Von Geckos, Garn und Goldwasser
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Die Nanowelt lässt grüßen

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Die Nanowelt lässt grüßen

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Über dieses Buch

The lotus effect, which keeps leafs free from dirt, or the gecko, which climbs up glass fronts, are examples of nature being the true expert on nanotechnology. Michael Groß gives an impression of this fascinating world and its applications in medicine, technology and daily life.

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Information

Verlag
Wiley-VCH
Jahr
2013
ISBN
9783527651184

1

Einführung

Grüße aus dem Nanokosmos

»Nano« ist ein Schlagwort, das sich seit den 1990er Jahren rasant ausgebreitet hat, aber aus manchen Bereichen auch schon wieder verschwindet, weil es ganz selbstverständlich geworden ist, dass die heutige Technologie im Nanometermaßstab agiert. Heutige Computer benutzen routinemäßig Strukturen mit Abmessungen zwischen einem und 100 Nanometern (ein Nanometer, abgekürzt: nm, ist ein Milliardstel Meter, also ein Millionstel Millimeter). Die Halbleiter-Industrie ist durch fortschreitende Miniaturisierung einfach in diesen Bereich hineingerutscht, und dennoch schreibt sie nicht »Nano« auf ihre Produkte.
Fortschritte gibt es auch bei dem Bemühen in der umgekehrten Richtung, Nanostrukturen aus kleineren molekularen Bausteinen aufzubauen. In diesem Bereich können wir immer noch einiges von der Natur lernen, die ja molekulare Nanotechnologie seit einigen Milliarden Jahren erfolgreich betreibt. Im Moment können die von unten nach oben (Bottom-Up) entwickelten Nanotechnologien noch nicht mit den im industriellen Maßstab von oben nach unten (Top-Down) durch fortschreitende Miniaturisierung erzeugten mithalten (wobei die Natur mit ihrer Bottom-Up-Methode immer noch beide übertrifft). Doch das kann sich durchaus ändern, insbesondere, wenn die Miniaturisierung die Grenzen des physikalisch Möglichen erreicht.
Dieses Buch handelt vor allem von der Nanotechnologie der Natur und davon, was wir daraus lernen und in unserer eigenen Technologie zur Anwendung bringen können. Als Einführung folgt deshalb ein kurzer Überblick über die wichtigen Elemente und Konzepte, die es der Natur ermöglichen, im Nanokosmos zu operieren.

Die Moleküle des Lebens

Jede lebende Zelle verwendet Motoren, Datenspeicher und chemische Fabriken im Nanometermaßstab, und sie baut sie alle mithilfe ihres Molekülbaukastens. Die Nanotechnologie der Natur verwendet Kettenmoleküle, die aus einer geringen Zahl kleiner, standardisierter Bausteine nach Maß zusammengesetzt werden können. Die gesamte Datenverarbeitung der Erbinformation kommt mit dem Vier-Buchstaben-System aus, und die meisten Funktionen der lebenden Zelle werden von Proteinen ausgeführt, die ausschließlich oder hauptsächlich aus einem Satz von 20 Aminosäuren aufgebaut sind. Wir wollen diese »natürlichen Nanomaschinen« nun näher betrachten und sehen, inwieweit sie bei der Entwicklung neuer Technologien als Vorbild dienen oder zumindest Anregungen und Ideen liefern können.
Atome, die »Unteilbaren«, werden allgemein als die Grundbausteine der Materie betrachtet. Zwar kann man sie unter extremen Bedingungen – etwa in einem Kernreaktor oder Teilchenbeschleuniger – zerlegen oder miteinander verschmelzen, doch im Hausgebrauch sind sie tatsächlich unteilbar. (Allenfalls kann man ihnen in einer chemischen Reaktion einige ihrer Elektronen entreißen, doch dadurch ändert sich ihre Masse nicht nennenswert.) Die physikalischen Eigenschaften der Atome bestimmen, ob und wie sie sich zu Molekülen zusammenschließen können. Bildung, Eigenschaften und Umwandlung von Molekülen zu beschreiben ist Aufgabe der Chemie.
Moleküle ihrerseits können zwei, mehrere oder sogar viele tausend Atome enthalten. Im letzteren Fall spricht man von Makromolekülen, auch wenn diese immer noch so klein sind, dass man sie mit einem Lichtmikroskop nicht sehen kann. Im Gegensatz zu den eintönigen, aus endlos vielen gleichen Einheiten aufgebauten Makromolekülen der Kunststoffe (Polyethylen, Polyvinylchlorid etc.), den sogenannten Homopolymeren, sind die wichtigsten biologischen Makromoleküle Heteropolymere, enthalten also verschiedene Bauelemente. (Allerdings gibt es auch biologische Homopolymere, z.B. Stärke.) Biologische Heteropolymere können in der Abfolge ihrer Bausteine Information speichern, und sie können dreidimensionale Strukturen bilden, die biologische Funktionen erfüllen. Diese beiden Eigenschaften qualifizieren sie zum Baustein des Lebens.
Wie klein sind denn nun Atome und Moleküle? Atome lassen sich kaum ausmessen, da die Elektronenwolke, die den Atomkern umgibt, keine definierte Grenze hat und nur über Aufenthaltswahrscheinlichkeiten zu beschreiben ist. Nimmt man jedoch in einem Molekül aus zwei gleichen Atomen den halben Abstand der Atomkerne als Maß für den Radius, so sind alle Atome kleiner als ein Nanometer. Nach dieser Definition beträgt z.B. der Durchmesser eines Wasserstoffatoms 0,06 nm, der des 32-mal so schweren Schwefelatoms 0,20 nm. Kleine Moleküle können wenige Nanometer messen, Makromoleküle können im ausgestreckten Zustand Mikrometer (Tausendstel Millimeter) lang werden, im verknäuelten Zustand beträgt ihr Durchmesser typischerweise 10–100 nm.
In diesem Größenbereich können die Makromoleküle der lebenden Zelle Information speichern, weiterreichen und in Funktion umsetzen. Die Desoxyribonucleinsäure (DNA; in deutschen Texten auch als DNS bezeichnet), vermutlich das prominenteste Molekül unserer Zeit, ist für die Information zuständig, die Proteine führen die Funktion aus. Ribonucleinsäure (RNA oder RNS) kann beides und gilt deshalb als aussichtsreicher Kandidat für die Rolle des Urmoleküls, das vor der Entwicklung der komplizierten DNA-RNA-Protein-Maschinerie die Evolution des Lebens ermöglichte.
Diese Moleküle agieren in der Regel als selbstständige Maschinen im nanotechnologischen Großbetrieb der lebenden Zelle. Einige Beispiele hierfür werden in Teil 2 näher erläutert. Im Gegensatz dazu haben wir Menschen in der Vergangenheit Moleküle stets nur in großer Zahl verwendet. Eine wäg- und sichtbare Menge eines in Trokkensubstanz vorliegenden mittelgroßen Proteins, z.B. ein Milligramm des Enzyms Uricase, das zur Bestimmung der Harnsäurekonzentration im Blut eingesetzt wird, enthält etwa 6 Billiarden Moleküle, die in der Regel, wenn wir das Protein in einem diagnostischen Test einsetzen, alle dasselbe tun.
Um Maschinen im Nanometermaßstab konstruieren zu können, müssen wir Makromoleküle aufbauen, die ähnlich effizient sind wie die biologischen, und wir müssen sie als Individuen betrachten: Wir müssen lernen, einzelnen Molekülen eine Aufgabe zuzuteilen, und deren Erfüllung abzufragen. Von den ersten Vorstößen und Erfolgen in diesem Bereich handelt Teil 3 dieses Buches.
Doch mit der Zusammenfügung der Atome zu Makromolekülen allein erhalten wir noch keine Nanomaschinen. Deren Stärke liegt nämlich (unter anderem) in den schwachen Wechselwirkungen.

Die Schwächsten setzen sich durch

Mit dem klassischen Repertoire der organischen Chemie, die sich damit beschäftigt, Bindungen zwischen Atomen (hauptsächlich Kohlenstoff, aber auch Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und andere) so zu knüpfen und zu brechen, dass sich neuartige oder interessante Moleküle bilden, könnte man noch keine lebende Zelle nachbauen. So wichtig diese chemischen (kovalenten) Bindungen für die Synthese der Makromoleküle auch sind, bleiben sie doch für viele essenzielle Vorgänge im Alltagsleben der Zelle zu starr und unflexibel. Eine stabile kovalente Bindung zu brechen, erfordert oft einen Katalysator, einen großen Überschuss eines Reaktionspartners oder – im Labor – hohe Temperaturen und spezielle nichtwässrige Lösungsmittel.
Die Natur behilft sich mit einer Vielfalt sogenannter schwacher Wechselwirkungen. Dazu zählen hauptsächlich
  • die Wasserstoffbrückenbindung (der wir unter anderem auch den ungewöhnlich hohen Siedepunkt des Wassers und damit eine weitere Voraussetzung für die Entstehung des Lebens auf der Erde verdanken),
  • die elektrostatische Anziehung zwischen gegensätzlich geladenen Molekülteilen (Salzbrücken),
  • die Van-der-Waals-Anziehung zwischen der negativ geladenen Elektronenwolke eines Atoms und dem positiven Kern eines anderen sowie
  • die Neigung fettartiger, wassermeidender Molekülteile, sich mit Ihresgleichen zusammenzurotten, die sogenannte hydrophobe Wechselwirkung.
Wasserstoffbrücken halten z.B. die Doppelhelix der DNA zusammen und die lokalen Helix- und Faltblatt- Unterstrukturen der Proteine. Salzbrücken dienen oft der Bindung geladener Substrate an ein Enzym. Van-der-Waals-Wechselwirkungen können aufgrund ihrer kurzen Reichweite und geringen Stärke nur dort wirken, wo Molekülteile in komplementärer Passform »einrasten«. Die hydrophobe Wechselwirkung schließlich hält die Membranen aus Lipid-Doppelschichten zusammen, welche jede lebende Zelle von der Außenwelt abgrenzen und in vielen Zellen Unterabteilungen (»Organellen«) definieren. Sie ist auch die wesentliche treibende Kraft, die Proteine bei physiologischer Temperatur in dem kompakten, zu komplizierten Überstrukturen gefalteten Zustand hält, den diese zur Ausübung ihrer jeweiligen Funktion benötigen.
Alle diese Bindungen können durch Variation der Bedingungen leicht geöffnet und wieder geschlossen werden, was oft eine Voraussetzung für die Funktion der biologischen Makromoleküle ist. Damit z.B. die DNA »gelesen«, also zu RNA oder neuer DNA umgeschrieben werden kann, muss die Doppelhelix-Struktur an der Stelle, die gerade gelesen wird, aufgelöst werden. Damit das Sauerstoff-Speicherprotein des Muskels, Myoglobin, Sauerstoff aufnehmen oder abgeben kann, muss es seine Struktur lokal umordnen, um einen Kanal zu öffnen, der die Bindungsstelle mit der Außenwelt verbindet.
Doch nicht nur für diese schnellen, lokalen Umordnungsprozesse sind die schwachen Wechselwirkungen lebensnotwendig. Sie ermöglichen außerdem die Zusammenlagerung makromolekularer Komponenten zu hochkomplizierten Systemen ohne Unterstützung durch andere Moleküle, die nicht Bestandteil des aufzubauenden Systems sind – die Selbstorganisation.

Gemeinsam sind wir stark

Die Fabrik, in der Bakterien ihre Proteine herstellen, das bakterielle Ribosom, besteht aus einer großen und einer kleinen Untereinheit. Beide gemeinsam enthalten insgesamt drei RNA-Moleküle und 52 verschiedenen Proteine. Nimmt man das Ribosom auseinander und reinigt die einzelnen Komponenten, so hat man am Ende 55 Gefäße mit je einer Sorte Moleküle in wässriger Lösung. Schüttet man nun alle Gefäße, die mit einem S für »small subunit«, die kleinere Untereinheit des Ribosoms, markiert sind, wieder zusammen, so bildet sich die funktionsfähige kleine Untereinheit wie von selbst. Bei der großen Untereinheit muss man in zwei Schritten vorgehen: erst die RNA mit einer bestimmten Teilgruppe der Proteine mischen und dann die übrigen Proteine zufügen. Gibt man schließlich die beiden Untereinheiten zusammen, so erhält man das vollständig funktionsfähige Ribosom – und das ausschließlich durch vier Mischvorgänge, ohne irgendeine Stütze oder ein Hilfsmittel, das die Bildung bestimmter Strukturen oder Wechselwirkungen begünstigt hätte.
Dieses spektakuläre, aber keineswegs einzigartige Beispiel zeigt ein wichtiges Prinzip der Nanotechnologie des Lebens. Die Maschinenteile sind so aufgebaut, dass sie von selbst funktionsfähige Maschinen bilden. Es bedarf keines Baumeisters, keines Plans, keines Gerüsts – die Strukturen tragen ihre Bestimmung schon in sich. Ähnlich lassen sich z.B. auch komplette Viren oder Mikrotubuli, die röhrenförmigen Fasern des Zellskeletts, rekonstituieren.
Es gibt bereits Beispiele, wie sich Forscher das Prinzip der Selbstorganisation erfolgreich zu eigen gemacht haben, etwa um künstliche Ionenkanäle zu konstruieren. Doch obwohl die Rekonstitution natürlicher Systeme, die sich wie das Ribosom von selbst zusammenfügen (»Assembly-Systeme«), bereits vor Jahrzehnten im Reagenzglas nachvollzogen werden konnte, ist die Nutzung dieses Phänomens für synthetische Systeme nur selten versucht worden, und die Wissenschaft der schwachen Wechselwirkungen, die supramolekulare Chemie, ist noch recht jung.
Nachdem sich die Maschinen der Zelle praktisch von selbst zusammengesetzt haben, ist es Zeit herauszufinden, was sie alles können.

Chemische Reaktionen, schnell und exakt

Die Proteine der Zelle können der Strukturbildung, der Informationsverarbeitung oder dem Transport kleiner Moleküle dienen, doch ihre beeindruckendste und wichtigste Leistung besteht darin, chemische Reaktionen zu beschleunigen (katalysieren). In Extremfällen können sie Reaktionen, die in Abwesenheit eines Katalysators Millionen Jahre benötigen würden, in Bruchteilen von Sekunden ablaufen lassen. Proteine mit einer katalytischen Funktion bezeichnet man als Enzyme. Nachdem jahrzehntelang das Dogma bestand, dass die Rolle der Biokatalysatoren ausschließlich von Proteinen wahrgenommen wird, entdeckte man in den 1980er Jahren auch Katalysatoren, die ausschließlich RNA enthalten, die sogenannten Ribozyme.
Warum braucht die Zelle Enzyme? Zunächst einmal, um die Produktionsprozesse in ihrer chemischen Fabrik zu steuern. Katalysatoren können definitionsgemäß nicht die Richtung einer Reaktion bestimmen – sie beschleunigen lediglich die Einstellung des durch die Umgebungsbedingungen und die chemische Natur der Reaktionspartner definierten Gleichgewichts. Doch auch mit diesem scheinbar bescheidenen Einfluss können sie enorm viel erreichen, z.B. indem sie aus einer Reihe verschiedener Reaktionen, die eine Substanz eingehen könnte, nur eine katalysieren. Auf diese Weise kann ein spezifischer Katalysator – und Enzyme sind die spezifischsten Katalysatoren, die wir kennen – das Produktspektrum einer gegebenen Reaktionsmischung völlig verändern.
Enzyme können auch Reaktionen miteinander koppeln. Auf diese Weise können Reaktionen, die energetisch ungünstig wären und deshalb nicht von alleine ablaufen würden, etwa die Synthesen der Makromoleküle, mit einer energieliefernden Reaktion, etwa der Spaltung einer energiereichen Verbindung, angetrieben werden. Dieser gekoppelte Prozess kann oft in beiden Richtungen ablaufen. Das Membranprotein ATPase kann den Fluss von Wasserstoffionen durch die Membran dazu nutzen, das energiereiche Molekül ATP herzustellen. Andersherum kann das Protein aber auch ATP abbauen und die Energie dazu nutzen, Wasserstoffionen »gegen den Strom« durch die Membran zu pumpen.
Viele Enzyme übertreffen die entsprechenden technischen Katalysatoren in ihrer Leistungsfähigkeit um Größenordnungen. So gibt es bis heute keinen technischen Katalysator, der die Ammoniaksynthese bei Atmosphärendruck und gemäßigter Temperatur betreiben könnte, wie es die Nitrogenase der Knöllchenbakterien tut.
Manche Enzyme werden bei der Lebensmittelproduktion oder im Haushalt eingesetzt, etwa bei der Quarkbereitung, zur Fleckentfernung oder in Waschmitteln. Im Kosmetikbereich verwendet man proteinabbauende Enzyme (Proteinasen), und die kalt gelegte Dauerwelle kommt mithilfe eines Harnstoff abbauenden Enzyms (Urease) zustande.
Manche Enzyme haben in den Forschungslabors ihre eigenen Anwendungsmöglichkeiten geschaffen, oft in Verfahren, die ohne sie überhaupt nicht denkbar werden. Die prominentesten Beispiele sind die Restriktionsendonucleasen – von Bakterien als Abwehrwaffe gegen Viren entwickelt und im molekularbiologischen Labor für die Fragmentierung von Nucleinsäuren unentbehrlich – sowie die DNA-Polymerase thermophiler (hitzeliebender) Mikroben, welche die Polymerase-Kettenreaktion, d. h. die exponentielle Vervielfältigung von DNA, ermöglicht hat.
Manche Enzyme werden bereits industriell eingesetzt, bisher hauptsächlich bei einfachen Reaktionen wie dem Abbau von Stärke zu Rohrzucker oder der Vergärung von Kohlenhydraten zu Alkohol (ein Verfahren, das in Brasilien zur Herstellung von Biosprit benutzt wird).
Enzymatische Prozesse gewinnen aber auch bei der Herstellung von Pharmaka und in der Lebensmittelverarbeitung an Bedeutung.
Obwohl es Millionen verschiedener Enzyme in der Natur gibt, deren Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist, wäre es für viele technische Anwendungen erstrebenswert, ähnlich spezifische Katalysatoren nach Maß herstellen zu können, etwa um das Problem der begrenzten Stabilität und Haltbarkeit von Proteinen zu umgehen.
Um ihren Stoffwechsel nicht ins Chaos zu führen, muss eine Zelle die chemischen Reaktionen jedoch nicht nur steuern, sie muss sie auch räumlich organisieren.

Aufgeräumte Zellen

Den ersten Schritt zur räumlichen Eingrenzung des Geflechts aus chemischen Reaktionen, das wir als Leben bezeichnen, stellt natürlich die Entwicklung der Zelle selbst dar. Mindestens eine Doppelschichtmembran, in vielen Fällen auch eine Zellwand, sowie weitere Schichten und Zwischenräume trennen die Zelle vom Rest der Welt und verhindern, dass wertvolle Stoffe wegdiffundieren oder Schadstoffe aus der Umgebung unkontrolliert eindringen können.
Doch auch innerhalb der Zellen herrscht Ordnung. Wir sogenannten höheren Lebewesen zählen, vom Zelltyp her gesehen, zu den Eukaryonten. Das heißt, dass jede unserer Zellen einen echten Zellkern hat. Weitere Unterabteilungen (Organellen) der Eukaryontenzelle hören auf schwierige bis unaussprechliche Namen wie etwa Mitochondrium, Endoplasmatisches Retikulum, Golgi-Apparat etc.
Wichtig ist hier jedoch nur, dass die Zelle offenbar für verschiedene Funktionen abgegrenzte Bereiche aufweist, so wie wir unser Haus in Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Bad, Kinderzimmer etc. unterteilen. Das erfordert weitere Arten von Nanomaschinen und -strukturen. Abgrenzungen zwischen den Abteilungen müssen aufgebaut werden – nach dem, was wir über Selbstorganisation erfahren haben, liegt die Vermutung nahe, dass dieses Prinzip auch hier am Werk ist, sodass wir keine Baukräne oder Gerüste für die Errichtung der Zwischenwände brauchen. Sind die Wände einmal da, so brauchen wir außerdem Transportwege, um den Verkehr zwischen den Zimmern zu ermöglichen. Einfache Türen würden im Fall der Zelle wenig nützen, da es ja darum geht, den Verkehr zwischen den Räumen zu kontrollieren und zu steuern. Eine Art regulierbares Ventil mag genügen, wenn Dinge aus dem volleren Raum in den leereren gelangen sollen. Doch oft besteht das Problem darin, dass Verbindungen gegen den natürlichen Trend zur Gleichverteilung transportiert werden müssen. In diesem Fall bietet sich das Prinzip der Kopplung mit einem energieverbrauchenden Prozess an, das wir bei den Enzymen schon kennengelernt haben.
Innerhalb der einzelnen Zimmer und auch innerhalb der weitaus weniger »aufgeräumten« Bakterienzelle hatte man lange ein chaotisches Umherschwimmen aller vorhandenen Stoffe vermutet. Es zeichnet sich jedoch ab, dass auch die in Lösung befindlichen Enzyme sich räumlich organisieren. Die Nanomaschinen sind sozusagen zu einer Fertigungsstraße aufgereiht, in der das Produkt von einem Schritt zum nächsten weitergereicht werden kann. So finden sich z.B. in der Nähe der Ribosomen, welche die Proteine synthetisieren, oft auch die molekularen Chaperone, die deren Faltung überwachen.
Erst in den 1990er Jahren gelang die Entwicklung von Methoden, Biomakromoleküle oder ähnlich komplexe Systeme zumindest in zwei Dimensionen mit Nanometer-Präzision anzuordnen. Diese Techniken ermöglichen es auch, ein biotechnologisches Fließband zu konstruieren, wo das Substrat ohne diffusionsbedingte Zeit- und Stoffverluste von einem bearbeitenden Enzym zum nächsten weitergereicht wird.
Der geordneten Fabrikation im Nanokosmos steht allerdings noch ein kleines Problem im Wege, nämlich die Brown’sche Molekularbewegung.

Bewegung in einer chaotischen Welt

Transport und Bewegung ist in der geordneten Welt der eukaryontischen Zelle sehr wichtig. Genetische Information muss z.B. in Form von Boten-RNA aus dem Zellkern exportiert werden, um im Cytoplasma bei der Synthese der Proteine zum Einsatz zu kommen. Die meisten der in den Mitochondrien zum Einsatz kommenden Enzyme wiederum müssen von diesen importiert werden. Für die Transportprozesse im Cytoplasma gibt es sogar eine zelluläre Eisenbahn. Das Motorprotein Kinesin gleitet auf den Mikrotubuli entlang, die als Schienen fungieren, und transportiert dabei zelluläre Waren.
Die Natur kennt Rotationsmotoren (etwa beim Antrieb der Bakteriengeißel, Der Außenbordmotor der Bakterien, Seite 19), doch die meisten zellulären Motoren sind linear wie das Kinesin und das Actin-Myosin-System, das unsere Muskeln antreibt (Titin – was Muskeln geschmeidig macht, Seite 52). Üblicherweise haben diese Motorproteine zwei Arme, mit denen sie sich an der Schiene entlanghangeln können. Die Versuchung ist groß, solche Systeme als mechanische, miniaturisierte Analoga unserer eigenen Fortbewegung auf zwei Beinen zu betrachten. Dem steht jedoch zweierlei entgegen: erstens das Fehlen der Gravitation, die uns beim Gehen Bodenhaftung verleiht (alle Zellbestandteile sind so leicht, dass die Gravitation bedeutungslos ist im Vergleich zu den anderen Kräften), und zweitens die Brown’sche Bewegung.
Die von dem schottischen Botaniker Robert Brown im Jahre 1827 (wieder)entdeckte Molekularbewegung (erstmals beschrieben von Jan Ingenhousz, der 1785 die chaotische Bewegung von Kohlestaubteilchen auf Alkohol beobachtete) ist ein wichtiger Aspekt, der jede Art von Funktion im Nanokosmos beeinträchtigt. Aufgrund der thermischen Zufallsbewegung sind alle Moleküle der Umgebung immer in Bewegung, und wenn man selbst nur ein Molekül ist, stellt sich das so dar, als ob man sich in einem dreidimensionalen, schwerelosen Autoscooter bewegt, wo man pausenlos Kollisionen ausgesetzt ist.
Wie wir später (Der Außenbordmotor der Bakterien, Seite 19 und Molekulare Seiltänzer, Seite 262) eingehender diskutieren werden, behindert die Brown’sche Bewegung jeden Versuch, sich geordnet und durch mechanische Kraftübertragung fortzubewegen, so stark, dass Wissenschaftler inzwischen zu dem überraschenden Schluss gekommen sind, dass Bewegung und mechanische Arbeit in der Zelle nach einem völlig anderen Prinzip funktionieren als in der uns vertrauten Makrowelt. Statt mit mechanischer Kraft gegen das Chaos anzukämpfen, so glaubt man heute, benutzen die Motoren der Zelle die eingesetzte Energie, um aus den zufälligen Bewegungen ihrer Umgebung diejenigen auszuwählen, die in die gewünschte Richtung gehen.
Nachdem wir die wichtigsten Elemente der Nanotechnologie der Natur versammelt und uns mit der Betrachtung ganzer Zellen schon gefährlich weit in den Mikrometermaßstab hinaufgewagt haben, wollen wir noch einen Blick aufs große Ganze werfen.

Evolution Vom Molekül zum Organismus

Vom Urknall bis zur Entstehung der Pflanzen und Tiere lässt sich eine Linie der zunehmenden Organisation immer größerer Zusammenhänge ziehen – subatomare Partikel zu Atomen, Atome zu kleinen Molekülen, diese zu Makromolekülen, Makromoleküle zu Zellen und Zellen zu Vielzellern. Dabei wird die Größenskala von Femtometer (ein billionstel oder 10−12 Meter) bis zu etwa 30 m durchlaufen, wenn wir etwa an Blauwale oder Dinosaurier denken. Die Evolutionstheorie stellt eine schlüssige Verbindung für den größten Teil des Weges her, mindestens von dem ersten Makromolekül, das seine eigene Vervielfältigung bewerkstelligen konnte – möglicherweise eine einfache Variante der heutigen RNA –, bis zu den heutigen Lebewesen, also vom Nanometer- bis zum Meter-Maßstab, und von der Urzeit des Lebens auf der Erde (mehr als drei Milliarden Jahre vor unserer Zeit) bis heute.
Manche Forscher glauben sogar, dass das Wirken der Evolutionsprinzipien Mutation und Selektion zeitlich noch weiter zurück und räumlich in noch kleinere Dimensionen reicht. Demzufolge wären Baufehler in den sonst regelmäßigen Kristallgittern gewisser Tonmineralien die erste Form von »Erbinformation« gewesen. Es hätte dann sozusagen eine Vor-Evolution im Reich der Atome und anorganischen Festkörper stattgefunden, auf der die später entstandenen Makromoleküle aufbauen konnten. Unter anderem die verblüffenden Fähigkeiten der Zellen und Proteine bei der Steuerung der Abscheidung von Mineralien in kristalliner oder amorpher Form lassen solche Überlegungen plausibel ers...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Contents
  3. Series Page
  4. Title Page
  5. Autor
  6. Copyright Page
  7. Vorwort
  8. 1 Einführung
  9. 2 Die Nanotechnologie der Natur
  10. 3 Neue Technologie im Nanometer-Maßstab
  11. 4 Ausblick
  12. Glossar
  13. Bildverzeichnis
  14. Register