Seitenblicke
Was HR mit Trendarbeit zu tun hat, haben wir dargelegt. Wir haben Modelle und Instrumente vorgestellt, wie sich Trends erfassen und bewerten lassen. Wir empfehlen, eine systematische Trendarbeit in den Personalressorts zu etablieren und diese bei einem HR-Trendmanager zu bündeln.
Trendarbeit bedeutet immer auch, andere Sichtweisen zuzulassen und von ihnen zu profitieren. Deshalb haben wir Stimmen von Experten eingeholt, die unterschiedliche Zugangswege zum Thema Trend haben. Was sagen die Trendexperten zum Thema Trend, wie schätzt ein mittelständischer Unternehmer Trendarbeit ein? Wo ordnen Wissenschaftlerinnen HR und Trends ein? Was versteht ein Sportmanager unter Trend? Und schließlich: Welche Sichtweise hat ein Unternehmensberater?
Die Trendexperten:
Trends – die Abstraktionseinheiten des Wandels
Von Marc Schüling und Florian Häupl,
Marken-, Trend- und Innovationsexperten, Hamburg
Wer sich mit der Zukunft beschäftigen will, braucht keine Glaskugel. Viel wichtiger ist ein genauer Blick auf den gesellschaftlichen Wandel. Denn Trends sind gemeinsame Anpassungsstrategien an sich verändernde Umfeldbedingungen. In jedem Trend lässt sich schon heute ein Stückchen Zukunft erkennen. Wer sie zu lesen versteht, erfährt eine Menge über die Konsumwelt von morgen, über veränderte Einstellungen, Wünsche und Hoffnungen, die künftigen Konsumentscheidungen zugrunde liegen werden. Als Trend verstehen wir im weitesten Sinne Veränderungen in Gesellschaft, Konsum und Kultur.
Megatrends und wie sie unsere Welt prägen
1982 stellte John Naisbitt mit seinem Werk „Megatrends“ die Weichen für eine Betrachtung der Gegenwart und Zukunft, die prägend werden sollte, nicht nur für die Zunft der Trendforscher, sondern auch für nationale und supranationale Institutionen sowie Unternehmen, die sich mit strategischen Wandelprozessen und Zukunftsfragen beschäftigen. Megatrends beschreiben den langfristigen Struktur- und Wertewandel. Sie erstrecken sich in der Regel über einen Zeitraum von zehn, zwanzig und mehr Jahren. Beeinflusst werden sie von sozialen, technologischen, ökonomischen und kulturellen Entwicklungen. Sie sind übergreifende, die westliche (und zunehmend gesamte) Welt betreffende Trends. Früher oder später wird jeder von ihnen betroffen sein. Sie schreiben gewissermaßen die „Grammatik unserer Kultur“ neu. Ein gutes Beispiel ist der Begriff der Globalisierung, den John Naisbitt in seinem Buch prägte. Heute, dreißig Jahre später, haben wir ihn wie selbstverständlich in unseren Sprachgebrauch übernommen – auch weil seine Auswirkungen so omnipräsent geworden sind: Die vergangenen Jahre waren geprägt von einer nie dagewesenen Welle der Technologisierung und fortschreitenden Vernetzung der Menschheit. Die transformative Kraft des Internets und die globalen Waren- und Informationsströme verändern unsere Gesellschaft von Grund auf. Andere Megatrends wie beispielsweise unsere alternde Gesellschaft, die zunehmende Ressourcenknappheit sowie fortschreitende Urbanisierung sind auch durch die starke mediale Aufmerksamkeit, die diesen Entwicklungen zugetragen wurde, heute allgemein anerkannt. Der Wandel ist zur Konstante geworden. Doch privat wie beruflich tun wir uns häufig schwer, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten und sich abzeichnende Veränderungen frühzeitig zu erkennen und in unser Gesellschafts- und Marktbild aufzunehmen.
Die Zukunft erkennen, wenn wir sie sehen
Zeit für eine kleine Anekdote. Wir schreiben das Jahr 2005. Wie jedes Jahr veranstaltet das TRENDBÜRO in Hamburg den jährlichen Trendtag. Eine Veranstaltung, auf der Prof. Peter Wippermann, Gründer des Trendbüros, zusammen mit ausgewählten externen Speakern eine Entwicklung vorstellt und beleuchtet, die Gesellschaft und Wirtschaft in den kommenden Jahren tiefgreifend verändern wird. In jenem Jahr steht der Trendtag unter der Überschrift „Schwarmintelligenz“ und beschäftigt sich mit der zu diesem Zeitpunkt immer deutlicher werdenden Selbstorganisationskraft des Internets.
Wenn wir im Jahr 2005 etwas nachschlagen wollen, tun wir meist noch das, was wir schon immer gemacht haben. Wir greifen uns ein Lexikon aus dem im besten Falle umfangreich bestückten Bücherregal. Doch nach der Mittagspause betritt ein Mann die Bühne, der sich aufgemacht hatte, der Menschheit einen völlig neuen Zugang zu ihrem kollektiven Wissens zu schaffen. Statt auf Experten wollte er auf die smarte Mehrheit setzten. Sein Name: Jimmy Wales. Sein Projekt: Wikipedia. Viele der anwesenden Journalisten und Zuhörer entscheiden sich, den Saal zu verlassen und lieber einen Kaffee trinken zu gehen. Sie glauben nicht an das Potential des Projektes. Nur 3 Jahre später kündigte Brockhaus die Einstellung der renommierten gedruckten Version der Brockhaus Enzyklopädie an. Die kostenlose Internetkonkurrenz hatte das Geschäft unrentabel werden lassen. Heute ist Wikipedia unwiderruflicher Alltagsbestandteil geworden. Ein Trend hat sich durchgesetzt und ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Auch innerhalb von Unternehmen findet das Prinzip der Schwarmintelligenz wachsende Beachtung. Als ein Vorreiter hat sich beispielsweise die Synaxon AG, die größte IT-Verbundgruppe Europas, das Wikipedia-Prinzip bereits seit einigen Jahren in voller Konsequenz für das interne Wissensmanagement zunutze gemacht. Jeder Mitarbeiter kann Unternehmenswissen und -prozesse dokumentieren, verändern und auf dem neuesten Stand halten. Alles ist durch jeden jederzeit editierbar. Das Netzwerkprinzip tritt an Stelle der hierarchischen Unternehmensorganisation. Der Strukturwandel erreicht die Unternehmen und verändert sie von innen heraus.
Die Gegenwart und was von der Zukunft übrig blieb
Was lehrt uns diese Anekdote? Es ist nicht immer einfach, die Zukunft zu erkennen, wenn wir ihr gegenüberstehen. In einer Welt, die sich mehr denn je im konstanten Wandel befindet, in der sich die Bedürfnisse der Menschen schneller wandeln und vielschichtiger werden, in der neue Technologien innerhalb kürzester Zeit Geschäftsmodelle obsolet machen und neue Märkte entstehen lassen, in der sich Kunden und Mitarbeiter immer weniger in homogene Gruppen zusammenfassen lassen, wird Trendforschung immer mehr zum unverzichtbaren Bestandteil unternehmerischen Handelns. Es gilt, Veränderungen frühzeitig zu antizipieren. Das Ziel lautet „Zukunftssicherheit“, wie die Autoren dieses Buches treffend schreiben. Doch wie beschäftigt sich man mit der Zukunft? Zunächst einmal gilt es, sich für die Zukunft zu sensibilisieren. William Gibson prägte mit seiner Aussage „The future is already here – it’s just not very evenly distributed.“ (http://en.wikiquote.org/wiki/William_Gibson) bis heute das Mindset vieler Trendforscher.
Trendforschung bedeutet also eine sehr genau Beobachtung der Gegenwart, um daraus Ableitungen für die Zukunft treffen zu können. Trendforschung heißt Mustererkennung, die Verdichtung der vielen sogenannten „schwachen Signale“ zu einem größeren Bild des Wandels. Sie zeigt Handlungsfelder und Entscheidungskorridore auf. Trendforschung ist Dienstleistung für zukunftsgerichtet denkende Unternehmen und kann als gesellschaftlicher Seismograph Veränderungen in Kunden- und Marktstrukturen frühzeitig antizipieren und nutzbar machen. Aus dem englischsprachigen Raum kommend wurde „Trend Research” im Deutschen mit „Trendforschung“ übersetzt. Das klingt sehr wissenschaftlich. Trendforschung ist jedoch in erster Linie keine Wissenschaft. Dieses Missverständnis führte und führt auch heute häufig dazu, dass der Trendforschung die Glaubwürdigkeit und damit in der Konsequenz die Nützlichkeit abgesprochen wird. Doch wer sich klar macht, dass es nicht darum geht, die Zukunft vorherzusagen, sondern Marktchancen aufzuzeigen und Ansätze für konkrete Innovationen z.B. in der Produkt- und Serviceentwicklung sowie für das Marketing und die Unternehmensstrategie abzuleiten, sollte den Nutzwert leicht erkennen können. Wir brauchen uns nur an das Beispiel von Jimmy Wales und Wikipedia erinnern.
Trends, Trends, Trends
Als TRENDBÜRO im Jahr 1992 die Trendforschung in Deutschland begründete, war das Internet noch weit davon entfernt, ein weitverbreitetes Alltagsmedium zu sein. Informationen flossen weit weniger frei als heute. In der Anfangszeit der Branche wäre sicherlich am ehesten die Bezeichnung „Trend-Recherche“ zutreffend gewesen. Ging es doch vor allem darum, über in aller Welt verteilte Korrespondenten (Produkt-)Neuigkeiten zusammenzutragen und in Form von Trend-Reports aufzubereiten. Heute, nach über zwanzig Jahren Trendforschung in Deutschland, gibt es kaum ein nennenswertes größeres Unternehmen, das nicht eine eigene Abteilung für Trend- und Zukunftsfragen eingerichtet hat. Oder zumindest auf kontinuierlicher Basis mit entsprechenden Beratungsunternehmen zusammenarbeitet. In Zeiten einer Unmenge an frei verfügbaren Informationen und des damit einhergehenden Information Overloads geht es dabei weniger um die bloße Recherche von Trends, das sogenannten Scouting, sondern vor allem um das Treffen von konkreten Ableitungen für die betroffenen Unternehmen und ein systematisches Arbeiten mit Trends. Trendforschung bildet die Basis für Trendmanagement. So wie sich jeder Unternehmer im Bewusstsein seines unternehmerischen Risikos Erwartungen über die Zukunft bildet, dem operative und/oder strategische Entscheidungen zugrunde liegen, so bildet sich ein Trendforscher eine Vorstellung von möglichen gesellschaftlichen Zukunftszuständen. Während Megatrends den langfristigen Strukturwandel beschreiben, sind es besonders die kurzlebigeren Konsumententrends, die hier von Bedeutung sind. Sie erstrecken sich oft über eine Dauer von drei bis fünf Jahren und beruhen auf veränderten Einstellungen und Verhaltensweisen der Konsumenten. Sie handeln primär von den Bedürfnissen, die sich in den Wünschen und Sehnsüchten der Verbraucher ausdrücken, allerdings immer vor dem Hintergrund der großen Wertewandel-Prozesse. Branchentrends sind schließlich die Manifestierung der Konsumententrends auf Produktebene mit einer Lebensdauer von ein und mehr Jahren. Hier geraten Trends in das Feld unmittelbarer Anwendbarkeit und strategischer oder taktischer Benutzbarkeit der Markenführung.
Observe, Decode, Create
Mega-, Konsumenten- und Branchentrends sind also die Abstraktionseinheiten des Wandels, die uns als Raster für eine systematische Trendforschung dienen. Doch Trendforschung benötigt nicht nur ein Framework, sondern auch den dazugehörigen Prozess. Observe th...