Die Diktatur der Demokraten
eBook - ePub

Die Diktatur der Demokraten

Warum ohne Recht kein Staat zu machen ist

  1. 208 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Die Diktatur der Demokraten

Warum ohne Recht kein Staat zu machen ist

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Demokratieaufbau gehört mittlerweile zu den Standardstrategien, um Länder zu befrieden, deren institutionelle Infrastruktur zerstört ist. Doch bedient sich die Staatengemeinschaft bei der Schaffung demokratischer Strukturen undemokratischer Mittel: Die neuen Freiheiten werden den Bürgern durch eine autoritäre Regierungsform nahegebracht, mit einem weitgehend autarken Chef der jeweiligen Mission an der Spitze.Der Rechtsweg ist dabei ausgeschlossen, wie Juli Zeh anhand der Beispiele Kosovo und Bosnien-Herzegowina zeigt. Dass die Bürger keine Möglichkeit haben, sich gegen Willkürakte zu wehren, stellt allein schon eine Menschenrechtsverletzung dar.Juli Zeh bestimmt erstmals den Charakter des Übergangsrechts: Als supranationale Rechtsordnung gehört es zur selben Kategorie wie das EU-Recht. Somit existieren Erfahrungen und Präzedenzfälle, aus denen mehr Rechtssicherheit für jeden einzelnen Bürger gewonnen werden kann. Weit über juristische Fragen hinaus verhandelt Zeh hier politische Grundsätze: Wenn die Staatengemeinschaft ihre rechtsstaatlichen Ideale verrät, kann Demokratieaufbau nicht gelingen.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Die Diktatur der Demokraten von Juli Zeh im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Politics & International Relations & Politics. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

VI. Zur Justiziabilität des Übergangsrechts

Die oben dargestellten Anstrengungen des bosnischen Verfassungsgerichtshofs zeigen, wie untragbar die gegenwärtige Situation ist: Gegen Übergangsrecht besteht kein wie auch immer gearteter Rechtsschutz. Vor dem Hintergrund demokratischer Prinzipien ist das ein Skandal. Weder entsprechen Übergangsverwaltungen den Anforderungen der Gewaltenteilung noch jenen der Rechtsstaatlichkeit. Für die betroffenen Bürger bedeutet das, dass sie gegenüber der Übergangsverwaltung rechtlos gestellt sind. Zuvor wurden bereits einige Beispiele dafür geliefert, wie weitreichend eine Übergangsverwaltung in Rechtspositionen eingreifen kann. In einer modernen Demokratie ist das eigentlich unvorstellbar: Gegenüber einem Bürger wird ein Berufsverbot ausgesprochen, seine Konten werden eingefroren, oder er wird sogar verhaftet – und hat keine Möglichkeit, diese Maßnahmen gerichtlich überprüfen zu lassen.
Juristischer Grund für diese Situation ist gerade der Rechtscharakter des Übergangsrechts. Als supranationales Recht unterliegt es nicht der innerstaatlichen, also z.B. bosnischen Gerichtsbarkeit. Gleichzeitig existiert aber auch kein internationales Gremium, das für eine Überprüfung zuständig wäre.
Anders als im Fall der Europäischen Union, die mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) über ein eigenes Gericht verfügt, wird die umfassende Legislativtätigkeit einer Übergangsverwaltung nämlich nicht von der Kontrolle durch eigene Rechtsprechungsorgane begleitet. Die Vereinten Nationen haben sich bislang nicht bereit gezeigt, ein entsprechendes Gericht zur Überprüfung des Handelns von Übergangsverwaltungen einzusetzen. In keiner der einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats finden sich Regeln für eine Kontrolle von Übergangsrecht. Auch die Verfassungen oder verfassungsähnlichen Dokumente von Staaten oder Gebieten, die bislang unter die Hoheit einer Übergangsverwaltung gestellt wurden, halten keine Vorschriften bereit, die Schutz gegen Rechtsakte von Übergangsverwaltungen gewähren würden.
Entsprechend finden sich kaum Beispiele einer gerichtlichen Kontrolle von Übergangsrecht. Die Praxis zeigt vielmehr, dass Rechtsschutzbegehren gegen das Handeln von Übergangsverwaltungen geringe Aussicht auf Erfolg haben. Übergangsverwaltungen berufen sich häufig auf ihre »Immunität«, um sich Gerichtsprozessen zu entziehen. Als Nebenorgan einer internationalen Organisation behaupten sie Immunität vor nationalen Gerichten nach Artikel 105 UN-Charta sowie nach der »Convention on the Privileges and Immunities of the United Nations« vom 13. Februar 1946. UNMIK im Kosovo hat sich selbst mittels eines Übergangsgesetzes einen besonders hohen Immunitätsstatus eingeräumt.
Wir werden allerdings sehen, dass völkerrechtliche Immunität nicht das Problem darstellt. Bei der Frage nach der Justiziabilität geht es vielmehr darum, wie mit dem oben festgestellten Charakter des Übergangsrechts als supranationale Rechtsordnung zu verfahren ist. Daraus lässt sich, am Ende des Kapitels, ein Lösungsvorschlag ableiten, der betroffenen Bürgern einen Weg zu den nationalen Gerichten eröffnet, wenn ihre Rechte durch eine Übergangsverwaltung verletzt wurden.
Das Problem eines fehlenden Rechtswegs wurde auf Seiten der UNO durchaus erkannt. Man beobachtet die Tendenz, das eklatante Fehlen von nachträglichen Kontrollmöglichkeiten durch eine vorweggenommene Überprüfung zu kompensieren. So werden die Gesetze jüngerer Übergangsverwaltungen wie UNMIK im Kosovo vor Erlass vom UN-Sekretariat in New York geprüft. Maßstab sind hierbei die UN-Charta, das Mandat der jeweiligen Übergangsverwaltung sowie allgemein anerkannte völkerrechtliche Standards, insbesondere auf dem Gebiet der Menschenrechte. Selbstverständlich kann eine solche interne Vorabprüfung nicht als Ersatz für eine gerichtliche Kontrolle und für individuelle Klagemöglichkeiten betrachtet werden. Deshalb ist es unverzichtbar, nach juristisch korrekten Lösungen für das Problem der Justiziabilität zu suchen.

Überprüfung durch internationale Gerichte

Der Internationale Gerichtshof (IGH), der gemäß Artikel 92 der UN-Charta als »Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Na-tionen« fungiert, kommt als Instanz zur Überprüfung von Übergangsrecht nicht in Betracht, da die Vereinten Nationen selbst vor dem IGH nicht parteifähig sind und dieser nur über Streitfälle zwischen Staaten entscheidet, so dass Individualrechtsschutzverlangen von vornherein aussichtslos wären.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat seine Zuständigkeit für die Überprüfung von Übergangsrecht in einer Entscheidung vom Oktober 2007 verneint. Da eine internationale Organisation wie die UNO und ihre Nebenorgane keine Parteifähigkeit vor dem EGMR besitzen, weil nur eine unterzeichnende Vertragspartei beklagt werden kann, hatten die Beschwerdeführer ihre Klage nicht gegen die UNO, sondern gegen das Land Bosnien-Herzegowina gerichtet. In der Begründung heißt es, die Rechtsakte des Hohen Repräsentanten seien Bosnien zuzurechnen, da die Vereinten Nationen nicht die notwendige »effektive Kontrolle« über ihre Übergangsverwaltung ausübten.
Der EGMR hielt dagegen, dass es sich bei den Übergangsgesetzen keinesfalls um innerstaatliche Rechtsakte des Landes Bosnien handele, sondern um Rechtsakte der Vereinten Nationen, für deren Überprüfung der EGMR nicht zuständig sei.
Diese Betrachtungsweise trifft zu. Die Rechtsakte einer Übergangsverwaltung tragen – wie oben dargestellt – keinen innerstaatlichen Charakter. Eine Zurechnung des Übergangsrechts zu den innerstaatlichen Behörden über die Figur der fehlenden »effektiven Kontrolle« erscheint konstruiert und offensichtlich von dem (nachvollziehbaren) Wunsch getragen, eine Zuständigkeit des EGMR trotz fehlender Parteifähigkeit der Übergangsverwaltung zu begründen.

Überprüfung durch außergerichtliche oder gerichtsähnliche Institutionen

Auf den ersten Blick scheint eine große Bandbreite von außergerichtlichen Überprüfungsmechanismen zu existieren, besonders im Kosovo. Eine genauere Betrachtung zeigt aber, dass keine der Institutionen in der Lage ist, dem Problem des fehlenden Rechtswegs abzuhelfen.
Kosovo
Im Kosovo gibt es mit dem Menschenrechtsbeauftragten, dem Menschenrechtskomitee, dem Menschenrechtsforum sowie dem »Kosovo Media Appeals Board« (MAB) gleich vier Institutionen, in deren Zuständigkeit eine Überprüfung von Übergangsgesetzen fallen könnte.
Die Institution des Menschenrechtsbeauftragten wird durch Kapitel 10 der Übergangsverfassung des Kosovo errichtet. Die so genannte »Ombudsperson« soll als unabhängige Anlaufstelle in Fällen von Menschenrechtsverletzungen oder Amtsmissbrauch Abhilfe schaffen. Im Kosovo gelten nämlich internationale Menschenrechtsstandards, und zwar auch für das Handeln der Übergangsverwaltung, was diese grundsätzlich auch anerkannt hat.
Allerdings können diese menschenrechtlichen Standards gegen UNMIK nicht wirklich durchgesetzt werden. Der Menschenrechtsbeauftragte besitzt, entgegen der Formulierung seines Mandats (»shall have jurisdiction«), keine echte judikative Gewalt. Er hat nur das Recht, Beschwerden anzunehmen und zu untersuchen sowie Empfehlungen in der jeweiligen Angelegenheit abzugeben. Eine Überprüfung von Gesetzen aus nationaler oder internationaler Quelle gehört nicht zu seinen Zuständigkeiten, ebenso wenig das Fällen verbindlicher Urteile. Insbesondere kommt eine Revision von Übergangsgesetzen nicht in Betracht, da Kapitel 10.2 der Übergangsverfassung die Übergangsgesetze ausdrücklich über die Kompetenzen des Menschenrechtsbeauftragten erhebt: Dieser habe nicht über UNMIK-Gesetze, sondern vielmehr in Übereinstimmung mit diesen zu entscheiden.
Wie beschränkt die Macht des Menschenrechtsbeauftragten gegenüber UNMIK ist, illustriert der Fall Elife Murseli against The United Nations Missions in Kosovo. Hier ging es nicht einmal um die Überprüfung eines Übergangsgesetzes, sondern nur um ein Rechtsschutzbegehren gegen eine von UNMIKs Verwaltungsentscheidungen. Die Klägerin Elife Murseli hatte vor einem Gericht der kosovarischen Gemeinde Kacanik gegen die Entscheidung zur Berufung eines neuen Grundschuldirektors geklagt, bei der ihre Bewerbung nicht berücksichtigt worden war. UNMIK, deren »Department for Education and Science« die angegriffene Entscheidung zu verantworten hatte, berief sich vor dem Gemeindegericht auf seine Immunität gemäß Regulation 2000/47 vom 18. August 2000, deren Abschnitt 3.3 lautet: »UNMIK personnel, including locally recruited personnel, shall be immune from legal process in respect of words spoken and all acts performed by them in their official capacity.«
Dennoch gab das Gericht der Klägerin Recht. Daraufhin wies UNMIK in einem Brief an das Gericht darauf hin, dass eine Durchsetzung des Urteils unmöglich sei, da eine Neubesetzung des Schuldirektorenpostens einzig in der Macht von UNMIK stehe und jede andere Maßnahme »without validity and unenforceable against UNMIK« sei. Dem Menschenrechtsbeauftragten blieb einzig die Möglichkeit, das Verhalten von UNMIK als einen Verstoß gegen die Rechtsweggarantie in Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu qualifizieren. Die Klägerin hatte nichts davon.
Im Weiteren variierte die Zusammenarbeit von UNMIK mit dem Menschenrechtsbeauftragten je nach Einzelfall. In politisch relevanten Fällen verweigerte UNMIK regelmäßig die Kooperation. Mit Regulation 2006/6 vom 16. Februar 2006 stellte UNMIK schließlich klar, dass dem Menschenrechtsbeauftragten in Zukunft keine Kompetenz zur Überprüfung von Maßnahmen der Übergangsverwaltung zukommen werde. Nachdem auf einer Demonstration im Februar 2007 zwei Menschen von UNMIK-Beamten erschossen worden waren, versuchte der Menschenrechtsbeauftragte trotzdem zu intervenieren. Der Versuch einer Untersuchung scheiterte wiederum daran, dass die Übergangsverwaltung Immunität für sich in Anspruch nahm.
Das »Human Rights Oversight Committee« (Menschenrechtskomitee) wurde im Jahr 2002 als ein interner Kontrollmechanismus von UNMIK gegründet, besaß jedoch nur beratende Kompetenzen. Da das Menschenrechtskomitee hinter verschlossenen Türen tagte und keine Berichte veröffentlichte, ist nicht bekannt, ob es seine Rolle als interne Überprüfungsinstanz jemals ausübte. Obwohl das Menschenrechtskomitee formell weiterexistiert, hat es sich seit dem Jahr 2004 nicht mehr getroffen.
Vier Jahre später schuf das Übergangsgesetz UNMIK/REG/ 2006/12 vom 23. März 2006 das »Human Rights Advisory Panel« (Menschenrechtsforum), vor dem Menschenrechtsverletzungen durch UNMIK von Einzelpersonen geltend gemacht werden können. Prüfungsmaßstab des Menschenrechtsforums sind die in Abschnitt 1.2 der Regulation genannten internationalen Menschenrechtsabkommen, zu denen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Europäische Menschenrechtskonvention und der Internationale Pakt für bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 gehören. Der Gründung des Menschenrechtsforums war heftige Kritik an der fehlenden gerichtlichen Verantwortlichkeit von UNMIK vorausgegangen, nachdem die Übergangsverwaltung das Mandat des Menschenrechtsbeauftragten beschränkt hatte.
Obwohl das Menschenrechtsforum aus drei internationalen Richtern besteht, die vom Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ernannt werden, dazu ein ordentliches gerichtliches Verfahren besitzt und sich eine Verfahrensordnung gibt, seinem äußeren Anschein nach also einem unabhängigen Gericht ähnelt, ist es nicht mit der Fähigkeit zum Erlass von bindenden Urteilen ausgestattet. Zwar erlässt es Urteilssprüche (»findings«); diese sind aber gemäß Abschnitt 1.3 von UNMIK/REG/2006/12 »of an advisory nature«. Abschnitt 17.3 sieht überdies vor, dass der »Special Representative of the Secretary-General shall have exclusive authority and discretion to decide whether to act on the findings of the Advisory Panel«. Der Special Representative behält sich also die Entscheidung darüber vor, ob er den Urteilssprüchen des Forums Folge leisten will oder nicht.
Zusätzlich zu dieser offensichtlichen Schwäche des Mandats dauerte es bis ins Jahr 2008 hinein, bis das Menschenrechtsforum überhaupt seine Arbeit aufnehmen konnte. Als Gründe für die Verzögerung wurden vor allem logistische Schwierigkeiten (Budgetprobleme, Personalknappheit, mangelnde Räumlichkeiten) genannt.
Das Kosovo Media Appeals Board (MAB) ist eine Berufungsinstanz, die Entscheidungen des »Temporary Media Commissioner« (hier übersetzt mit »Medienbeauftragter«) überwacht. Der Medienbeauftragte wiederum wurde zum Zweck der »implementation of a temporary regulatory regime for all media in Kosovo« durch UNMIK/REG/2000/36 vom 17. Juni 2000 ins Leben gerufen (und im Jahr 2005 durch die in lokaler Verantwortung stehende »Independent Media Commission« ersetzt). Nach demselben Übergangsgesetz kann das MAB jede Auflage oder Maßnahme des Medienbeauftragten bestätigen, modifizieren oder aufheben. Es handelt sich bei dieser Institution also um eine quasigerichtliche Instanz, die zur Kontrolle einer von UNMIK etablierten Verwaltungsinstanz (nämlich des Medienbeauftragten) berufen ist.
Das MAB verdient an dieser Stelle Beachtung, weil es über seine Kompetenzen hinaus in einem berühmt gewordenen Fall die beiläufige Überprüfung eines Übergangsgesetzes vorgenommen hat.
Im Juli 2000 verhängte der Medienbeauftragte eine Strafe in Höhe von 25.000 DM gegen die Zeitung dita, weil diese Fotos und persönliche Angaben von drei Personen veröffentlicht und sie der Teilnahme an Kriegsverbrechen beschuldigt hatte. Unter den Genannten waren zwei serbisch-orthodoxe Priester; zwei Tage später wurde auf zwei andere Priester aus dem gleichen Ort geschossen. Den Ereignissen war im April/ Mai 2000 ein anderer Fall vorausgegangen, in dem ein serbischer UNMIK-Mitarbeiter zu Tode kam, nachdem dita ihn als Kriegsverbrecher bezeichnet hatte. Weil die erwähnte Geldstrafe in Höhe von 25.000 DM nicht bezahlt wurde, erließ der Medienbeauftragte ein Betriebsverbot für dita. Das MAB sollte dann im Fall Beqaj & Dita versus The Temporary Media Commissioner über eine Beschwerde des Herausgebers von dita entscheiden.
Unter anderem prüfte das MAB die Rechtmäßigkeit des Übergangsgesetzes UNMIK/REG/2000/37 vom 17. Juni 2000, welches die Verhängung von Sanktionen regelt. Das MAB räumte ein, dass es grundsätzlich nicht zu einer Überprüfung von Übergangsrecht befugt sei. Dennoch stellte es einen Verstoß gegen Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention fest, weil UNMIK/REG/2000/37 keine ausreichenden prozeduralen Garantien für Betroffene bereithalte. Die Rechtmäßigkeit eines Übergangsgesetzes wird also in Frage gestellt, obwohl sich das MAB nicht zu einer solchen Überprüfung befugt fühlt. Die Entscheidung erfolgt ausdrücklich ohne Rechtsgrundlage. Der Fall spiegelt das zunehmende Unbehagen an fehlenden Rechtsschutzmöglichkeiten gegen das Übergangsrecht sowie das Bedürfnis, diesen Mangel durch außergerichtliche Spruchpraxis zu mildern.
Bosnien
Annex VI zum Dayton-Abkommen enthält die in Bosnien geltenden Grundrechte und gründet zu deren Überwachung die Institutionen eines Menschenrechtsbeauftragten (»Human Rights Ombudsman«) und einer Menschenrechtskammer (»Human Rights Chamber«), die gemeinsam die Menschenrechtskommission (»Commission on Human Rights«) bilden. Beide Organe sind für die Bearbeitung von Anträgen zuständig, die von Individuen, Gruppen oder Nichtregierungsorganisationen gestellt werden können. Dabei kommt der Menschenrechtskammer, deren Entscheidungen »final and binding« sein sollen, echte Rechtssprechungsgewalt zu, die z.B. die Möglichkeit einer Verurteilung zu Schadensersatzzahlungen umfasst. Mögliche Verfahrensgegner sind die Parteien von Annex VI...

Inhaltsverzeichnis

  1. I. Einleitung
  2. II. Gestalt und Gesetzgebung der Übergangsverwaltungen
  3. III. Souveränitätsbeschränkendes Handeln
  4. IV. Die Rechtsgrundlage der Übergangsverwaltung
  5. V. Der Rechtscharakter des Übergangsrechts
  6. VI. Zur Justiziabilität des Übergangsrechts
  7. VII. Fazit: Der Weg zum Rechtsweg
  8. Anhang