Fälscher, Schwindler, Scharlatane
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Fälscher, Schwindler, Scharlatane

Betrug in Forschung und Wissenschaft

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Betrug in Forschung und Wissenschaft

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Jetzt als Sonderausgabe! Kennen Sie den Mogelfaktor? Gibt es diesen etwa auch in der hehren Forschung? Ja, und er perfektionierte beispielsweise die Ergebnisse vom ehrenwehrten Sir Isaac Newton. Er kreierte auch Laborbuchnotizen für den Kardiologen Darsee und transferierte auf magische Weise Bakterienstämme von einem Universitätslabor in das Labor der Firma Genentech. Selbst fiktive Mitarbeiterinnen erschuf der Mogelfaktor, die für den Zwillingsforscher Cyril Burt ebenso fiktive Zwillingsstudien durchführten; und diese beeinflussten noch jahrelang die Intelligenzforschung auf der ganzen Welt! Heinrich Zankl hat alte und neue Skandale in den Geistes- und Naturwissenschaften überzeugend recherchiert und zu einem Geflecht aus wertvoller Information und guter Unterhaltung verwoben. Dieses Buch erzählt viele Geschichten, beispielsweise die eines Nobelpreises, der an die Falschen verliehen wurde, von der Unterdrückung von Kritikern und sogar von einem Wissenschaftsbetrüger, der vom Bundesverfassungsgericht geschützt wird. Manche Aspekte sind dabei so grotest, dass sich kein Leser das Schmunzeln verkneifen kann. Ein Lesevergnügen, nicht nur für Wissenschaftler.

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Information

Verlag
Wiley-VCH
Jahr
2012
ISBN
9783527641390

1.

Physik und Mathematik

Aus den Bereichen der Physik und Mathematik sind die wohl ältesten wissenschaftlichen Mogeleien und Fälschungen bekannt. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass sich die frühe naturwissenschaftliche Forschung vor allem auf diese Gebiete konzentrierte. Sicherlich herrschte in früheren Zeiten ein ganz anderes Wissenschaftsverständnis als heute. In der modernen Forschung gibt es beispielsweise allgemein anerkannte Zitierungsregeln, durch die sichergestellt werden soll, dass die Leistungen anderer Wissenschaftler ausreichend gewürdigt werden. Vor Jahrhunderten wurde es dagegen zum Teil als selbstverständlich angesehen, dass man alle verfügbaren Quellen für die eigene Arbeit nutzte ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen.
Deshalb hatte der um 140 n. Chr. lebende ägyptische Astronom Ptolemäus vermutlich auch keinerlei Gewissensbisse, als er für seinen berühmten Sternenkatalog auf die astronomischen Beobachtungen des Griechen Hipparchos zurückgriff, ohne dessen Namen zu nennen. Heute würden wir ein solches Verfahren als Plagiat bezeichnen.
Auch das Vorgehen des großen Galileo Galilei (1564–1642) erscheint in unseren Tagen durchaus tadelnswert. Er hat nämlich offenbar einige Versuche ausführlich beschrieben, ohne sie jedoch selbst auch durchzuführen. Wahrscheinlich entwickelte er zunächst zu einem bestimmten Thema theoretische Vorstellungen und dachte sich anschließend dazu passende Experimente aus, deren Durchführung er dann gerne anderen überließ. Dieser heute eher ungewöhnliche Weg war damals eventuell auch notwendig, weil er viele seiner grundlegenden Erkenntnisse aus den Bereichen der Mechanik und Dynamik vermutlich anhand tatsächlich durchgeführter Versuche gar nicht hätte gewinnen können. Die damaligen Versuchsbedingungen waren nämlich zum Teil so ungenau, dass die Ergebnisse sehr unterschiedlich ausfallen mussten. Aus solchen stark streuenden Werten eine Gesetzmäßigkeit abzuleiten, wäre vermutlich nahezu unmöglich gewesen.
Der geniale Isaac Newton (1643–1727) hatte ebenfalls oft mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass die experimentell gewonnenen Ergebnisse nicht so recht zu seinen Theorien passten. Er löste dieses Problem, indem er die Messwerte mit mehr oder minder willkürlich festgelegten Korrekturfaktoren solange bearbeitete bis sie mit seinen Erwartungswerten leidlich übereinstimmten. Aufgrund seiner Genialität gelang es ihm dabei erstaunlich oft, die zugrunde liegenden Naturgesetze zu erfassen.
Ein Problem ganz anderer Art wurde dem französischen Physiker Rene Blondlot Anfang des 20. Jahrhunderts zum Verhängnis: Er ließ sich von der Strahlenhysterie anstecken, die nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen ausbrach. Durch die Anwendung einer ungeeigneten Methode meinte er eine neue Art von Strahlen nachweisen zu können, die es in Wirklichkeit aber gar nicht gab. Blondlot erlag dabei vermutlich einer sehr weitgehenden Selbsttäuschung, die von einem amerikanischen Physiker aufgedeckt wurde, der auch Amateurzauberer war.
Dass man trotz der Manipulation von experimentellen Daten den Nobelpreis in Physik gewinnen kann, hat Robert A. Millikan bewiesen. Er bestimmte 1913 die elektrische Elementarladung kleinster Partikel durch Experimente mit Öltröpfchen, unterschlug dabei aber einige ihm unpassend erscheinende Messergebnisse. Sogar der große Albert Einstein nahm es manchmal mit den Messergebnissen nicht so genau. Bei der 1915 erfolgten Bestimmung des nach ihm und einem holländischen Physiker benannten »Einstein de Haas-Effekts« wurden auch Messergebnisse manipuliert. Dadurch ergab sich ein zu niedriger Wert, der erst später von anderen Physikern korrigiert wurde.
Einen besonders dreisten Betrug beging 1926 der Physiker Emil Rupp. Um die Wellennatur des Lichts zu beweisen, fälschte er ganze Versuchsserien. Als man ihm seine Betrügereien nachwies, entschuldigte er sich mit einer psychischen Erkrankung.
Auch bei der Entdeckung der Antiprotonen ging nicht alles mit rechten Dingen zu. Der Nobelpreisträger Emilio Segre musste sich 1972 sogar vor Gericht verantworten, weil er von seinem Kollegen Oreste Piccioni des Plagiats bezichtigt wurde. Segré wurde zwar wegen Verjährung nicht verurteilt, aber der Richter stellte fest, dass er Piccioni schweren Schaden zugefügt hatte.
Übergroßer Ehrgeiz und Konkurrenz-Angst verführten vermutlich die Chemiker Martin Fleischmann und Stanley Pons 1989 zu der voreiligen Behauptung, ihnen wäre die »kalte« Kernfusion gelungen. Trotz ihres kläglichen Scheiterns wird aber auch heute immer noch versucht, diese Art der Fusion zu realisieren.
Einer der jüngsten Betrugsfälle spielte sich im Bereich der Nuklearchemie ab. Der bulgarische Forscher Victor Ninov veröffentlichte 1999 mit zahlreichen Koautoren die erfolgreiche Darstellung von zwei neuen Transuranen. Die Arbeit musste aber zurückgezogen werden, weil sich herausstellte, dass Ninov etliche Messwerte erfunden hatte.
Im Jahr 2002 erschütterte ein neuer, recht spektakulärer Wissenschaftsbetrug die Forschung im Bereich der Mikroelektronik und Nanotechnologie. Dem jungen deutschen Physiker Jan Hendrik Schön wurde nachgewiesen, dass er in 16 Veröffentlichungen die Ergebnisse frisiert oder völlig gefälscht hatte. Der Fall erregte großes Aufsehen, weil Schön seine Betrügereien in den hoch angesehenen Bell Laboratorien begangen hatte und er selbst kurz vor der Ernennung zum Direktor am Max-Planck-Institut für Festkörperphysik stand.

Ein historisches Plagiat

Der ptolemäische Sternenkatalog

Claudius Ptolemäus lebte im zweiten Jahrhundert nach Christus in Alexandria. Er war wohl der berühmteste Geograph, Mathematiker und Astronom des Altertums. In den Jahren 142-146 n. Chr. verfasste Ptolemäus sein bedeutendstes Werk, das den Titel »Syntaxis Mathematica« trägt und dreizehn Bücher umfasst. Die Benennung des Gesamtwerks änderte sich im Lauf der Zeit mehrfach. Zunächst wurde die Bezeichnung »Megale (Große) Syntaxis« eingeführt, um es so von einer kleineren Sammlung astronomischer Arbeiten abzugrenzen. In späteren Jahren wurde das Wort »megale« (groß) durch die Steigerungsform »megiste« (größte) ersetzt. Man wollte damit deutlich machen, dass das Werk von überragender Bedeutung ist. Die Araber setzten noch »al« davor, sodass die Bezeichnung »almagesti« entstand. Das bedeutet soviel wie »größtes Werk aller Zeiten«. In der lateinischen Rückübersetzung entstand dann der Name »Almagestum«, der heute weitgehend in der Abkürzung »Almagest« gebräuchlich ist.
Das siebente Buch des Almagestum enthält einen sehr umfangreichen Katalog von Fixsternen. Ptolemäus entwickelte aufgrund dieses Katalogs das sog. »geozentrische Weltsystem«, das davon ausging, dass die Erde still steht und die Planeten sich in mehr oder minder kreisförmigen Bahnen um die Erde bewegen. Das ptolemäische Weltbild behielt fast 1500 Jahre seine Bedeutung. Erst durch Kopernikus wurde der Glaube an dieses Weltensystem erschüttert, indem er 1543 nachwies, dass die Sonne der Mittelpunkt des Planetensystems ist und damit das heliozentrische Weltbild schuf. Trotzdem blieb der Ruf des Ptolemäus als größter Astronom des Altertums bis heute erhalten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fiel den amerikanischen Astronomen C. H. Peters und E. B. Knobel jedoch auf, dass so manches im ptolemäischen Katalog nicht stimmte. Rückrechnungen aufgrund der heutigen Position einiger Fixsterne ergaben, dass viele Angaben von Ptolemäus eindeutig falsch waren. Die Abweichungen waren zum Teil so hoch, dass sie nicht mit seinen damals noch recht beschränkten Beobachtungsmöglichkeiten zu erklären waren. Bei der Suche nach den Ursachen für diese auffälligen Fehler machten die beiden amerikanischen Forscher eine peinliche Entdeckung: Der große Ptolemäus hatte offensichtlich für seinen Sternenkatalog die Berechnungen des Hipparchos von Nicaea verwendet, ohne den eigentlichen Urheber zu benennen. Der griechische Gelehrte Hipparchos, der oft auch abgekürzt Hipparch genannt wird, lebte um 150 v. Chr. und gilt heute als Begründer der wissenschaftlichen Astronomie. Peters und Knobel fassten ihre Ergebnisse 1915 in einem Aufsehen erregenden Buch zusammen, das den Titel trug »Der Sternenkatalog des Ptolemäus. eine Revision des Almagest«. Darin vertraten sie die Ansicht, dass Ptolemäus den gesamten Sternenkatalog des Hipparchos abgeschrieben und lediglich rechnerisch auf den neuesten Stand gebracht hatte. Eigene Beobachtungen waren demnach von Ptolemäus gar nicht durchgeführt worden.
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Abb. 2 Claudius Ptolemäus
Während Peters und Knobel in dieser Hinsicht nur Vermutungen anstellten, gelang es dem Astronomen Dennis Rawlins, das Plagiat sogar zu beweisen. Er zog dafür folgende Fakten heran: Ptolemäus war Ägypter und hielt sich fast ausschließlich in Alexandria auf. Der Grieche Hipparchos machte jedoch die meisten seiner astronomischen Beobachtungen auf Rhodos. Alexandria liegt fünf Breitengrade südlich von der Insel Rhodos. Dort ist deshalb ein etwas anderer Himmelbereich zu sehen als von Alexandria aus. Dementsprechend kann man an den beiden Orten zum Teil auch andere Sterne beobachten. Rawlins stellte aber fest, dass unter den 1025 Sternen, die im ptolemäischen Katalog aufgeführt sind, sich keiner befindet, der nur von Alexandria aus zu sehen war. Obwohl Ptolemäus praktisch immer in Alexandria arbeitete, hatte er dort nur Daten von Sternen erhoben, die auch von Rhodos aus zu beobachten waren. Diese Tatsache lässt den Schluss zu, dass Ptolemäus sich gar nicht erst die Mühe machte, eigene astronomische Daten zu erheben, sondern die Ergebnisse des Hipparchos einfach übernommen und nur etwas umgerechnet hat. Auch die Beispiele im Almagest für die Lösung von Aufgaben in der sphärischen Astronomie beziehen sich alle auf den Breitengrad von Rhodos.
Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kam auch der amerikanische Physiker Robert Newton, der 1977 ein Buch schrieb, dessen etwas provozierenden Titel man ins Deutsche ungefähr mit: »Die Übeltat des Claudius Ptolemäus« übersetzen kann. Darin zeigt er anhand von vielen Fällen auf, dass Ptolemäus so gut wie keine astronomischen Beobachtungen durchgeführt hat, sondern fast alle niedergeschriebenen Daten nur anhand einer Theorie abgeleitet wurden.
Am deutlichsten wird diese Mogelei an einem Beispiel: Ptolemäus schrieb, dass er die Tag- und Nachtgleiche (Äquinoktium) im Herbst des Jahres 132 n. Chr. am 25. September um zwei Uhr morgens »mit größter Sorgfalt gemessen« habe. Mit dieser Angabe wollte er unter anderem beweisen, dass bereits Hipparchos die Dauer eines Jahres sehr genau bestimmt hatte. Newton rechnete anhand moderner Tabellen das Datum zurück und stellte fest, dass im Jahr 132 n. Chr. das Äquinoktium bereits am Morgen des 24. September um 9 Uhr eingetreten sein musste. Ptolemäus Angaben waren also um etwa 17 Stunden falsch. Bei der Suche nach der Ursache für diese deutliche Abweichung stellte Newton fest, dass Ptolemäus die Zeitangabe von dem Datum abgeleitet hatte, das 278 Jahre vorher von Hipparchos erhoben worden war. Ptolemäus hatte lediglich eine rechnerische Korrektur für die inzwischen vergangenen Jahre vorgenommen. Er hatte also seine Hypothese durch Anwendung seiner eigenen Theorie bestätigt. Hätte er sich der Mühe unterzogen, das Äquinoktium wirklich selbst zu bestimmen, wäre ihm aufgefallen, dass die zeitliche Jahresbestimmung des Hipparchos doch nicht so perfekt war wie er angenommen hatte. Auch ein deutscher Autor namens G. Grasshoff hat sich mit diesem Thema beschäftigt und 1984 das Buch »Geschichte des Ptolemäischen Sternenkatalogs« veröffentlicht, in dem er über viele Ungereimtheiten in diesem berühmten Katalog berichtete.
Nach diesen harten Vorwürfen gegen den Altmeister der Astronomie meldeten sich auch einige Verteidiger. Vor allem der Astronomiehistoriker Owen Gingerich gab zu Bedenken, dass man an Forschungsberichte des Altertums nicht die gleichen Maßstäbe anlegen dürfe, wie an moderne wissenschaftliche Arbeiten. Gingerich räumt zwar auch ein, dass der Almagest »einige recht verdächtige Zahlen« enthält. Aber er vertritt trotzdem die Auffassung, dass Ptolemäus durchaus selbst Beobachtungen gemacht hat, dann aber nur die Ergebnisse zur Niederschrift brachte, die zu seinen Theorien passten. Eine Täuschungsabsicht kann man ihm deswegen nach Meinung von Gingerich nicht unterstellen. Trotz allen Wohlwollens muss man aber doch festhalten, dass Ptolemäus etwas zu großzügig mit dem Gedankengut anderer umgegangen ist. Zumindest aus heutiger Sicht erscheint der Vorwurf des Plagiats zu Lasten Hipparchos’ durchaus gerechtfertigt.
Das ändert aber nichts daran, dass Ptolemäus trotzdem einer der größten Gelehrten seiner Zeit war. Neben seinen umfangreichen astronomischen Werken schrieb er ein achtbändiges Werk (»Geographia«), das unter anderem die astronomische Lagebestimmung von 8000 Orten der antiken Welt enthält. Außerdem verfasste er bedeutende Schriften zur Erkenntnistheorie (»Kriterion«), zu den mathematischen Musiktheorien (»Harmonik«) und zu optischen Fragestellungen (»Optik«).

Die fallende Kanonenkugel

Das galileische Relativitätsprinzip

Galileo Galilei (1564–1642) war zweifellos ein Genie. Bereits mit 18 Jahren entdeckte er im Dom von Pisa das Schwingungsgesetz des Pendels. Als 21-Jähriger erfand er die Wasserwaage und 4 Jahre später war er schon Professor für Mathematik an der Universität Pisa. Zunächst galt allerdings sein Interesse mehr der Medizin, dann stieß er aber auf die Bücher des griechischen Mathematikers Euklid und war davon so fasziniert, dass er das Medizinstudium abbrach und sich der Mathematik und Physik widmete. Galilei gilt als Begründer der experimentellen Naturwissenschaften, weil er die Durchführung systematischer Experimente als Weg zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn beschrieb. Damit legte er wichtige Grundlagen in der klassischen Mechanik, aber auch in der Kinematik (Bewegungslehre, die die bewegenden Kräfte außer Betracht lässt) und Dynamik (Bewegungslehre unter dem Einfluss äußerer und innerer Kräfte).
Trotz der ungeheuren Leistungen, die Galilei zweifellos im Rahmen seiner wissenschaftlichen Studien erbrachte, hat er sich doch auch einige Ausrutscher geleistet, die man heute zweifellos unter der Rubrik wissenschaftliche Unkorrektheit oder sogar Betrug einordnen würde. Insbesondere bei der Durchführung seiner Experimente hat er nicht immer die notwendige Sorgfalt walten lassen und die Ergebnisse recht oft seinen theoretischen Vorstellungen »angepasst«. Eines seiner bekanntesten Experimente ist das mit einer Kanonenkugel, die er auf einem fahrenden Schiff von der Mastspitze fallen lassen wollte, um zu zeigen, dass sie auch unter diesen Bedingungen senkrecht herunterfällt. Damit glaubte er sein Relativitätsprinzip beweisen zu können, demzufolge es im Inneren eines sich gleichmäßig bewegenden Systems nicht möglich ist, festzustellen, ob man sich bewegt oder still steht. Diese Frage wurde damals heiß diskutiert. Die Gegner der kopernikanischen Theorie über die Erdrotation meinten nämlich, diese Hypothese dadurch ad absurdum führen zu können, dass sie behaupteten, die Rotation müsste doch auf der Erde einen dauerhaften starken Ostwind auslösen. In westlicher Richtung abgefeuerte Kanonenkugeln müssten deshalb weitere Distanzen zurücklegen als die nach Osten fliegenden. Und nicht zuletzt müssten auch Steine, die man von einem Turm fallen lässt, durch die Erdbewegung an einem etwas nach Westen verschobenen Punkt landen. Da das alles bekanntlich nicht zutrifft, schien den Kopernikus-Gegnern die Sache klar: Die Erde dreht sich nicht. Angesichts der Bedeutung dieser Frage schien die Durchführung des Experiments auf dem fahrenden Schiff sehr wichtig. Man sollte deshalb erwarten, dass Galilei es auch durchgeführt hat, zumal es ja auch ziemlich einfach zu realisieren war. Soweit heute bekannt ist, hat Galilei sich dieser kleinen Mühe aber nicht unterzogen. Vielmehr ließ er in dem von ihm verfassten »Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme« den Salvati (alias Galilei) sagen: »Es ist nutzlos, das Experiment zu machen, wenn ich es euch sage, dürft ihr mir glauben.« Erst sieben Jahre später teilte ein gewisser Baliani in einem Schreiben an Galilei mit, dass er das Experiment mit Gewehrkugeln durchgeführt habe und dass diese jedesmal wie vorhergesagt, am Fuß des Mastes gelandet seien.
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Abb. 3 Galileo Galilei
Während Galilei bei dem Schiffsexperiment gar nicht verheimlichte, dass er es nicht durchgeführt, sondern nur erdacht hatte, blieb die Berichterstattung über andere Experimente weitgehend unklar.
Besonders berühmt ist das Experiment, bei dem Galilei Fallversuche von dem schiefen Turm zu Pisa durchgeführt haben soll, um zu beweisen, dass die Fallgeschwindigkeit eines Gegenstandes unabhängig von seinem Gewicht ist. Damit wollte er die damals noch vorherrschende Meinung von Aristoteles widerlegen, wonach die Geschwindigkeit des Falles sich proportional zum Gewicht des Objektes verhält. Ein Schüler Galileis berichtete über das Experiment mit folgenden Worten: »Im Beisein der anderen Dozenten und Philosophen und der gesamten Schülerschaft stieg er zu diesem Zweck auf den Turm zu Pisa und zeigte mit wiederholten Experimenten, dass bewegliche stofflich gleiche Gegenstände unterschiedlichen Gewichtes ... sich mit gleicher Geschwindigkeit bewegen.« Über den genauen Ablauf dieser Fallversuche gibt es allerdings verschiedene Angaben: Einmal ist von zwei zusammengebundenen Gewichten die Rede, die genauso schnell die Erde erreicht haben sollen wie ein Einzelgewicht. Ein anderer Autor schreibt, dass zwei Metallkugeln verwendet wurden, von denen die eine 100mal schwerer war als die andere. Es ist aber auch von einer Holz- und einer Eisenkugel die Rede. In jedem Fall sollen die Objekte aber immer zur gleichen Zeit auf der Erde angekommen sein. Inzwischen sind sich die Wissenschaftler aber weitgehend einig, dass Galilei keines dieser Experimente wirklich durchgeführt hat. Dabei hätte ihm nämlich auffallen müssen, dass die Objekte nicht wie angenommen gleichzeitig den Boden erreichen. Das stellten jedenfalls die beiden Forscher C. G. Adler und B. Coulter fest, als sie 1978 das Experiment wiederholten. Sie verwendeten Holz- und Eisenkugeln gleicher Größe und stellten fest, dass die Eisenkugel etwas schneller fiel als die Holzkugel. Der Geschwindigkeitsunterschied war zwar nicht so groß wie die Gewichtsdifferenz, sodass die Proportionaltheorie des Aristoteles nicht zutraf, aber die von Galilei behauptete Gleichzeitigkeit war auc...

Inhaltsverzeichnis

  1. titelseite
  2. Weitere Sonderausgaben der Erlebnis Wissenschaft“
  3. Titel
  4. Impressum
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. Einleitung: Wie entsteht Betrug in der Wissenschaft?
  7. 1. - Physik und Mathematik
  8. 2. - Chemie und Biologie
  9. 3. - Medizin
  10. 4. - Psychologie und Pädagogik
  11. 5 - Archäologie, Anthropologie und Ethnologie
  12. Literaturverzeichnis
  13. Abbildungsnachweis
  14. Namensverzeichnis
  15. Stichwortverzeichnis