Sterben lernen:  Christoph Schlingensiefs autobiotheatrale Selbstmodellierung im Angesicht des Todes
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Sterben lernen: Christoph Schlingensiefs autobiotheatrale Selbstmodellierung im Angesicht des Todes

  1. 277 Seiten
  2. German
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Sterben lernen: Christoph Schlingensiefs autobiotheatrale Selbstmodellierung im Angesicht des Todes

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Über dieses Buch

In seinen letzten, nach der Krebsdiagnose im Jahr 2008 entstandenen Inszenierungen rückte der Theaterregisseur Christoph Schlingensief das persönliche Aufbegehren gegen den eigenen Tod in das Zentrum seines Schaffens. Die Publikation widmet sich dieser totalen künstlerischen Ich-Geste und stellt Schlingensiefs theatrale Selbstinszenierung dabei einerseits in den Horizont autobiographischer Selbstkonstruktion und beleuchtet andererseits die Relevanz der philosophischen Formel des Sterbenlernens für seine letzten Bühnenarbeiten.

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Information

1 Zu Christoph Schlingensiefs „Krebs-Trilogie“

In den im Zentrum der Ausführungen stehenden letzten Theaterarbeiten Christoph Schlingensiefs, entstanden nach seiner Krebsdiagnose im Jahr 2008, spannt sich über die persönliche Auseinandersetzung des Regisseurs mit der eigenen Erkrankung und dem möglicherweise bevorstehenden Tod ein aufgrund seiner intertextuellen und -medialen Dichte bisweilen unentwirrbares Netz aus künstlerischen, philosophischen und religiösen Motivzusammenhängen. Zwar verkörperte der Regisseur bereits vor der tiefgreifenden Zäsur durch seine Krebsdiagnose den Typus eines totalen Künstlers, der die Oszillation zwischen Leben und Werk einmal ironisch distanziert, dann wieder ostentativ emphatisch zur Grundlage seiner Arbeiten machte, doch erst die Krankheit riss die ohnehin seit je instabile Grenze zwischen der Person und dem Künstler Schlingensief vollends ein. Die existentielle Bedrohung, die der „Eindringling Krebs“1 für ihn bedeutete, wirkte sich fortan in der Art einer conditio sine qua non nach dem Motto: „Ich bin, weil ich krank bin“2 auf seine künstlerische Tätigkeit aus, sodass die letzten Inszenierungen vor seinem Tod ganz im Dienst des Dialogs mit sich selbst standen. In den auf diese Weise generierten theatralen Selbstbefragungen agierte Schlingensief nicht wie in vielen seiner früheren Arbeiten als ein Mit-Spieler unter den Schauspielern, sondern ist, in Radikalisierung seiner Doppelfunktion als Autor-Regisseur und Protagonist, zum eigentlichen Sujet der Inszenierungen geworden. Die Besetzung des Zentrums seiner Theaterprojekte liegt diesen Arbeiten durch die Fokussierung auf seinen persönlichen Umgang mit der Krankheit intrinsisch zugrunde.
Zu dem seit je in vielen seiner Bühnenarbeiten herrschenden Spiel mit den Kategorien von Authentizität und Wahrhaftigkeit sowie seinem Versprechen der unbedingten „Haftbarkeit“3 für seine eminent politische, gesellschaftliche und künstlerische Perspektive, die er als strikten Gegensatz zum Verfahren einer künstlerischen Distanzierung qua Provokation auffasste,4 trat nun eine der Realität seiner Krankheit geschuldete brutale Faktizität hinzu. Das Bestreben, das eigene Schicksal zum Ausgangspunkt seiner künstlerischen Reflexionen zu machen und zugleich den Blick auf das Leben wie auf die Kunst durch die Brille der eigenen existentiellen Situation zu werfen, erfolgte in Konsequenz seiner Überzeugung von der unbedingten Rückbindung seiner künstlerischen Tätigkeit an den eigenen psychischen wie physischen Zustand und stellte das gesamte öffentliche Handeln des Künstlers im Zeitraum der Jahre 2008 bis 2010 in einen auf Selbstinszenierung hin angelegten, autobiotheatral kommentierten Zusammenhang. Die Rezensionen zur sogenannten „Krebs-Trilogie“5 Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir, Der Zwischenstand der Dinge und Mea Culpa etablieren in dieser Hinsicht eine Reihe an Motiven, die für eine analytische Durchleuchtung der Sterbe-Inszenierungen Schlingensiefs vor der Folie der literarisch-autobiographischen Praxis fruchtbar zu machen sind.

1.1 Das Fluxus-Oratorium Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir

Schlingensief war sich bereits am 20. Februar 2008 darüber bewusst, dass er die Auflehnung gegen sein mögliches Ende in Kunst überführen müsse und hielt unter diesem Datum in seinem Krebstagebuch So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein den Wunsch fest, Fragmente seines Ichs in eine Inszenierung zu montieren: seine Gedanken in szenische Bilder zu transformieren, sich an seinem Freund Beuys abzuarbeiten und mit seinen Lieblingen auszusprechen, seine Altäre aufzubauen und den Leuten, die er verehre, zu huldigen.1 Schon im Juni 2008 inszenierte er als Recherchearbeit zu seinem Fluxus-Oratorium im Studio des Berliner Maxim Gorki Theaters einen zunächst lediglich seinem privaten Umfeld zugänglichen Abend, der im November desselben Jahres unter dem Titel Der Zwischenstand der Dinge einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Seine erste öffentliche theatrale Auseinandersetzung mit dem Tod stellt allerdings die Inszenierung Eine Kirche der Angst im Rahmen der Ruhrtriennale dar. Im Fluxus-Oratorium als einem komplexen „Gewebe von Zitaten“2 bildeten neben Werken von Joseph Beuys und Richard Wagner, der Gattungsbezeichnung entsprechend, auch jene von Fluxus-Künstlern die Grundierung seiner theatralen Collage. Einem Gedanken Ciceros entsprechend, wonach das Alter Ego als zweites Selbst die Position eines katalysatorischen Gegenübers einnimmt, dienten Schlingensief die künstlerischen Vorbilder als Reflexions- und Projektionsflächen seiner eigenen Gedanken.3 Sowohl die Konfrontation mit als auch die Projektion auf verschiedene/n Alter Egos ermöglichte es ihm, nicht nur in seinem eigenen Namen von sich zu erzählen, sondern seine Geschichte als diejenige Anderer zu imaginieren. Die seinen Theaterarbeiten von Anbeginn zugrunde liegende, in den letzten Inszenierungen jedoch um die Dimension seiner prekären Existenz zugespitzte ästhetische téchne des Zusammentragens und -setzens von heterogenem künstlerischen Material bezog er dabei letztlich, entgegen seinem in der Tagebuchnotiz erklärten Programm, nunmehr umfassend auf die Thematisierung seines Ichs. Seiner existentiellen Vagheit hat er auf diese Weise ein ästhetisches Äquivalent abgerungen, das sein Ich in immer andere und neue Kontexte einwob.
Der Zuschauer, der sich im Jahr 2008 in die Gebläsehalle des Landschaftsparks Duisburg Nord aufmachte, begab sich der Idee nach sowohl in einen theatral behaupteten Kindheitsraum des Regisseurs, nämlich in den Nachbau der Herz-Jesu-Kirche Oberhausen, wo Schlingensief als Messdiener tätig war, als auch in eine seiner künstlerisch prägenden Etappen zurück, an den Drehort seines Films Terror 2000. Unter dem von Beuys entlehnten Motto der Inszenierung, „Wer seine Wunde zeigt, wird geheilt. Wer sie verbirgt, wird nicht geheilt“4, hielt Schlingensief darin eine Kunst-Messe ab. Im Zentrum stand das theatral umgeformte liturgische Moment der von ihm selbst als Priester vollzogenen Wandlung, die den Transformationsprozess vom leidenden zum autonomen Subjekt markieren sollte. Mit seiner Kirche der Angst griff der Regisseur expressis verbis auf das Programm seiner im Jahr 2003 sich firmierenden Church of Fear zurück. Die im Rahmen der Biennale in Venedig gegründete und durch zahlreiche Aktionen bespielte Anti-Kirche verfolgte das selbsterklärte Ziel, die Mechanismen zur Instrumentalisierung von Ängsten durch übergeordnete Sinngebungssysteme wie etwa Kirchen und Religionsgemeinschaften, aber auch durch Politik und Wirtschaft offenzulegen und den Institutionen des Glaubens durch eine Gemeinschaft von Nicht-Gläubigen entgegenzutreten. Die Parallele zu Wagners Vision einer die Religion inkorporierenden Kunst zeigt sich dabei deutlich. Wie Wagners, in der Regenerationsschrift Religion und Kunst (1880) erdachte ästhetische Kontrafaktur einer Kirche,5 die mit dem Bayreuther Festspielhaus in eine Kirche der Kunst mündete, so stand Schlingensiefs Church of Fear entgegen ihrer autonomen Programmatik nichtsdestoweniger im Zeichen einer fundamentalen religiösen Heteronomie. Schlingensiefs Kirche löste ihr alternatives Versprechen, die Anhänger nicht durch Dogmen zu binden, sondern Menschen zu versammeln, „denen das Glauben misslungen ist“6, nämlich nicht ein, sondern gab den Glaubenden gleichwohl einen dogmatischen Imperativ als Handreichung mit: „Habt Angst!“7 lautete das Gebot der Church of Fear.
In seiner Duisburger Kirche der Angst richtete Schlingensief diesen Appell nunmehr in erster Linie an sich selbst. Zwar blieb dabei die ästhetische Funktionalisierung der betont paradoxen Überschreibung von Kirche als Ort des Glaubens mit dem Gefühlszustand der Angst auch unter den gewandelten Vorzeichen von Schlingensiefs persönlichem Zustand konstitutiv. Die Negation von Glaubensdiktaten, die in der Church of Fear noch durch die ostentative Umkehrung von religiösen Tröstformeln wie „Fürchtet euch nicht“ in „fear is the answer“ zum Vorschein kam, trat im Fluxus-Oratorium allerdings in deutlich zurückgenommener Form in Erscheinung. Der Regisseur nutzte sowohl die Wirkungssphäre des Sakralen als auch das dramaturgische Gerüst des Gottesdienstes, um auf deren Basis das religiöse Glaubenssystem und dessen Riten szenisch nachzustellen und zu hinterfragen. Dementsprechend geriet das theatrale Setting regelrecht überbordend: Die Gebläsehalle bot sowohl Kirchengestühl für die Zuschauer wie einen Altarraum für szenische Aktionen auf. Ein Mittelgang wurde für Ein- und Auszüge des singenden Messpersonals verwendet. Kirchenfenster, religiöse Insignien und der Geruch von Weihrauch intensivierten die sakrale Atmosphäre. Konterkariert wurde der kirchliche Pomp durch Bezugnahmen auf eigene und fremde künstlerische Referenzen sowie ironische Kreu­zungen religiöser und persönlicher Devotionalien.
Die Verwandlungen des Bühnenraums, der einmal Krankenzimmer, dann wieder Apsis und doch beides nie ausschließlich war, die Filme, Bilder und Texttafeln, die auf mehrere Leinwände projiziert wurden und das Geschehen auf der Bühne sowohl rahmend kommentierten als auch widersprüchlich übermalten, kreierten ein multimedial codiertes, dissonantes Panoptikum der Schlingensiefschen Existenz. Auf der Grundlage seiner Tagebuchaufzeichnungen, die von verschiedenen Darstellerinnen gelesen wurden, der Einspielung von persönlichen Tonbandaufzeichnungen, dokumentarischen Kinderfilmen sowie Filmen, mit denen er die für ihn künstlerisch prägenden Erlebnisse offenlegte, verknüpfte Schlingensief seinen von Zukunftsangst besetzten gegenwärtigen Zustand mit einer Fülle an vergangenen und fingierten Ichs.
An den Kritiken zu Eine Kirche der Angst zeigt sich paradigmatisch die Schwierigkeit, die Schlingensiefschen Spezifika der ästhetisch wie topologisch „ausstreuenden“ (disseminativen) Inszenierungspraxis und der Evokation des Absoluten im Zeichen der Wiederaufnahme romantischer Kunstphilosophie in einen strukturiert urteilenden Kritiker-Jargon zu überführen. Der Regisseur selbst legte durch die Gattungsbezeichnung des „Fluxus-Oratoriums“ zumindest die Spur zu dem von der Kritik problematisierten Charakteristikum des Montierens von heterogenem Erinnerungsmaterial in den religiösen Rahmen. Die durch den Titel programmatisch angekündigte und im Laufe der Inszenierung tatsächlich vollzogene Vermischung des dynamisch-spielerischen Moments (Fluxus) mit der dem Sakralen eigenen statuarischen Feierlichkeit (lat. oratorium, Bethaus) führte den Großteil der Kritiker zu einer gewissen Unentschiedenheit darüber, ob sie einer überbordenden medial-theatralen Arbeit ansichtig wurden, oder vielmehr an einer parareligiösen Kunst-Messe teilgenommen hatten, die die Rezipienten unweigerlich in den Status von Kirchgängern versetzte. Um diesem eigentümlichen Mischungsverhältnis rhetorisch beizukommen, übernahm das Gros der Rezensenten die im Titel implizierten Terminologien des Fluxus und des (Kunst-)Religiösen, die durch inszenatorische Verweise auf die zentralen spiritus rectores Beuys und Wagner ohnehin deutlich angezeigt waren, und gruppierte die Besprechungen um die semantischen Felder des Schrill-Bunt-Assoziativen und des Andächtig-Rituell-Feierlichen, ohne die Verkettung der beiden Ebenen begrifflich auflösen zu können. Die der Inszenierung zugrunde liegende Verflechtung von Widersprüchlichem wurde von der Kritik folglich ebenso als Leitmotiv aufgegriffen wie die privatreligiöse Aufladung von Kunst.
In den Augen des Kritikers Matthias Heine glich das von Schlingensief inszenierte Weltbild in Eine Kirche der Angst mehr denn je demjenigen einer „Kunstreligion“8. Er sah eine „wilde, synkretistische Messe“9, deren quantitative Dichte an Zeichen sich dem Zuschauer allein deshalb verschloss, weil die Aufführungen „keine Fußnoten“10 hatten. Die Fülle an künstlerischen Referenzen, die Schlingensief im Laufe seiner theatralen Messe aufgeboten hatte, wurde mit unterschiedlichen Implikatio...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Die vorliegende Publikation wurde ...
  6. Einleitung
  7. 1 Zu Christoph Schlingensiefs „Krebs-Trilogie“
  8. 2 Von der Autobiographie zur Autobiotheatralität
  9. ‚Eine Kirche der Angst‘ – Anrufung der Mytheme von Anfang und Ende
  10. ‚Mea Culpa‘ – Künstlervita und Sündenbiographie
  11. 5 Sterben lernen?
  12. 6 Ausblick: Schlingensiefs sozialkünstlerisches Vermächtnis - Auf der Suche nach dem universalen Bethaus
  13. Verzeichnis der zitierten Quellen
  14. Fußnoten