1. Text als linguistischer Gegenstand
Am Anfang jeder textanalytischen Ăberlegung sollte die Frage nach der Definition des Untersuchungsgegenstandes stehen: Was ist ein Text?
Prinzipiell wird das Spektrum unterschiedlicher Textauffassungen durch zwei extreme Positionen eingegrenzt. Die eine bezeichnet als âTextâ alles das, was an beobachtbar geĂ€uĂerter Sprache â wie auch immer realisiert â vorliegt. Die andere Position bezieht den Textbegriff auf das Funktionieren von Sprache jenseits der Satzgrenze. Diese Blickrichtung vom Satz zum Text soll hier den methodologischen Ausgangspunkt bilden, von dem aus verschiedene Herangehensweisen an die linguistische Beschreibung von Texten entwickelt werden bzw. die Analyse der Wesensmerkmale von Texten erfolgt.
In der Struktur einzelner Sprachen können u.a. folgende Ebenen erscheinen:
Der Begriff âTextâ bezeichnet in diesem Zusammenhang zunĂ€chst die sprachliche Struktur oberhalb der Struktur des Satzes. Dementsprechend wird der Text aufgefasst als ein ĂŒbersatzförmiges, d.h. transphrastisches Gebilde (vgl. engl. phrase âSatzâ). Das bedeutet jedoch nicht, dass eine textlinguistische Analyse erst oberhalb der Satzebene beginnt. Vielmehr bedarf sie auch der systematischen Betrachtung der Elemente auf tieferliegenden Ebenen der Sprachbeschreibung. Es bedeutet ebenfalls nicht, dass ein Text immer unbedingt aus Einheiten zusammengesetzt ist, die als SĂ€tze definiert werden können. Das heiĂt, Texte können â wie noch zu zeigen sein wird (vgl. Kap. 3 und 4) â grundsĂ€tzlich nicht ausschlieĂlich durch grammatische Einheiten (wie die des Satzes) bestimmt werden, sonst mĂŒssten zahlreiche, fĂŒr einzelne Textsorten besonders charakteristische Textelemente von vornherein von der Analyse ausgeschlossen werden. Dazu wĂŒrde der Slogan SOS-Kinderdorf â Wir sind Familie! einer Werbeanzeige ebenso gehören wie Brot im Tank als Ăberschrift zum Thema âHerstellung des Biokraftstoffs E10 aus Getreideâ in einer ĂŒberregionalen Tageszeitung.
Mit der Blickrichtung vom Satz zum Text verbindet sich eine Perspektive, die den Text als etwas Ganzes Lesbares und in sich mehr oder weniger Geschlossenes betrachtet. Dabei geht es weniger um solche FĂ€lle wie den Zettel mit der Aufschrift PrĂŒfung! an einer BĂŒrotĂŒr, die sehr weite Definitionen des Begriffes âTextâ einschlieĂen (vgl. Kap. 1.1), sondern vor allem um komplexere sprachliche Gebilde, wie es die spĂ€tlateinische Wurzel des Wortes Text (lat. textus âGewebe, Geflechtâ, abgeleitet vom Verb texere âweben, flechtenâ) in Analogie zur Struktur von Textilien bereits suggeriert.
Der Begriff der âTextualitĂ€tâ bezeichnet dabei die Menge an Eigenschaften, die ein sprachliches Gebilde zu einem Text machen. Dazu muss zunĂ€chst die Frage beantwortet werden, welche Gemeinsamkeiten etwa zwischen einem Buch, einem Zeitungsartikel, einem Brief, einer Printanzeige oder einer Internetseite bestehen. Auf dieser Grundlage kann dann der Frage nachgegangen werden, welche Kriterien erfĂŒllt sein mĂŒssen, damit ein sprachliches Gebilde, also eine bestimmte Ansammlung sprachlicher Erscheinungsformen, als Text wahrgenommen wird. Diese Bedingungen an Texte und deren spezifische Eigenschaften werden in der sprachwissenschaftlichen Forschung mit den Termini âTextualitĂ€tskriterienâ oder âTextualitĂ€tsmerkmaleâ erfasst. Die Bestimmung und Beschreibung dieser TextualitĂ€tskriterien bzw. TextualitĂ€tsmerkmale ermöglicht dann eine Definition des Begriffes âTextâ (vgl. Kap. 1.1).
Texte signalisieren TextualitĂ€t durch bestimmte Hinweise, sog. TextualitĂ€tshinweise, die wiederum auf der Grundlage der TextualitĂ€tsmerkmale bestimmt und systematisiert werden können (vgl. Kap. 1.2). Sowohl die TextualitĂ€tsmerkmale als auch die TextualitĂ€tshinweise bestehen dabei aus sprachlichen und auĂersprachlichen Komponenten.
Wichtig ist an dieser Stelle der Hinweis, dass sich der Ausdruck âTextâ in diesem Buch ausschlieĂlich auf die schriftbasierte Kommunikation bezieht. Die grundlegende Unterscheidung zwischen mĂŒndlichem und schriftlichem Sprachgebrauch scheint auf den ersten Blick unproblematisch, sie wird innerhalb der Sprachwissenschaft traditionell mit dem Begriff des Mediums verbunden. Schriftlichkeit wurde im Allgemeinen komplementĂ€r zur MĂŒndlichkeit wahrgenommen und daher im Vergleich mit dieser und in Abgrenzung von dieser definiert und charakterisiert. Der Begriff der Schriftlichkeit umfasst neben den gesellschaftlichen Traditionen und Funktionen des Schreibens vor allem die Merkmale und die Charakteristik geschriebener Texte, ihre Textkonstitution und die Bindung an die Schriftsprache unter dem Gesichtspunkt des sprachlichen Systems. Dabei ist vorerst von elementarer Bedeutung, ob eine ĂuĂerung aufgeschrieben ist oder nicht. Die kognitiven Produktions- und Verarbeitungsprozesse unterscheiden sich beim Schreiben und Lesen deutlich vom Sprechen und Zuhören, was zum Teil an den Eigenschaften des Mediums liegt. So gilt das Schreiben in der Regel als langsamer und als stĂ€rker geplanter Prozess, worauf besser strukturierte und kohĂ€rentere Texte zurĂŒckgefĂŒhrt werden, die komplexer aufgebaut und in mehreren ArbeitsgĂ€ngen konzipiert, ĂŒberarbeitet und korrigiert werden können.
Die Ausdrucksvielfalt der geschriebenen Sprache ist gegenĂŒber der gesprochenen Sprache einerseits eingeschrĂ€nkt, weil sie nicht ĂŒber paraverbale Ausdrucksformen verfĂŒgt (z.B. LautstĂ€rke, StimmqualitĂ€t, Rhythmus) oder mit nonverbalen Ausdrucksformen verbunden ist (Mimik, Gestik, Körperhaltung, Blickverhalten usw.). Andererseits verfĂŒgt sie ĂŒber Ausdrucksmittel, die die gesprochene Sprache nicht hat und die oft als Kompensationsformen interpretiert werden. In der geschriebenen Sprache entsprechen dem Parasprachlichen im engeren Sinne dabei weniger die hĂ€ufig genannten Satzzeichen, sondern eher die sehr stark differenzierbaren Schrifttypen und SchriftgröĂen sowie die besonderen Eigenschaften der TrĂ€germedien.
Schriftlichkeit ist generell gekennzeichnet durch Einwegigkeit (deshalb MonologizitĂ€t), durch die Reduktion der para- und nonverbalen Kommunikationsmöglichkeiten, die auf der syntaktischen, lexikalischen und textlinguistischen Ebene kompensiert werden mĂŒssen1, durch fehlende Synchronie von Produktion und Rezeption sowie durch das Fehlen des unmittelbaren pragmatischen Kontextes, wodurch weitere verbale Kompensationen notwendig sind. Alle vier Punkte werden hĂ€ufig als pragmatische Defizite von Schriftlichkeit zusammengefasst, d.h., die Spezifika der schriftlichen Kommunikation gelten als MĂ€ngel, die durch gröĂere sprachliche Anstrengungen kompensiert werden mĂŒssen, dafĂŒr aber auch die gröĂere kulturgeschichtliche Leistung darstellen.
Modernere Bestimmungen des Konzepts der Schriftlichkeit nehmen neben der medialen Umsetzung vom phonischen ins graphische Medium eine konzeptionelle Schriftlichkeit an, die auf bestimmte Merkmale der Kommunikationssituation (vgl. Kap. 4.3.1) zurĂŒckgefĂŒhrt wird. Dazu gehört beispielsweise das Kriterium der raum-zeitlichen Distanz der Kommunikationsteilnehmer.
Schriftliche Texte stellen den Gegenstandsbereich der Textlinguistik dar. Die Textlinguistik wird in der germanistischen Forschung als eigenstĂ€ndige linguistische Teildisziplin angesehen. Sie wird in der Regel von der GesprĂ€chsanalyse abgegrenzt, die einen eigenstĂ€ndigen Beschreibungsrahmen fĂŒr die mĂŒndliche Kommunikation bildet.
Definition:
Die Textlinguistik ist eine sprachwissenschaftliche Disziplin, die sich mit den formalen und funktionalen Eigenschaften von schriftlichen Texten beschĂ€ftigt. Im Fokus stehen dabei die satzĂŒbergreifende Analyse sprachlicher RegularitĂ€ten und das Ziel, die konstitutiven Merkmale der sprachlichen Einheit âTextâ zu bestimmen.
In anderen Sprachwissenschaften hat die Textlinguistik mitunter eine andere Position. So wird sie im angloamerikanischen Raum in der Regel als Teilbereich einer umfassenden Diskursanalyse (discourse analysis, DA) gesehen.
WeiterfĂŒhrende Literatur:
Coseriu, Eugenio: Textlinguistik. Eine EinfĂŒhrung. Narr Francke Attempto, TĂŒbingen 2007.
Hausendorf, Heiko/Kesselheim, Wolfgang: Textlinguistik fĂŒrs Examen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008.
Schubert, Christoph: Englische Textlinguistik. Eine EinfĂŒhrung. Erich Schmidt, Berlin 2008.
1.1 TextualitÀtsmerkmale
Im Gegensatz zum AlltagsverstĂ€ndnis von Text beruhen sprachwissenschaftliche Textdefinitionen auf Ăberlegungen zu den Kriterien, die einen Text zu einem Text machen, die also die Bedingung fĂŒr TextualitĂ€t sind. Sie werden im folgenden TextualitĂ€tsmerkmale genannt.
Eine frĂŒhe, ĂŒber lange Zeit etablierte Textdefinition stammt von de Beaugrande/Dressler (1981), die davon ausgehen, dass genau sieben dieser TextualitĂ€tsmerkmale erfĂŒllt sein mĂŒssen, damit ein Text zustande kommt. Es sind die Kriterien:
KohÀsion
KohÀrenz
IntentionalitÀt
AkzeptabilitÀt
InformativitÀt
SituationalitÀt
IntertextualitÀt
Das erste der sieben Merkmale ist die KohĂ€sion. Sie bezieht sich auf die Art, wie Texte auf der TextoberflĂ€che durch grammatische Formen miteinander verbunden sind. Bei dieser grammatischen Beziehung zwischen den Einheiten eines Textes handelt es sich hĂ€ufig um satzĂŒbergreifende Relationen, d.h. solche PhĂ€nomene, die fĂŒr eine transphrastische Analyse von Bedeutung sind.
Das Merkmal der KohĂ€renz umfasst nicht die grammatischen Mittel, sondern die Bedeutungsaspekte von Texten wie etwa KausalitĂ€ts-, Referenz- und Zeitbeziehungen, also die inhaltlichen ZusammenhĂ€nge. Es geht dabei um die Herstellung und um das Verstehen von Textsinn durch die VerknĂŒpfung des im Text reprĂ€sentierten Wissens mit dem Weltwissen der Kommunikationsbeteiligten. Sinn bedeutet in diesem Zusammenhang die im Text aktual...