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Bekenntnisse und Einsichten. Tagebuch 1989

  1. 336 Seiten
  2. German
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Bekenntnisse und Einsichten. Tagebuch 1989

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Als Markus Wolf in der Silvesternacht des Jahres 1988 zusammen mit seiner Familie das neue Jahr begrüßt, ahnt er gleich allen anderen Menschen in Ost und West nicht, dass am Ende dieses Jahres alles ganz anders sein wird: Das Politbüro wird entmachtet sein, die SED wird in ihrer zuletzt völlig erstarrten Form nicht mehr existieren, der Warschauer Vertrag wird zerbröckeln, freie Wahlen im bürgerlichen Sinne, eine Währungsunion mit der Bundesrepublik und die schließliche Vereinigung kündigen sich an. Dieses seit langem vergriffene Buch ist nicht nur Chronik des alles verändernden Jahres 1989 aus der Sicht eines prominenten DDR-Bürgers, es ist auch Niederschrift privatester Vorgänge und persönlichster Gedanken sowie zeitgeschichtliche Ergänzung zum zwischenzeitlich veröffentlichten großen Memoirenband eines der berühmtesten »Spionagechefs im geheimen Krieg«.

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Information

Vorwort zur 1. Ausgabe von 1991
»Jeder Mensch wird im Laufe des Lebens mit einer Richtstatt konfrontiert«, sagt der Dichter Tschingis Aitmatow, und er bezeichnet diese Richtstatt nicht einfach als einen Ort der Hinrichtung, sondern vielmehr als einen Ort der Wahrheit für jeden Menschen.
Das Gefühl, am Ort meiner Wahrheit zu stehen, hatte ich am 4. November 1989. Die Worte Aitmatows betrafen mein Innerstes, als mich, während der Protestdemonstration der Fünfhunderttausend auf dem Berliner Alexanderplatz, dort, auf der improvisierten Rednerbühne, meine dreißig Jahre als hoher Funktionär im Ministerium für Staatssicherheit mit den gellenden Pfiffen aus der Menge wieder einholten.
Der Aufforderung der Berliner Künstler, bei dieser Gelegenheit und an dieser Stelle zu sprechen, war ich im Verständnis gefolgt, den Protestierenden zuzugehören, gleich denjenigen der anderen Redner, die in Opposition zum Regime standen. Mit dem Aussteigen aus dem Amt einige Jahre zuvor, mit dem Buch »Die Troika«, in dem ich innere und äußere Brüche mit dem nun vergehenden System offenbart hatte, mit den Lesungen, bei denen ich viele Menschen ermutigte, couragiert für Glasnost und Perestroika auch bei uns einzustehen, glaubte ich mich an der Seite der Rebellen dieser letzten Jahre.
Als ich mit trockenem Mund vom Pritschenwagen stieg, sagte jemand zu mir: »Du warst vom Stasi-General zum Hoffnungsträger geworden, und jetzt gehst du den Weg zurück zum Stasi-General.« Der Mann hatte wohl recht.
An jenem Novembertag war mir dieser Rück-Weg so deutlich noch nicht bewusst, wie in den folgenden Monaten und bis zu dem Tag, da ich diese Zeilen schreibe. Als die vom Zorn des Volkes ausgelöste Lawine immer schneller in Richtung »Deutschland, einig Vaterland« rollte, geriet ich, durchaus überraschend für mich, als einer der wenigen in jenem gewaltigen Apparat in unmittelbare Nähe zu den Hauptverantwortlichen für das mannigfach begangene Unrecht. Mein Engagement für das Neue, meine politische Gratwanderung mit der »Troika« wurden schnell vergessen, zählten als vorausschauende Rückversicherung eines Hellsehers, galten nichts mehr und erscheinen auch, jedenfalls aus der Sicht von heute, unbedeutend und klein. Wohl mit Recht werde ich zunehmend mit der Frage konfrontiert, ob das, was ich tat, nicht viel zu zaghaft, zu zahm, viel zu spät gedacht und begonnen war.
Ich stelle mir die Frage, was wir, unsere Generation und die unserer Väter, versäumt oder falsch gemacht haben trotz unseres ehrlichen Bemühens, die guten und edlen Ideale unserer Weltanschauung in den Ländern zu verwirklichen, wo, gleich uns, viele Menschen den Sozialismus im Kommen glaubten. Doch schon beim Nachdenken darüber holten mich bei der Arbeit am Buchmanuskript in Berlin und Moskau die Jahre meiner aktiven Tätigkeit mit elementarer Wucht ein. Als ehemaliger Leiter der Hauptverwaltung für Aufklärung, des Nachrichtendienstes also, bin ich gezwungen, immer wieder Fragen nach dieser Arbeit, häufig genug zu bekannt gewordenen, sensationellen Aktionen zu beantworten, vielfach auch zu Bereichen der Staatssicherheit, für die ich keinerlei Verantwortung trug, die die Öffentlichkeit aber ungemein bewegen. Man erwartet von mir, dass ich Aufschluss gebe, die Wirklichkeit erhelle. In diesem Buch versuche ich das an Beispielen wie der so genannten Affäre Guillaume, die zum Sturz von Bundeskanzler Willy Brandt beitrug, und auch an einigen anderen Fällen und Vorgängen – vieles wird späteren Veröffentlichungen vorbehalten bleiben müssen. In der Verantwortung fühle ich mich gegenüber den Menschen, die ich zur Tätigkeit in der Aufklärung veranlasst habe, eine Tätigkeit, die ich nach wie vor für notwendig erachte und für die ich geradestehe. Für viele von ihnen verkörpere ich mit meiner Person, meiner Biographie, meinen Ansichten Ideale, die sie mit ihrer Arbeit zu befördern oder zu verwirklichen glaubten. Nun sehen sie sich in vielerlei Hinsicht im gesellschaftlichen Aus. Mit Recht erwarten diese Aufklärer Antwort von mir. Sie sind nicht verantwortlich für die Unterdrückung im Inneren des Landes. Auch für sie appellierte ich auf dem Alexanderplatz an das Volk, nicht alle unterschiedslos zu Prügelknaben der Nation zu machen. Für die Chance dieser Menschen, Positives in ein geeintes Deutschland einzubringen, trete ich ein und dafür, dass sie sich vor ihren Kindern für ihr Leben nicht schämen müssen.
Die Angriffe sind kräftig. Wochenlang wurde kaum ein anderer Name als meiner mit in der DDR untergetauchten ehemaligen RAF-Terroristen in Verbindung gebracht, zierten böswillige Karikaturen vom »Wolf im Schafspelz« Zeitungsseiten, wurden Unterstellungen zur Amtsführung und auch zum Privatleben ausgestreut, fanden Richtigstellungen kein Gehör. Weil dieses Kapitel einer unrühmlichen Vergangenheit bisher nur wenig aufgehellt wurde und seine Bewältigung noch Zeit erfordern wird, muss ich mir solche Fragen gefallen lassen. Weil ich in diesem System ein hohes Amt bekleidete, muss ich selbst mein Gewissen befragen, welche Mitschuld aus verdrängtem Wissen entstand.
Vielleicht wiegt die Erkenntnis noch schwerer, durch das lange Ausharren in dieser Funktion das ganze System, das in wenigen Wochen vom Volk hinweggefegt wurde, mitgetragen zu haben, mitverantworten zu müssen. Was nützt da die Rechtfertigung, in letzter Stunde aufgestanden zu sein, als andere immer noch schwiegen? Allerdings muss ich zugeben, dass mich mancher persönliche Angriff mit Bitterkeit erfüllt.
Das Bild ist nicht unähnlich dem des biblischen Sündenbocks: Die Menschen beladen den Ausgewählten mit eigenen Lasten, Fehlern und Sünden und schicken ihn in die Wüste. Sie selbst sind gereinigt, sie haben verdrängt, statt zur Selbsterkenntnis vorgestoßen zu sein. Das Ausmerzen wohlwollender Bilder von gestern durch dieselben Medien kann nur heißen, alles von der gewesenen Republik soll ausgelöscht werden, unterschiedslos, ob schlecht oder gut.
Auf andere Weise als es mit mir geschieht, werden viele von denen, die den Aufbruch von damals getragen haben, heute ins Abseits gestellt, sei es, weil sie gleich mir glaubten, in der Deutschen Demokratischen Republik doch noch das Wort Sozialismus mit dem Wort Demokratie verbinden zu können, und dafür weit früher als ich und mit bitteren persönlichen Folgen eingetreten waren, sei es, weil sie meinen, die Morschheit und Korruptheit des zerschlagenen Systems sei nicht Beleg für Vollkommenheit und ewige Gültigkeit des anderen, in das wir alle nun hineingestellt sind. Ich sagte damals am Schluss meiner Ansprache über die Pfiffe hinweg: Vielleicht können wir mit unserem Aufbruch Michail Gorbatschow und den Menschen in der Sowjetunion etwas vom Mut und der Hoffnung zurückgeben, die sie mit Perestroika und Glasnost in dieses Land gebracht haben.
Das war für kurze Zeit unsere Hoffnung.
Haben wir umsonst gelebt? Ging der Vater in die Irre auf seinem Weg vom humanistisch denkenden und handelnden Arzt, vom suchenden Pazifisten zum überzeugten sozialistischen Schriftsteller, einem Weg, auf dem er Keime einer erträumten Zukunft in der DDR zu sehen meinte?
Und der Bruder?
Glaubte Koni bis in seine letzten Lebensjahre, als ihn das Wissen um die Krankheit unserer Gesellschaft mehr quälte als das eigene, tödliche Leiden, nicht fest an den wahren, vom Humanismus bestimmten Sozialismus?
Und mein Leben?
Am Beginn des Jahres 1989 hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich am Ende des gleichen Jahres solche Fragen stellen würde.
Dieses, unser Leben und unser Land so grundlegend verändernde Jahr begann in der dörflichen Behaglichkeit unseres märkischen Waldgrundstücks. Nachdem wir in festlich-kühler Hotelatmosphäre das neue Jahr begrüßt hatten, waren wir froh, die frische Winterluft genießen zu können. Beim Spaziergang zum stillen Dorf dachten wir an das erste, zurückliegende Jahr eines hier gelebten, neuen Glücks. Die Landschaft war damals in tiefem Schnee versunken gewesen, die Bäume, der Garten, das spitze Dach des Hauses.
Meinen Dienst im Ministerium hatte ich endlich aufgegeben und mit der Arbeit am Buch begonnen. Jetzt, Anfang 1989, erinnerte nichts an jenen Winter. Der verwilderte Uferstreifen am verträumten See bot einen eher tristen Anblick.
Bei der Baracke der Fischer, dort, wo der Bach den See wieder verlässt, man blickt über den Steg, an dem die alten Kähne festgemacht sind, und über die Fischkästen aufs Wasser hinaus, hatte ich, wie schon so oft zuvor, den Wunsch, malen zu können, um dieses für uns so liebenswerte Fleckchen Erde auf immer festzuhalten. Das kleine, verwunschene Fachwerkhäuschen, das es bis heute nicht geschafft hat, von allein zusammenzufallen, sondern immer wieder die Phantasie der Kinder beschäftigt, gibt allerdings, wie vieles hier, Theodor Fontane recht, der auf seinen »Wanderungen« gleichmütig vermerkt, es lohne sich nicht, an diesem Ort zu verweilen. Dabei war zu den Zeiten des Chronisten der Mark Brandenburg das Dorf kaum so heruntergekommen wie jetzt. Immerhin verweist aber Fontane auf die Kirche, zu der, trotz ihres gleichermaßen verfallenen Zustands, einen Umweg zu machen sich noch heute lohnt. Wir freuen uns über jeden Neubau im Dorf, den frischen Putz an den alten Häusern, den schön instandgesetzten Kindergarten. Hier fühlen wir uns zu jeder Jahreszeit heimischer als in der großen und lauten Stadt. Entgegen dem Rat Fritzens, des Fischers, wir sollten die Dorfgaststätte, die gerade wieder den Pächter gewechselt hatte, lieber vergessen, ließ uns der Hunger einen Versuch wagen. Zu unserer Überraschung war die Kneipe geöffnet. Drinnen hatte sich eine kleine, feuchtmuntere Gemeinde zum Neujahrsfrühschoppen versammelt. Dort saß auch der Bürgermeister. Die neue, uns bisher unbekannte, freundliche Wirtin servierte Runde um Runde, die abwechselnd von den verschiedenen Tischen bestellt wurden. Einer der Älteren hatte gerade wieder einen Schnaps spendiert und uns ins Gespräch verwickelt, als sich der reichlich beschwipste Maurer Wolli zu uns setzte. Die Bekanntschaft war schnell geschlossen. Er erzählte von sich und begann, mir dabei unmerklich auf den Zahn zu fühlen. Ob wir aus Berlin oder »von der anderen Seite« kämen? Nachdem ich mich als Bücherschreiber zu erkennen gegeben hatte, meinte er, ich sei »etwas Besonderes«. Unverhofft stellte er die Frage, ob ich vielleicht ein Russe sei. Eigenartig, das ist mir schon öfter widerfahren. Dabei sollten doch weder mein Habitus noch meine Sprache Anlass zu einem solchen Schluss geben. Ist vielleicht doch mehr von der »russischen Seele« in mir hängen geblieben, als ich verleugnen kann? Nach ein paar freundlichen Komplimenten für Andrea, meine Frau, ging das listig geführte Interview weiter. Ob wir am Ort ein Grundstück hätten? Als ich die Feldsteine an unserem Häuschen erwähnte, nickte Wolli, jetzt wisse er Bescheid! Er habe auch schon solche Häuser gebaut! Sein Angebot, jederzeit, wenn wir ihn brauchten, für uns da zu sein, hörte sich aus seinem Munde, dem eines Handwerkers, gut an. Weitere Runden gingen zwischen den Tischen, auch dem des Bürgermeisters und unserem, hin und her. Schließlich setzte sich der Bürgermeister zu uns. Er versuchte, mich für ein Einwohnerforum zu interessieren. Dabei ging es ihm gewiss mehr darum, einen ungewöhnlichen Gast für eine Rentnerveranstaltung zu gewinnen. Ich hätte allerdings lieber bei jungen Leuten ein Stück aus dem ersten Kapitel der »Troika«, dem Teil über unsere Jugendzeit in Moskau, getestet. Die allgemeine Ruhe des Jahresanfangs fand ihre Entsprechung darin, dass ich von den aufregenden Problemen der letzten Tage des für mich so widersprüchlich zu Ende gegangenen Jahres vorläufig verschont blieb. Wie lange?
Im Zusammenhang mit dem 100. Geburtstag des Vaters am 23. Dezember 1988 waren jene Konflikte an die Öffentlichkeit gedrungen, die mich seit meinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst, besonders aber seit jener Zeit, da das Jubiläum näher kam, begleitet hatten. Es passierte viel Erfreuliches: Der Autor wurde in seine Geburtsstadt Neuwied am Rhein heimgeholt. Auch in unserem Land wurden ihm zahlreiche Ehrungen zuteil und neuentdeckte Spuren seines Wirkens bekannt gemacht. Andererseits gab es aber einen heftigen Streit mit den Mediengewaltigen der Partei, die Friedrich Wolf zwar als Objekt der Pflege sozialistischer Traditionen gelten lassen wollten, sein Eintreten für individuelle Freiheit und Menschenwürde, seine Aufforderung zur Zivilcourage aber gern verschwiegen hätten. Der Konflikt war im Sommer an dem Dokumentarfilm über den Vater, »Verzeiht, dass ich ein Mensch bin«, entbrannt. ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Geleitwort für die Neuausgabe 1999
  2. Vorwort zur 1. Ausgabe von 1991
  3. Epilog