Vorwort zur 6. Auflage
Als 1971 die erste Auflage dieses Bändchens entstand, konnte man sich in Hinblick auf Ionisierungsverfahren auf die Elektronenionisation (EI) und auf der apparativen Seite auf Sektorfeldgeräte beschränken. In den Jahren danach kamen die chemische Ionisation, Plasmadesorption, Fast-Atom Bombardment und insbesondere die verschiedenen Spray- sowie Laserdesorptionsverfahren hinzu, die Zugang zu den höchsten Massenbereichen (mit Molmassen >106 Da) gestatten. Heute gewinnen Techniken an Bedeutung, die eine Probennahme unter Umweltbedingungen erlauben, also ohne Vortrennung und bei Atmosphärendruck. Chemische Ionisation, Fast-Atom Bombardment und insbesondere Plasmadesorption haben inzwischen wieder an Bedeutung verloren; sie werden nur noch kurz beschrieben, um das Verständnis der älteren Literatur zu erleichtern. Sektorfeldgeräte werden nur noch eingeschränkt eingesetzt; stattdessen beherrschen heute Quadrupolge-räte, Ionenfallen („ion traps“, „orbitraps“) und Flugzeitgeräte sowie Kombinationen verschiedener Analysatoren den Markt.
Diese Neuauflage soll nach Absprache mit dem Verlag den ursprünglichen Zweck der Reihe „Studienbücher der Instrumentellen Analytik“ fortführen, dem Chemiestudenten den Einstieg in die Massenspektrometrie zu erleichtern (vergl. unten „Aus dem Vorwort zur 1. Auflage“). So ist auch die 6. Auflage keine vollständige Neubearbeitung, sie möchte aber den Entwicklungen der letzten Jahre Rechnung tragen.
Breiten Raum nimmt nach wie vor die Diskussion des Zerfalls einfacher organischer Moleküle bei der Elektronenionisation-Massenspektrometrie ein. Hier ist die Korrelation zwischen Struktur und Massenspektrum am besten dokumentiert und experimentell und theoretisch abgesichert. Auf diese Weise kann man sich mit den Gedankengängen, die der Interpretation von Massenspektren zugrunde liegen, und der Problematik der Methode am leichtesten vertraut machen und das so erworbene Wissen auf andere Techniken und Verfahren übertragen. Zwar kann man (abgesehen von kleinen Molekülen) die Struktur einer Verbindung, über die nichts weiter bekannt ist, nur in seltenen Fällen allein aus dem Fragmentierungsmuster ableiten, aber man kann mit guter Aussicht auf Erfolg Strukturvorschläge bestätigen oder ablehnen sowie in Kombination mit anderen Methoden und Informationen Strukturaufklärung betreiben.
Massenspektrometer sind heute ausnahmslos mit Computern zur Steuerung und Auswertung der Messdaten ausgestattet und werden damit zunehmend zur „black box“, d. h., Akquisition und Verarbeitung der Messdaten ist weitgehend der Kontrolle des Analytikers entzogen. Umso wichtiger ist es, dass er in der Lage ist zu beurteilen, ob ein Ergebnis auch vernünftig ist, und zu wissen, wo Fehler liegen können. Auf diese Problematik wird an mehreren Stellen des Buches hingewiesen. Insbesondere muss mit aller Deutlichkeit vor einem blinden Vertrauen in Strukturvorschläge gewarnt werden, die ein Computer durch Vergleich der erhaltenen Daten mit einer kommerziellen Spektrensammlung macht. Gerade hier wird das Beherrschen von Fragmentierungsregeln gute Dienste bei der Überprüfung leisten.
Ein Problem ist nach wie vor der Fachjargon und die Unsitte, Abkürzungen bzw. Akronyme ohne nähere Erläuterung zu verwenden1) (siehe Kapitel 12). 1974 und in überarbeiteter Form 1978 und 1991 sind die Recommendations for Symbolism and Nomenclature for Mass Spectroscopy und 2006 ein Entwurf für Standard Definitions of Terms Relating to Mass Spectrometry erschienen [1]. Da sich Nomenklaturempfehlungen erfahrungsgemäß nur langsam (oder in der fachfernen Literatur auch gar nicht) durchsetzen, werden in der vorliegenden Einführung neben den in den Recommendations empfohlenen Ausdrücken auch solche erwähnt (zumindest in Kapitel 12), die häufiger in der Literatur anzutreffen sind.
Danken möchten wir Herrn P. Christiansen (Bremen, Abb. 6.1), Prof. Dr. J. Grotemeyer (Kiel, Abb. 10.5), Prof. Dr. Th. Kruck† und Dr. J. P. Loux (Köln, Abb. 2.20, 2.21), Prof. Dr. W. Schänzer (Köln, Abb. 10.12–10.16) für Abbildungs- und Spektrenmaterial sowie Prof. Dr. G. Spiteller (Bayreuth) für Abb. 8.3 sowie die Erlaubnis, die Abb. 2.1, 2.17, 3.7 und 8.2 aus seinem Buch Massenspektroskopische Strukturanalyse organischer Verbindungen zu übernehmen. Die Spektren in Kapitel 9 und Abschnitt 10.1 stammen aus der Bibliothek des National Institute of Standards (NIST).
Herrn M. Neihs (Köln) danken wir für technische Unterstützung.
Köln, im Januar 2012
H. Budzikiewicz, M. Schäfer
Aus dem Vorwort zur 1. Auflage
Dieser Band ist – der Zielsetzung der Reihe „Studienbücher der Instrumentellen Analytik“ entsprechend – für den Chemiestudenten bestimmt, der am Anfang seiner Ausbildung steht und mit der Massenspektrometrie zum ersten Mal in Berührung kommt. Voraussetzungen für das Verständnis des Gebotenen sollen daher nur Grundkenntnisse der Chemie-Diplom-ausbildung sein. Darauf basierend wird versucht, die Grundlagen der Massenspektrometrie logisch aufzubauen. Für ein Verständnis späterer Kapitel ist es daher notwendig, daß das Buch systematisch durchgearbeitet wird. Auf diese Weise soll eine Grundlage für das Verständnis weiterführender Werke auf dem Gebiet der Massenspektrometrie geschaffen werden.
Einleitung
Massenspektrometrie ist ein wichtiger Bestandteil der instrumentellen Analytik. Es waren insbesondere ihre Anwendungsmöglichkeiten in der organischen Chemie, deren systematische Erforschung die Massenspektrometrie seit etwa 1960 zu einem bedeutenden Hilfsmittel bei der Strukturermittlung selbst komplizierter Naturstoffe werden ließen. Insbesondere durch die Spray- und Laserdesorptionstechniken ist sie aus der Protein- und Nukleinsäureanalytik nicht mehr wegzudenken.
Obwohl die „organische“ Massenspektrometrie zum Unterrichtsprogramm der Master-Studiengänge gehört, besteht häufig Unklarheit darüber, was sie eigentlich zu leisten vermag: Der Fähigkeit, Strukturen von komplizierten Alkaloiden oder Peptidsequenzen nur mithilfe eines Massenspektrums zu ermitteln – bei einem Substanzverbrauch von weit weniger als einem Milligramm –, steht z. B. das Unvermögen gegenüber, aus dem Massenspektrum die Struktur von trivial erscheinenden Kohlenwasserstoffen abzuleiten. Der Grund hierfür ist, dass der Zweig der Massenspektrometrie, der sich mit „Fragmentierungsmustern“ – der Grundlage für Strukturermittlungen – befasst, sich grundsätzlich von anderen spektroskopischen Methoden unterscheidet: Es werden nicht die für Übergänge zwischen verschiedenen Energieniveaus eines Moleküls notwendigen Energien gemessen, sondern es wird eine partielle Produktanalyse eines Reaktionsprozesses durchgeführt, der dadurch eingeleitet wird, dass man Ionen in der Gasphase zum Zerfall bringt. Die dabei ablaufenden Reaktionen hängen nicht nur von den vorhandenen funktionellen Gruppen, sondern weitgehend auch von der Gesamtstruktur des Moleküls ab.
Diese einleitenden Worte sollen verdeutlichen, warum Aufbau und Stoffauswahl dieses Buches in vielen Punkten von Einführungen in die UV-, IR-und NMR-Spektroskopie abweichen. So ist der Abschnitt über apparative und sonstige Grundlagen verhältnismäßig umfangreich, da deren Kenntnis für eine sinnvolle Interpretation massenspektrometrischer Daten unumgänglich ist, weil das Aussehen eines Massenspektrums von dem verwendeten Ionisationsverfahren und den Aufnahmebedingungen abhängt.
Ein wichtiger Abschnitt behandelt weiterhin die Erzeugung positiver Ionen durch Elektronenionisation (EI), für die bezüglich der Interpretation der Messergebnisse die meisten Erfahrungen vorliegen. Andere Verfahren, die heute routinemäßig angewendet werden, wie die Spray- und Laserdesorptionsmethoden, bei denen aber Theorie und Praxis noch Fragen offen lassen, werden so behandelt, dass ihre Prinzipien, ihre Möglichkeiten und Grenzen verständlich werden. Verfahren, die nur an wenigen Stellen praktische Anwendung finden, inzwischen an Bedeutung verloren haben oder einen besonderen messtechnischen Aufwand erfordern, werden nur kurz beschrieben. Spezialgebiete der Massenspektrometrie, deren Behandlung den Rahmen einer Einführung übersteigen würde, wie z. B. die Untersuchung molekularer Stoßprozesse, kurzlebiger Radikale oder die Kinetik von Zerfallsreaktionen werden nicht behandelt. Hier muss auf die Spezialliteratur zurück gegriffen werden, von der in Kapitel 12.1 eine Auswahl aufgeführt wird.
Die verschiedenen Anwendungsbereiche, die in diesem Buch behandelt werden, sind so eingehend beschrieben, dass einfache Probleme mithilfe der vermittelten Informationen bearbeitet werden können und eine Grundlage geschaffen ist, die das Studium der weiterführenden Literatur ermöglicht. Den einzelnen Abschnitten sind Aufgaben zur Seite gestellt, deren Lösung im Anhang ausführlich erläutert wird. Der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben ist unterschiedlich: Es wurden mit Absicht einige komplexere Probleme eingestreut, die vielleicht nicht auf Anhieb zu bewältigen sind. In solchen Fällen sollte wenigstens der Gedankengang der im Anhang diskutierten Lösung nachvollzogen werden.
Bei der Besprechung organischer Verbindungsklassen werden überwiegend monofunktionelle Verbindungen behandelt. Die ausgewählten Beispiele sollen zeigen, wie funktionelle Gruppen in unterschiedlichen Umgebungen im Molekül das Fragmentierungsverhalten beeinflussen, und so ein Gefühl dafür vermitteln, welche Überlegungen bei der Interpretation eines Massenspektrums (zum Unterschied z. B. zu einem NMR-Spektrum) angestellt werden müssen. Aus der Fülle der Anwendungsmöglichkeiten der Massenspektrometrie in der Naturstoffchemie werden drei Beispiele herausgegriffen, für deren Verständnis die im vorangehenden Abschnitt vermittelten Kenntnisse ausreichen. Bei den Aminosäuren klingt das Problem polyfunktioneller Verbindungen an, bei den Zuckern wird auf die Methode der Isotopenmarkierung hingewiesen, bei einem Steroid ein komplizierteres Strukturproblem angeschnitten. In einem separaten Abschnitt über Doping wird das Problem der Spurenanalytik in organischen Proben angesprochen.
Wo immer möglich wird im Text auf einschlägige Übersichtsarbeiten hingewiesen, die zum vertiefenden Studium herangezogen werden können. Zusätzlich findet sich in Kapitel 12 eine Auswahl weiterführender Literatur, eine Glossar von Fachausdrücken (da die massenspektrometrische Literatur überwiegend auf Englisch vorliegt, auch der englischen termini technici) und Abkürzungen, eine Tabelle der Isotopenmassen und -häufigkeiten der wichtigsten Elemente, sowie Umrechnungsfaktoren für Druck- und Energiegrößen.
Teil I
Grundlagen
1
Terminologie
Ein Massenspektrometer1) ist ein Instrument, das aus einer Substanzprobe einen Strahl gasförmiger Ionen erzeugt, diese nach Masse und Ladung trennt, und schließlich ein Massenspektrum (MS) liefert, aus dem abgelesen werden kann, in welchen relativen Mengen Ionen bestimmter Massen gebildet worden sind. Massenspektren erlauben bei Einzelsubstanzen Rückschlüsse auf ihre Struktur und bei Gemischen überdies die Bestimmung der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung. Die pro Zeiteinheit gebildeten Mengen an verschiedenen Ionen werden als Ionenströme, die Summe aller Ionenströme als Total- oder Gesamtionenstrom (TI, englisch total ion current, TIC) bezeichnet (Abschnitt 2.4.2.1).
Ionen sind positiv oder negativ geladene Atome, Atomgruppen oder Moleküle. Der Vorgang der Ionenbildung (A – e– → A+ oder A + e– → A–) wird als Ionisierung bezeichnet. Mit einem Massenspektrometer können sowohl positive (Kationen) als auch negative (Anionen) Ionen untersucht werden. Negative Ionen haben bei der Elektronenionisation (Abschnitt – 2.2.1.1) praktisch keine Bedeutung, bei der chemischen Ionisation (Abschnitt 2.2.2) werden sie z. B. zum Nachweis halogenierter Verbindungen herangezogen, wichtig sind sie bei Oberflächen- (Abschnitt 2.2.3), Spray-(Abschnitt 2.2.4) und Laserdesorptionsverfahren (Abschnitt 2.2.1.2).
Um durch Abspaltung eines Elektrons positive Ionen zu bilden, wird eine Energie benötigt, deren Betrag man als Ionisierungsenergie (IE, früher auch als Ionisierungspotenzial, IP) bezeichnet. Die für die Entfernung eines Elektrons aus dem höchsten besetzten Orbital im elektronischen Grundzustand eines neutralen Teilchens (eines Atoms, Radikals oder Moleküls) notwendige Mindestenergie ist die erste Ionisierungsenergie. Für die Bildung angeregter Ionen oder die Entfernung von weiteren Elektronen gibt es eine Reihe höherer Ionisierungsenergien. Handelt es sich um einen 0,0-Übergang (d.h. wenn sich sowohl das Neutralteilchen als auch das Ion im Schwingungsgrundzustand befinden), so spricht man von einer adiabatischen Ionisierungsenergie; handelt es sich um einen Franck-Condon-Übergang (d.h. wenn sich der Abstand zwischen den schwingenden Massen während des Übergangs nicht ändert, weil die Ionisierungszeit von ≈10−15 s sehr viel kleiner ist als die Schwingungsperiode von ≈10-12 s), so spricht man von einer vertikalen Ionisierungsenergie (siehe Abb. 1.1). Bei organischen Verbindungen entstehen meist Ionen in angeregten Schwingungszuständen.
Abb. 1.1 Elektronenübergänge bei der Ionisierung: (a) vertikal (AC, IEvert), (b) adiabatisch (AB, IEad).
Die für die Ionisierung notwendige Energie (IE) wird meist in Elektronenv...