Chemie in Lebensmitteln
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Chemie in Lebensmitteln

Rückstände, Verunreinigungen, Inhalts- und Zusatzstoffe

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Chemie in Lebensmitteln

Rückstände, Verunreinigungen, Inhalts- und Zusatzstoffe

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Über dieses Buch

Fast taglich berichten die Medien Ãber Lebensmittelskandale und "chemisch verseuchte" Nahrung. Ob Rackstände von Pflanzenschutzmitteln in Obst und Gemase, von Tierarzneimitteln in Fleisch, Milch und Eiern, ob Schwermetalle oder Dioxine - mit modernen Analysenverfahren kannen die geringsten Spuren solcher Stoffe sehr zuverlassig nachgewiesen werden. Aber welche gesundheitliche Risiken sind mit dem Vorhandensein dieser Substanzen in der Nahrung verbunden? Die Lebensmittelbranche versichert uns, ihre Produkte seien nicht nur unbedenklich zu genießen, sondern gesundheitlich sicherer als je zuvor. Kritiker des heutigen Lebensmittelangebots warnen dagegen vor schlimmen Folgen. Was stimmt nun, welche Argumente kannen Ãberzeugen?

Ein solch komplexes und heikles Thema wie "Chemie in Lebensmitteln" verlangt nach Beurteilung und Erlauterung durch unabhangige Experten. Als solcher hat sich Johannes Friedrich Diehl, viele Jahre Leiter der Bundesforschungsanstalt far Ernährung, durch zahlreiche Veraffentlichungen und Gutachten sowie durch seine Mitarbeit in Beratergremien einen Namen gemacht. Ohne zu beschanigen und ohne zu dramatisieren berichtet er Ãber die neuesten Erkenntnisse zur gesundheitlichen Qualitat von Lebensmitteln, Ãber aktuelle Entwicklungen bei der Zulassung und Verwendung von Zusatzstoffen, Ãber den erstaunlichen Wandel in den Ansichten Ãber Zusammenhänge zwischen Ernährung und Krebs, Allergien und anderen Krankheiten sowie Ãber die gesundheitsschädlichen und -fardernden Wirkungen natürlicher Lebensmittelinhaltsstoffe.

Das mit fundiertem wissenschaftlichem Hintergrund, jedoch far einen breiten Leserkreis geschriebene Buch kann zugleich als fesselnde Lektare und als Nachschlagewerk Ernahrungsberatern, Ärzten, Apothekern, Ökotrophologen, Agronomen und Chemikern dienen - natarlich auch allen, die sich eine eigene Meinung bilden wollen.

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Information

Verlag
Wiley-VCH
Jahr
2012
ISBN
9783527660841

1

Ein Blick zurück in die „gute alte Zeit“

Im ständigen Kampf gegen den Hunger lernten die Menschen der Urzeit durch Erfahrung, welche Pflanzen oder Pflanzenteile eßbar waren und welche sie meiden mußten, um nicht zu erkranken oder sich den Tod zu holen. Sie erkannten auch, daß zu lang gelagerte Lebensmittel, vor allem von Tieren stammende, sterbenskrank machen können und sie lernten, ihre Überlebenschancen durch Trocknen oder Räuchern der Beute zu verbessern. Als sich die Jäger- und Sammler-Kultur zur bäuerlichen Kultur weiterentwickelte, beruhte die Ernährung der Familie zunächst weiterhin auf Selbstversorgung. Allmählich erfolgte jedoch eine zunehmende Arbeitsteilung. Es entstanden die Tätigkeiten des Müllers, Bäckers, Fleischers und anderer Handwerker, und es entwickelte sich ein Handel mit Lebensmitteln. Dies gab unredlichen Händlern und Handwerkern Gelegenheit, sich einen Vorteil zu verschaffen, indem sie ihre Ware durch wertlose Zusätze streckten. Vorschriften zum Schutz des Verbrauchers vor Täuschung und vor gesundheitsschädlichen Lebensmitteln gab es daher, oft in Form religiöser Anweisungen, schon in den ältesten Kulturen. In einem Ritual gegen verdorbenes Essen und Trinken aus dem im 2. Jahrtausend v.Chr. im östlichen Kleinasien (Kappadokien) gegründeten Hethiterreich heißt es: „Du sollst das Fett Deines Nachbarn nicht vergiften. Du sollst das Fett Deines Nachbarn nicht verzaubern“. Eine im Orientalischen Museum in Istanbul aufbewahrte Keilschrift-Tontafel mit diesen Geboten kann als das älteste erhaltene Lebensmittelgesetz betrachtet werden [1].
Über die verschiedensten Praktiken von Lebensmittelverfälschungen berichtet das Kochbuch des APICIUS, der um die Zeitwende in Rom lebte. Der kampanische Grieß erhielt sein helles Weiß durch Zusatz von Kreide oder Ton. Bei der fabrikmäßigen Herstellung von Linsenmehl wurde Sand zugefügt. Rosenwein wurde ohne Rosen aus Zitronenblättern hergestellt, und um „verdorbenen Honig wieder brauchbar zu machen“, vermischte man zwei Teile guten mit einem Teil verdorbenen Honig [2]. Der Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. in Alexandria und Rom lebende ATHENÄOS erwähnt in seiner Deipnosophistae Klagen über einen durch Harzzusatz konservierten Wein, der zur Hälfte aus Kiefernharz bestanden haben soll [3],
Die Entstehung einer ersten planmäßigen Überwachung der Lebensmittelqualität und eines Lebensmittelstrafrechts hängt mit der Ausbildung des Städtewesens und des Handelsverkehrs im Mittelalter zusammen. Mitglieder bestimmter Zünfte, wie Fleischer, Bäcker, Bierbrauer, Fisch- und Weinhändler, mußten sich einer strengen Marktaufsicht unterwerfen, welche Menge, Preis und Qualität der angebotenen Waren prüfte. Wurden durch die Kornmesser, Brotwieger, Fleischmarktmeister und Weinstecher Verstöße festgestellt, blieben harte Strafen nicht aus. Prangerstehen, Ausschluß aus der Zunft, Turmhaft, Handabschlagen, Hängen oder Verbrennen wurden als Sanktionen gegen das Strecken des Mehls mit Kreide, Schwerspat oder Gips, das Mischen des Wurstinhalts mit minderwertigen Zusätzen, die Verminderung des Brotgewichts, die Bier- und Weinpanscherei und ähnliche Vergehen verhängt. Wegen des hohen Preises der Gewürze war im Gewürzhandel die Versuchung zur Fälschung besonders groß. In den Nürnberger Stadtarchiven wird berichtet, daß 1444 ein Gewürzhändler und 1456 zwei weitere samt einer mitschuldigen Frau zusammen mit den gefälschten Gewürzen verbrannt wurden. Der Nürnberger Rat ließ 1499 einem Safranfälscher beide Augen ausstechen [4]. Trotz der Härte der Strafen wurde immer wieder gegen die bestehenden Vorschriften verstoßen, so daß sich seit dem späten 15. Jahrhundert auch die Landesfürsten, der Kaiser und der Reichstag wiederholt mit diesen Mißständen befassen mußten. Die Peinliche Gerichtsordnung KARLs V. (Carolina) enthielt Bestimmungen zum Schutz der Lebensmittel gegen Verfälschungen; die Kontrolle war den Landesherren und den Städten überlassen.
Die in zahllosen Gerichtsurteilen dokumentierten absichtlichen Verfälschungen ließen sich oft durch den Augenschein oder durch einfache Prüfmethoden beweisen und konnten häufig, wenn zum Beispiel ein Geselle die Manipulationen des Meisters beobachtet hatte, durch Zeugenaussagen belegt werden. Es ist jedoch anzunehmen, daß die Gesundheit der Menschen schon von frühesten Zeiten an auch durch unabsichtlich in Lebensmitteln vorhandene Verunreinigungen gefährdet wurde, die jedoch mit den damals verfügbaren Methoden meist nicht erkannt werden konnten. Hierauf wird in Kapitel 4 zurückzukommen sein. Beispielhaft seien hier bereits die durch Verwendung von Bleigefäßen zur Aufbewahrung von Lebensmitteln und durch Verwendung von Wasserleitungsrohren aus Blei verursachten Bleivergiftungen im Altertum und im Mittelalter erwähnt. Ein weiteres Beispiel sind die Massenvergiftungen durch Verzehr von mutterkornhaltigem Roggen (Kap. 7).
Mit der Zunahme des Kaffee- und Zuckerverbrauchs im 18. und frühen 19. Jahrhundert begann eine neue Periode in der Geschichte der Lebensmittelverfälschungen [5]. Um der einheimischen Wirtschaft Devisen zu ersparen, wurden mit behördlicher Duldung oder gar Förderung die teuren Kolonialprodukte mit einheimischen Ersatzstoffen vermischt oder vollständig durch solche ersetzt. Damit wurden dem Betrug Tür und Tor geöffnet, was seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zu einer regen öffentlichen Diskussion führte. Nachdem der in England lebende Detmolder Apotheker FRIEDRICH MARCUS unter dem Pseudonym FREDRICK ACCUM 1820 in London ein aufsehenerregendes Buch über die Verfälschung der Lebensmittel und über Gift in der Nahrung veröffentlicht hatte [6,7], folgten auch in anderen Ländern zahlreiche Veröffentlichungen mit Anleitungen zur Analyse von Lebensmitteln und Schilderungen der damals üblichen Verfälschungen.
Die Industrialisierung und Urbanisierung brachte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts eine gewaltige Expansion der Lebensmittelmärkte. Zunehmend traten städtische Haushalte, die ihren Lebensmittelbedarf durch Kauf decken mußten, an die Stelle kleiner, sich selbst versorgender ländlicher Familienwirtschaften. Die Stadtbewohner wurden von der damals entstehenden Lebensmittelindustrie (Dampfmahlmühlen, Brotfabriken, Großbrauereien, Molkereien) versorgt, der nun nach dem Bau der Eisenbahnen leistungsfähige Transportwege zur Verfügung standen. Die Möglichkeiten einer unredlichen Lebensmittelmanipulation verstärkten sich, zumal gleichzeitig die Kontrollfunktion der Zünfte zurückgedrängt oder aufgehoben wurde. Besonders krass war das Problem der Milchpanscherei, die damals wohl nicht die Ausnahme, sondern die Regel war (DÖBEREINER, zitiert bei [8]). Milch wurde mit Wasser oder Magermilch verdünnt und zur Wiederherstellung der Konsistenz mit Mehl, Stärke, Hammelfett, Hirn oder Gummilösung versetzt; zur Verzögerung des Sauerwerdens dienten Soda, Natriumbikarbonat, Borsäure und Wasserstoffperoxid [5]. Die schlechte Qualität der Milch war einer der Gründe für die damals sehr hohe Kindersterblichkeit, wobei wahrscheinlich die bakterielle Kontamination eine noch verhängnisvollere Rolle gespielt hat, als die Zusätze. Diese Praktiken wurden in der Fachliteratur jener Zeit heftig angeprangert, aber die Verabschiedung reichseinheitlicher Gesetze und die Etablierung eines wirksamen staatlichen Kontrollsystems kamen nur schrittweise voran. Daß sich auch die für breite Leserschichten bestimmte Presse dieses Themas annahm, zeigt die Karikatur eines Weinfälschers aus den Fliegenden Blättern von 1874 (Abbildung 1.1).
AlS JOSEF KÖNIG 1883 sein Standardwerk über die menschlichen Nahrungs- und Genußmittel veröffentlichte [9], hatte sich schon manches gebessert. Trotzdem war, wie man Meyers Konversationslexikon von 1897 unter dem Stichwort „Nahrungsmittel“entnehmen kann, auch damals die Situation noch keineswegs befriedigend:
Abbildung 1.1: „Ein moderner Weinberg“ (Fliegende Blätter, Jahrgang 1874).
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„Die Nahrungsmittel unterliegen häufigen und argen Verfälschungen. Mehl wird mit Gips (bis 30 %), Schwerspat (bis 20 %) und anderen farblosen, oft gesundheitsschädlichen Pulvern vermischt, verdorbenes Mehl „verbessert“man durch Alaun und Kupfervitriol, Nudeln färbt man mit Pikrinsäure statt mit Eigelb, und in der Konditorei werden Gips, Schwerspat, Kreide und schädliche Farbstoffe angewendet. Zucker wird mit Mehl, Dextrin, indischer Sirup mit Runkelrüben- und Kartoffelsirup verfälscht. Beim Fleisch kommen Unterschiebungen des Fleisches kranker oder gar gefallener Tiere, von Pferdefleisch für Rindfleisch vor, und Wurst wird sehr oft mit Stärkemehl oder Mehl verfälscht, Honig mit Stärkesirup, Butter mit Kunstbutter versetzt. Die Fälschungen von Wein (Unterschiebungen geringerer Sorten und Gemische, Färbungen, Zusatz von Spiritus etc.) sind allgemein bekannt, es wird sehr viel mehr Madeira, Medoc etc. getrunken, als die betreffenden Weingegenden produzieren, und reiner Rum, Kognak oder Arrak ist eine Seltenheit im Handel. Kaffeebohnen und Teeblätter werden gefärbt, letztere auch durch Pulver beschwert oder mit bereits benutzten und wieder getrockneten Teeblättern gemischt, gemahlener Kaffee wird mit Kaffeesatz, Sand, Zichorie, gebranntem Getreide gemischt, Kakao und Schokolade enthalten oft bedeutende Mengen von Stärke, Mehl, Talg, Ocker, Kalk etc. Für die Verfälschung gemahlener Gewürze werden geeignete Fälschungsmittel in besonderen Fabriken dargestellt“.
Die Gründung des Kaiserlichen Gesundheitsamtes in Berlin (1876), der Erlaß des reichseinheitlichen Nahrungsmittelgesetzes vom 14. Mai 1879, die Einrichtung zahlreicher Lebensmitteluntersuchungsämter, die Schaffung von Lehrstühlen für Lebensmittelchemie, der Erlaß einer Prüfungsordnung für Nahrungsmittelchemiker (1894) sind Meilensteine dieser Zeit–auch wenn die getroffenen Maßnahmen erst allmählich greifen konnten. Fachleute, die in der Lage waren, eine wirksame Kontrollfunktion auszuüben, mußten erst herangebildet werden. Das erste Chemische Untersuchungsamt wurde 1876 in Nürnberg gegründet, gefolgt von Hannover 1877 und Hamburg 1878. Ende des Jahrhunderts gab es im Deutschen Reich über 100 solche Ämter. Als erstes ausschließlich der Lebensmittelchemie gewidmetes Fachblatt erschien seit 1886 die Vierteljahresschrift über die Fortschritte auf dem Gebiete der Chemie der Nahrungs- und Genußmittel, der Gebrauchsgegenstände sowie der hierhergehörenden Industriezweige, später in Zeitschrift für Lebensmittel-Untersuchung und -Forschung umbenannt. Eine Blütezeit von Forschung und Lehre auf dem Gebiet der Lebensmittelchemie setzte ein, charakterisiert durch Namen wie A. BEYTHIEN, A. BÖMER, A. JUCKENACK und J. KÖNIG. Unter ihrem Einfluß und ihrer Mitwirkung hatten sich die Verhältnisse auf dem Lebensmittelmarkt zu Beginn des 20. Jahrhunderts grundlegend gebessert. Genauso wichtig wie die Fortschritte in der Lebensmittelchemie waren diejenigen in der Lebensmittelmikrobiologie–aber das soll nicht Gegenstand dieses Buches sein.
Ähnlich wie in Deutschland verlief die Entwicklung in anderen Industriestaaten. In England hatte Accums Buch, allgemein bekannt als Death in the Pot (Der Tod im Kochtopf), die Öffentlichkeit wachgerüttelt. In der Folge gründete THOMAS WAKLEY, Herausgeber der medizinischen Zeitschrift The Lancet, das Lancet Analytical Sanitary Committee. Vorsitzender des Komitees war ARTHUR HILL HASSALL, der als einer der ersten die Verfälschungen der Lebensmittel mit streng wissenschaftlichen Methoden untersuchte. Seine Berichte, in The Lancet veröffentlicht, führten zur Gründung eines Parlamentsausschusses zur Untersuchung von Lebensmittelverfälschungen und 1860 zur Verabschiedung des Food and Drink Act, des ersten modernen Lebensmittelgesetzes der Welt. Neuseeland folgte 1868 mit einem ähnlichen Gesetz, Kanada 1874 mit einem Food and Drug Law. Bis diese Gesetze zu einem wirksamen System der staatlichen Lebensmittelkontrolle führten, dauerte aber auch in diesen Ländern noch lange. Um hierfür nur ein Beispiel zu nennen: In England verursachte arsenhaltiges Bier im Jahre 1900 eine Massenvergiftung, von der etwa 6000 Personen betroffen waren, von denen mindestens 70 starben. Ursache war die Verwendung arsenhaltiger Schwefelsäure zur Stärkehydrolyse und die Nutzung der so gewonnenen Glucose bei der Bierherstellung. Die Schwefelsäure war aus arsenhaltigem Pyrit hergestellt worden.
In den Vereinigten Staaten hatten einige Bundesstaaten, wie Massachusetts mit dem Act Against Selling Unwholesome Provisions von 1785, bereits im 18. Jahrhundert versucht, das Problem der Lebensmittelverfälschungen in den Griff zu bekommen. Es zeigte sich jedoch, daß ein bundeseinheitliches Gesetz und eine Kontrolle durch eine Bundesbehörde erforderlich waren, um wirksam Abhilfe zu schaffen. HARVEY WILEY wurde 1883 zum chief chemist im Landwirtschaftsministerium USDA (United States Department of Agriculture) ernannt. Er ließ eine Reihe von Untersuchungen durchführen und veröffentlichte zwischen 1887 und 1893 mehrere Berichte, die zeigten, daß Verfälschungen bei fast allen Arten von Lebensmitteln üblich waren. Zum Teil handelte es sich um gesundheitlich harmlose Verbrauchertäuschung, zum Teil aber auch um giftige Zusätze. Die Verabschiedung des Pure Food and Drug Act von 1906 war ein Triumph für WILEY, der sich gegen viele Widerstände durchsetzen mußte. Wirksame Unterstützung hatte er noch kurz vor der Beratung des Gesetzentwurfs im Kongreß durch die Veröffentlichung von UPTON SINCLAIRS berühmt gewordenem Roman The Jungle erhalten, der haarsträubende Zustände in Chicagos Schlachthöfen und fleischverarbeitenden Fabriken schilderte.
Das neue Gesetz führte zu deutlichen Verbesserungen, es beschränkte jedoch die Eingriffsmöglichkeiten der Bundesbehörden stark und ließ zu viele Schlupflöcher für die Skrupellosen. Es wurde daher 1938 durch den Food, Drug, and Cosmetic Act ersetzt, der einer 1931 geschaffenen Bundesbehörde, der Food and Drug Administration (FDA), wesentlich erweiterte Kompetenzen verlieh. Die FDA wurde zu einer weltweit anerkannten Institution und hatte in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur in den Vereinigten Staaten erheblichen Einfluß auf die Bemühungen zur Reinhaltung der Lebensmittel.
In den 1930er Jahren stellten die japanischen Forscher YOSHIDA und KINOSHITA, unabhängig voneinander in Rattenfütterungsversuchen fest, daß das Buttergelb (Dimethylaminoazobenzol) bei Verabreichung über einen längeren Zeitraum zu Leberkrebs führte. Dieser Azofarbstoff soll damals in einigen Ländern zum Gelbfärben von Margarine verwendet worden sein. Ob er jemals in Deutschland für diesen Zweck eingesetzt wurde, ist unklar. Jedenfalls wurde die Verwendung von Buttergelb in Lebensmitteln 1938 in Deutschland und 1940 in USA verboten.
Um diese Zeit beobachtete man in England epilepsieartige Zustände bei Hunden, die über längere Zeiträume mit Hundekuchen gefüttert worden waren. EDWARD MELLANBY gelang der Nachweis, daß dies an der Verwendung von mit Stickstofftrichlorid gebleichtem Mehl lag. Das Stickstofftrichlorid reagierte mit der im Mehlprotein vorhandenen Aminosäure Methionin unter Bildung von Methioninsulfoximin, das die neurotoxischen Wirkungen verursachte. Die Mehlbleichung mit Stickstofftrichlorid, in USA, Großbritannien und manchen anderen Ländern jahrelang praktiziert, wurde daraufhin überall untersagt. In Deutschland, wo die Verbraucher nie das schneeweiße Brot verlangt haben, das in USA üblich ist, hat die Mehlbleichung immer eine geringere Rolle gespielt. Die Verwendung von Stickstofftrichlorid und ähnlichen Mitteln wurde in der Bundesrepublik durch die Mehlbleich-Verordnung von 1956 generell verboten.
Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und in den ersten Jahren danach galt das Interesse der Bevölkerung so stark der Beschaffung von Lebensmitteln, daß Sorgen über Zusatzstoffe und Verunreinigungen kaum aufkommen konnten. Das änderte sich in den 1950er Jahren, als das Interesse der Verbraucher sich von der Quantität mehr der Qualität zuwandte. Krankheiten, die man in den Jahren der Unterernährung kaum gekannt hatte, nahmen damals deutlich zu: Altersdiabetes, Gicht, Gallenleiden, Bluthochdruck, Herzinfarkte. Immer dringlicher wurde in der Öffentlichkeit die Frage diskutiert ob nicht die zunehmende Verwendung von Zusatzstoffen für diese Zunahme der Zivilisationskrankheiten verantwortlich sei. Befunde wie die Kanzerogenität des Buttergelbs und die Neurotoxizität gebleichten Mehls wurden dabei häufig zitiert, oft mit dem warnenden Zusatz, das sei ja nur die Spitze des Eisbergs.
Verfolgt man die auch heute weit verbreitete Ansicht von Gift in der Nahrung als Ursache chronischer Krankheiten bis zu dieser Zeit zurück, so stößt man immer wieder auf den Namen des Heidelberger Professors für Pharmakologie FRITZ EICHHOLTZ, der 1956 das Buch Die toxische Gesamtsituation auf dem Gebiet der menschlichen Ernährung – Umrisse einer unbekannten Wissenschaft [10] veröffentlichte. Er brachte darin seine Besorgnis über „die enorme Zunahme der Zusatzstoffverwendung“ zum Ausdruck, sprach (ohne dafür Daten zu nennen) von einer rapiden Zunahme allergischer Überempfindlichkeiten gegen chemische Stoffe in allen modernen Zivilisationen, beschwor (ebenfalls ohne Belege) eine rasche Zunahme der Krebserkrankungen, sprach die Erwartung aus, daß durch Entlarvung kanzerogener Stoffe und durch deren Ausschaltung aus der Nahrung künftig die Zahl der Krebserkrankungen zurückgehen werde, wetterte gegen die „Herrschaft der Chemokraten“, forderte öffentliche Schauprozesse gegen schädliche Stoffe in der Nahrung, um deren „unterirdische Wühlarbeit“ besser bekannt zu machen, rief dazu auf, sich dem „Furor der Technik und den Sirenenklängen der Bagatellisierung“zu widersetzen, das „Abgleiten ins Chaos“zu verhindern. Ein bei Eichholtz immer wiederkehrendes Thema ist die Summation, die „Kumulation der Giftwirkungen“. Der einzelne Stoff möge in geringer Dosierung unschädlich sein–aber die Vielzahl auf den menschlichen Körper einwirkender synthetischer Substanzen könne zu noch unerforschten Kombinationswirkungen führen. Daher seine zentrale Forderung, bei der lebensmittelrechtlichen Regelung der Zusatzstoffanwendung die toxische Gesamtsituation zu berücksichtigen. Diese Warnungen, von einem Experten der Pharmakologie und Toxikologie kommend, fanden ein enormes Echo in der Öffentlichkeit.
Die Thesen von EICHHOLTZ wurden von vielen anderen aufgegriffen. Vor allem die Frauenverbände nahmen sich des Themas Chemie in Lebensmitteln an und verlangten ein neues, schärferes Lebensmittelrecht. In Deutschland war durch das Nahrungsmittelgesetz von 1879 der Zusatz gesundheitsschädlicher Stoffe zur Nahrung grundsätzlich verboten worden. Was als gesundheitsschädlich galt, wurde in Listen (Negativlisten) erfaßt. Alles war erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten war. An diesem Prinzip war auch bei den Novellierungen des Lebensmittelgesetzes von 1927 und 1936 festgehalten worden. Wurde in der Lebensmittelindustrie ein neuer Zusatzstoff eingeführt, der gesundheitliche Bedenken auslöste, so kon...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titlepage
  3. Author
  4. Copyright
  5. Vorwort
  6. 1 Ein Blick zurück in die „gute alte Zeit“
  7. 2 Einige Grundbegriffe
  8. 3 Rückstände
  9. 4 Verunreinigungen (Kontaminanten)
  10. 5 Düngemittel, Nitrat, Nitrit, Nitrosamine
  11. 6 In Lebensmitteln entstehende Reaktionsprodukte
  12. 7 Naturstoffe mit potentiell gesundheitsschädlichen oder gesundheitsfördernden Wirkungen
  13. 8 Lebensmittelzusatzstoffe
  14. 9 Ernährung und Gesundheit
  15. Bibliographie
  16. Index