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Einleitung
Warum noch ein weiteres Buch über die Verfahrenstechnik? Gibt es nicht genug Fachbücher, Fachzeitschriften, Formelwerke und populärwissenschaftliche Berichte über die Bio- und Pharmatechnik? Alle drei Jahre findet die Achema statt, es gibt diverse Pharma-Fachmessen, mit wissenschaftlichen Symposien und entsprechenden Veröffentlichungen. Es gibt viele Consultant Firmen, die Fachtagungen veranstalten (gegen teures Geld), auf denen die Firmen sich gegenseitig übertrumpfen mit immer neuen „Verbesserungen“ und damit die Anforderungen immer höher schrauben (die Behörden hören aufmerksam zu). Warum also noch ein Buch über das Thema? Was ist der Zweck?
Meine Erfahrung ist, dass – trotz aller dieser Angebote – der junge Verfahrensingenieur in der Pharmaindustrie und speziell in der Blutplasma verarbeitenden Industrie für Tipps und Tricks, die aus der Praxis kommen, dankbar ist.
Junge Ingenieure, die frisch von der Ingenieurschule kommen und in einer Planungsabteilung arbeiten, haben zwar irgendwann während ihrer Ausbildung die Grundoperationen der Verfahrenstechnik wie Mischen, Trennen, Fördern kennen gelernt. Doch fehlt natürlich die Erfahrung, diese Kenntnisse optimal einzusetzen. Man lernt an der Schule nicht, wie man einen Behälter richtig sterilisiert, welche Anschlüsse notwendig sind und welche Ventilschaltungen erfolgen müssen. Man weiß theoretisch, wie man die Aufheiz- oder Abkühlzeit eines Kessels berechnet, wie eine Chromatographieanlage funktioniert oder wie man eine Zentrifuge mit Hilfe von Versuchen auslegt. Bei der Anwendung hapert es jedoch bzw. dauert es sehr lange, bis man sich durch den Wärmeatlas oder andere Handbücher hindurchgekämpft hat. Man lernt aus Fehlern. Das Buch soll jungen Ingenieuren eine Hilfestellung sein.
Auch auf dem Gebiet der Qualitätssicherung ist es wichtig, dass die Verantwortlichen ein grundlegendes Verständnis für die physikalischen Vorgänge der Prozesse haben, um den Einfluss der verschiedenen Parameter beurteilen zu können. Der Ingenieur lernt auf der Fachschule zwar, was „GMP“ bedeutet und bekommt auf allen Tagungen und Kongressen gesagt, wie man eine Produktion in „Compliance“ mit den Forderungen der Behörden bringt. Er lernt, wie man eine „Standard Operation Procedure“ (SOP) aufbaut, wie man qualifiziert und validiert, welche Qualität produktberührende Oberflächen haben müssen, wie hoch die Partikelzahlen in „water for injection“ und in Reinräumen sein dürfen. Die Qualitätsorganisationen sagen ihm, dass er in der Anlage nichts verändern darf, ohne einen „Change-Control“-Antrag zu schreiben.
Er muss aber zusätzlich auch fachlich beurteilen können, welche Parameter wichtig für die Produktqualität sind und ob Abweichungen dieser Parameter während der Produktion einen Einfluss auf die Produktqualität haben. Daher sollte bei der Festlegung der Toleranzgrenzen immer ein kompetenter Ingenieur sein Wissen einbringen. Dies setzt eine sehr gute Kenntnis der Zusammenhänge voraus. Aus diesem Grund bilden viele Pharmafirmen Qualitätsteams, die aus erfahrenen Produktionsleuten und Ingenieuren zusammengesetzt sind, die die aufgetretene Abweichung in ihrer Tragweite beurteilen und die entsprechenden Maßnahmen einleiten können.
Der Schwerpunkt dieses Buches soll auf der Technik liegen, nicht in der Biochemie. Daher wird auf die speziellen Probleme der Proteinchemie nicht eingegangen und die Prozesse nur so weit beschrieben, dass die technischen Maßnahmen im Zusammenhang deutlich werden. Beschrieben wird das erforderliche Equipment, das zur Herstellung der Produkte notwendig ist. Weiterhin werden Tipps und Tricks aufgezeigt, die in keinem Lehrbuch stehen, die aber beim Betrieb bzw. der Inbetriebnahme von Anlagen dem jungen Ingenieur nützlich sein können.
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Der Rohstoff: Blut, Blutplasma [1]
Am Anfang sollen einige Zitate zum Gegenstand „Blut“ stehen, die deutlich machen, wie wichtig den Menschen zu allen Zeiten das Blut war und ist.
Goethe: „Blut ist ein ganz besonderer Saft“, dieser Spruch wurde geprägt, als Faust mit Mephisto den Bündnispakt abschließt. Blut gilt in alten Mythologien als der Sitz der Seele und des Lebens.
Bei Naturvölkern war es üblich, durch Vermischen des Blutes und Trinken der Mischung „Blutsbruderschaft“ zu stiften, so sollte eine Verschmelzung der Seelen stattfinden. (Dies ist nicht mit dem heutigen „Bruderschafts“-Trinken zu verwechseln, das unter Einnahme größerer Mengen Alkohol erfolgt und lediglich einen Einfluss auf die zukünftige Anrede der Betreffenden hat.)
Kaiser Wilhelm II.: „Blut ist dicker als Wasser“. Dieser Spruch soll zum Ausdruck bringen, dass das Meer zwischen England und Deutschland die „Blutsverwandtschaft“ nicht trennen kann (das war vor dem Ersten Weltkrieg).
Churchill: „I have nothing to offer but blood, toil, tears and sweat“. Rede vor dem Unterhaus 13. 5. 1940.
Bismarck: „Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut.“
Was ist nun Blut wirklich, also naturwissenschaftlich gesehen? Es soll hier keine genaue Analyse erfolgen, die man jedem besseren Lexikon entnehmen kann, sondern die Bemerkungen sollen nur dem weiteren Verständnis dienen.
Blut besteht aus dem Blutplasma (ca. 55%) und den Blutzellen (ca. 45%). Seine Aufgaben sind:
- Transport von Sauerstoff (Atmung) und CO2 (Entsorgung)
- Transport von Nährstoffen (Versorgung) und Abbauprodukten (Entsorgung)
- Aufbau von Immunität, Abwehrreaktion
- Blutgerinnung bei Verletzungen
- Wärmehaushalt zur Aufrechterhaltung der Körpertemperatur
- Aufrechterhaltung eines konstanten Ionenmilieus
Außer niedermolekularen Stoffen enthält Blutplasma etwa 7% Proteine, wie Albumine, Globuline und Gerinnungsfaktoren.
Die Blutzellen setzen sich zu 99% aus roten Blutkörperchen (Erythrozyten) zusammen, den Rest bilden weiße Blutkörperchen (Leukozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten).
Eine weitere Differenzierung der verschiedenen Proteine und Zelltypen soll nicht Gegenstand dieser Betrachtung sein. Doch selbst diese kurze laienhafte Zusammenstellung macht deutlich, wie wichtig das Blut für den Körper und den Menschen ist. Somit wird es verständlich, wenn manche das Blutspenden als ethisches Problem ansehen. Blut ist eben wirklich ein besonderer Saft und nicht ein beliebiger Rohstoff. Warum braucht man diesen Rohstoff überhaupt? Die Antwort ist ganz einfach: Weil man viele körpereigenen Proteine eben noch nicht synthetisch oder biosynthetisch herstellen kann. Man ist auf Blutspenden angewiesen.
Um aus dem Blut die gewünschten Proteine großtechnisch herstellen zu können, benötigt man große Mengen an Blut und damit einen großen Spenderkreis. In den meisten Fällen wird eine Plasmapherese durchgeführt, d. h. dem Spender wird Blut abgezogen, die Blutzellen durch Ultrafiltration oder Zentrifugation vom Plasma abgetrennt und dem Spender sofort wieder zurückgegeben. Das zellfreie Plasma wird tiefgefroren und gelangt mit Hilfe von überwachten Kühlketten zu den Plasmafraktionierungsanlagen.
Die Spender müssen gesund sein, was ständig kontrolliert wird. Die aufzubauende Logistik ist enorm. Neben den Sammelstationen muss auch der Tiefkühltransport organisiert, kontrolliert und validiert werden.
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Besondere Spezifitäten für die Verfahrenstechnik
In der Plasmaindustrie finden generell keine Synthesen statt, da es sich bei den gewünschten Produkten, den Plasmaproteinen, ausschließlich um Naturstoffe handelt, die bereits in ihrer wirksamen Struktur im Plasma vorhanden sind. Diese müssen „lediglich“ aus dem Plasma durch Konzentrierungs- und Reinigungsverfahren gewonnen werden. Das klingt sehr einfach, jedoch sind bei der Gewinnung der Präparate einige wesentliche Randbedingungen zu beachten, die es der Verfahrenstechnik nicht leicht machen.
Oft sind diese Proteine in einer sehr geringen Konzentration vorhanden, so dass sie durch die üblichen Fällungs- und Adsorptionsmethoden nicht oder nur mit einem sehr hohen Aufwand zu erschließen sind. In diesem Fall ist man auf die Biotechnologie angewiesen, indem man ein Bakterium oder eine Hefe rekombinant so verändert, dass die Zellen das gewünschte Produkt in großen Mengen und höheren Konzentrationen biologisch synthetisieren (Beispiel: Erythropoietin). Darauf soll im Folgenden nicht weiter eingegangen werden.
3.1 Molekülgröße und Struktur
Bei den Plasmaproteinen handelt es sich um sehr komplizierte Moleküle mit einem hohen Molekulargewicht. Zum Vergleich seien hier einige Beispiele aus der Pharmasynthese, der Biotechnologie und der Plasmafraktionierung erwähnt:
Pharmasynthese: | Acetylsalicylsäure (Aspirin) | 180,16g/mol |
| Metamizol-Natrium (Novalgin) | 333,0g/mol |
Biotechnologie: | Insulin | 5700g/mol |
| Penicillin G | 334g/mol |
Plasmafraktionierung: | Albumin | 69000g/mol |
| Gammaglobuline | 160000g/mol |
| Faktor VIII | ca. 300000g/mol |
| Faktor XIII | ca. 340000g/mol |
Diese großen Moleküle zeichnen sich nicht nur durch ein hohes Molekulargewicht aus, sondern sie haben auch eine komplizierte räumliche Struktur mit aktiven Gruppen, die in der Lage sind, Bindungen einzugehen und so Transportfunktionen oder Körperreaktionen durchzuführen. Bei der Isolierung dieser Moleküle kommt es also nicht nur darauf an, eine bestimmte Reinheit des Proteins zu erzielen, sondern zusätzlich muss die Struktur des Moleküls während des Prozesses erhalten bleiben, damit die Aktivität, die Wirksamkeit, gegeben ist. Werden durch mechanische Scherkräfte oder chemische und temperaturbedingte Einflüsse aktive Gruppen abgespalten oder die Struktur zerstört, so ist das Protein unwirksam.
Für die verfahrenstechnische Behandlung der Proteine bedeutet dies eine möglichst schonende Vorgehensweise, ohne dass das Material zu sehr „gestresst“ wird. Was heißt nun „schonend“?
Es ist darauf zu achten, dass z. B. bei Zerkleinerungsvorgängen, beim Pumpen oder Fördern, beim Filtrieren oder Zentrifugieren die Scherkräfte nicht in den molekularen Bereich gehen. Gefährliche Scherkräfte können entstehen in engen Kanälen, wie sie in zwangsfördernden Pumpen oder in Ventilen auftreten. Ebenso bei plötzlichen Entspannungen von hohem auf einen niedrigen Druck.
Nun ist es aber nicht so, dass die Moleküle absolut keine Scherung vertragen, wie es einem die Biochemiker oft einreden wollen, sonst wäre ein Prozessieren gar nicht möglich. Oft eingesetzt werden z. B. Schlauchpumpen, denen man ein ganz besonders schonendes Verhalten nachsagt. Kommt es nicht an den Quetschstellen, wo der Schlauch gegen die Pumpenwand gedrückt wird, zu erheblichen Scherkräften? Was passiert in dem Fall? Das betroffene, gequetschte Volumen ist im Verhältnis zum gesamten, geförderten Volumen klein, die Verluste ebenso. Bei einer Kreiselpumpe ist das Förderprinzip völlig anders, hier wird das gesamte Volumen der Eiweißlösung im Pumpenraum durch das Laufrad den Scherkräften ausgesetzt. Treten durch die Scherkräfte örtliche Überhitzungen auf, so ist dies in jedem Fall schädlich, denn die Temperaturempfindlichkeit ist wissenschaftlich nachgewiesen. Man muss bei der Auswahl des Equipments vorsichtig abwägen, was machbar ist und was zu riskant erscheint.
3.2 Anzahl der Prozessstufen
Bei der Vielzahl von Blutproteinen, die sich in ihren makroskopischen, physikalischen Eigenschaften oft wenig unterscheiden, ist es verständlich, dass die Aufreinigung schwierig wird und etliche...