Astrobiologie für Einsteiger
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Über dieses Buch

Nach einem einführenden Kapitel über die Definition von Leben beginnt die Erkundung des Themas »Leben im Universum« mit der Geschichte des Universums, unter besonderer Berücksichtigung der Umstände, die die Entwicklung von Leben ermöglicht haben. Es fokussiert dann in ähnlicher Weise auf die Geschichte unseres Sonnensystems und der Erde. Im mittleren Teil des Buchs geht es um das Leben auf der Erde: wie konnte es entstehen, sich ausbreiten, und mehr als drei Milliarden Jahre lang überleben? Welche seiner Eigenschaften sind Zufall, und welche Notwendigkeit? Im letzten Drittel des Buchs werden die Erkenntnisse aus der irdischen Biologie angewandt auf die Suche nach Leben im übrigen Sonnensystem (Mars, Monde des Jupiter und Saturn) und nach lebensfreundlichen Planeten im Rest des Universums.

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Information

Verlag
Wiley-VCH
Jahr
2013
ISBN
9783527667642

1

Was ist Leben?

In diesem Kapitel …
wird versucht, den Begriff „Leben“ so zu definieren, dass man die Definition überall im Universum anwenden könnte. Wir glauben, dass wir Leben erkennen, wenn wir es sehen. Aber können wir es auch so definieren, dass die uns noch nicht bekannten Lebensformen, die womöglich anderswo im Universum existieren, zuverlässig mit erfasst werden?
Erwin Schrödinger (1887–1961), Mitbegründer der Quantenmechanik wider Willen, Nobelpreisträger (Physik, 1933) und Urheber eines berühmten Gedankenexperiments mit Stubentiger, sagte gerne unverblümt seine Meinung. Nach der Machtergreifung der Nazis erkannte er, dass ihm diese Angewohnheit Schwierigkeiten mit den neuen Machthabern bereiten würde, trat von seinem Lehrstuhl an der Berliner Universität zurück, den er erst sechs Jahre vorher übernommen hatte, und emigrierte zunächst nach Oxford, dann in sein Geburtsland Österreich. Von dort vertrieb ihn 1938 der Anschluss. Im Jahre 1939 bot die Regierung des neutralen Irland ihm einen Lehrstuhl für Theoretische Physik am neu gegründeten Dublin Institute for Advanced Studies an. Trotz seiner schwierigen Situation als politischer Flüchtling am Anfang des Zweiten Weltkriegs fand er in Dublin eine neue Heimat und profitierte enorm von den 17 Jahren, die er dort verbringen sollte.
Zu seinen Aufgaben zählte ein einmal jährlich zu haltender öffentlicher Vortrag. Im Jahr 1943 hielt er sogar eine Serie von drei Vorträgen am Trinity College in Dublin, wo über 400 Menschen ihm zuhörten, als er die Frage behandelte: „Was ist Leben?“ Zu jener Zeit gab es die Disziplin Biophysik noch nicht, und es war geradezu unerhört, dass sich ein theoretischer Physiker in das Gebiet der Biologie hineinwagte. Überdies gab es in der damaligen Biologie praktisch nichts, was zu den streng logischen Denkweisen eines Physikers gepasst hätte. Deshalb konnte Schrödinger auch keine Antworten auf biologische Fragen geben. Stattdessen formulierte er die fundamentalen Fragen der Biologie so, wie er sie aus seiner Perspektive als Physiker sah.
Schrödinger behandelte hauptsächlich zwei grundlegende Aspekte des Lebens: Vererbung und Thermodynamik. Diese formulierte er als parallele Grundfragen: Wie erzeugt das Leben Ordnung aus Ordnung, und wie erzeugt es Ordnung aus Unordnung? In seiner Betrachtung der Genetik (Ordnung aus Ordnung) schätzte er die Anzahl der Atome, die in einem Gen enthalten sein müssten. (Zu dieser Zeit war „Gen“ noch ein vollständig abstraktes Konzept.) Er schlug vor, dass die genetische Information in einer Art „aperiodischem Kristall“ enthalten sein könnte, also einer regelmäßig wiederholten Struktur mit charakteristischen, informationstragenden Variationen. Angesichts der späteren Erkenntnisse zur Struktur der DNA erscheint diese Idee verblüffend hellseherisch.
In der zweiten Hälfte seiner Vortragsreihe erläuterte Schrödinger, dass Lebewesen wohlgeordnete Muster von Molekülen (und im Falle höherer Organismen, auch von Zellen und Geweben) erzeugen können, wobei sie allerdings eine größere Unordnung in ihrer Umgebung erzeugen. Auf diese Weise bleibt die Evolution von hochgradig komplexen und „geordneten“ Lebewesen aus einem ungeordneten Reservoir von einfachen, leblosen Molekülen vereinbar mit dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, der für jedes geschlossene System und für das Universum insgesamt eine Zunahme der Entropie (Unordnung) festschreibt.
Schrödingers Vortragsreihe wurde später auch als Buch veröffentlicht. Dieses erwies sich als äußerst einflussreich und ist bis heute erhältlich. Zum ersten Mal hatte ein prominenter Wissenschaftler hier die Frage aufgeworfen, wie die Physik unseres Universums dessen Biologie eingrenzt. Dennoch war die Frage „Was ist Leben?“ 1943 nicht beantwortbar und stellte nicht nur die Biologie, sondern auch die anderen Wissenschaften vor unüberwindbare Herausforderungen. In den knapp sieben Jahrzehnten, die seitdem vergangen sind, hat die Wissenschaft viele Aspekte dieser Frage gelöst. Deshalb können wir heute, in diesem Einführungskapitel, zumindest versuchen, Leben zu definieren und einige seiner fundamentalen Voraussetzungen aufzuführen.

1.1 Definition des Lebens

Heute gibt es ja nicht mehr nur „die“ Biologie, sondern ein ganzes Spektrum von Lebenswissenschaften, deren Interessen von der Urzeit bis in die Zukunft, vom Abstrakten bis in die medizinischen Anwendungen, und von den kleinsten Mikroben bis hin zur Biosphäre reichen. Eine gemeinsame Definition, was denn dieses „Leben“ nun ist, das diese bunte Versammlung von Disziplinen verbindet, haben die Forscherinnen und Forscher allerdings noch nicht gefunden.
Solange man sich nur für die Lebewesen auf der Erde interessiert, die ja, wie wir in Kapitel 5 diskutieren werden, auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen, kann man sich vielleicht noch auf sein Bauchgefühl verlassen und darauf, dass man ein Lebewesen schon erkennen wird, wenn es einem über den Weg läuft.
Hier wollen wir allerdings auch diskutieren, welche anderen Arten von Leben möglicherweise an anderen Orten im Universum entstanden sein könnten, und welche Rahmenbedingungen zur Entstehung des Lebens geeignet sind. Zu diesem Zweck müssen wir auch eine brauchbare Definition haben, die festlegt, was Leben überhaupt ist.
Dabei muss uns auch bewusst sein, dass unsere Perspektive notwendigerweise beschränkt ist. Unsere Auffassung davon, unter welchen Bedingungen Leben entstehen oder gedeihen kann, ist mit Sicherheit stark beeinflusst von unserem Verständnis des Lebens auf der Erde. Solange wir uns dieser Probleme bewusst sind, können wir zumindest versuchen, die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für Leben im Universum so objektiv wie eben möglich zu sondieren. Was, nach langer Vorrede, ist also Leben?
Die auffälligste Eigenschaft, die lebende Systeme von der unbelebten Welt abhebt, ist ihre Fähigkeit, weitere Exemplare ihrer Art zu erstellen, oder, etwas wissenschaftlicher ausgedrückt, sich zu replizieren. Bei Homo sapiens lässt sich dieser Prozess in dem biblischen Imperativ „Seiet fruchtbar und mehret Euch“ beschreiben, dem die Menschheit in stetig wachsendem Maße nachgekommen ist.
Die Fähigkeit, sich zu vermehren, wird naturgemäß von der Evolution belohnt (wer es nicht tut, scheidet aus dem Spiel aus) und ist daher eine zentrale Eigenschaft des Lebens. Wenn man diese Sichtweise ins Extrem treibt, kann man alle Erscheinungsformen des Lebens, von Bakterien bis hin zu kriegsführenden Nationen, lediglich als Hilfsmittel betrachten, welche DNA-Moleküle zu ihrer Vermehrung nutzen.
Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Definition des Lebens als chemisches System (und dessen Abgrenzung gegenüber mechanischen und elektronischen Systemen). Über Jahrzehnte hinweg haben Autoren von Science-Fiction und sogar von angeblichen Sachbüchern, die gegenwärtige Trends der Nanotechnologie in die Zukunft extrapolieren, behauptet, dass selbstreplizierende, mikroskopisch kleine Roboter bald unsere Arterien sauber halten, Giftmüll beseitigen und viele andere nützliche Dinge tun würden. Von der Erfolgsaussicht dieser Prognosen einmal abgesehen, würden die physikalischen Gesetze unseres Universums solchen Robotern wohl nicht grundsätzlich im Wege stehen, und da sie sich replizieren, würden sie zumindest unsere erste Bedingung für Lebewesen erfüllen.
Auch im Cyberspace gibt es replizierende Wesen, so genannte Würmer. Obwohl diese einen Computer, eine Internet-Verbindung, und eine mit Sicherheitslücken ausgestattete Software benötigen, um sich zu vermehren, könnte man argumentieren, dass diese Umweltbedingungen einfach den Lebensraum des Wurms darstellen. Wir und alle anderen Lebewesen auf der Erde sind auch in der einen oder anderen Weise von Dingen abhängig, die unser Lebensraum uns zur Verfügung stellt. Wenn man eine universell gültige Definition des Lebens sucht, dann ist es nicht so einfach, diese beinahe lebendigen Systeme auszuschließen. Mit dem Fortschritt der Technik wird es sogar zunehmend schwieriger, da die Grenzen zwischen mechanischen, elektronischen, und biologischen Systemen zunehmend verwischen, wenn zum Beispiel Gehirne direkt mit Computern verknüpft werden können und Kleinstroboter den natürlichen Insekten immer ähnlicher werden.
Wenn wir allerdings den Ursprung und die Ausbreitung des Lebens im Universum betrachten, dann wäre es schwer zu erklären, wie mechanisches Leben oder gar Leben, das von Computer-Netzwerken abhängig ist, spontan hätte entstehen können. Das Problem liegt darin, dass mechanische Objekte definitionsgemäß Bauteile enthalten, die deutlich größer sind als Moleküle. Anders herum ausgedrückt, wenn wir ein System betrachten, in dem Moleküle die entscheidenden Funktionseinheiten sind, dann würden wir dieses als chemisches System beschreiben.
Vor der Entstehung der ersten Lebewesen gab es bereits Molekülgemische, in denen die Brownsche Bewegung alle Moleküle chaotisch durcheinander wirbeln ließ. Die Brownsche Bewegung ist nicht besonders schnell. Wenn Sie eine Flasche Parfum in einem geschlossenen Raum öffnen, wie lang dauert es, bis sich der Duft im ganzen Raum ausgebreitet hat? Und da die thermischen Bewegungen proportional der Quadratwurzel der Masse des bewegten Objekts langsamer werden, würde es länger als das gegenwärtige Alter des Universums dauern, bevor sich die Bauteile einer Uhr spontan zu einem funktionierenden Chronometer zusammensetzen würden, und auch ein selbstreplizierender mechanischer Roboter hätte keine Chance, jemals geboren zu werden. Mechanisches Leben, egal ob es dem ehemaligen Gouverneur von Kalifornien ähnelt oder nicht, kann zwar durch intelligentes Design von Hand existierender chemischer Lebensformen entstehen, doch es erscheint ausgeschlossen, dass es spontan entstehen könnte. Kurz und gut, wir können die mechanischen und elektronischen Wesen der Science-Fiction bei unserer Suche nach einer Definition des Lebens getrost ausschließen.
Ein letztes, aber wichtiges, Element gilt es allerdings noch zu berücksichtigen: Nicht alle selbstreplizierenden chemischen System sind lebendig. Kristalle können zum Beispiel unter gewissen Umständen die Bildung weiterer Kristalle ihrer Art anregen. Man nehme, zum Beispiel, eine übersättigte Lösung, also eine Lösung in der die Konzentration des gelösten Stoffs (zum Beispiel Kupfersulfat) höher ist, als sie gemäß dessen Löslichkeit offiziell sein dürfte. Bringen wir in diese Lösung einen Kristall als Kristallisationskeim ein, so wird er wachsen. Brechen wir den Kristall in mehrere Stücke, so wird jedes der Bruchstücke wieder zu der Größe des Originalkristalls (und darüber hinaus) wachsen, und jedes wir exakt dasselbe Kristallgitter aufweisen wie der erste Kristall.
Das ist im Falle des Kupfersulfats nicht besonders überraschend, da alle Kupfersulfat-Kristalle dieselbe Struktur haben. Aber auch bei chemischen Substanzen, die verschiedene Arten von Kristallen bilden können, kann man identische „Nachkommen“ erzeugen. Natriumchlorat bildet zum Beispiel chirale Kristalle (d. h. eine links- und eine rechtshändige Version, die spiegelbildlich und nicht überlagerbar sind, mehr darüber in Kapitel 5), obwohl das Molekül selbst nicht chiral ist. Wenn man ein Becherglas mit übersättigter Natriumchloratlösung einfach stehen lässt, bis die Substanz auskristallisiert, wird man etwa gleiche Mengen links- und rechtshändiger Kristalle finden. Wenn man hingegen die Lösung anhaltend und kräftig umrührt, werden die Kristalle alle dieselbe Händigkeit aufweisen (nein, es hängt nicht davon ab, in welcher Richtung sich der Rührer dreht!). Wie kann das passieren? Die heftige Rührbewegung wird den ersten kleinen Kristall, der sich bildet, in viele kleine Kristalle zerbrechen, die alle dieselbe Händigkeit aufweisen. Sobald diese wieder eine gewisse Größe erreichen, werden sie wieder zerbrochen. Im Prinzip vererbt sich die (zufällige) Chiralität des ersten Kristalls, der mit dem Rührer kollidiert, an die überwältigende Mehrheit der später gebildeten Kristalle. Auch das könnte man Replikation nennen. Dennoch ist es unumstritten, dass Kristalle nicht lebendig sind und nie waren. Was müssen wir also unserer Lebensdefinition noch hinzufügen, um zwischen unbelebten Kristallen und lebenden chemischen Systemen unterscheiden zu können? Ein Wort: Evolution.
Lebewesen erzeugen Nachkommen, die ihnen ähneln, durch Replizieren ihres Erbguts. Doch diese Replikation ist nicht perfekt. Zufällige Genmutationen erzeugen erbliche Variationen, welche die Überlebensfähigkeit der Nachkommen begünstigen oder verringern können. Diese erblichen Variationen geben der natürlichen Auslese die Chance, die Eigenschaften der nachfolgenden Generation und damit die Evolution der Art zu gestalten. Evolution, oder die Fähigkeit auf Selektionsdruck mit Anpassung zu reagieren, ist eine grundlegende Eigenart des Lebens und grenzt dieses klar von unbelebten selbstreplizierenden Systemen ab. Ein Kristall kann perfekte Kopien seiner selbst erzeugen, doch der erste Quarz-Kristall, der aus dem Sonnen-Nebel vor 4,57 Milliarden Jahren kristallisierte, hatte exakt dasselbe Kristallgitter wie jeder Quarz-Kristall, der heute industriell hergestellt wird. Kristalle und ihr Entstehungsprozess sind nicht wandelbar und können deshalb nicht zu anderen, komplexeren oder besser angepassten Formen evolvieren. Demnach sind sie auch nicht lebendig.
Nun, da haben wir ja schon unsere Definition. Leben erfordert ein selbstreplizierendes chemisches System, das evolvieren kann, so dass seine Nachkommen bessere Überlebenschancen haben. Das ist eine hübsche Definition, kurz, knapp und treffend, aber leider ist noch ein Wurm drin. Zwar ist ein chemisches System, das die genannten Bedingungen erfüllt eindeutig lebendig, aber in der entgegengesetzten Richtung funktioniert die Verbindung nicht so perfekt. Es gibt viele Lebewesen, die diese Bedingungen nicht erfüllen. Maultiere sind zum Beispiel grundsätzlich unfruchtbar, können sich also weder vermehren noch evolvieren, doch jeder, der sich mit einem solchen Tier im Urlaub herumgeschlagen hat, und zum Beispiel versucht hat, es zum Boden des Grand Canyon zu führen, wird bestätigen, dass Maultiere sehr wohl lebendig sind.
Ebenso werden diejenigen unter uns, die aus dem Alter des Kinderkriegens schon herausgewachsen sind, oder die keine Kinder bekommen wollen oder können, deswegen nicht gleich aus der Gemeinschaft der Lebendigen ausgeschlossen werden wollen. Um Ärger zu vermeiden, müssen wir also unsere kurze und knappe Definition um eine umständliche Erläuterung erweitern. Ein einzelnes Lebewesen für sich genommen, etwa ein einzelner Mensch, mag zwar lebendig sein, doch um das Kriterium der Evolution zu testen (und natürlich auch, um das Leben über die Lebensspanne des Individuums hinaus aufrechtzuerhalten), braucht man eine ganze Population von Lebewesen derselben Art. Für unsere astrobiologische Definition des Lebens wäre also ein einzelnes lebendiges Exemplar nicht hinreichend. Wir sind so anspruchsvoll, dass wir gleich eine ganze Horde von Lebewesen sehen wollen.
Von diesen philosophischen Ausführungen abgesehen, benötigen wir zum Glück keine Definition, die umfassend genug ist, um selbst alternde Akademiker mit abzudecken. Da die Evolution auf der Ebene von Populationen und Arten wirkt, kann sie sehr gut mit Individuen zurechtkommen, die sich nicht vermehren, aber der Population auf andere Weise helfen. Das gilt zum Beispiel für die überwiegende Mehrzahl der Mitglieder von Ameisen- und Bienenvölkern. Wenn wir Leben als selbstreplizierendes, evolvierendes chemisches System definieren, dann erfassen wir damit alle Arten, wenn auch nicht alle Individuen. Und selbst die nicht-replizierenden Individuen haben ja replizierende Eltern, also liegen wir mit unserer Definition nicht ganz falsch. Da diese unseres Wissens die einfachste Definition ist, die die Behandlung des Ursprungs und der Evolution des Lebens nicht unnötig einschränkt, erscheint sie uns als Grundlage für die weiteren Diskussionen geeignet.
Nachdem wir das geklärt haben, lautet die nächste Frage: Welches sind die minimalen (und somit fundamentalen) Voraussetzungen, die Leben benötigt? Da unsere Kenntnis dieses Themas zwangsläufig beschränkt ist, sollten wir unser Netz so weit wie möglich auswerfen, und uns bemühen, dass wir nicht irdische Grenzbedingungen irrtümlich zu universell gültigen Grenzen erklären. Dennoch können wir eine Anzahl von Kriterien identifizieren, die für die Entstehung und Ausbreitung des Lebens absolut unabdingbar zu sein scheinen.

1.2 Die Chemie des Lebens

Ein überwältigender Anteil von 99,9% der Atome im Universum sind entweder Wasserstoff- (H) oder Heliumatome (He). Helium kann keinerlei chemisch Verbindungen bilden, und Wasserstoff für sich allein bildet nur eine Molekülsorte, nämlich das Wasserstoffmolekül H2. Leben, wie wir es definiert haben, erfordert eine deutlich komplexere Chemie als die Bildungsreaktion des Wasserstoffmoleküls, das können wir trotz aller Vorsicht gegenüber Erd-zentrischer Voreingenommenheit zweifelsfrei feststellen. Wir brauchen also schwerere Atome. Wasserstoff- und Heliumkerne entstanden bereits in den ersten Minuten nach dem Urknall, doch die Geburt der schwereren Atome ist eine längere Geschichte, auf die wir in Kapitel 2 detaillierter eingehen werden.
Welche Elemente benötigt das Leben? Hier müssen wir ein wenig spekulieren, doch nicht ohne eine wissenschaftliche Grundlage. Schließlich gibt es nur eine begrenzte Zahl von Elementen im Periodensystem (Abb. 1.1), und viele von diesen sind aus verschiedensten Gründen nicht dazu geeignet, Leben zu ermöglichen. Demnach können viele der rund 90 natürlich vorkommenden Elemente ausgeschlossen werden. So viele, dass für die Hauptrolle des zentralen Elements des Lebens womöglich nur der Kohlenstoff (C) übrig bleibt, der ja, wie das Leben so spielt, auch in unserer irdischen Biochemie das wichtigste Element ist. Am einfachsten kann man die besondere, wenn nicht gar einzigartige, Eignung des Kohlenstoffs für die Hauptrolle auf der Bühne des Lebens würdigen, indem man ihn mit seinem nächsten Verwandten vergleicht, dem Silizium (Si).
Viele der Eigenschaften, die den Kohlenstoff für diese Rolle qualifizieren, teilt er mit dem Silizium, das ihn in manchen sogar übertrifft. So ist Silizium zum Beispiel auch vierwertig (d. h. jedes Atom geht vier Bindungen ein), was eine Vielfalt von komplexen molekularen Strukturen ermöglicht. Obwohl eine einfache Bindung zwischen zwei Siliziumatomen schwächer ist als zwischen zwei Kohlenstoffatomen, beträgt diese Abweichung nur rund 25%. Beide Elemente können lange Kettenmoleküle bilden. Verbindungen aus Silizium und Wasserstoff, so genannte Silane, können zum Beispiel bis zu 28 Si-Si-Bindungen hintereinander enthalten. Kohlenstoff ist zwar häufiger als Silizium im Sonnensystem insgesamt (Abb. 1.2), doch an der Erdoberfläche ist Silizium um mehrere Größenordnungen häufiger anzutreffen (Abb. 1.3). Tatsächlich wird die Häufigkeit des Siliziums in der Erdkruste nur von einem Element, dem Sauerstoff, übertroffen. Dennoch kann Silizium einfach nicht so eine reichhaltige Chemie unterstützen wie sein Nachbar aus der oberen Etage. Seine Probleme liegen sowohl in der Thermodynamik (Stabilitäten von Verbindungen im Gleichgewicht) als auch in der Kinetik (Geschwindigkeit) seiner chemischen Reaktionen mit anderen Elementen.
Abb. 1.1 Die atomaren Bausteine des Lebens. Selbst eine flüchtige Betrachtung des Periodensystems der Elemente muss uns zu dem Schluss führen, dass relativ wenige Elemente geeignet sind, die komplexe Chemie zu fördern, die das Leben auf der Erde (und vermutlich überall) benötigt. Insbesondere ist nur der Kohlenstoff sowohl vierwertig als auch imstande, starke kovalente Bindungen mit seinesgleichen und mit den Nachbarn im Periodensystem einzugehen. Diese Eigenschaften verleihen dem Kohlenstoff eine einzigartige Befähigung, die enorm vielfältige organische Chemie zu entwickeln, auf die sich auch die Chemie des Lebens stützt.
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Ein Blick auf die relative Bindungsstärke (eine thermodynamische Eigenschaft) der verschiedenen Bindungen, die Kohlenstoff und Silizium eingehen können, versorgt uns mit Belegen für unsere Argumente (Tabelle 1.1). Der Energiegehalt einer typischen Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindung (C–C) ist nicht weit entfernt von den entsprechenden Energien der Bindungen des Elements mit Wasserstoff (C–H), Sauerstoff (C–O) und Stickstoff (C–N). Deshalb hat die Chemie der Kohlenstoffverbindungen freie Bahn. Die N...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Contents
  3. Title page
  4. Copyright page
  5. Vorwort
  6. 1 Was ist Leben?
  7. 2 Ursprünge eines bewohnbaren Universums
  8. 3 Ursprung eines bewohnbaren Planeten
  9. 4 Ursuppe
  10. 5 Der Funke des Lebens
  11. 6 Von Molekülen zu Zellen
  12. 7 Eine kurzgefasste Geschichte des Lebens auf der Erde
  13. 8 Die Grenzen des Lebens
  14. 9 Bewohnbare Welten im Sonnensystem und darüber hinaus
  15. 10 Die Suche nach außerirdischem Leben
  16. 11 Nachwort
  17. Glossar
  18. Personenregister
  19. Sachregister