"... indem sie Feuer entzündeten und töteten ..."
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"... indem sie Feuer entzündeten und töteten ..."

Ein historischer Roman nach einer wahren Begebenheit mit authentischen Personen in Rothenburg ob der Tauber im Jahre des Herrn 1298

  1. 262 Seiten
  2. German
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"... indem sie Feuer entzündeten und töteten ..."

Ein historischer Roman nach einer wahren Begebenheit mit authentischen Personen in Rothenburg ob der Tauber im Jahre des Herrn 1298

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

In der freien Reichsstadt blühen Handel und Gewerbe. Rothenburg hat auch eine große, wohlhabende jüdische Gemeinde. Wie alle Juden im Reich, leben sie seit Otto II. (955-983) im Status der ›Kammerknechtschaft‹. Durch Papst Innozenz III. (1198-1216) werden die Juden im Jahre 1215 zu Gottesmördern erklärt und der Antisemitismus wird sanktioniert. Für alle Juden, auch die, deren Leben mit allen menschlichen Facetten in diesem Roman geschildert sind, beginnt eine schreckliche Zeit. Religiöse Intoleranz und Habgier führen zu tausendfachem Mord, der mit Hostienschändungen und Ritualmorden begründet wird. Gegen diese Anschuldigungen ist selbst der Schutzherr der Juden, der Kaiser, machtlos. Fernab in Mainz streitet er gegen den Erzbischof Gerhard von Eppstein und die versammelten Kurfürsten, um seine Absetzung abzuwenden. Diesen Umstand der Machtlosigkeit des Kaisers nutzen die Judenschlächter Rintfleisch aus Röttingen in Franken und seine Hintermänner, ihre finsteren, grausamen Pläne in die Tat umzusetzen.

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Information

Jahr
2017
ISBN
9783869331744

„ … indem sie Feuer entzündeten und töteten …“

An einem sonnigen Vormittag des Jahres 1298 stand Wernitzer am offenen Erkerfenster seines Hauses am Anfang der Herrengasse und schaute dem vielfältigen und bunten Treiben auf dem Marktplatz zu.
Der März hatte gerade begonnen. Die Sonnenstrahlen wärmten noch nicht richtig, weil der Tag noch jung war. Unter ihm, auf dem Markt, wurde gewerkelt und lauthals lärmend und gestikulierend gefeilscht, gehandelt und allerlei Waren, Dienste und Künste feilgeboten. Da standen die Töpfer mit ihren tönernen Gefäßen, den großen und kleinen, die im Alltag von Nutzen waren. Gleich rechts neben den Töpfern hatten die Hafner ihre derb oder kunstvoll geflochtenen Korbwaren ausgestellt. Sie hatten ihren angestammten Platz an der Ostseite, gleich dort, wo die Hafengasse in den Marktplatz einmündet.
Weiter oben auf der gleichen Seite standen die Kesselmacher, die Seiler und ein Schuhflicker, der sich klugerweise windgeschützt am Beginn eines Gässchens, das vom Markt zur Synagoge und zum Judenviertel hinauf führte, niedergelassen hatte. Eine recht große Fläche des südlichen Marktplatzes, an der Schmiedgasse, die sehr steil vom Gebsattlertor herauf führte, beanspruchten von jeher die Wagner und die Schmiede, die außer handwerklichen Gerätschaften, kunstvoll geschmiedetem Tor- und Gitterwerk, auch Hellebarden, Morgensterne, Streitäxte, Pfeilspitzen und anderes Kampfgerät an den wehrfähigen Mann zu bringen suchten. Die wohl größte Fläche des Marktes nahmen die bäuerlichen Erzeugnisse, die Gemüse, Getreide, gedörrtes Obst und die Tiere ein, die von Bauern und Händlern aufgetrieben worden waren.
Der Viehmarkt erstreckte sich bis tief in die Herrengasse hinein, die im unteren Teil, zur Burg hin, kaum bebaut war. Nur ein paar stattliche Anwesen einiger Patrizier standen dort.
In provisorischen Pferchen, in Körben, Käfigen und Gattern wartete allerlei Getier, entweder lautlos und geduldig oder je nach Art blökend und gackernd, quiekend und schnatternd auf das ihm zugedachte Schicksal. So manches Tier wird wohl im Fleischhaus enden, dachte Wernitzer. Er stammte aus einer sehr alten Patrizier Familie. Einer seiner Vorfahren war sogar Schultheiß gewesen, als Kaiser Barbarossa im Jahre des Herrn 1172 Rothenburg ob der Tauber die Stadtrechte verliehen hatte. Er selbst war dabei gewesen, als die Urkunde der Reichsstadt-Privilegien, ausgestellt von Rudolf von Habsburg, am 15. Mai 1274 auf dem Marktplatz durch eine Ritterschar des Kaisers feierlich an die Stadt Rothenburg ob der Tauber übergeben worden war.
Von der Mitte des Marktplatzes zogen plötzlich laute, langanhaltende Schmerzensschreie seine Aufmerksamkeit auf den Zahnbrecher, der dort sein schmerzhaftes Handwerk auf einem erhöhten Podest zwischen vier Wänden aus hellem Zeltwerk betrieb. Weil aber die kräftig scheinende, aber wenig wärmende Märzsonne in das oben offene Zeltviereck hinein schien, konnte das neugierige Volk lachend und applaudierend bizarre Schattenspiele genießen, die der Zahnbrecher und seine muskulösen Handlanger veranstalteten, die einen Patienten festzuhalten suchten, der ohne Betäubung behandelt wurde.
„Was raus muss, muss raus“, murmelte Wernitzer, dem bei dem Gedanken schauderte, er könnte irgendwann in die gleiche Situation geraten. Von dem Podest des Zahnbrechers weg schaute er zu den Ständen vor den Häusern, die an der Nordseite des Platzes standen. Dort drängten sich die Frauen und Töchter der Edlen und der begüterten und freien Bürger der Stadt und die, die eigens zu diesen Markttagen hergekommen waren und zum Wohlstand der vornehmen Herbergen beitrugen, in denen sie logierten. An diesen Ständen wurden die edelsten Stoffe, auch mit Silber und Goldfäden durchwirkte, in den schönsten und leuchtendsten Farben hergestellte, gehandelt. Auch Stoffe aus weit entfernten Ländern. Feinste Damast- und Seidenstoffe, bestes Linnen und kunstfertig hergestellte Schmuckbänder wurden an diesen Ständen von jüdischen Kaufleuten angeboten.
Die Juden hatten ein vom Kaiser verbrieftes Marktrecht, das der hohe Herr sich äußerst einträglich versilbern ließ. Weil der Kaiser aber weit weg war, die Stadt aber den gleichen Nutzen aus den Juden ziehen wollte, schon deshalb, weil sie den Schutz der Juden zu gewährleisten hatte, schloss sie zusätzliche Verträge mit ihnen, die jährlich zu erneuern waren. Jedoch waren all diese ‚verbrieften Rechte‘ nur ein halber, oftmals ein sehr fragwürdiger Schutz. Wer auch immer Geld brauchte, ob Kaiser oder Stadt, pfiff auf Verträge und holte sich das Geld von den Juden.
Wernitzer schloss das Fenster. Es wurde Zeit, sich zum Rathaus zu begeben. Er legte die breite silberne Ehrenkette an, die ihn als Mitglied des Rates der Stadt auswies. Vom Fenster der Eingangshalle sah er die Ratsherren Vetter und Ratgeb heftig diskutierend und gestikulierend die Herrengasse hoch auf das Rathaus zukommen. Er glaubte zu wissen, worüber die beiden so lebhaft diskutierten. Die Herren waren in besonderem Maße mit der Erweiterung der Stadtbefestigung betraut. Ein mit Problemen beladenes Amt. Ständig mussten neue Geldmittel herbeigeschafft werden. Anno 1204, Wernitzer und auch die Herren Vetter und Ratgeb waren noch nicht geboren, war es nötig geworden, das vermutlich noch Jahrzehnte andauernde Unternehmen zu beginnen. In der bestehenden ersten Stadtbefestigung war es längst drangvoll eng geworden. Händler, Handwerker und Bauern hatten sich außerhalb des ersten Stadtringes angesiedelt. Die Bevölkerung war auf 6000 Personen angestiegen und die Stadt war mit der Zeit zu einem politischen Machtzentrum geworden. Zum Schutz aller war es daher dringend geworden, die Wehranlagen um mindestens 1000 Meter zu erweitern und mit wehrhaften Türmen und Toren auszustatten. Das forderte erhebliche Opfer von der Bevölkerung. Auch die unfreien Einwohner, die die Frondienste zu leisten hatten, stöhnten gewaltig unter der ihnen auferlegten Last. Rothenburg war in den Ruf einer ‚Kaiserholden Stadt‘ gekommen, und dieser Ruf trug außerordentlich dazu bei, dass sie ständig wuchs und gedieh, wirtschaftlich und politisch enorm an Bedeutung gewonnen hatte.
Zweimal war Rudolf von Habsburg in Rothenburg gewesen. Eine ganz besondere Ehre für die freie Reichsstadt. Das letzte Mal war im Jahre des Herrn 1289 gewesen. Wernitzer erinnerte sich. In jenem Jahr, kurz vor dem Ereignis, war er 33 Jahre alt geworden. Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches zog mit großem Pomp und sehr edlem Gefolge in den Kaisersaal des imposanten, um 1250 im gotischen Stil erbauten Rathauses ein. An der Spitze des Rates der Stadt Reichsvogt von Nordenberg, der der Reichsküchenmeister seiner Majestät war und auf der Stauferburg residierte, in Rothenburg das Amt des Schultheißen und somit die Gerichtsbarkeit inne hatte. Es folgte der Klerus, dem die Deutschherren, denen der Kaiser, wie es schien, sehr zugetan war, voran schritten. Danach die Edlen, die Patrizier und die freien Bürger. Alle in prächtigen Gewändern. Alle huldigten dem hohen Herrn. Eine Abordnung der in Rothenburg ansässigen Juden war auch zur Huldigung gekommen, und nicht mit leeren Händen. Sie wussten, was sie dem ‚besonderen Schutz‘ und den vom Kaiser gewährten ‚Freiheiten‘ verdankten. Sie kannten den Preis der ‚Kammerknechtschaft‘, unter der sie standen und zahlten ihn. Zahlten ihn mit Würde. So, als ob sie ein Geschenk brächten statt einer Repressalie, die von ihnen erwartet wurde.
Verständnislos schüttelte er, einen Moment auf der Treppe verweilend, den Kopf, als er sich erinnerte. Zehn alte Männer mit langen weißen Bärten, Schläfenlocken, gelben spitz geformten Kopfbedeckungen hatten, von Wachen eskortiert, sehr aufrecht den Saal betreten. Woher nahmen diese Juden ihren anmaßend wirken den Stolz?
Sie hatten wahrlich keinen Grund dazu. Sie wurden wie Sachgut behandelt. Sie und ihre Einkünfte konnten als Lehen weitergegeben werden. Sie konnten verpfändet oder einfach verschenkt werden.
Auch Verkäufe reicher Juden waren schon vorgekommen. Sie durften ihren Wohnsitz nicht nach Lust und Laune wechseln. Dieses Recht und alle anderen Privilegien mussten sie sich mit reichlichen Bestechungsgeldern erkaufen. Nicht einmal der Kaiser, dem sie an jenem Tag gehuldigt hatten, hielt seine Versprechen und Verträge mit ihnen. Ja, gehuldigt hatten sie dem Kaiser. Die Köpfe hatten sie geneigt. Nicht den Kniefall, den selbst der Adel leistete, wenn er dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches huldigte. Die Juden beugten ihre Knie nur vor ihrem Gott. Jedoch auch dieses Privileg für die Juden brachte dem Kaiser eine hübsche Summe in die Kasse. Vielleicht waren sie ihm auch deshalb so selbstbewusst vorgekommen, weil sie die einzigen Unfreien gewesen waren, die direkt vor das Antlitz des Kaisers treten durften. Er hatte noch nicht herausgefunden, woher die Juden in diesen für sie ganz und gar unsicheren Zeiten ihren Stolz hatten.
Obwohl im Laufe der Jahre daran gewöhnt, begeisterte ihn die Betriebsamkeit und das Spektakel an den Markttagen so sehr, dass er eine kleine Weile zuschauend vor seinem Haus verharrte, bevor er sich anschickte, die belebte Gasse zu überqueren und das Rathaus zu betreten. Er stieg die breiten steinernen Stufen zum Ratssaal hinauf und dachte an die Herren Vetter und Ratgeb, die den Rat mit ihrer andauernden Geldnot konfrontieren würden. Um eine bindende Entscheidung hinausschieben zu können, hatte er nur einen Teil der Ratsherren zu dieser Sitzung eingeladen und darauf geachtet, dass die Anzahl der geladenen beschlussunfähig sein würde. Aber eines wusste er schon im voraus, nämlich, wer die fehlenden Gelder herbeizuschaffen haben würde, die der ohnehin stark belasteten Bürgerschaft nicht mehr aufgebürdet werden konnten. Wie gewohnt, würde der Rat irgendwann beschließen, einigen wohlhabenden Juden in bekannter Weise nahe zu legen, eine genau benannte Spende zum Wohle der Stadt abzuliefern. Schließlich verpflichteten die Juden sich in ihrem jährlich zu erneuernden Vertrag mit der Stadt, „… das Beste der Stadt zu wollen und zu fördern.“ So beschworen sie es Jahr um Jahr nach jüdischer Gewohnheit auf dem Buche Moses. Rothenburg hatte keine wirklich armen Juden, wie sie häufig anderswo anzutreffen waren. Aber auch die mussten zahlen, zahlen und immer wieder zahlen. Er betrat den Ratssaal mit der guten Gewissheit, zumindest aus finanzieller Sicht keine bösen Überraschungen zu erleben.
Der alte Nachmani saß in dem winzigen Garten hinter dem Haus in seinem Korbsessel, der mit weichen, wärmenden Schaffellen ausgelegt war. Da ihn die Gicht plagte, waren auch seine Beine mit Schaffellen umwickelt, die ihm Linderung verschafften. Der Garten zwischen dem Haus und der inneren Wehrmauer, die vom Galgentor abwärts in südlicher Richtung zum Markusturm und dem Rödertor verlief, war nur wenige Meter tief, aber so breit wie das Haus, das Nachmani mit seiner ganzen Familie und dem Gesinde bewohnte.
Bis vor fünf Jahren hatten sie in Röttingen in der Judengasse gewohnt. In einem ärmlichen Haus, in dem niemand nach Reichtümern gesucht hätte. Das war in diesen unsicheren Zeiten auch gut so. Er und sein Sohn durften sich offiziell nur nach den von der katholischen Kirche für Juden erlassenen Vorschriften betätigen. Wo kein einsichtiger Landesherr anders entschieden hatte, galten für Juden die Anordnungen, die der Papst Alexander III. im Jahre 1179 entschieden hatte. Das waren bittere Gesetze. Die Juden verloren das Recht Handel zu treiben, außer mit Trödel und Pfändern. Auch Geldwechsel und Wucher war ihnen erlaubt. Das Hehlerprivileg hatte der Papst ihnen zugestanden und Haus und Grundbesitz erlaubt. Sie mussten bei ihren Geschäften sehr, sehr vorsichtig sein, besonders bei der Annahme von Pfändern. Das Hehlerprivileg rettete im Ernstfall keinen Juden vor einer Anklage und dem Galgen. Wer glaubte schon einem Juden, nicht gewusst zu haben, dass ein in Pfand genommener Gegenstand Diebesgut war. Mochte er selbst am Galgen noch seine Unschuld beschwören, es half ihm nicht. Mochte er arm, mochte er reich sein, Hab und Gut verfielen dem, der ihn angezeigt hatte, und das waren meistens Christenmenschen, die sich bereichern wollten. Nachmanis Schwager, der mit seiner Familie in Frankfurt am Main gelebt hatte, war es übel ergangen. Acht Jahre war es jetzt her.
Eines Abends spät war Joshua von einem katholischen Priester besucht worden, der einen wertvollen goldenen Messkelch in Pfand geben wollte. Joshua hatte den Kelch zunächst nicht nehmen wollen, was Meta, Joshuas Eheweib, bestätigt hatte. Später hatte er sich doch überreden lassen, weil der Priester in gar so großer Geldnot gewesen sei.
Gleich am Tag darauf war Joshua zum Verhör geholt worden. Der vermeintliche Priester, so fand man heraus, war ein Dieb gewesen, der zum Messkelch auch das Priestergewand gestohlen hatte. Joshua ist gehenkt worden, weil ihm nicht geglaubt worden ist. Das Gericht warf ihm vor, den Dieb angestiftet zu haben. Sein Hab und Gut verfiel der Kirche. Wochen später nahm Meta sich aus Gram und Scham das Leben.
Seit fünf Jahren lebte Nachmani nun schon hier. Vor fünf Jahren waren er, sein Sohn Josef, dessen Ehefrau Meitin und die Kinder der beiden, Isaak, Jusa und Gaila, hierher verschachert worden.
Der Ritter Rintfleisch, ein Edelmann aus Röttingen, hatte ein böses Spiel mit ihnen getrieben. Um seine Schulden bei der Stadt Rothenburg ob der Tauber los zu werden und gleichzeitig auch die Geld und Zinsschuld, die er bei Josef und ihm hatte, verschacherte der saubere Edelmann skrupellos die ganze jüdische Familie an die Stadt Rothenburg. Ohne Vorwarnung stand eines Tages der Büttel der Stadt Rothenburg mit einem Pferdefuhrwerk und zwei recht groben Kerlen vor seinem Haus. Der Büttel las ihnen ein gesiegeltes Schriftstück vor, dass sie verpflichtete, nach Rothenburg zu ziehen und daselbst in Knechtschaft der Stadt Bürgschaft für die Schulden des Edelmannes Rintfleisch zu leisten. Ihre Habseligkeiten wurden auf den Wagen geladen, dann die Menschen. Am Ende des Tages saßen er und seine Familie im Markusturm im Gefängnis. Erst am nächsten Tag konnten die unerlässlichen Verträge mit dem Rat der Stadt Rothenburg abgeschlossen und beschworen werden. Sie hatten unglaublichen Masel gehabt. Er hatte es damals gleich geahnt und die Familie damit getröstet, als sie im Gefängnis auf den nächsten Tag warteten. Die Kinder hatten vor Hunger und Kälte und wohl auch aus Angst geweint. Gaila, die jüngste, war erst vier, Jusa sechs und Isaak, der seine Tränen unterdrückt hatte, der tapfer sein wollte wie sein Vater und sein Großvater, war damals sieben Jahre alt gewesen. Es war wirklich unerhörtes Glück, dass der ‚feine Edelmann‘, der einen ganz und gar liederlichen Lebenswandel führte, so hohe Schulden bei der Stadt Rothenburg hatte und der Rat der Stadt auf den Handel mit Rintfleisch eingegangen war. Es hätte auch schlimmer kommen können. Rintfleisch war ein fanatischer Judenhasser, der – hätte Rothenburg dem Handel nicht zugestimmt – skrupellos genug gewesen wäre, sie eines religiösen Frevels zu bezichtigen, um Schulden und Gläubiger auf einen Streich los zu werden. Ihr Ende wären Folter und Scheiterhaufen gewesen. Vor solch einer Lösung ihrer Schuldenprobleme schreckten auch Klöster, Kirchenfürsten und Landesherren nicht zurück. Schutzbriefe, von wem auch immer, boten bei diesen Anklagen keinen Schutz. Unter den Qualen der Folter erpresste die Gerichtsbarkeit jedes gewünschte Geständnis.
Die graugetigerte Katze war auf seinen Schoß gesprungen und hatte Nachmani aus seinen Gedanken in die Wirklichkeit zurück geholt. Völlig entspannt ließ sich die Katze auf den Schaffellen nieder. Nur ihre Ohren, die ständig in Bewegung waren, um die Geräusche ihrer Umgebung aufzufangen und zu analysieren, zeugten von ihrer instinktiven Wachsamkeit. Geräusche gab es reichlich im Judenviertel, nahe dem Galgentor. Dort lebten etwa 450 Menschen in bedrückender Enge, auf circa 6000 Quadratmeter Grundfläche, mit ihren Tieren und Handwerksbetrieben. Ständig lärmten Kinder, wurde irgendein Instrument malträtiert und jaulten Hunde, weil ihren empfindlichen Ohren weh tat, was die Menschen für Musik hielten. Sobald erträgliches Wetter herrschte, flüchteten die Menschen, vor allem Männer und Kinder, aus den engen Behausungen und füllten diskutierend, handelnd und die Kinder spielend den Platz, der sich von der Wehrmauer westwärts bis fast an den Markt erstreckte. Rund um den Platz standen die Häuser und auf dem Platz war reges Leben durch Handel und Handwerk. Das Judenviertel war kein abgeschottetes Ghetto.
In alle Richtungen führten Gassen in die Stadt. Es gab weder Sperren noch bewachte Durchgänge. Auf dem östlichen Teil des Platzes stand die Synagoge, das religiöse Zentrum des Judenviertels.
Auf der Nordseite hatten einzelne Häuser ihre Ein- und Ausgänge zur Georgengasse hin. Auf der Nordseite befand sich auch die Talmudschule, in der Rabbi Meir ben Baruch gelehrt hatte. Nachmani und die Seinen lebten nicht schlecht in der freien Reichsstadt. In Rothenburg war schon sehr früh eine jüdische Gemeinde sesshaft gewesen.
Über die Tilgung der Schulden des Ritters Rintfleisch hatte er sich mit der Stadt einigen können. Die klugen Herren hatten mehr Interesse an einem zahlenden Juden als an einem...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. „ … indem sie Feuer entzündeten und töteten …“
  6. Nachwort
  7. Glossar