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Der Weg zur Miniplant-Technik – ein historischer Überblick
Mithilfe der Miniplant-Technik wird versucht, eine technische Anlage mit all ihren verfahrenstechnischen Schritten voll funktionsfähig im kleinstmöglichen Maßstab nachzubilden. Hierzu bieten sich die im chemischen Labor vorhandenen Apparate und die über Jahrhunderte angesammelte experimentelle Erfahrung an. Somit stellen die Miniplant-Technik und die mit ihr aufgebauten Miniplants nichts grundsätzlich Neues dar, sondern basieren auf vorhandenem Wissen. Deshalb ist es interessant, in diesem Einleitungskapitel auf die historische Entwicklung der Labortechnik einzugehen und damit die Wurzeln und den Weg zur Miniplant-Technik aufzuzeigen. Das soll am Beispiel der Destillation und Rektifikation erfolgen [1–2], da sich auf diesem verfahrenstechnischen Gebiet das größte experimentelle Wissen angesammelt hat, wie auch in weiteren Kapiteln gezeigt wird.
Erste konkrete Abbildungen zu Destillationsapparaturen finden sich bereits bei den alexandrinischen Alchemisten im 1. und 2. Jahrhundert nach Christus. So sind in Abb. 1.1 bereits Destillationskolben zu erkennen, die mit Öfen beheizt werden. Die Dämpfe steigen durch ein Rohr aufwärts und kondensieren in einem kugelförmigen Aufsatz, dem Alembik, wobei die Umgebungsluft als Kühlmittel dient. Das Kondensat sammelt sich in einer Rinne und wird durch ein oder mehrere Röhrchen in Fläschchen abgefüllt [3]. Mit diesen Apparaturen wurden wahrscheinlich höher siedende ätherische Öle für die Parfümherstellung destilliert.
In den nächsten Jahrhunderten änderte sich grundsätzlich nur wenig am Aufbau der Destillationsapparatur. Erst um etwa 1200 wurde die Effektivität der Kondensation durch die Einführung von Wasser als Kühlmittel entscheidend gesteigert. Dadurch gelangen auch die Destillation und Kondensation von Ethylalkohol, der bis zum Ende des 19. Jahrhunderts das wichtigste Destillationsprodukt darstellt. Abb. 1.2 zeigt eine Destillationsapparatur vom Ende des 16. Jahrhunderts von Conrad Gesner [4]. Deutlich sind der Herd mit eingebauter Heizblase und die fallende Kühlschlange im mit Wasser befüllten Kühlfass zu erkennen. Außerdem erreicht die Apparatur bereits technische Dimensionen.
Bis zu diesem Zeitpunkt hat die Destillationsapparatur nur Labordimensionen. Größere Anlagen mit Technikums oder technischen Dimensionen tauchen erst im 15. Jahrhundert auf. Eine eigenständige Entwicklung von Laborapparaturen wird jedoch erst möglich, nachdem Johann Kunckel (1630–1702), Leiter des kurfürstlichen Labors in Berlin, durch Einführung des sog. Blasens vor der Lampe mit der Glasmacherpfeife, Glas ausreichender Qualität herstellen konnte und damit Glas zum Hauptwerkstoff im Labor wurde. Schöne Beispiele der Glasbläserkunst des 18. Jahrhunderts zeigen Laborapparaturen aus dem Deutschen Museum in München (Abb. 1.3). Mit beiden Apparaturen sollten Gemische in mehrere Fraktionen zerlegt werden, was aber ohne Einbauten zur Erhöhung der Trennleistung nur unzureichend gelingen dürfte.
Abb. 1.4 zeigt gläserne Laborgeräte des französischen Apothekers Antoine Baumé (1728–1804) aus seinem Werk Chimie expérimentale et raisonnée [5]. Beachtenswert sind die Destilliergeräte mit Tubus und Stopfen, die gläserne Kühlschlange und die sog. Florentinerflaschen zur Trennung zweier flüssiger Phasen, zuerst in Florenz zur Trennung ätherischer Öle von Wasser eingesetzt.
Zur selben Zeit wurde bereits die Gegenstromkühlung im Labor eingeführt, wie Abb. 1.5 aus der Dissertation Observationes chemicae et mineralogicae [6] von Christian Ehrenfried von Weigel (1748–1831) zeigt. Der Gegenstromkühler, der sog. Liebig-Kühler, bestand aus zwei ineinander gesteckten Rohren, von denen das Innere als Glasrohr und das Äußere als Weißblechrohr ausgeführt wurden. Auch die Haltevorrichtungen für den Kühler wurden von Weigel entwickelt und sind Vorläufer unserer heutigen Stativklammern.
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts unterschieden sich die Destillationsapparaturen im Labor und in der Technik nur in den Dimensionen. Erst mit der stürmischen Entwicklung der organischen Chemie ab 1850 entstanden eigenständige Destilliergeräte, die völlig auf die Belange der Experimentalchemie zugeschnitten waren. Deshalb sind die Laborapparaturen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts häufig mit den Namen bedeutender Chemiker verbunden.
Zunächst versuchte man durch sog. Destillationsaufsätze die Trennleistung der Destillationskolonnen zu verbessern. Den ersten Schritt stellen die Kugelaufsätze (Abb. 1.6) nach Charles Adolphe Wurtz (1817–1884) von 1854 dar, Professor an der Sorbonne in Paris und Entdecker der nach ihm benannten Wurtz-Synthese zur Herstellung langkettiger Alkane aus den entsprechenden Alkylhalogenen. Aus den Kugelaufsätzen entwickelte sich im 20. Jahrhundert die Vigreux-Kolonne (Abb. 1.7), hier bereits mit einem mit Luft gefülltem Mantel zur besseren Isolierung.
Die Siebbodenaufsätze in Abb. 1.8 von Linnemann von 1871 und von Glinsky von 1875 sind Vorstufen der Laborsiebbodenkolonne.
1881 wurde von Walter Hempel (1851–1916), Professor an der TH Dresden mit der Gasanalyse als Spezialgebiet, die Füllkörperkolonne mit Glaskugeln im Labor eingeführt. Abb. 1.9 zeigt den Gesamtaufbau einer Vakuumdestillieranlage von 1910 nach einer Abb. von Carl von Rechenberg aus seinem Standardwerk Einfache und fraktionierte Destillation in Theorie und Praxis [7] mit Hempel-Kolonne und Vakuumschleuse. Dieses wichtige Bauteil von Vakuumanlagen wurde um 1900 von Gabriel Emile Bertrand (1867–1962) erstmals eingesetzt, Professor am Pasteur-Institut in Paris und Verfasser wichtiger Arbeiten über Koffein und koffeinfreien Kaffee. Bei der abgebildeten Laboranlage erfolgt die Beheizung der Kolonne mit einem Bunsenbrenner. Die Dämpfe werden zweistufig kondensiert. Das im unisolierten Bereich oberhalb der Kolonne anfallende Kondensat fließt als Rücklauf im Gegenstrom zu den aufsteigenden Dämpfen direkt zur Kolonne zurück. Die verbleibenden Dämpfe werden in einem fallenden Schlangenrohrkühler vollständig kondensiert und fließen dann über die Vakuumschleuse in das Abnahmegefäß. Mit dieser Apparatur kann natürlich die Rücklaufmenge nicht mengenmäßig erfasst werden.
Die meisten der bisher aufgeführten Kolonnen und Kolonnenaufsätze folgen dem Prinzip der Füllkörperkolonne; durch Einbauten wird eine möglichst große Oberfläche geschaffen, an der Dampf und Flüssigkeit aneinander vorbeiströmen. Dagegen perlt bei den Bodenkolonnen der Dampf auf den Böden durch aufgestaute Flüssigkeitsschichten, und zwischen den Böden werden beide Phasen getrennt geführt. Dabei wurde die Flüssigkeit zunächst meist außerhalb, heute innerhalb des Kolonnenmantels zum nächst tiefer liegenden Boden geführt.
Beispiele für frühe Siebbodenkolonnen sind die Kolonnen von Oldershaw von 1941 mit innen liegender Flüssigkeitsführung (Abb. 1.10) und von Karl Sigwart (1906–1990) von 1950 mit außen liegender Flüssigkeitsführung (Abb. 1.11). Bei der Kolonne von Oldershaw wird durch die...