Pop und Populismus
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Pop und Populismus

Über Verantwortung in der Musik

  1. 208 Seiten
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Pop und Populismus

Über Verantwortung in der Musik

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Über dieses Buch

Der Ton wird aggressiver, auch in der populären Musik: Die Texte werden hasserfüllter, die Musik martialischer. Jens Balzer sieht hier eine klare Parallele zur politischen Debatten-Unkultur. Wie kaum ein anderer seziert der renommierte Popkritiker die Spannungsfelder eines kulturellen Feldes, dessen rhetorische Methoden und gezielt provozierende Haltungen auffallend denen der neuen Populisten ähneln.Zweifellos ist Pop ohne Provokation, ohne das Spiel mit Tabubrüchen nicht vorstellbar. Und diese Freiheit der Kunst darf weder einem moralischen Rigorismus noch politischen Interessen geopfert werden, betont Balzer. Das heißt aber nicht, dass man Verrohung, brutalen Sexismus und explizite Aufrufe zur Gewalt widerspruchslos hinnehmen muss. Vielmehr gilt es, sich über die roten Linien einer jeden Massenkultur zu verständigen.An vielen Beispielen – vom Echo-Skandal bis zur Debatte über "cultural appropriation" im Pop – zeigt Jens Balzer, wie schwierig es geworden ist, zwischen populär und populistisch zu unterscheiden. Und versteht es zugleich, für einen Pop zu begeistern, der mit den Mitteln der Kunst Freiheit und Solidarität feiert.

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Information

1.Grenzüberschreitungen
Warum wir genauer hinhören müssen
Am Donnerstag, dem 12. April 2018, werden in den Messehallen unter dem Berliner Funkturm die Echo-Musikpreise verliehen. Zum 27. Mal zeichnet der Bundesverband der deutschen Musikindustrie jene Künstlerinnen und Künstler aus, die im vorangegangenen Jahr in Deutschland die meisten Schallplatten und Downloads verkauft haben und am häufigsten gestreamt wurden. Die unangefochtene Lieblingssängerin der Deutschen, Helene Fischer, ist wie immer unter den Preisträgerinnen, sie erhält einen Echo in der Kategorie »Schlager«; die meisten Trophäen gehen an den irischen Sänger Ed Sheeran, unter anderem wird sein Album »÷« als »Album des Jahres« geehrt. Den Echo in der Kategorie »Hip-Hop / Urban national« erhalten die beiden Sprechgesangskünstler Kollegah und Farid Bang für ihr Langspielwerk »Jung, brutal und gutaussehend 3«.
Im Vorfeld der Echo-Verleihung wurde Kritik an ihrer Nominierung laut. Nicht etwa weil die Musik von Kollegah und Farid Bang wenig taugt: Ihre Beats sind an einfallsloser Monotonie schwerlich zu überbieten, aber musikalische Qualität ist das Letzte, worum es beim Echo geht, daran hat man sich über die Jahre hinweg gewöhnt. Die Kritik entzündet sich vielmehr an bestimmten Textzeilen. Zwei Reporter der Bild-Zeitung sind im März 2018 die Ersten, die darauf hinweisen, dass sich in einem der Lieder von Kollegah und Farid Bang diese Passage findet: »Deutschen Rap höre ich zum Einschlafen / Denn er hat mehr Windowshopper als ein Eiswagen, ah / Und wegen mir sind sie beim Auftritt bewaffnet / Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen«.4 Das heißt: Farid Bang, der diese Zeilen in dem Stück »0815« rappt, rühmt sich, so wenig Fett auf den Rippen zu haben wie sonst nur ein ausgemergelter Häftling in einem Konzentrationslager.
Warum wird ein Album mit einer derart widerwärtigen, die Opfer der Shoah verhöhnenden Zeile für den – nach eigener Darstellung – »wichtigsten deutschen Musikpreis« nominiert? Das werden die Echo-Veranstalter vor der Verleihung von verschiedenen Medien gefragt. Sie antworten darauf formal korrekt: weil die deutschen Popmusikhörer so etwas lieben und es beim Echo eben um die erfolgreichsten Alben geht. Seit dem Erscheinen des Werks im Dezember 2017 bis zum folgenden März wurde »Jung, brutal und gutaussehend 3« über 200 000-mal verkauft und über 30 Millionen Mal gestreamt. Nach den Regularien des Preises sind in jeder Kategorie die fünf meistverkauften Alben des Jahres nominiert. Zur Kür des Gewinners dürfen verschiedene Jurys ihr Urteil in die Waagschale werfen, doch zählt die aus diesen Voten resultierende Punktzahl im Gesamtergebnis prozentual so wenig, dass in den meisten Fällen schlicht die Verkaufsergebnisse den Ausschlag geben – wer so überragend viele Alben abgesetzt hat wie Kollegah und Farid Bang, kann von der Jury gar nicht mehr abgewählt werden. Der Echo folgt unbeirrt dem Prinzip »Wer gewinnt, gewinnt« – jedes kommerziell erfolgreiche Werk ist genehm, es sei denn, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat es vorab indiziert. Was beim Album von Kollegah und Farid Bang nicht der Fall ist: Die Bundesprüfstelle antwortet auf Nachfrage, dass sie nur tätig werden kann, sofern ein Indizierungsantrag einer dazu berechtigten Behörde oder eines Trägers der freien Jugendhilfe bei ihr eingeht.5 Ein solcher liege jedoch nicht vor.
Auch ein von den Veranstaltern des Echo hinzugezogener »Ethik-Beirat« erhebt keine Einwände, er teilt wenige Tage vor der Verleihung mit: »Nach sorgfältiger Befassung mit dem Gesamtprodukt ›JBG3‹ von Kollegah & Farid Bang hat der Echo-Beirat mehrheitlich entschieden, dass im Song ›0815‹ der Bonus-EP ›§ 185‹ die künstlerische Freiheit nicht so wesentlich übertreten wird, dass ein Ausschluss gerechtfertigt wäre – auch, wenn es sich um einen Grenzfall handelt. Das Album bleibt somit für den Echo nominiert.«6 Freilich fügt der Sprecher des Beirats, der Flensburger CDU-Politiker Wolfgang Börnsen, in einer Stellungnahme hinzu: »Die Wortwahl einiger Texte (…) ist provozierend, respektlos und voller Gewalt. Sie als Stilmittel des Battle-Raps zu verharmlosen, lehnen wir ab und möchten an dieser Stelle unsere deutliche Missbilligung gegenüber der Sprache und den getroffenen Aussagen unterstreichen.«7
Die Veranstalter des Echo geben kurz vor der Veranstaltung bekannt, dass Kollegah und Farid Bang nominiert bleiben und auch während der Show auftreten sollen. Man werde allerdings die Kontroverse um ihre Musik als »gesellschaftliche Debatte« in die Preisverleihungsgala hineintragen.
Vom Abend des 11. bis zum Abend des 12. April 2018 wird in Israel der nationale Gedenktag Jom haScho’a begangen. An diesem Tag wird an die Opfer der Shoah erinnert sowie an die Helden des jüdischen Widerstands während der Herrschaft der deutschen Nationalsozialisten; die Einrichtung dieses Gedenktags geht auf die Erinnerung an den Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 zurück. Am Donnerstagmorgen heulen überall im Land zwei Minuten lang die Sirenen, die Menschen halten inne und gedenken still der Millionen von Toten.
Auch in Berlin heulen am 12. April die Sirenen, sie begleiten den Auftritt von Kollegah und Farid Bang, mit dem die Verleihung der Echo-Musikpreise krönend beschlossen wird. Die Messehallen, in denen die vom Fernsehsender Vox übertragene Galashow stattfindet, wurden in den Jahren 1935 bis 1937 nach Plänen des Architekten Richard Ermisch errichtet; es handelt es sich um eines der monumentalsten Zeugnisse nationalsozialistischer Architektur in Berlin. Kollegah und Farid Bang greifen diese Ästhetik in ihrer Show auf. Bevor sie die Bühne betreten, marschiert eine Gruppe schwarzgekleideter und mit Gesichtsmasken vermummter Männer auf und postiert sich zu beiden Seiten in militärischer Formation. Einige von ihnen sind mit Flammenwerfern bewehrt, aus denen sie Feuerstöße hervorfackeln lassen, während die beiden Rapper in ihrer Mitte all jene Kritiker verhöhnen, die wegen der »Auschwitzinsassen«-Zeile erfolglos ihren Ausschluss von der Preisverleihung forderten: »Sie wollen uns mundtot machen / sie fordern den Echo-Verweis / Nackenschellen für Journalisten / dann habt ihr auch ma’ paar Verbände am Hals«. Kurz vor Ende des Auftritts werden drei große, schmale, lange Banner von der Bühnendecke heruntergelassen wie bei einem nationalsozialistischen Reichsparteitag. So feiern die beiden Rapper ihren Triumph, indem sie sich höhnisch als Wiedergänger jener Partei inzenieren, die die Massenvernichtung der europäischen Juden organisierte. Ein beklemmendes, unerträgliches Bild.8
Selbst der branchenübliche Zynismus der deutschen Musikindustriebeschäftigten ist an diesem Abend offenkundig überfordert. Über weite Strecken der Gala hinweg herrschen betretenes Schweigen und Ratlosigkeit. Lediglich an einer Stelle wird euphorisch geklatscht: als der Sänger der Stadionpunkgruppe Die Toten Hosen, Campino, in der Dankesrede für seinen eigenen Echo auch auf Kollegah und Farid Bang zu sprechen kommt. Er sei selber stets ein Freund der popmusikalischen Provokation gewesen, aber man müsse wissen, wo die moralische Grenze verläuft, »und die Grenze ist überschritten, wenn es sexistisch ist, homophob, rechtsextrem, antisemitisch«.9 Das liest er, sichtlich erregt, von einem Blatt ab; weswegen ihn Kollegah und Farid Bang, als sie etwas später ihren Preis entgegennehmen, als stammelnden Pennäler karikieren. Kollegah hat eine Zeichung Campinos auf ein Blatt gekritzelt, das er nun ebenfalls stark zitternd in die Kamera hält, während er den Umstand, Campino spiele sich hier »als moralische Instanz« auf, um sie »an den Pranger« zu stellen, als »relativ stillos« geißelt.10 Das Publikum buht die beiden Rapper für diese Ansprache lauthals aus, verlässt aber später auch während ihrer Reichsparteitags-Show nicht den Saal.
In den folgenden Tagen kommt es zunächst zu vereinzelten Protesten gegen die Auszeichnung: Charlotte Knobloch vom Zentralrat der Juden kritisiert sie ebenso wie Bundesaußenminister Heiko Maas. Erst nach dem Wochenende verdichten sich diese Proteste, auf der Internetseite »Perlentaucher« ist gar die Rede von einem regelrechten »Zivilcourage-Tsunami«11. Zahlreiche Echo-Preisträger geben ihre Auszeichnungen zurück, darunter der Beatles-Mitstreiter Klaus Voormann, der bei der Preisverleihung 2018 mit einem Echo für sein Lebenswerk geehrt worden ist; ebenso der Pianist Igor Levit und der Dirigent Daniel Barenboim, die in den vorangegangenen Jahren mit »Echo Klassik«-Preisen ausgezeichnet worden waren. Übertrumpft werden sie von Marius Müller-Westernhagen, der gleich sieben Echos zurückgeben kann. Schließlich legen drei Mitglieder des Echo-Beirats ihre Posten nieder, darunter der Präsident des Deutschen Kulturrats, Christian Höppner, Kulturstaatsministerin Monika Grütters übt scharfe Kritik, und eine Woche nach der inkriminierten Verleihung zieht sich der erste Sponsor, der Safthersteller Voelkel, von der Veranstaltung zurück.
Peter Maffay fordert in einem Facebook-Kommentar den Rücktritt aller Echo-Verantwortlichen und meint damit insbesondere den Vorsitzenden des Bundesverbands der Musikindustrie, Florian Drücke.12 Was Maffay in diesem Zusammenhang allerdings unerwähnt lässt, ist der Umstand, dass er beim selben Musikkonzern unter Vertrag steht wie Kollegah und Farid Bang, nämlich bei der Bertelsmann Music Group.13 Den Rücktritt der verantwortlichen Bertelsmann-Manager fordert er jedoch nicht; auch von einer Auflösung seines Vertrags mit dem Konzern aus ethischen Gründen ist keine Rede.
Der Bertelsmann Music Group haben Kollegah und Farid Bang in ihrer Ansprache ausdrücklich gedankt; dennoch gelingt es den Managern der Firma eine Weile lang gut, sich unter der Kritik wegzuducken: In den Echo-Veranstaltern hat die Öffentlichkeit schließlich einen Sündenbock gefunden, auf den man leicht einprügeln kann. Erst der Schriftsteller und Sänger der Gruppe Element of Crime, Sven Regener, erinnert in einem Interview, das ich nach der Echo-Verleihung mit ihm für die DIE ZEIT führe, daran, dass man auch einmal über die Leute reden könnte, die von dieser Musik profitieren: »Zum Beispiel die Bertelsmann Music Group, die im Dezember, als das Album veröffentlicht wurde, eine stolze Pressemitteilung herausgab: Mit Kollegah und Farid Bang sind wir jetzt die Nummer eins in Deutschland.«14 Tatsächlich konnte sich die Deutschlandchefin der Firma, Dominique Kulling, damals gar nicht einkriegen vor Freude über ihren gelungenen Coup. »Das ist eine exzeptionelle Platte«, schrieb sie in einer Pressemitteilung, »und sie zeigt, wie wichtig es ist, wenn man als Label an seine Künstler und ihre Visionen glaubt.« Dank der hervorragenden Verkaufszahlen sei die Bertelsmann Music Group in der Veröffentlichungswoche zum umsatzstärksten Musikunternehmen in Deutschland aufgestiegen; allein mit den 50 Euro teuren Box-Sets habe man in den ersten sieben Tagen 3,5 Millionen Euro umgesetzt.15
Wer so vollmundig wie Dominique Kulling von den »Künstlern und ihren Visionen« schwärmt, sollte allerdings auch wissen, welche Visionen sich auf der gelobten Platte so finden. Denn wenn man sich einmal die Mühe macht, das Album »Jung, brutal und gutaussehend 3« ganz durchzuhören, findet man darauf nicht nur die vielfach inkriminierte Zeile mit den »Auschwitzinsassen«. In anderen Songs schwelgen Kollegah und Farid Bang in heiteren Gewaltfantasien, sie wollen Menschen, die ihnen nicht passen, mit einem »Sprengstoffgürtel« massakrieren oder mit einem Lkw, »als wärst Du auf dem Weihnachtsmarkt«, oder mit einem Attentat »wie bei Charlie Hebdo«; oder anders gesagt: Die beiden muslimischen Künstler finden alle Arten von Gewalttaten toll, bei denen Christen und Juden ums Leben kommen. Bereits im Jahr 2016 hat Kollegah ein Video mit dem Titel »Apokalypse« veröffentlicht, in dem er eine epische Geschichte der Menschheit im Kampf gegen das Böse erzählt. Das Böse ist eine gehörnte Satansfigur mit einem Davidstern auf der Stirn. Glücklicherweise kann sie jedoch besiegt werden – und nachdem das Böse verschwunden ist, bauen »Christen, Muslime und Buddhisten« die Welt wieder auf.16
Die Künstler selber weisen alle Vorwürfe einer antisemitischen Gesinnung weit von sich. Farid Bang etwa reagiert schon vor der Echo-Verleihung auf seine Kritiker, indem er in einem Facebook-Kommentar sagt: Bei dem inkriminierten Satz mit den »Auschwitzinsassen« handele »es sich um einen harten Battle Rap Vergleich und nicht um eine politische Äußerung. Denn wir distanzieren uns von jeglicher Form des Antisemitismus oder Hass gegen Minderheiten.« Sein Kollege Kollegah legt ebenfalls auf Facebook großzügig nach: »An alle jüdischstämmigen Hörer meiner Musik! Ab jetzt auf Lebenszeit freier Eintritt auf jedes Konzert für alle unsere jüdischen Freunde!« Woraufhin der deutschjüdische Comedian und große HipHop-Fan Oliver Polak sich auf Twitter freut: »Antisemitische Musik umsonst gegen Vorlage eines Judensterns.«17
Nicht nur Kollegah und Farid Bang vertreten die Ansicht, man dürfe »einen harten Battle Rap Vergleich« nicht als »politische Äußerung« ansehen, weshalb die Aufregung unbegründet sei. Auch einige Journalisten springen ihnen bei, etwa Dennis Sand von der Tageszeitung Die Welt. Für ihn besteht das »Hauptproblem« nicht in den inkriminierten Zeilen der Rapper, sondern vielmehr darin, »dass die meisten Kommentatoren in keiner Form verstehen, was denn eigentlich Battlerap ist und wie die sprachlichen Codizes der HipHop-Szene funktionieren. Für einen durchschnittlichen Hörer des Genres ist die Übertreibung, die Überspitzung, die zum Teil radikalen, zum Teil auch einfach nur ironisch verbalisierten Gewaltphantasien schlichtweg selbstverständlich. (…) Battlerap ist eine Kunstform, die die Grenzüberschreitung zum obersten Prinzip erhebt. Die verbale Erniedrigung des (tatsächlichen oder auch imaginären) Gegners durch eine möglichst sprachgewandte oder übertriebene Punchline ist das grundlegende Stilmittel.« Darum gebe es, so Sand, hier auch »keine moralischen Grenzen. Im Battlerap hat jede Minderheit das gleiche Recht auf die respektloseste nur vorstellbare Beleidigung. Aber am Ende geben sich die Kontrahenten die Hand, denn sie wissen, dass die Beleidigungen in einem abgesteckten Rahmen, in einem für beide Parteien verständlichen Kontext gefallen sind.«18
Das ist alles schön und gut, hat aber mit dem Fall, um den es hier geht, nicht recht etwas zu tun. Denn es handelt es sich bei den inkriminierten Liedern von Kollegah und Farid Bang ja gar nicht um Battle Raps, sondern vielmehr um Monologe. Das Wesen des Battle Rap besteht darin, dass sich zwei oder mehr Kontrahenten und Kontrahentinnen in möglichst spontaner und außerdem origineller Weise gegenseitig so lange beleidigen, bis einer oder eine aus diesem Battle siegreich hervorgeht; wer schneller, witziger, technisch versierter, rhythmisch souveräner, sprachlich überraschender ist, gewinnt.19 Von alldem kann in den mehr oder weniger rhythmisch dargebotenen Beleidigungen von Kollegah und Farid Bang keine Rede sein. Die beiden setzen sich gerade keinen gleichwertigen oder überhaupt irgendwelchen Gegnern aus, sie lassen keine Widerworte zu, und das heißt: Sie wechseln nicht – wie es für den Battle Rap wesentlich ist – zwischen den Positionen der Dominanz und der Passivität, der Aggression und des Erduldens, des Beleidigens und Beleidigtwerdens. Wäre das so, müssten sie Kontrahenten auf die Bühne bitten, die etwa ihr paläolithisches Männer- und Frauenbild ebenso höhnisch beleidigen und verspotten wie die von ihnen praktizierte Religion und den dazugehörigen Propheten. Das alles passiert aber nicht, darum handelt es sich auch um keinen Battle Rap, aus dem sich das Recht zu Übertreibung und »uneigentlichem Sprechen« ableiten ließe.
Nun könnte man auch sagen: Es handelt sich um eine Provokation; und dies ist ja eine der ältesten Gesten in der populären Musik. Seit dem Beginn der modernen Popgeschichte, sagen wir: seit den ersten hypersexualisierten Hüftschwüngen von Elvis Presley, zählt die Provokation des echten oder vermeintlichen Mehrheitsgeschmacks, der »bürgerlichen Normen«, der Elterngeneration zu den wesentlichen Antrieben dieser Musik und der dazugehörigen Inszenierungen: Wer Aufmerksamkeit will, der sucht den Eklat. Doch auch diese Erklärung greift bei Kollegah und Farid Bang nicht; denn sie brauchen ja gar keinen Eklat, um ihre Musik unter die Leute zu bringen. Ihr Album wurde, wie schon gesagt, in den ersten drei Monaten 200 000-mal verkauft und über 30 Millionen Mal gestreamt, ohne dass es irgendeine nennenswerte Debatte über antisemitische oder sonst wie reaktionäre Textzeilen gegeben hätte. Die Wahrheit ist also noch viel trister: Die Hörer von Kollegah und Farid Bang, deren Zahl in Deutschland in die Millionen geht, stoßen sich nicht im Geringsten an Auschwitzwitzen und Gewaltfantasien und an der atemberaubend abstoßenden sexistischen Sprache, die beide Reimkünstler pflegen. Kollegah etwa rappt in dem Song »Ave Maria«, ebenfalls auf dem Echo-nominierten Album: »Dein Chick ist ’ne Broke-Ass-Bitch, denn ich fick’ sie, bis ihr Steißbein bricht«.20
Es handelt sich also weder um einen – wie auch immer – ironisch gebrochenen oder sonst wie kodifizierten Battle Rap mit einer »uneigentlichen« Sprache noch um eine Provokation, sondern lediglich um »hate speech«, um eindimensionale Hassreden. Das Besondere an diesen Hassreden liegt nun in der Art und Weise, mit der ihre Akteure und Profiteure sich zugleich der Verantwortung für den von ihnen ventilierten oder beförderten Hass zu entziehen versuchen. Rund um die Echo-Ereignisse stößt man immer wieder auf dieselbe rhetorische Figur. Ein anstößiger Vergleich, eine Diskriminierung, eine Herabwürdigung wird in die Welt gesetzt und erfreut sich aufgrund ihres diskriminierenden Charakters großer Beliebtheit. Sofern jedoch diese diskriminierende Einlassung aus demselben Grunde kritisiert – oder auch überhaupt nur als solche benannt – wird, weisen alle Beteiligten die Verantwortung für ihr Handeln von sich.
Wahlweise ist »alles nicht so gemeint«, oder man hat »damit nichts zu tun«. Die Verantwortlichen des Echo haben nichts damit zu tun, dass die beiden Rapper bei ihrer Gala auftreten, denn über die Nominierung haben ja die Verkaufszahlen entschieden. Die Verantwortlichen bei der Firma Bertelsmann haben nichts damit zu tun, denn letztlich haben sie nur den Vertrieb des Albums und das Marketing übernommen; produziert und veröffentlicht haben andere, und ansonsten gilt »das hohe Gut« der Kunstfreiheit, wie es der CEO der Bertelsmann Music Group, Hartwig Masuch, auf die Kritik nach der Echo-Verleihung hin formuliert. Und schließlich die Rapper selbst: Auch sie sehen sich nicht in der Verantwortung für ihre Texte, denn diese sind »nicht so gemeint«, wie es auch Außenstehende glauben; sie folgen Regeln, die nur Eingeweihte verstehen....

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelei
  3. Inhalt
  4. Motto
  5. Verantwortung? – Die Spannungsfelder des Pop
  6. 1. Grenzüberschreitungen – Warum wir genauer hinhören müssen
  7. 2. Authentisch sexistisch – Der Gangsta-Rap und seine Öffentlichkeiten
  8. 3. Der drittliebste Hass – Wie die Popkultur den Antisemitismus befeuert
  9. 4. Time’s up! – Der Kampf gegen sexuelle Gewalt und den Missbrauch von Macht
  10. 5. Selbstermächtigung – Manifeste einer sexuellen Emanzipation
  11. 6. »Dahoam, da komm i her« – Zur politischen Ambivalenz der Heimatrocker
  12. 7. »Zuhause heißt: alle sind gleich« – Linke Heimatmusik und ihre Provokationen
  13. 8. Weiße Reinheit? – Warum die Neue Rechte eine Popkultur ohne Popmusik ist
  14. 9. Blick in die Freiheit – Pop braucht keine Identitäten
  15. 10. Freundschaft im Pop – Die Utopie der Gegenkultur und die Perspektive der Solidarität
  16. Dank
  17. Anmerkungen
  18. Über den Autor
  19. Impressum
  20. Körber-Stifung