Vorwort zur 1. Auflage
Auf die Vorspannung von Stahlbetonkonstruktionen kann heutzutage nicht verzichtet werden. Weit gespannte Brücken, extrem schlanke Spannbandkonstruktionen, große Schalentragwerke oder wasserdichte Behälter, um nur einige Beispiele zu nennen, wären ohne eine Vorspannung in Beton nicht ausführbar. Die Vorspannung wird neben dem Brückenbau zunehmend im Hoch- und Industriebau eingesetzt.
Bei der Bemessung und Konstruktion von Spannbetontragwerken hat sich gerade in den letzten Jahren einiges verändert. So wurden mit der DIN 1045-1:2001 einheitliche Bemessungsverfahren für Stahl- und Spannbetonkonstruktionen eingeführt. Konsequenterweise ist auch der Vorspanngrad nicht mehr vorgeschrieben. Der Konstrukteur kann zwischen voller Vorspannung einerseits und Stahlbeton andererseits die geeignetste Variante wählen. Die externe und die verbundlose Vorspannung hat in manchen Bereichen die klassische Verbundvorspannung verdrängt. Wurden bis ins Jahr 1999 alle Brücken in Deutschland ausschließlich mit Vorspannung im Verbund ausgeführt, so ist seit 4 Jahren die externe Vorspannung gegebenenfalls mit geraden Verbundspanngliedern (Mischbauweise) vorgeschrieben.
Diese Entwicklungen haben mich veranlasst, den Spannbeton insgesamt in diesem Werk zusammenzufassen. Auch wenn mit DIN 1045-1:2001 einheitliche Regeln eingeführt wurden, so erfordert die Bemessung und Konstruktion von Spannbetontragwerken nach wie vor eingehende Spezialkenntnisse.
Hamburg-Harburg, Oktober 2002
Univ.-Prof. Dr.-Ing. G. Rombach
Formelzeichen
Es werden die Bezeichnungen nach DIN 1045-1:2008 verwendet. Diese können zusammen mit den sonstigen in diesem Buch verwendeten Abkürzungen der folgenden Zusammenstellung entnommen werden.
Bezeichnungen
Formelzeiehen
SI-Einheiten nach ISO 1000
m; mm
|
Längen
|
cm2; mm2
|
Querschnittsflächen
|
kN; kN/m; kN/m2
|
Kräfte und Einwirkungen
|
kN/m3
|
Wichte
|
N/mm2 (= MN/m2 oder MPa)
|
Spannungen und Festigkeiten
|
kNm
|
Momente
|
Bei der Nachrechnung von bestehenden Konstruktionen wird oftmals eine Zuordnung der alten und neuen Betonfestigkeitsklassen benötigt. Zwischen der Prüfung der Betonfestigkeiten nach DIN 1045:1988 bzw. DIN 1084 und DIN 1045-2:2008 bestehen zahlreiche Unterschiede, z. B. bei der Probeabmessung, der Lagerung sowie der statistischen Auswertung. Anhaltswerte liefert die nachfolgende Tabelle, wobei hier noch die unterschiedlichen Prüf- und Lagerungsbedingungen zu berücksichtigen sind. Die folgenden Näherungsbeziehungen sind [117] entnommen.
Umrechung der Würfelgröße (200 mm bzw. 150 mm Kantenlänge):
Umrechnung Würfel 200 mm – Zylinder 150/300 mm:
Umrechnung der Lagerungsbedingungen:
Zuordnung der Festigkeitsklassen nach DIN 1045:1988-07 (B) und DIN 1045-1:2001-07 (C) [213]
1
Allgemeines
1.1 Grundgedanke der Vorspannung
Bei vorgespannten Konstruktionen handelt es sich um Stahlbetontragwerke, welche zusätzlich zu ihrem Eigengewicht und den äußeren Einwirkungen durch eine ständig wirkende Spannkraft gedrückt werden. Weiterhin erzeugen umgelenkte Spannglieder Biegemomente und Querkräfte, die im Allgemeinen den äußeren Einwirkungen entgegenwirken.
Welchen Sinn hat es, ein Tragwerk zusätzlich zu seinem Eigengewicht und den äußeren Einwirkungen noch durch die Vorspannung zu belasten? Man ist doch im Allgemeinen bestrebt, die Einwirkungen auf ein Bauteil zu minimieren und damit seine Beanspruchungen und die statisch erforderliche Bewehrungsmenge so gering wie möglich zu halten. An einem einfachen Beispiel, einem einfeldrigen Plattenbalken, soll der Grundgedanke der Vorspannung erläutert werden. Das System, die Einwirkungen (nur ständige Lasten und Vorspannung) sowie die hieraus resultierenden Schnittgrößen sind in Bild 1.1 dargestellt.
Eine Biegebemessung des 25 m weit gespannten Stahlbetonträgers im Grenzzustand der Tragfähigkeit ergibt in Feldmitte eine statisch erforderliche Bewehrungsmenge von As ≈ 30 cm2, was 6 Stäben mit ds = 25 mm entspricht. Zur Rissbreitenbegrenzung bzw. zur Reduzierung der Stahlspannung im Gebrauchszustand muss die Anzahl der Stäbe um 25 % auf 8 erhöht werden. Diese Bewehrungsmenge ist bei Beachtung der erforderlichen Betondeckung, der minimalen Stababstände sowie der notwendigen Rüttelgassen in dem 20 cm breiten Steg kaum einbaubar. Weiterhin treten bei dem schlanken Stahlbetonbalken sehr große Verformungen auf, da sich der Träger bereits im Gebrauchszustand fast auf seiner gesamten Länge im Zustand II befindet. Durch eine Überhöhung lassen sich die Durchbiegungen infolge der ständigen Lasten ausgleichen. Dies gilt jedoch nicht für Verformungen aus den veränderlichen Einwirkungen und, aufgrund der großen Ungenauigkeiten, nur begrenzt für Kriecheffekte.
Die hohen Bewehrungsmengen sowie die großen Verformungen lassen sich vermeiden, wenn man links und rechts der Stege ein Zugglied führt, das in einem Abstand von l/4 von beiden Auflagern umgelenkt wird. Spannt man dieses mit jeweils P = 0,7 MN gegen den Plattenbalken vor, so ergeben sich durch einfache Zerlegung der Spannkraft in den Anker- und Umlenkpunkten die in Bild 1.1 (Mitte) dargestellten Einwirkungen und Schnittgrößen, welche den ständigen Lasten entgegenwirken. Es sei darauf hingewiesen, dass das externe Zugglied nur an den Auflagern und den Umlenkstellen mit dem Träger verbunden ist.
Bild 1.1 (rechts) zeigt die resultierenden Schnittgrößen. Die Vorspannung halbiert das maximale Biegemoment in Feldmitte aus den ständigen Lasten. Zusätzlich reduziert die einwirkende Druckkraft von N = P = −1,4 MN die statisch erforderliche Bewehrungsmenge, die nun lediglich ca. As = 1 cm2 beträgt. Neben dem Betonstahl wird weiterhin eine Spannstahlmenge von ca. 14 cm2 benötigt. Im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit ist der Plattenbalken fast vollständig überdrückt. Da der Träger weitgehend im Zustand I verbleibt, sind nur geringe Verformungen zu erwarten.
Eine nicht vorgespannte Unterspannung des Plattenbalkens mit zwei Seilen (∑ As = 14 cm2) würde aufgrund der geringen Steifigkeit des Zugbandes nicht zu einer Entlastung des Betonträgers führen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Träger praktisch nur mit Vorspannung ausführbar is...