetter durch eine um etwa um ein Grad gegenüber dem langjährigen Schnitt erhöhte Temperatur der Atmosphäre dürfte den menschlichen Geist und die Entwicklung begünstigt haben. Man spricht deswegen auch vom Klimaoptimum des Holozäns. Die Antike begründete dann unter den klimatisch günstigen Bedingungen der römischen Warmzeit einen vorläufigen zivilisatorischen Höhepunkt.
Im 4. Jahrhundert nach Beginn unserer Zeitrechnung wurde es wieder kälter. In Europa begannen mit dem Zerfall des weströmischen Reiches sehr schnell die dunklen Jahre mit nicht nur organisatorischem, sondern auch kulturellem Verfall. Erst nach über einem Jahrtausend später mit dem Zeitalter der geistigen Aufklärung und dem Eintritt in unsere Neuzeit mit all seiner Technisierung geht es wieder beschleunigt aufwärts.
Aufwärts geht es seitdem jedoch auch mit den technologisch bedingten Risiken. Dabei handelt es sich aber nicht mehr nur um die Gefahren durch Massenvernichtungswaffen. Vielmehr begnügen wir Menschen uns spätestens seit Beginn der Industrialisierung nicht mehr mit der Rolle eines Bewohners oder Gastes des Planeten, sondern pflügen diesen für die Landwirtschaft und auf der Suche nach Rohstoffen nach Strich und Faden um. Wir sind zu seinem nahezu hemmungslosen Umgestalter geworden, schon spricht man vom Zeitalter des Anthropozän.
Die Risiken wachsen mit den Chancen, dies selbst scheint eine Art Naturgesetz zu sein. Wer viel hat, kann auch viel verlieren, und wer viel kann, vermag auch viel zu zerstören. Lange haben sich die Astrophysiker und Astronomen darüber gewundert, warum es keine Anzeichen extraterrestrischen Lebens oder gar von Intelligenz gibt. Es ist das nach dem berühmten Physiker benannte
Fermi-Paradoxon
, nach dem E.T. schon längst Kontakt mit uns aufgenommen haben müsste, oder es wird niemals in der Menschheitsgeschichte ein solcher Kontakt
der dritten Art
stattfinden. Schließlich sollte es solche fremden Welten geben dürfen, und auch solche mit einer signifikant höheren Entwicklungsstufe als die unserer eigenen. Nun mag man die gigantischen Entfernungen des Alls und die zu ihrer Überwindung erforderlichen Zeitspannen zu bedenken geben, aber schließlich könnte E.T. ja auch schon viel länger als wir selbst unterwegs sein. Oder sollte auch dies eine Art ...