Gutes Altern
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Verborgene Chancen und Hindernisse

  1. 264 Seiten
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Verborgene Chancen und Hindernisse

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Die heute nicht mehr unwahrscheinliche Aussicht, 80, 90 oder 100 Jahre alt zu werden, verschafft uns mehr Lebenszeit, auf die aber niemand wirklich vorbereitet ist."Maßnahmen" gegen die direkten Auswirkungen des Alterns - von Anti-Aging-Cremes bis zu täglicher Bewegung - sind weithin bekannt. Welchen inneren Kräften das Altern aber unterliegt und wie wir uns durch unbewusste Vorurteile und versteckte psychische Zusammenhänge oft selbst schaden, ist für viele ein blinder Fleck.Wer aber weiß, wie solche unbewussten Prozesse zum körperlichen und geistigen Verfall beitragen, kann Einfluss nehmen und sein Altern positiv gestalten. Einblicke in wissenschaftliche Erkenntnisse helfen, verborgene Hindernisse und vor allem Chancen zu erkennen, die dazu beitragen, den eigenen Weg für ein bestmögliches Altern zu finden.

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783955580742

1

Verborgenes sehen lernen

Wir hören und lesen es fast täglich: Unsere Lebenserwartung ist in den letzten Jahren drastisch gestiegen. Seit 1871 hat sie sich mehr als verdoppelt und wird inzwischen bei Jungen auf 80 bis Mitte 80 (damals 39), bei Mädchen auf schon fast 90 (damals 42) Jahre geschätzt. Ebenso ist die weitere Lebenserwartung der Erwachsenen gestiegen: Bald wird ein 60-jähriger Mann im Durchschnitt noch 22 Jahre, eine ebenso alte Frau noch 27 Jahre vor sich haben. Viele von uns werden demnach ein drittes (60 bis 79 Jahre), nicht wenige sogar ein viertes Alter (80 bis 120 Jahre) erleben (Modellrechnung basierend auf Generationensterbetafeln, Statistisches Bundesamt 2006). Das ist für uns Neuland. Uns werden zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit zusätzliche Lebensabschnitte geschenkt.

Älterwerden – Was kommt da auf uns zu?

Älterwerden ist ein gleitender Vorgang, der mit der Geburt beginnt und nicht erst mit 30, 40, 50 oder mehr Jahren. Selbst die von der Weltgesundheitsorganisation festgelegte Grenze des Alters von 60 Jahren wird meist unbemerkt überschritten. Als der Ältere der Autoren erschrocken feststellte, dass er über 60 war, sich aber überhaupt noch nicht alt fühlte, wollte er es wissen. Er befragte alle seine Patienten und Bekannten, die 61 oder älter waren und verglich dann mit Jüngeren. Dabei ergaben sich ganz klar einige Probleme, die nur die Älteren haben. Sie lassen sich in sieben Themenkreisen zusammenfassen, die miteinander vernetzt sind und den komplexen Vorgang des Älterwerdens ausmachen.

Die sieben Themenkreise

A. Verluste

1. Krankheiten: Der Körper macht sich störend bemerkbar.
2. Psychisch: Gedächtnis, Denken und Verhalten ändern sich.
3. Sozial: Wir verlieren unsere gewohnten Rollen und Bezugspersonen.

B. Gewinne und Antworten

4. Entwicklung: Wir gewinnen Erfahrung, werden reifer und finden neue Lösungen und Ziele.
5. Vergänglichkeit: Wir begreifen, dass wir endlich sind und wollen unsere Lebensbilanz abschließen.
6. Generationen: Wir möchten in unseren Nachkommen weiterleben.
7. Transzendenz: Was kommt danach, und was bleibt von uns?
Die ersten drei Themen sind die Veränderungen, die uns beim Älterwerden zustoßen. Die weiteren Themen zeigen, dass sich dabei neue Perspektiven eröffnen und wir einen Spielraum für Antworten und Entscheidungen gewinnen.
Von den Verlusten ist früher oder später jeder betroffen. Das geschieht nicht schlagartig und nicht bei allen im gleichen Alter. Es richtet sich auch nicht nach dem kalendarischen Lebensalter, nimmt aber im Durchschnitt doch mit den Jahren zu. In der Gruppe der 60- bis zirka 75-Jährigen »jüngeren Alten« gibt es noch viele, die sich durchaus recht jugendlich fühlen und sich zwar für gereift, aber in keiner Weise für alt halten und es auch nicht sind. Bei den über 80-Jährigen »älteren Alten« wird das zur Ausnahme, die Anzeichen und Probleme des Alterns überwiegen und sind nicht mehr zu übersehen.
Beim Älterwerden leben wir mit dem Widerspruch, dass wir zwar den Veränderungen ausgeliefert sind, sie uns aber lange verborgen bleiben, weil wir sie – aus inneren Gründen – nicht wahrnehmen wollen. Oft bemerken es die anderen eher als wir selbst. Aber nur wenn wir nüchtern ins Auge fassen können, was da auf uns zukommt, können wir uns darauf einstellen und ihm angemessen begegnen. Je früher wir damit beginnen, desto eher können wir die Beschwernisse abwenden oder abmildern. Um dies im Einzelnen besser aufzuzeigen, ist jedem der oben genannten Themen ein eigenes Kapitel gewidmet.

Warum der Durchblick so schwer ist

Das Älterwerden hat noch weitgehend unbekannte Dimensionen. Wir wissen noch viel zu wenig darüber, was uns in den neu gewonnenen Lebensabschnitten erwartet, und dort zurechtzukommen ist noch nicht in unsere Erfahrung und unsere Instinkte eingegangen. Das Leben läuft auch in der zweiten Lebenshälfte nicht nur an der Oberfläche ab, sondern wird von vielen Faktoren beeinflusst, äußeren wie inneren. Wenn man die Übersicht gewinnen will, muss man durchschauen, dass Älterwerden nicht nur auf der Ebene des Bewusstseins, sondern auch in tieferen, oft nicht bedachten und nicht bewussten Schichten verläuft. Man beginnt dann zu ahnen, welchen entscheidenden Einfluss Verborgenes auf den Ablauf des Alterns, auf die Lebensqualität und sogar auf die Lebenserwartung nehmen kann.
Warum wir uns so schwer tun, mit dem Älterwerden zurechtzukommen, liegt zum guten Teil daran, dass nicht einfach zu durchschauen ist, was da geschieht, sodass sich Vieles unserer Kontrolle entzieht und unsere bewussten Absichten durchkreuzt werden.
Diese Undurchschaubarkeit und Vielschichtigkeit der menschlichen Natur hat sich im Laufe der sehr langen und sehr komplizierten Evolution ergeben. Die über Millionen Jahre erfolgte Differenzierung des Menschen vom Tier zum Homo sapiens (Hominisation) hat über das nur vom Körper und von Instinkten gesteuerte Verhalten hinaus zur Entwicklung von Geist und Seele, zur immateriellen Psyche, geführt. Das zur Gattung Mensch gereifte Lebewesen hat viele nur ihm mögliche Fähigkeiten wie Bewusstsein, Sprache, Erinnerung, Verwertung von Erfahrungen, planendes Denken, lebenslanges Lernen oder Plastizität, um sich neuen Situationen anzupassen, entwickelt. Ergebnisse davon sind zum Beispiel Verbesserungen der Lebensbedingungen, die zum Entwicklungssprung der höheren Lebenserwartung beitragen. So sind durch die Fortschritte im medizinischen Bereich viele Erkrankungen, an denen man früher vorzeitig alterte oder starb, heute ausgerottet oder heilbar.
Die Relikte der animalischen Instinkte bestimmen indes – mehr als uns bewusst und lieb ist – noch immer weitgehend unser aktuelles Verhalten und führen zu ständigen Spannungen und Konflikten mit unseren spezifisch menschlichen Zielen und Wertungen, gerade auch beim Älterwerden.
Die Fähigkeiten der Gattung Mensch muss jeder Einzelne von Geburt an mühselig erst nochmal erlernen (Ontogenese). Eine sehr gute Nachricht ist die neue Einsicht, dass die Entwicklungs-, Anpassungsund Reifungsprozesse im Alter nicht aufhören, sondern sich prinzipiell das ganze Leben hindurch und bis zum Lebensende weiter fortsetzen. Es gibt also ein lebenslanges Lernen, und das schafft gute Voraussetzungen, um das Älterwerden zu erleichtern.

Stirb und werde – Eros und Thanatos

Leben besteht aus dem ewigen Kreislauf von Stirb und Werde, dem täglichen Abbau und der Neuproduktion von Körperzellen, dem täglichen notwendigen Vergessen und dem Lernen von Neuem, der Lösung von alten Bindungen und dem Eingehen von neuen, dem Erlöschen von Interessen und der Suche nach neuen, der Trauer und dem Glück. »Und so lang du das nicht hast, Dieses: Stirb und Werde! Bist du nur ein trüber Gast auf der dunklen Erde.« (Goethe, Selige Sehnsucht) Das ist ein gutes Motto, um mit dem Älterwerden besser zurechtzukommen.
Nach einem von Sigmund Freud entwickelten Modell werden Leben und Sterben von gegenläufig wirkenden Triebkräften in uns selbst gesteuert. Das macht die verborgenen Vorgänge beim Älterwerden sehr gut verständlich und gibt uns Handhaben, Einfluss darauf zu gewinnen.
Nach diesem Modell steht Eros, in der griechischen Mythologie der Gott der Liebe, für Aufbau und Erhalt des Lebens; Thanatos, der Gott des Todes, für die Gegenkräfte. Der Lebenstrieb Eros hat aus der unbelebten Natur Leben entstehen lassen und es zu immer höheren Organisationsstufen mit immer mehr Bindungen gebracht. Thanatos, der »Todestrieb«, ist jedoch von Anfang an ebenso in uns wirksam, schädigt und zerstört unbemerkt, löst Bindungen wieder auf, baut auf stumme Weise Organisationsstufen ab, sodass »alles Lebende aus inneren Gründen stirbt« (Freud 1920g, S. 248) und schließlich in die Ruhe des Unbelebten zurückfällt. »Das Zusammen- und Gegeneinanderwirken von Eros und Todestrieb ergibt für uns das Bild des Lebens.« (Freud 1925d, S. 84)

Altern »aus inneren Gründen«

Das Erkennen dieser unbewussten inneren Vorgänge hilft uns sehr, die vom Todestrieb auf verborgene Weise bewirkten schädlichen Einflüsse auf körperlicher wie psychischer Ebene, die uns unnötig altern lassen, eher erkennen und vermeiden zu können.
Und noch wichtiger: Wir entdecken neue Chancen, mit den Zumutungen des Alters besser zurechtzukommen, wenn wir darauf achten, was die Anzeichen des Älterwerdens uns wohl sagen möchten. So kann ein Körpersymptom bedeuten, eine Illusion aufrechtzuerhalten und eine Bedrohung zu verleugnen oder im Gegenteil ein Alarmsignal sein, das in der Körpersprache auf einen dringlichen Konflikt aufmerksam machen möchte.

Wie wir uns blind machen

Wie alt wir werden, wie lange unser Leben dauert und wann es wohl zu Ende sein wird, sind sehr menschliche Fragen. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das weiß, dass es altert und sterben wird, aber er will es nicht wissen. Seine Intelligenz und seine Phantasie helfen ihm, Tricks anzuwenden, um von den Schrecken und Unwägbarkeiten des Alterns keine Kenntnis nehmen zu müssen und das, was er rational wohl weiß, emotional von sich fernzuhalten. Das Thema wird so weit es geht aus dem Bewusstsein verdrängt, individuell wie kollektiv. Der erste Schritt um Übersicht zu gewinnen, ist deshalb, das, was uns blind macht, durchschauen zu lernen.
Der Durchblick, der so wichtig wäre, wird uns aber versperrt, sodass solche verborgenen Zusammenhänge bisher allenfalls bruchstückweise bekannt geworden sind. Das liegt nicht nur daran, dass es soviel Schwerdurchschaubares und Erklärungsbedürftiges gibt, sondern vor allem daran, dass tief verwurzelte Vorurteile und eine instinktive Abwehr uns davon abhalten, uns mit dem Altern zu beschäftigen. Es beruht auf magischen Methoden, der Vogel-Strauß-Politik, dem Glauben, dass das, was man nicht sieht, auch nicht vorhanden ist und nicht gefährlich werden kann. So wenden wir unwissentlich einige sehr trickreiche Methoden an, um uns blind zu machen und uns damit – vermeintlich – vor den Gefahren des Alterns und des Todes zu schützen. Die Skala reicht von Verleugnung und Ausweichen über Protest und Anklage bis zur Annahme und kreativen Verarbeitung. Manche Auffälligkeiten Älterer sind nicht als Defizit, sondern als sinnvolle Antwort, als Suche nach Chancen und als produktive Auseinandersetzung und Selbstheilungsversuch zu verstehen (Kipp und Jüngling 2000). Diese Sichtweise ist ein Schlüssel für das Verständnis des Verhaltens älterer Menschen.

Ich will es nicht wissen – Verleugnung des Alters

Der Abneigung, sich mit dem Altern und seinen Auswirkungen zu befassen, begegnet man in vielen Formen. Eine häufige Methode der Abwehr ist, sich für die Zukunft blind zu machen. Man will lieber nichts von dem wissen, was einem bevorsteht. Das hat Vorbilder in der Mythologie. Das Motiv des verbotenen Blicks besagt, dass man in eine bestimmte Richtung nicht schauen dürfe, sonst bringe es unweigerlich den Tod.
Ein Beispiel dafür ist Orpheus, der den Tod seiner Gattin Eurydike beweint. Er bittet die Götter um Gnade und Zeus (Jupiter) erlaubt ihm, zum Hades hinunter zu steigen. Wenn er die Furien dort mit seinem Gesang rühren kann, darf er seine Frau wieder ins Leben zurückführen. Die Bedingung ist aber, dass er sich auf dem Rückweg nicht zu ihr umsieht. Er führt sie hinaus, aber als sie schon fast ins Tageslicht treten, beklagt sich Eurydike, ihr Mann sehe sie nicht an, liebe sie also nicht mehr und sie wolle deshalb in die Unterwelt zurückkehren. Orpheus kann nicht umhin, sich umzudrehen und verliert sie dadurch endgültig.
Ein in den Anden lebender Volksstamm hat die Lösung gefunden, einfach die Richtung der Zeitenfolge umzudrehen. Die Vorstellung dabei ist, dass die Vergangenheit, die man sehen und betrachten kann, vor einem liegt, die Zukunft, die man nicht sehen und kontrollieren kann, aber hinter einem. Man bewegt sich also rückwärts durch den Strom der Zeit und muss nicht der gefürchteten Zukunft ins Auge sehen. Das erinnert an die magische Denkweise von Kindern, die meinen, weil sie selbst nichts sehen, wenn sie sich die Augen zuhalten, könnten auch die anderen sie nicht sehen, und wenn sie etwas, wovor sie Angst haben, nicht aussprechen, würde es auch nicht eintreten. In Bezug auf unser Altern machen wir es gerne ebenso.

Mir kann nichts passieren – Unsterblichkeitsphantasien

Kinder sind in der Regel ganz selbstverständlich davon überzeugt, sie seien unverletzlich und unsterblich, wie sich in ihrem wagemutigen, oft gefährlichen Verhalten zeigt. Diese Überzeugung gibt der Jugend die Sicherheit, gegen die Gefahren des Lebens gefeit zu sein, ist also eine gesunde, lebensfördernde Abwehr. Freud stellte auch für Erwachsene fest, »im Unbewussten sei jeder von uns von seiner Unsterblichkeit überzeugt« (1915b, S. 49). »Alle Menschen müssen sterben und vielleicht, vielleicht auch ich«, sagt man im Scherz, hofft aber insgeheim, man sei die Ausnahme oder habe wenigstens bis dahin noch sehr viel Zeit. Der Umgang mit dem Altern wird also nicht nur von unserem rationalen Wissen bestimmt, sondern viel mehr als uns bewusst ist von den Phantasien, die sich seit der Kindheit trotz allen späteren Wissenserwerbs in uns erhalten haben. Sie wirken als verborgener Faktor, der Schaden zur Folge haben kann.
Die besonders bei Männern weit verbreitete Überzeugung »Mir kann nichts passieren« gibt zwar ein Gefühl von Sicherheit, wird aber gefährlich, wenn man zu sorglos bleibt, Risikofaktoren nicht beachtet, Vorsorgeuntersuchungen nicht wahrnimmt, bei Krankheitszeichen nicht rechtzeitig zum Arzt geht oder notwendige Behandlungen ablehnt. Sobald man selbst von Alterungsvorgängen betroffen ist, ist die Verleugnung keine gesunde Abwehr mehr, sondern wird gefährlich und bedrohlich. Erst wenn man eine Idee davon bekommt, dass man etwas abwehrt und welche persönlichen Abwehrmethoden man verwendet, wird es möglich, den vermeidbaren negativen Alterungsschäden rechtzeitig zu begegnen und darüber hinaus die Vorteile, die Entwicklung und Reifung bieten, zu nutzen.

So will ich nicht werden – Angst vor dem Altern

Bewusstseinsnähere Hindernisse, sich mit dem Alter zu beschäftigen, sind die weit verbreiteten, verzerrten Altersklischees. Das Bild älterer Menschen ist von dem Vorurteil, der Prozess des Alterns bedeute ausschließlich Abbau und Verluste, geprägt. Danach sind alle Alten entnervend langsam, umständlich, starrsinnig und rigide. Sie sind vergesslich, wiederholen sich und erzählen immer die gleichen Geschichten. Sie sind urteilsschwach, fatal gutgläubig wie König Lear oder schwerhörig und daher krankhaft misstrauisch. Selbstverständlich gelten sie als asexuell, vereinsamt und isoliert. Unabwendbar kommen dann Gebrechlichkeit, Hinfälligkeit und Pflegebedürftigkeit hinzu, die »zweite Kindheit« (Shakespeare 1598, Wie es euch gefällt, II/7, vgl. S. 38).
Die Auffassung, das Altern ausschließlich als Verlust von Funktionen zu sehen (Defizitmodell), ist inzwischen weitgehend widerlegt. Die Medien klären seit einigen Jahren über viele Aspekte des Alterns, positive wie negative, auf. Sie berichten realistisch über die körperlichen und psychischen Defizite, über Demenz, Pflegebedürftigkeit etc. Die Aufklärung hilft, die gröbsten Vorurteile, zum Beispiel, dass jeder spätestens ab 70 abbaut, dement wird und ausgegrenzt werden müsse, zu korrigieren. Im Verborgenen kann trotzdem das Klischeedenken weiter bestehen und wirksam werden, zum Beispiel, wenn es um Pflege von Angehörigen, Heimunterbringung oder Erbe geht. Aber auch auf politischer Ebene kann man bei den Themen Rentenalter, Machtverhältnisse (»graue Panther«) oder Finanzierungslasten manchmal sehr drastische Töne (»den Löffel abgeben«) hören. Auch we...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Geleitwort (Margarete Mitscherlich)
  6. Vorwort
  7. 1 Verborgenes sehen lernen
  8. 2 Wieso denn Altern? Phantasien und Fakten
  9. 3 Der alternde Körper – eine Zumutung?
  10. 4 Das alternde Gehirn – vergessen und bewahren
  11. 5 Abschied von Beruf und vertrauten Personen
  12. 6 Der Lebensfluss wird zu Kaskaden
  13. 7 Reifungsprozesse von der Wiege bis zur Bahre
  14. 8 Die Liebe höret nimmer auf
  15. 9 Der Schock der Vergänglichkeit
  16. 10 Individuum und Familie – der Lebenskreis
  17. 11 Wenn ich nicht mehr da bin …
  18. 12 Psychoanalyse bei Älteren
  19. 13 Zusammenfassung und Ausblick
  20. Danksagung
  21. Literatur