Teil I
Probleme in der Familie erkennen – und bearbeiten
In diesem Teil …
… erfahren Sie, was in einer Familientherapie passiert, wie mit Ihnen, dem Problem und den übrigen Familienmitgliedern gearbeitet wird. Sie erfahren auch, was in einer Familie krank macht und wie Sie sich selbst und Ihre Familienangehörigen davor schützen können. Denn eine funktionierende Familie ist außerordentlich wichtig für die Entwicklung Ihrer Kinder. Sie bekommen eine »Landkarte« an die Hand, mit der Sie bestimmen können, wie es um Ihre Familie bestellt ist, ob und bei welchen Problemen Sie eine Familientherapie brauchen.
Nach der Lektüre des ersten Teils wissen Sie Bescheid, welche Schwerpunkte die unterschiedlichen Richtungen der Familientherapie haben und wie sie sich bei der Bearbeitung von Familienproblemen kombinieren lassen. Sie erfahren auch, wie lange eine Familientherapie im Durchschnitt dauert, mit welchen Kosten Sie rechnen müssen und in welchem Ausmaß Ihre Mitarbeit gefordert ist.
Kapitel 1
Was Familientherapie überhaupt ist
In diesem Kapitel
Den typischen Ablauf einer Familientherapie begleiten
Sich eine Vorstellung darüber machen, wie in einer Familientherapie gearbeitet wird
Wissen, welche Probleme in einer Familientherapie bearbeitet werden, und welche nicht
Familienprobleme sind normal: Zu Hause ist schlechte Stimmung oder es fliegen sogar die Fetzen. Ihnen wird manchmal alles zu viel, Sie können die dauernden Streitigkeiten in Ihrer Familie nicht mehr ertragen und fühlen sich selbst überfordert und ein Stück weit »ungeliebt« und »unverstanden«. Sie möchten manchmal am liebsten alles hinwerfen.
In jeder Familie gibt es hin und wieder Schwierigkeiten, die den Familienmitgliedern Rücksichtnahme, Verständnis und die Bereitschaft, dem anderen zuzuhören, abverlangen. Dafür brauchen Sie keinen Familientherapeuten. Manchmal ist es jedoch unmöglich, innerhalb der Familie wieder zusammenzufinden, oder es gibt ernste Probleme, wenn es um Fragen wie diese geht:
In Ihrer Familie gibt es schwere Belastungen – zum Beispiel
Krankheit,
Pflegebedürftigkeit,
Alkoholmissbrauch,
Depression, den Ausschluss eines Familienmitglieds beziehungsweise »schwarzen
Schafes« –, die auch Sie als Familienmitglied berühren und die Sie aufarbeiten möchten.
Sie müssen in der Familie gerade mit
Tod,
Trauer,
Scheidung oder Ähnlichem umgehen. Sie möchten Ihre Kinder in dieser Phase besser unterstützen.
In Ihrer Familie gibt es häufig
Streit und ernste
Konflikte, in denen Sie Ihre Position finden möchten.
Sie möchten die Beziehung zu Ihren Eltern beziehungsweise
Geschwistern verbessern.
Wie sollten Sie mit den Schwierigkeiten Ihres Kindes in der
Schule umgehen?
Ist es eine gute Idee, während der Arbeitszeit die Kinder zu den
Schwiegereltern zu bringen?
In Ihrer Partnerschaft gibt es in letzter Zeit Probleme. Wird Ihr Kind darunter leiden?
In Ihrer Familie gibt es schwer verständliche destruktive
Muster, und das über Generationen. Sie möchten gerne herausfinden, was es damit auf sich hat.
Ihre Schwiegereltern mischen sich in Ihr Leben und in die Erziehung Ihres Kindes ein.
Ihre Eltern verstehen Sie nicht und wollen im Grunde einen anderen Menschen aus Ihnen machen.
Sie möchten schwierige Ereignisse,
Geheimnisse oder
Tabus in Ihrer
Familiengeschichte aufarbeiten.
Ihre Familie hat Ihnen innere Muster und
Überzeugungen mitgegeben, die Sie heute noch hemmen beziehungsweise belasten und die sich als Problem in Ihrer Partner‐/Elternschaft fortpflanzen. Diesen Kreis möchten Sie durchbrechen.
Wenn Sie Fragen wie diese bewegen, empfiehlt es sich, eine Familienberatung beziehungsweise eine Familientherapie in Anspruch zu nehmen, um die anstehenden Probleme zu lösen.
In diesem Kapitel möchte ich aufzeigen, wie in einer Familientherapie gearbeitet wird, für welche Probleme sie geeignet ist und worauf es in der Therapie ankommt. Ich möchte Sie in das spannende Gebiet der Familientherapie einführen und Ihnen zunächst einen Überblick verschaffen.
Familie Kluge sucht eine Familientherapie auf
In der Psychotherapie erkannte man, dass viele Symptome und Probleme, die man in der Vergangenheit dem Einzelnen zuschrieb, vielleicht auch seiner genetischen Ausstattung, in Wirklichkeit Ausdruck gestörter zwischenmenschlicher Beziehungen in der Familie sind. Wie diese Wechselwirkungen und subtile gegenseitige Beeinflussung im Familienalltag aussehen können, dazu das folgende Beispiel: Es geht um das Ehepaar Cornelia und Bernd Kluge und um den elfjährigen Jan, Cornelias Sohn aus erster Ehe. Seit einigen Monaten weigert sich Jan, in die Schule zu gehen, es wird ihm jedes Mal schlecht, er klammert sich an Cornelia und will nicht von ihr los. Außerdem nässt er seit einiger Zeit des Nachts wieder ein.
Psychologen bezeichnen die
Schulverweigerung bei Kindern auch als »
Schulangst«, wobei es sich hierbei weniger um eine Angst des Kindes vor der Schule, worauf der Name eigentlich hindeutet, handelt, sondern um eine Art Angstzustand, den das Kind erlebt, wenn es von einer wichtigen Bezugsperson, der Mutter, getrennt ist.
Jan wurde immer unkonzentrierter, launenhafter, nahm nicht mehr am Leben um ihn herum teil und auch seine schulischen Leistungen wurden schlechter. Das fiel zunächst niemand auf, da Jan auch sonst ein eher zurückgezogenes Kind ist. Als das nächtliche Einnässen noch hinzukam, sprach Cornelia mit ihrer Hausärztin. Cornelias Ärztin, die die Familie schon lange kennt, schlug einen Kinderpsychologen für Jan und darüber hinaus eine Familientherapie vor, um auch die anderen Probleme in den Griff zu bekommen.
Beim ersten Termin bei einem Familientherapeuten, der gar nicht so einfach zu bekommen war, sind nur Cornelia (32 Jahre) und Bernd (46 Jahre) anwesend. Bei diesem Erstgespräch berichten die beiden von den Schwierigkeiten mit Jan und ihrer gespannten Beziehung. Cornelia ist in zweiter Ehe verheiratet mit Bernd Kluge. Er ist Vertreter für einen Schulbuchverlag und viel unterwegs, eigentlich ist er nur an den Wochenenden zu Hause. Cornelia arbeitet halbtags in der Boutique einer Freundin. Cornelias Eltern, die nicht weit weg wohnen, übernehmen dann die Betreuung von Jan. Begonnen hat die Schulangst und auch das Einnässen von Jan, als Cornelia Anzeichen dafür wahrzunehmen glaubt, dass ihr Mann Bernd sie mit anderen Frauen betrügt. Sie verfällt in eine Depression und bekommt Panikängste.
Der Therapeut stellt Fragen zu der Vorgeschichte der beiden und zur erweiterten Familie. Cornelia spricht als Erste. Sie ist das wohlbehütete Einzelkind eines Lehrerpaars und wuchs in der früheren DDR auf. Mit der »Wende« – Cornelia war zehn Jahre alt – kamen die Eltern in den Westen. Die Familie musste sich erst an den westlichen Lebensstil gewöhnen und die etwas schüchterne Cornelia hing noch mehr am Rockzipfel ihrer Eltern beziehungsweise ihrer Mutter, die sie als sehr dominant beschreibt, ihren Vater dagegen als eher schwach und gewährend.
Nach ihrer ersten Heirat vor zehn Jahren – Cornelia war schon schwanger als sie ihren damaligen Freund den Eltern vorstellte – hatte sie die Hölle durchgemacht. Ihr damaliger Mann, der seinem Alter nach ihr Vater hätte sein können, behandelte sie sehr schlecht und ihre Mutter machte ihr Vorwürfe wegen der Heirat. Alle waren sich dagegen...