Christine Lieberknecht
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Christine Lieberknecht

Von der Mitläuferin zur Ministerpräsidentin. Eine politische Biografie

  1. 262 Seiten
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Christine Lieberknecht

Von der Mitläuferin zur Ministerpräsidentin. Eine politische Biografie

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Über dieses Buch

Etwa ein Vierteljahrhundert ist es her, dass die Dorfpastorin Christine Lieberknecht mit den Umwälzungen in der DDR in die Politik geriet. Aus der früheren FDJ-Sekretärin und dem Mitglied der Blockpartei CDU wurde binnen weniger Wochen eine Vorzeigereformerin und Landesministerin. Machte und stürzte sie am Anfang ihrer Karriere Ministerpräsidenten, diente sie später lange Jahre im Kabinett oder als Parlaments- und Fraktionschefin mehreren Regierungschefs, um es schließlich selbst an die Spitze zu schaffen. Somit ist die Geschichte Christine Lieberknechts in ihrer einmaligen Kontinuität auch die politische Geschichte Thüringens seit der Wende.

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Kapitel 1

Christine Determann

Ein Mensch ist ohne seine Herkunft kaum begreifbar. Christine Lieberknechts Menschenbild, ihr Kulturverständnis und ihre Widersprüche lassen sich ohne die Prägung, die sie durch ihre Heimat und ihre Familie erfuhr, nicht verstehen. Als Christine Determann wurde sie am 7. Mai 1958 als erstes Kind des Pfarrers Lukas Determann und seiner Frau Roswitha in Weimar geboren. Damit war der Mittelpunkt ihres Lebens markiert. Man braucht um die Stadt nur einen Kreis mit einem Radius von 25 Kilometern zu ziehen: Schon ist der Raum abgegrenzt, den sie nie länger als für wenige Wochen verließ.
Lieberknecht wuchs in Leutenthal auf, ging dort und in den Nachbardörfern zur Schule, besuchte die Oberschule in Bad Berka, studierte in Jena Theologie, absolvierte nahe Weimar ihr Vikariat, wurde in Ottmannshausen Pfarrerin – und wohnt bis heute in Ramsla. Von dort braucht sie mit dem Auto keine halbe Stunde bis nach Erfurt, wo sie seit 1990 arbeitet.
Es ist eine überschaubare Welt, in der Christine Lieberknecht ihr bisheriges Leben verbrachte. Aber es ist auch die Welt von Goethe, Schiller, Wieland, Fichte, Herder, Liszt, Nietzsche und den Romantikern. Es ist eine Welt, in der das Bauhaus entstand und die Napoleon durchritt, eine Welt, in der Zeiss und Abbe ein Imperium aufbauten – und eine Welt, in der die Nationalsozialisten die ersten Wahlen gewannen und ein Konzentrationslager errichteten.

Bauhaus und Brauhaus

Zumal: Die Welt, der Christine Lieberknechts Ahnen entstammen, ist größer. Ihre Großeltern kommen aus den Nachbarländern, aus Niedersachsen, Hessen und Sachsen. Nur die Großmutter mütterlicherseits wird in Thüringen geboren. Die Familie hält etwas auf sich. »Es gab einen Großonkel, der nachwies, dass die Determanns von der Heiligen Elisabeth und Karl dem Großen abstammen«, sagt Johanna Harder, die Schwester von Christine Lieberknecht. »Wir wuchsen mit diesem Wissen auf.«
Lieberknechts Großvater Walter Determann wird 1889 in Hannover geboren. Seine Ahnen sind Großbauern aus der Osnabrücker Gegend. Die Eltern betreiben ein großes Textilgeschäft, das er übernehmen soll. Doch Walter will lieber Kunst studieren. 1912 schreibt er sich, nachdem er einige Widerstände überwunden hat, in Weimar ein und besucht die Kunsthochschule unter Henry van de Velde.
Noch im selben Jahr begegnet er bei einem Fest der Innenarchitektur-Studentin Katharina Ulrich. Sie, von allen nur Käthi genannt, ist das zweite von sieben Kindern von Christian und Marie Ulrich, geborene Baartz. Und sie ist Millionenerbin. Ihr Vater führt die Brauerei im hessischen Pfungstadt, der Familie der Mutter gehört die Brauerei Oranjeboom in Rotterdam.
Die Ulrichs gehören zum Großbürgertum, wohnen auf der Mathildenhöhe in Darmstadt, geben sich weltläufig. Der Vater bringt, weil ihm danach ist, von der Weltausstellung in Paris zwei Esel mit, die er Ali und Ramses tauft. Oder er jagt in Österreich. Der Schochen mit seiner 2069 Meter hohen Spitze wird zum Hausberg der Familie. Nur einige Kilometer entfernt, in Haller am Haldensee, kauft Christian Ulrich im Jahr 1904 ein Bauernhaus und lässt es zum Ferienhaus umbauen.
Die Ulrich-Kinder genießen alle Freiheiten des späten Kaiserreichs, die nahe Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe inspiriert sie. Käthis Schwester Christine Ulrich etwa trifft den Dichter Ludwig Derleth, der eng mit Thomas Mann und Stefan George verkehrt. Sie wird seine Frau, wohnt mit ihm in Rom, Wien und Paris, und betreut seine Schriften.
In Weimar wird Walter Determann 1918 Meisterschüler am Staatlichen Bauhaus und zu einem der wichtigsten Gehilfen von Walter Gropius. Er entwickelt einen Entwurf für das Bauhaus-Signet, arbeitet in der Zeitschrift »Der Austausch« und beteiligt sich mit einer eigenen Arbeitsgemeinschaft am Wettbewerb für eine Bauhaus-Siedlung.
Determann entwirft die Utopie einer sich selbst versorgenden Kommune mit Schulgebäuden, Internat, Kindergarten, Theater, Stadion, Gutshof und Meisterhäusern, die von der Stadt bis hinauf zum Park Belvedere reichen sollte, umgeben von einer Mauer und vier Leuchttürmen.7 Nichts davon wird je verwirklicht. Das Musterhaus »Am Horn«, in dem sich heute ein Museum mit Determanns Skizzen befindet, wird nach einem Entwurf von Georg Muche errichtet. Die Siedlung in Dessau, die ab 1925 in Dessau entsteht, hat Gropius selbst konzipiert.
Walter Determann drängt es zurück zu den Ursprüngen. »Es gibt nur einen Weg der Baukunst zu helfen!: Wieder naiv werden!«8, schreibt er. Seine »Arbeitsgemeinschaft Determann« entwickelt sogenannte Volksmöbel, vom einfachen Stuhl über ein Buffet bis zum Küchenschrank. Die zugehörigen technischen Zeichnungen finden sich im Archiv der Weimarer Klassik-Stiftung.
1918, kurz nach Kriegsende, heiratet die van-de-Velde-Schülerin Käthi Ulrich den Gropius-Schüler Walter Determann. 1921 gebärt sie ihren ersten Sohn Karl. Hans kommt ein Jahr später zur Welt, dann Fritz (1924), dann Wilhelm (1925) – und schließlich der fünfte Sohn Lukas (1927), der spätere Vater von Christine Lieberknecht.
1922 erhält Käthi Determann ihr holländisches Brauerei-Erbe ausbezahlt. Walter Determann verlässt das Bauhaus und wird Maler. Die junge Familie kauft in Weimar eine Villa in der Tiefurter Allee, die für einen Finanzrat um die Jahrhundertwende erbaut worden war.9 Dazu gehört ein großes Anwesen, mit Garten und Badeteich. Die Familie beschäftigt Diener, Küchenhilfen und Kindermädchen. Walter Determann malt und züchtet Blumen. Eine seiner Schwertlilien wächst noch heute in den Gewächshäusern der Orangerie von Schloss Belvedere.
Doch Deutschland verändert sich – und Walter Determann mit ihm. Er, der vormalige Meisterschüler des Bauhauses, wird zum Nationalsozialisten, tritt in die NSDAP ein. Seine Enkelin Johanna berichtet, dass er sogar einige seiner Arbeiten zerstört, die als entartet gelten können. Lukas Determann will das nicht bestätigen.
1939 veröffentlicht Walter die »Chronik der Familie Determann«, mit dem Ziel, »einen Einblick in die geografischen, völkischen, sozialen und rassischen Zusammenhänge der Sippe zu gewinnen«. Das Ergebnis ist ein Nachweis des eigenen Ariertums: Die Familie sei »rassisch rein« und entstamme »ernsten, strengen Menschen«, die »ihr ganzes Leben treu und schwer gearbeitet haben«10. Zu Beginn des Werkes zitiert Determann Adolf Hitler: »Was nicht gute Rasse ist auf dieser Welt, ist Spreu.«
In dem Jahr, in dem Determann das Buch veröffentlicht, stehen nahe Weimar auf dem Ettersberg die Baracken hinter dem Stacheldraht. Über eine Straße aus Betonplatten rollen die Menschen-Transporte in das neue Konzentrationslager »Buchenwald«. Offiziell werden dort allein 1939 exakt 1.378 Tote11 registriert.
Es folgt der Krieg. Die Determanns schicken, wie Johanna Harder sagt, die Kinder »mit Überzeugung an die Front«. Drei der fünf Söhne kommen nicht zurück. Karl, der Älteste, fällt in der Ukraine, Wilhelm stirbt im Lazarett, Hans wird vermisst. Fritz, der mittlere Sohn, überlebt, genauso wie Lukas, der Jüngste, der noch Flakhelfer wird und ein halbes Jahr in den Ardennen in amerikanischer Gefangenschaft verbringt.
Das Haus in der Tiefurter Allee okkupieren sowjetische Offiziere. Determann muss sie porträtieren, Käthi Determann ist für sie die »Babuschka«. Man teilt das Essen. Später, in der DDR, quartiert die Wohnungswirtschaft Mieter ein. Geld für Personal gibt es da längst nicht mehr.
Sohn Fritz, der bei »Carl Zeiss« in Jena Optiker gelernt hat, geht in den Westen, zur Firma »Voigtländer« nach Braunschweig. Später kehrt er zurück zu Zeiss, in die westliche Exil-Niederlassung nach Oberkochen, wo er patentierte Objektive entwickelt. Lukas wird erst einmal nach Hannover geschickt, zu Walters Familie, um Kaufmann zu lernen. Doch er ist zu sehr sein Vater, als dass er für das Geschäft geeignet wäre. Er malt lieber und dichtet und entscheidet sich dann für seinen ganz eigenen Weg. Er wird Pfarrer.
Von seinen Eltern hat Lukas Determann das Religiöse nicht. Die Kinder wurden freigeistig erzogen, die Kirche spielte kaum eine Rolle. Lukas ist getauft, nicht konfirmiert. Doch das holt er nun nach. Der Krieg und die Gefangenschaft, sagt er, lassen ihn zu Gott finden. Er zieht nach Leipzig, um Theologie zu studieren.
Walter Determann geht wieder mit der Zeit. Er malt Arbeiter. Ein Ölbild aus dem Jahr 1948 stellt drei Puppenmacherinnen dar. Eine der Arbeiterinnen zeigt einem kleinen Kind, das neugierig durch das Fenster in die Werkstatt schaut, eine fertige Puppe. Es wirkt wie ein Vorgriff auf den sozialistischen Realismus.
Nach seinem Studium bekommt Lukas eine Vikarstelle in Haselbach zugeteilt, einem kleinen Flecken im Thüringer Wald, nahe der Grenze zu Bayern. Der Nachbarpfarrer in Spechtsbrunn ist Wilhelm Meißner. Der junge Vikar muss durch den Ort, wenn er auf seinem Moped zu seinen Eltern nach Weimar fährt. Als er eine Panne hat, sucht er Hilfe im Haus seines Kirchenbruders. Dort trifft er Roswitha, die Pfarrerstochter – und seine spätere Frau.
Wilhelm Meißner stammt aus Sachsen, ein Großvater war Hofrat im Dresdner Finanzministerium. Die anderen Vorfahren kommen aus dem Vogtland und dem Erzgebirge, waren Feinmechaniker, Schuldirektoren oder Bürgermeister. Auch Wilhelm ist der erste Pfarrer in der Familie.
Er ist mit Anna Schönheid verheiratet, der Tochter eines Gerichtsoberwachtmeisters aus Königsee in Thüringen. Die Familie stammt aus den umliegenden Dörfern, dem Harz und der Region um Saalfeld. Einige Ahnen waren Olitätenhändler, verkauften Tropfen, Salben und Tees aus heimischen Kräutern, Wurzeln und Früchten.
Nun also leben Wilhelm und Anna Meißner in Spechtsbrunn. Tochter Roswitha lernt im Eisenacher Diakonissenhaus Krankenschwester. Nach der ersten Begegnung mit Lukas Determann sieht sie ihn auf einer kirchlichen Tagung im Zinzendorfhaus in Neudietendorf wieder. Diesmal hat das Treffen Folgen: Im Juli 1957 wird geheiratet.

Im Paradies

Lukas Determann sucht eine Pfarrstelle nahe seiner Eltern in Weimar. Er findet sie in Leutenthal. Das Dorf liegt zehn Kilometer nördlich von Weimar am Fuße des Ettersberges. Etwa 300 Menschen leben hier, das Rittergut, auf die Grundmauern eines alten Klosters gebaut, ist seit mehr als 100 Jahren aufgelöst. Aber es gibt noch eine schöne, nach dem Heiligen Veit benannte Kirche aus dem 15. Jahrhundert. Das große Pfarrhaus liegt nahe der Kirche an der Dorfstraße und ist aus rotem Backstein, dazu gehört ein riesiger Garten voller Obstbäume, Fliederbüsche, Rosensträucher und wilden Brombeerhecken.
In der Landeskirche heißt die Gegend WKW, »Weimarer Kirchenwüste«. Die Zahl der Christen ist hier besonders niedrig. Determann bildet deshalb um sich einen Kreis aus jungen Männern, die ihr Vikariat gerade hinter sich haben und die benachbarte Pfarrstellen annehmen. Es wird ein Bruderrat gegründet, der sich jede Woche trifft, zudem gibt ein jeder ein Zehntel seines schmalen Gehalts ab, um die Jugendarbeit zu finanzieren.
Der Leutenthaler Pastor betreibt Missionsarbeit mit allen Mitteln. Um die Jugendlichen zu interessieren, besorgt er eine klappbare Tischtennisplatte und fertigt mit seiner Kamera Bilderserien zu den Zehn Geboten an. Jeden Sommer fährt er mit dem Nachwuchs zur Rüstzeit an den Urseriner See in Mecklenburg.
Privat ist Lukas Determann Züchter, so wie sein Vater. Er okuliert Bäume, züchtet Tulpen und hält Tauben und Kaninchen. Seine Spezialität aber sind federfüßige, porzellanfarbene Zwerghühner, mit denen er viele Preise gewinnt.
Es ist die perfekte Nische in einem Staat, der die Kirche als lästiges Überbleibsel einer überkommenen Epoche betrachtet. Doch Pfarrer Determann ist kein kompromissloser Gegner der Obrigkeit. Er widersteht, wenn er widerstehen will und arrangiert sich, wenn ihm dies opportun erscheint. Nur so, sagt er, könne er das Beste für seine Gemeinde herausholen.
»Ich sah die Pfarrei immer als unpolitische Institution«, sagt er. »Ich war für alle da.« Er habe mit jedem gesprochen, auch mit SED-Mitgliedern und, ein paar Mal, mit der Staatssicherheit. »Die meisten Genossen waren dankbar, dass ich sie als Menschen behandelte.« Für sein Handeln gebe es nur eine Grundlage: »E...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Widmung
  4. Impressum
  5. Inhalt
  6. Zu diesem Buch
  7. Prolog: Unter Pfarrerstöchtern
  8. Kapitel 1: Christine Determann
  9. Kapitel 2: Wendezeiten
  10. Kapitel 3: Politik
  11. Kapitel 4: Ministerin
  12. Kapitel 5: Lehr- und Dienstjahre
  13. Kapitel 6: Nach oben
  14. Kapitel 7: Ministerpräsidentin
  15. Epilog: Allein gegen die Männer
  16. Danksagung
  17. Anmerkungen
  18. Personenregister