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Brückenentwurf
1.1 Zur geschichtlichen Entwicklung des Brückenbaus
Brücken prägen unsere Landschaften und Städte in außergewöhnlichem Maße, wodurch sich hohe Ansprüche an Entwurf, Gestaltung und Konstruktion ergeben. Sie dokumentieren die Baukultur der Gesellschaft.
„Die ursprünglich aus reiner Notwendigkeit gebauten Brücken sind im Laufe der Zeit eine erstaunliche Verbindung von Technologie und Kunst eingegangen.“
Judith Dupré, Frank O. Gehry, 1998 [151].
Durch die steigende Qualität der Werkstoffe, insbesondere gekennzeichnet durch die Einführung und Etablierung des Stahls, und die stetige Weiterentwicklung der Verbindungstechniken, Fertigungs- und Montageverfahren wurden der spezifische Materialeinsatz der in den jeweiligen Epochen üblichen Konstruktionen vor allem in den letzten 100 bis 150 Jahren beträchtlich verringert und damit die Stützweiten beeindruckend erhöht (Bild 1.1). Die maximale freie Spannweite beträgt heute ca. 2.000 m.
Bild 1.1 a) Alte römische Bogenbrücke Bonnieux, Apt, Frankreich (Foto: N. Janberg); b) Forth Road Bridge, Queensferry, Schottland (Foto: T. Faßl)
Nachfolgend wird die geschichtliche Entwicklung der Brückenbauwerke, die sich im Wesentlichen in den verwendeten Materialien und Tragsystemen widerspiegelt, anhand einzelner Beispiele in kurzer Form dargestellt. Zur Geschichte des Brückenbaus existiert umfangreiche Literatur, nur beispielhaft sei auf [49, 151, 42, 51, 298] verwiesen. Hinsichtlich der frühen deutschen Brückenbaugeschichte sei besonders auf die Beispiele zu Mauerwerksbogenbrücken in [60] verwiesen.
1.1.1 Bogenbrücken als erste bedeutende Tragwerke
Insbesondere in der Zeit des Römischen Reiches entstanden in Europa und Vorderasien zahlreiche Bogenbrücken aus Naturstein, vorwiegend als Straßenbrücken, aber auch zur Überführung der sehr präzise im Gefälle liegenden Wasserleitungen (Bild 1.2). Manche Bogenbrücken in China entstanden bereits weit vor den Brücken des Römischen Reiches.
Die vermutlich älteste noch in Nutzung befindliche Steinbogenbrücke Deutschlands überbrückt heute noch die Donau in Regensburg (Bild 1.4). Sie wurde im Jahre 1146 fertiggestellt. Das Bauwerk ist ca. 310 m lang, und die einzelnen Kreissegmentbögen weisen eine maximale Stützweite von 16,7 m auf.
Im Mittelalter wurden die halbkreisförmigen römischen Bögen, die eine nahezu optimale Lastabtragung symmetrischer Belastung über Normalkräfte gewährleisten, durch flachere Segmentbögen abgelöst. Damit ergaben sich teilweise sehr flache und damit schlank wirkende Tragwerke mit Verhältnissen von Stich zu Spannweite bis zu 1 : 5. Wie beim in Bild 1.5 dargestellten weltbekannten Ponte Vecchio in Florenz ist manchmal eine nachträgliche Überbauung oberhalb der Pfeiler mit der bereichsweisen Erhöhung des Eigengewichtes aufgrund der „Überdrückung“ der resultierenden Horizontalkräfte vorteilhaft.
Bild 1.2 Aquädukt des Römischen Reiches – Pont du Gard (bei Avignon), ca. im Jahr 19 v. Chr., Gesamtlänge ca. 270 m (Spannweite Mittelbogen L = 24,5 m), Höhe 49 m (Foto: M. Bartzsch)
Bild 1.3 Straßenbrücke des Römischen Reiches bei Alcantara (Spanien) über den Tajo, ca. 100 n. Chr., maximale Bogenspannweite ca. 29 m, (Foto: Adrien Mortini)
Bild 1.4 Vermutlich älteste noch in Nutzung befindliche Steinbogenbrücke in Deutschland über die Donau in Regensburg, aus [400]
Bild 1.5 Ponte Vecchio, Florenz (1345), aus [49]
1.1.2 Frühe Hängebrücken
Bereits in sehr früher Zeit wurde das Prinzip der Hängebrücke zur Überbrückung großer Stützweiten angewandt und insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert durch den Einsatz von Eisen bzw. Stahl weiterentwickelt. Bei der 1853 erbauten South Portland Street Suspension Bridge Glasgow (Bild 1.6) besteht das „Tragseil“ noch aus einer Gelenkkette aus Flacheisen und die Hänger sind geschmiedete Stangen.
Bild 1.6 South Portland Street Suspension Bridge Glasgow 1853 (Foto: Inge Kanakaris-Wirtl)
1.1.3 Erste Blechträger- und Fachwerkbrücken
Insbesondere wegen der Erfordernisse der neuen Eisenbahnen – und ermöglicht durch den Einsatz von Eisen bzw. Stahl – entwickelten sich die Balkentragsysteme für größere Stützweiten. Sie wurden als Vollwandträger bzw. alternativ als Fachwerkträger entworfen. In Bild 1.7 ist die 1850 fertiggestellte Britanniabrücke über den Menai Strait in Wales mit einer maximalen Einzelstützweite von ca. 140 m dargestellt. Die Eisenbahn fuhr innerhalb des Kastens, der Querschnittsabmessungen von 4,47 m · 9,1 m bei Blechdicken von bis zu 16 mm aus Schweißeisen aufweist. Die einfeldrigen Kästen wurden jeweils für eine Stützweite vorgefertigt und mit Pontons eingeschwommen.
Für größere Stützweiten erwiesen sich die vollwandigen Balkenbrücken als zu schwer. Auch war die Ästhetik sehr hoher Blechträgerbrücken nicht zufriedenstellend, und in der Konsequenz wurden die Stege der Blechträger als Fachwerke entworfen. Anfänglich wurden manchmal auch nur die Stege als Gitterfachwerke „aufgelöst“, beispielsweise bei der Eisenbahnbrücke über den Rhein in Waldshut (Bild 1.8). Dieses Tragwerk wurde bereits 1859 durch Längseinschub hergestellt und ist heute noch als Grenzbrücke zwischen der Schweiz und Deutschland in Betrieb.
Bild 1.7 Britanniabrücke in Wales (1850), aus [49]
Bild 1.8 Rheinbrücke Waldshut (1859) – derzeit älteste noch in Betrieb befindliche stählerne Eisenbahnbrücke in Deutschland, Durchlaufträger als Gitterfachwerk mit obenliegender offener Fahrbahn
Ein geradezu monumentales Beispiel für eine Fachwerkbrücke ist die Eisenbahnbrücke über den Firth of Forth nahe Edinburgh (Schottland), die 1889 fertiggestellt wurde (Bild 1.9). Auf einer Gesamtlänge von 2.460 m wurden für diese Brücke 58.000 t Stahl verbaut. Der Schifffahrt stehen zwei Durchfahrtsöffnungen von je 521 m zur Verfügung. Zwischen den Fachwerkauslegern mit einer Turmhöhe von ca. 100 m wurden jeweils Einhängeträger mit einer Stützweite von 107 m vorgesehen. Die Ausleger wurden gleichzeitig montiert, um das Gleichgewicht während des Baus sicherzustellen. Die unteren Druckrohre der Fachwerk-Ausleger weisen einen Durchmesser von 3,6 m auf. Die Randfelder des Bauwerkes sind als Fachwerk-Balkenbrücken konzipiert.
1.1.4 Bogenbrücken aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Mit Ausnutzung des Bogentragprinzips auch für Stahlkonstruktionen größerer Spannweite entstanden insbesondere Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts eine Reihe von imposanten Tragwerken, wobei die Bögen selbst als Fachwerke ausgeführt wurden (Bild 1.10). Die Bögen wurden durch gleichzeitigen Freivorbau von beiden Seiten mit Hilfsabspannungen hergestellt. Normalerweise wurden sehr schwere Übergangspfeiler zur besseren Aufnahme der großen Horizontalkräfte an den Bogenkämpfern konzipiert.
Bild 1.9 Eisenbahnbrücke über den Firth of Forth (1889), größte Stützweite 521 m (Foto: T. Faßl)
Bild 1.10 Sydney Harbour Bridge (1932), Spannweite 503 m, Fahrbahnbreite 49 m (für 4 Eisenbahngleise und 6 Straßenspuren), Gewicht der Stahlkonstruktion: 38.390 t (Foto: L. Mentschke)
Bild 1.11 Brücke von Plougastel, Bretagne, Frankreich, 1930, Spannweiten der Bögen: 3 · 186 m, Ausbildung der Bögen als Betonhohlkästen 9,5 m · 4,5 m (Foto: N. Janberg)
Um den meist schwierigen Lastabtrag der großen Horizontalkräfte des Bogens in den Baugrund zu vermeiden, können diese Horizontalkräfte im Fußpunkt über den Versteifungsträger als Zugband miteinander gekoppelt werden. Damit entsteht ein äußerlich statisch bestimmtes System, bezeichnet als Stabbogenbrücke. Dieser Brückentyp hat sich ab ca. Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend durchgesetzt.
Mit der rasanten Entwicklung der Stahlbetonbauweise Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden zu dieser Zeit auch die ersten Bogenbrücken aus Beton. Ein eindrucksvolles frühes Beispiel ist die Brücke von Plougastel, (Bild 1.11), die von Eugène Freyssinet (einem der „Erfinder“ der Vorspannung von Beton) entworfen und 1930 fertiggestellt wurde.
1.1.5 Die Weiterentwicklung der Vollwandträgerbrücken
Mit der Entwicklung der Schweißtechnik sowie auch der Entwicklung der Berechnungsmöglichkeiten wurden die stählernen Blechträgerbrücken zu schlanken Bauwerken (für große Stützweiten als Stahlhohlkästen (Bild 1.12)) weiterentwickelt. Die Fahrbahnen dieser Stahlbrücken wurden ab ca. 1960 als Stahlleichtfahrbahn ausgeführt, eine quer- und längsversteifte Stahlkonstruktion, bezeichnet als orthogonal-anisotrope (kurz: orthotrope) Platte.
Bild 1.12 Zoobrücke in Köln über den Rhein (1966), Hauptspannweite 259 m, Hauptträgerhöhe über dem Pfeiler ca. 10 m
Bild 1.13 Kochertalbrücke im Zuge der A 6 als Spannbetonhohlkastenbrücke (1979), maximale Spannweite 138 m, Bauhöhe 6,5 m (Foto: Elke Sachers-Saur)
Mit der rasanten Entwicklung des Spannbetonbaus ab ca. Mitte des 20. Jahrhunderts wurden zahlreiche Großbrücken in dieser für Stützweiten bis ca. 80 m sehr wirtschaftlichen Bauweise entworfen und ausgeführt (Bild 1.13). Diese weltweite Entwicklung ging stark von deutschen Ingenieuren wie Fritz Leonhardt aus.
1.1.6 Hängebrücken des 20. Jahrhunderts
Für sehr große Spannweiten wurde das Tragsystem der Hängebrücke durch den Einsatz von hochfesten Tragseilen Ende des 19. Jahrhunderts sowie insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weiterentwickelt (Bilder 1.14 bis 1.17). Um eine gewisse Versteifung der Hauptträgerscheiben, u. a. gegen Schwingungen, zu erreichen, wurden die Hänger teilweise strahlenförmig (z. B. bei der Brooklyn Bridge New York 1883) oder V-förmig (z. B. bei der Brücke über den Humber 1981) angeordnet.
Bild 1.14 Brooklyn Bridge in New York (1883), Hauptspannweite 486 m (zum Herstellungszeitpunkt weltweit größte Stützweite), engmaschiges Netz von strahlenförmig angeordneten Hängern (Foto: N. Janberg)
Bild 1.15 Golden Gate Bridge in San Francisco (1937), Hauptspannweite 1.280 m, Pylonhöhe ca. 227 m, Verhältnis Versteifungsträgerhöhe zu Spannweite 1 : 168 (Foto: M. Koschemann)
Bild 1.16 Brücke über den Humber, England (1981), Hauptspannweite 1.410 m (bis 1998 weltweit größte Spannweite) (Foto: Michael Lee, www.davidleephotography.co.uk)
Bild 1.17 Akashi Kaikyo Brücke, Japan (1998), Hauptspannweite 1.991 m (Versteifungsträger als Fachwerkträger), Pylonhöhe 297 m (Foto: G. Korpas)
Die Rekordspannweite für Hängebrücken liegt derzeit bei ca. 2.000 m, aber Bauwerke mit noch größeren Spannweiten sind technisch durchaus möglich und bereits für verschiedene Standorte entworfen.
1.1.7 Schrägseilbrücken
Mit dem Tragsystem der Schrägseilbrücke sind freie Spannweiten von bis zu 500 m pro Pylon wirtschaftlich ausführbar. In diesem Spannweitenbereich hat sich die Schrägseilbrücke, vor allem wegen der deutlich einfacheren Herstellung, gegenüber der Hängebrücke seit ca. Mitte des 20. Jahrhunderts durchgesetzt. Die ersten Schrägseilbrücken wurden mit wenigen Seilen und teilweise über 50 m Seilabstand ausgeführt (Bild 1.18). Heute werden die Tragwerke eher als Multiseilsysteme entworfen. Die Schrägseilbrücke mit der (derzeit) weltweit größten Spannweite von 1.104 m ist die ...