1 Das Geheimnis der Eliten
Biografien und Zeitungsartikel berichten regelmäßig über Wunderkinder oder hochbegabte Personen, die scheinbar mühelos den Zenit Ihrer Profession erreicht haben. Egal, ob es um den göttlichen Michelangelo, das Wunderkind Mozart oder das Genie Albert Einstein geht, die Welt ist voll von Berichten über begnadete Personen, die unerklärlicherweise viel besser sind als ihre Wettbewerber.
Diese Menschen gehören zur Elite. Doch wenn es darum geht, zu beschreiben, warum diese Personen so viel besser als andere geworden sind, dann wird gerne ausgewichen: Diese Menschen sind einfach talentierter.
Das sind schlechte Nachrichten für den durchschnittlichen Studenten. Denn falls Sie nicht ebenfalls als bzw. mit Talent geboren wurden, dann haben Sie keine Chance. Sie werden niemals in Ihrem Feld so richtig erfolgreich sein.
Glücklicherweise leben wir in einem Zeitalter der Wissenschaft. Und ein guter Wissenschaftler akzeptiert keine einfachen Erklärungen, ohne diese nicht einer genauen Prüfung unterzogen zu haben. Und das Ergebnis dieser genauen Prüfung ist deutlich: Talent ist stark überbewertet.
Der Professor für Psychologie Anders K. Ericsson ist einer der wichtigsten Forscher auf dem Gebiet der Expertise und hat sich über 30 Jahre lang mit der Frage beschäftigt, warum manche Menschen besser als andere werden. Er kommt in seinen Studien zu dem Schluss, dass es viele verschiedene Faktoren gibt, die für den Erfolg einer Person verantwortlich sind. Die meisten dieser Faktoren sind jedoch für den Einzelnen schwer zu beeinflussen und spielen auch nur eine untergeordnete Rolle. Allerdings hat er auch zwei Faktoren identifiziert, die bei der Elite viel stärker ausgeprägt sind als bei durchschnittlichen Personen.
In einer seiner spannendsten Arbeiten wollte er herausfinden, welche Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen verschiedenen Leistungsgruppen existieren. Ericsson hat daher Professoren einer Musikhochschule gebeten, ihre Studenten im Fach Geige zu bewerten und diese in zwei Gruppen einzuteilen: Solisten und Orchesterspieler.
Solisten sind die absolute Elite, was fachliches Können angeht. Wer alleine auf der Bühne steht, kann Spielfehler nicht verstecken. Auch Orchesterspieler müssen sehr gut spielen können – jedoch nicht auf dem gleichen Niveau wie die Solisten.
Zusätzlich haben sich die Forscher um Ericsson noch mit einer weiteren Gruppe beschäftigt. Diese bestand aus Studenten, welche gerne Lehrer für Geigenspiel werden wollten. Auch diese konnten sehr gut mit ihrem Instrument umgehen, allerdings waren die Orchesterkandidaten und die Solisten ihnen technisch weit überlegen.
Ericsson2 bat die Teilnehmer seiner Studie, verschiedene Fragebögen auszufüllen und ein Tagebuch über ihre täglichen Aktivitäten zu führen.
Das Ergebnis seiner Studie war deutlich: Auch wenn die Hintergründe der Teilnehmer und ihr Alter ähnlich waren, so gab es nur zwei wichtige Faktoren, die viel stärker bei der Elite als bei den Orchesterspielern ausgeprägt waren – die Orchesterspieler waren in diesen zwei Dingen wiederum besser als die Lehrer.
Der erste Faktor war die Anzahl an Stunden gezielter Übung. Die meisten Studenten haben mit ca. acht Jahren angefangen, regelmäßig zu üben. Dabei haben die Elitestudenten viel mehr Zeit damit verbracht, gezielt an ihren Fähigkeiten zu arbeiten, als die Orchesterspieler. So übten einige Teilnehmer jeden Tag alleine für zwei Stunden, während andere nur jeden zweiten Tag alleine geübt hatten.
Hochgerechnet haben die Studenten der Spitzengruppe im Alter von 18 Jahren bereits ca. 7.400 Stunden gezielt Geige geübt. Darin ist nicht die Zeit enthalten, in der sie mit einem Lehrer oder auf einer Bühne musiziert haben, sondern es zählt lediglich die reine Übungszeit im eigenen Zimmer, alleine. Studenten, welche von den Professoren als orchestertauglich eingeschätzt wurden, hatten mit 18 Jahren ungefähr 5.300 Stunden geübt, die Lehrer sogar nur 3.400 Stunden. Dieser unglaubliche Unterschied an gezielter Übung erklärte auch alle Unterschiede, die in Bezug auf die Fähigkeiten der Teilnehmer auftraten.
Zusätzlich fand Ericsson noch einen zweiten Faktor. Teilnehmer mit höher eingeschätzten Fähigkeiten hatten ein höheres wöchentliches Schlafpensum. Wie oben erwähnt, übten die Teilnehmer gezielt, was geistig sehr anstrengend ist. Daher haben Teilnehmer der Solisten- und Orchestergruppe sechs Stunden mehr pro Woche geschlafen als die Lehrer, drei Stunden davon nachmittags. Die Angewohnheit der Spitzengruppe war einfach: Gezielt üben, dann etwas schlafen.
Ist das jetzt das ganze Geheimnis der Elite? Wenn wir mehr üben (und mehr schlafen), werden wir dann ebenfalls zur Elite gehören? Ja und Nein. Ja, denn egal wie intelligent, begabt oder göttlich auch immer jemand ist – wenn ein anderer Mensch mehr übt und mehr schläft, dann wird er besser werden und in Führung gehen.
Nein, denn wir müssen auch beachten, dass Ericssons Studie sich mit einer speziellen Zielgruppe beschäftigt hat. Musikschüler folgen alle einem ähnlichen Weg und sind sehr gut vergleichbar, wenn sie das gleiche Ziel haben. In anderen Studienfächern und bei anderen Karrierepfaden ist das anders – das Prinzip der gezielten Übung ist jedoch immer noch gültig und sollte daher hier näher erläutert werden.
Elitestudenten üben gezielt
Gezielte Übung macht immer dann den Unterschied, wenn Ihre Fähigkeiten getestet werden. Egal, ob Sie vor einer Gruppe frei sprechen, Matrizen berechnen oder ein Theaterstück schreiben. Wenn Sie vorher ausreichend gezielt geübt haben, wird Ihre Fähigkeit gut genug sein. Durchschnittliche Studenten üben zwar auch, aber nicht gezielt genug. Der Unterschied wirkt vielleicht klein – ist es aber nicht.
Ein Elitestudent übt gezielt, weil er einem klaren Plan folgt. Dieser legt fest, welche Fähigkeiten er verbessern will. Zusätzlich benötigt der Elitestudent Zugriff auf die richtige Theorie. Denn nur wer die richtige Theorie kennt, kann passende Übungen entwickeln und diese dann ausführen.
Sie können gezielte Übung daran erkennen, dass sie:
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eine einzelne Schwäche in Ihrer Leistung trainiert,
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geistig anspruchsvoll ist,
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Ihnen direktes Feedback über Erfolg und Misserfolg gibt,
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häufig wiederholbar ist.
Dieses Buch hilft Ihnen, verschiedene Leistungsbereiche zu trainieren, und vermittelt Ihnen die notwendige Theorie, um selbstständig gezielt üben zu können.
Kann jeder ein Elitestudent werden?
Wenn Sie sich die obige Liste anschauen, dann scheint es so, als wäre es einfacher, ein guter Mathematiker, Chemiker, Physiker, Maschinenbauer, Musiker oder Sportler zu werden, als zum Beispiel ein guter Psychologe oder Betriebswirt.
Dies ist jedoch nicht korrekt. Es gibt Bereiche, wo gezielte Übung leichter verfügbar ist und der richtige Lernfortschritt offensichtlicher erscheint. Naturwissenschaften sind dabei häufig im Vorteil. Es ist klar, was als nächstes gelernt werden muss, die Experimente sind durchführbar, errechenbar, die Antworten liegen schon vor. Germanisten haben es dagegen schwerer, Betriebswirtschaftler und Jurastudenten ebenfalls.
Allerdings kann es sein, dass ein guter Mathematiker 5.000 Stunden gezielt üben muss, ein Betriebswirtschaftler nur 2.000 Stunden, um zur Elite zu gehören. Dadurch relativiert sich der Vorteil durch die Verfügbarkeit der Übungen und das direkte Feedback wieder.
Natürlich reicht es nicht, einfach nur 2.000 Stunden zu investieren. Sie müssen genau wissen, welche Fähigkeiten am wichtigsten sind. Wenn Sie selber noch keine Theoriekenntnisse haben, dann müssen Sie sich diese erst einmal aneignen. Für gewisse Themengebiete ist die Theorie aber nicht klar oder das Feld entwickelt sich erst noch. Was gestern nützlich war, ist heute unnötig. Daher können Sie auf neuen Feldern schneller zum Experten werden.
Sie sollten sich also gut überlegen, auf welchem Feld Sie zur Elite gehören wollen und ob Sie die bereits bestehende Elite überhaupt noch einholen können. Die Geigenstudenten haben im Alter von 18 Jahren bereits mehr als 7.400 Stunden gezielter Übung angesammelt. Wenn Sie erst jetzt anfangen und versuchen, ein Weltklassemusiker zu werden, dann müssen Sie nicht nur die 7.400 Stunden aufbringen, sondern sogar die (weiterhin regelmäßig übenden) Konkurrenten überholen. Das dürfte schwer möglich sein, wenn Sie erst mit 18 Jahren anfangen.
Daher wählen die meisten Studenten auch ein Fach, in dem sie „immer schon gut waren“. Denn ein Mathematikstudium ist nur dann interessant, wenn Sie bereits mit genügend Vorwissen einsteigen. Ansonsten ist die Komplexität zu hoch und Sie werden frustriert. Dann wird es auch sehr schwierig, sich jahrelang mit dem Thema zu beschäftigen.
Fähigkeiten von Elitestudenten
Dieses Buch soll Ihnen helfen, ein Elitestudent zu werden. Wenn Sie bereits die perfekte Vorbildung für Ihr Studium besitzen, dann ist Ihr Weg sicherlich einfacher – allerdings ist „perfekt“ vielleicht der falsche Ausdruck.
Ein Elitestudent muss keinem fest vorgeschriebenen Weg folgen, um etwas Besonderes zu werden. Selbst ein Mathematiker mit guten, aber nicht hervorragenden Mathematikkenntnissen kann zur Elite gehören – wenn er denn andere Fähigkeiten hat, welche ihn deutlich über den Durchschnitt heben.
Wir wissen bereits, dass gezielte Übung der wichtigste Faktor ist, wenn wir zur Elite gehören wollen. Diese Elite benötigt aber je nach Feld verschiedene spezielle Fähigkeiten. Bevor Sie sich ausschließlich auf fachspezifisches Wissen konzentrieren, möchte ich Sie daher bitten, kurz innezuhalten. Sicherlich ist es wichtig, dass Sie die Geige sehr gut beherrschen, oder dass Sie Matrizenrechnungen im Schlaf erledigen können. Allerdings sind diese Fähigkeiten bei Weitem nicht genug.
Egal, welches Studium Sie sich ausgesucht haben, es gibt immer Dinge, die sie darin nicht lernen werden. Die meisten Universitäten fokussieren sich auf Fachwissen, nicht auf sonstige Fähigkeiten. Dabei sind es häufig diese sonstigen Fähigkeiten, die im Umgang mit anderen Menschen getestet werden, Ihnen langfristig am meisten helfen und dafür sorgen, dass Ihre Kompetenz anerkannt wird.
Es ist wichtig, die fachlichen Fähigkeiten auf einem hohen Niveau zu entwickeln. Andererseits sollten Sie sich die Frage stellen, welche weiteren Fähigkeiten Sie benötigen werden, um wirklich ein Elitestudent zu sein.
Wie sieht der perfekte Student aus?
Er ist fachlich hochkompetent, menschlich sympathisch, sehr gut organisiert und überzeugend im Gespräch mit anderen. Er wirkt schon auf den ersten Blick vertrauenswürdig, kennt die richtigen Leute und ist gut darin, neue Kontakte zu knüpfen. Er ist körperlich gesund, schläft genug und treibt Sport. Er kann in Teams mitarbeiten, kennt seine Rolle, übernimmt aber auch Führungsaufgaben, wenn es nötig ist. Er spricht mehrere Sprachen, war im Ausland und kann mit verschiedenen Kulturen umgehen. Er ist ehrlich, direkt und entspannt, egal ob er mit einem anderen Studenten, einem Nobelpreisträger oder vor 500 Leuten spricht. Er gehört damit klar zur Elite.
Ihnen wird aufgefallen sein, dass von allen oben erwähnten Fähigkeiten nur eine an der Universität vermittelt wird: die fachliche Kompetenz. Daher besteht auch eines der Probleme darin, die „richtigen“ Fähigkeiten zu identifizieren und herauszufinden, wie Sie diese am besten verbessern können.
Die Kapitel zwei bis zehn des Buches helfen Ihnen nicht nur dabei, fachlich zu den Besten zu zählen, sondern enthalten auch einige der wichtigsten Kernkompetenzen, welche im Studium selten behandelt werden. Zusätzlich sollten Sie aber auch weitere Fähigkeiten identifizieren, welche Sie besser werden lassen. Egal, ob es sich dabei um „Zehn-Finger-Maschinenschreiben“, Rhethorik oder Teamentwicklung handelt – wenn Sie das Gefühl haben, dass die Fähigkeit nützlich ist, um in Ihrem Feld zur Elite zu gehören, dann sollten Sie diese in Ihren Lernplan aufnehmen.
Bevor wir uns in den nächsten Kapiteln mit einzelnen Kernfähigkeiten beschäftigen, müssen wir einige psychologische Grundlagen schaffen. Denn auch wenn wir wissen, dass gezielte Übung uns voranbringt, so sollten wir zusätzlich einige fundamentale Verhaltensweisen kennen, welche für einen massiven Lernfortschritt notwendig sind. Denn ein Elitestudent lernt nicht nur anders, er denkt auch anders.
Im folgenden Abschnitt besprechen wir daher vier Verhaltensweisen, die einen Elitestudent vom Durchschnitt unterscheiden.
Verhaltensweise: Langfristige Planung
Viele junge Studenten planen nicht länger als drei oder vier Jahre in die Zukunft, weil Sie nur wenig über die Arbeitswelt wissen und die realen Herausforderungen der Welt noch nicht kennen.
Daher starten sie ohne besondere Ziele ins erste Studium, erst zum Ende der Studienzeit werden weitere Pläne gemacht oder der erste Job begonnen. In welchem Bereich und in welcher Branche man später anfängt, ist den meisten Studenten nicht so wichtig. Häufig weiß ein Abiturient auch nur sehr wenig darüber. Lehrer oder Ingenieure haben es da etwas einfacher, weil das Berufsbild allgemein bekannt und relativ eindeutig ist. Betriebswirtschaftler, Soziologen und Germanisten haben es in dieser Hinsicht schwerer, und selbst Naturwissenschaftler können sich vorher kaum vorstellen, wie ihr beruflicher Alltag später aussehen wird. Ein Elitestudent ist sich dessen bewusst und macht es anders.
Stellen Sie sich den kleinen Kai vor: Er ist acht Jahre alt, hat schwarze, kurze Haare und spielt gerne Fußball mit seinen Freunden auf der Straße. An seinem ersten Schultag haben sich seine Eltern einen neuen Fernseher gekauft, den alten darf er sich in sein Kinderzimmer stellen. Das passt seiner Mutter sehr gut, denn dadurch ist er nachmittags und abends beschäftigt und stört sie nicht so häufig. Wenn wir davon ausgehen, dass er nach der Schule nur anderthalb Stunden pro Tag fernsieht, so wird er ohne größere Probleme seine Schulzeit absolvieren können.
Zehn Jahre später steht er kurz vor dem Abitur und kennt alle Folgen von „24“, „Lost“, „Heroes“ und den „Simpsons“ sowie das laufende Abendprogramm. Wie viele Stunden wird er bis zu seinem 18. Geburtstag vor dem Fernseher verbracht haben? Was hat er gelernt?
Kai ist allerdings nicht alleine. Sein Zwillingsbruder heißt Marc, ist ebenfalls fit und aufgeweckt. Er hat sich an seinem ersten Schultag mit Julia angefreundet, die regelmäßig zum Judotraining geht. Daher bittet er seine Eltern nach dem ersten Schultag, ihn auch bei diesem Verein anzumelden. Die Eltern stimmen zu, und Marc lebt ein etwas anderes Leben. Weil er abends Training hat, legt er sich nach der Schule erst einmal aufs Ohr. Sobald er wieder wach wird, macht er seine Hausaufgaben und geht dann zum Sport. Den Abend verbringt er dann mit seiner Familie oder spielt mit seinem Bruder, sofern dieser sich von seinem Fernseher losreißen lässt.
Als Kind kann Marc natürlich nur beim Kindertraining mitmachen. Er trainiert 60 Minuten täglich an drei Tagen in der Woche. Im Alter von zehn hat er schon den grünen Gurt, im Alter von zwölf trainiert er regelmäßig für 90 Minuten mit den Jugendlichen. Im Alter von 14 macht er den blauen Gurt und wechselt zu den Erwachsenen – das Training findet später abends statt und dauert ebenfalls 90 Minuten. Zusätzlich wird er von jetzt an am Samstagstraining teilnehmen. Mit 16 ist er Teilnehmer einer Auswahlmannschaft und geht auf regionale Lehrgänge und Turniere, er bereitet sich auf den roten Gurt vor. Da er ein aufgeweckter und sympathischer Junge ist, bittet der Trainer ihn um Hilfe beim Kindertraining: Ob Marc als Co-Trainer aushelfen könnte? Sein Zeitaufwand für den Sport steigt und gibt ihm Struktur, er ist an sechs Tagen in der Woche in der Sporthalle, trainiert erst die Kinder, danach für sich selbst. Im Alter von 18 hat er einen schwarzen Gurt, zwei Jahre Erfahrung als Trainer und schon die eine oder andere Sportverletzung hinter sich.
Jetzt die Fangfrage: Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Schwester. Mit wem würde Ihre Schwester lieber an der Universität Zeit verbringen, in der Bücherei lernen oder abends unterwegs sein? Mit Kai oder mit Marc?
Bei Umfragen unter meinen Studentinnen beträgt die Marc-Quote 100 Prozent. Ohne die beiden näher zu kennen, finden die Teilnehmerinnen meiner Kurse Marc „spannender“, er ist einfach „interessanter“, „hat mehr zu erzählen“, „wirkt sportlicher“.
Die Wissenschaft gibt meinen Studentinnen Recht. Es gibt genügend Forschungsergebnisse, welche belegen, dass regelmäßiger Fernsehkonsum mit einem schwächeren Selbstbild, weniger Selbstbewusstsein, schwächeren akademischen Leistungen und einer höheren Krankheitsrate korreliert. Zusätzlich haben Kinder mit einem höheren Fernsehkonsum schwächer entwickelte soziale Fähigkeiten und eine geringere Frustrationstoleranz. Woran mag das liegen?
Kai hat bis zu seinem 18. Lebensjahr ungefähr 5.400 Stunden Fernsehen geschaut, größtenteils alleine. Marc war insgesamt mehr als 2.600 Stunden beim Judo. Dort hat er viel gelernt: Er musste mit sich selbst und gegen andere kämpfen, kleine Kinder motivieren und anleiten und komplexe Techniken und Abläufe erlernen. Zusätzlich war er von einer Trainingsgruppe umgeben und musste sich gegenüber dem Trainer, den Eltern und den anderen Kindern sozial beweisen.
Abgesehen davon hat er wahrscheinlich auch tagsüber und abends mehr geschlafen als sein Bruder.
Wenn wir noch einmal an den Anfang der Geschichte zurückgehen, so werden wir feststellen, dass sowohl Kai als auch Marc eher durch äußere Umstände geformt worden sind. Der Fernseher war ein Geschenk, die Klassenkameradin eine Zufallsbegegnung. Dennoch sind beide nach zehn Jahren sehr verschiedene Menschen geworden. Den beiden kann man keinen Vorwurf machen, schließlich waren beide noch jung und wussten nicht, welche Auswirkungen ihre Entscheidunge...