Kursbuch 171
eBook - ePub

Kursbuch 171

Besser optimieren

  1. 200 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub
Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Schneller, höher, weiter: Optimieren gilt als Mantra der modernen Gesellschaft. Wir werden permanent angetrieben, noch ein Stück besser zu werden und die Strukturen um uns herum zu verbessern. Wir haben ständig die Wahl und werden stets vor die Wahl gestellt. Doch welche Folgen hat unser grenzenloser Drang zur Optimierung? Werden wir uns kaputtoptimieren und totverbessern, wie Niels Pfläging in seinem Beitrag befürchtet? "Wann können Sie sagen, dass ihr Leben gut war, statt auf einen weiteren Komparativ zu hoffen?", fragt Ökonom und Philosoph Birger P. Priddat zu Recht. Das Kursbuch 171 zum Schwerpunkt "Besser optimieren" widmet sich diesen Widersprüchen und Zwängen aus volkswirtschaftlicher, ingenieurwissenschaftlicher, mathematischer, bionischer, soziologischer sowie ästhetischer Perspektive.Mit Beiträgen von Jens Bisky, Birger P. Priddat, Niels Pfläging, Jörn Müller-Quade, Lydia Rea Hartl, Peter Felixberger, Thorsten Baensch, James Shikwati, Ingo Rechenberg, Sabine Maasen, Irmhild Saake, Christian Gansch, Armin Nassehi, Gert Heidenreich

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Kursbuch 171 von Armin Nassehi, Peter Felixberger, Armin Nassehi,Peter Felixberger im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Politik & Internationale Beziehungen & Geschichte & Theorie der Politik. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.
Jens Bisky
Brief eines Lesers (1)
»The global economic crisis of 2008 cost tens of millions of people their savings, their jobs, and their homes.« Mit diesem Satz beginnt der Dokumentarfilm Inside Job, für den Charles H. Ferguson im vergangenen Jahr den Oscar erhielt. Der Satz fasst zusammen, was lesende Zeitgenossen heute unter Krise verstehen: eine Erschütterung der westlichen Wirtschafts- und Lebensweise, ein Erdbeben, von dem keiner weiß, ob es schon überstanden ist, von dem die meisten jedoch glauben, dass die Folgen uns noch einige Jahre beschäftigen werden.
Auch das Kursbuch 170 beginnt – nach längeren Positionsbestimmungen und Selbstvergewisserungen – mit einem Erdbeben, mit dem des Jahres 1755, dem Lissabon und die leibnizsche Theodizee zum Opfer fielen. Das »außerordentliche Weltereignis«, erinnerte Johann Wolfgang Goethe später, habe »die Gemütsruhe des Knaben zum ersten Mal im Tiefsten erschüttert«: »Gott, der Schöpfer und Erhalter Himmels und der Erden, den ihm die Erklärung des ersten Glaubensartikels so weise und gnädig vorstellte, hatte sich, indem er die Gerechten mit den Ungerechten gleichem Verderben preisgab, keineswegs väterlich bewiesen« (Dichtung und Wahrheit, 1. Buch). Dem Erdbeben verdanken wir auch einen ersten, bis heute prominenten Krisenliebhaber der europäischen Literatur: den Philosophen Pangloß, der sich durch keinen Schicksalsschlag von dem herrlichen Gedanken einer »vorherbestimmten Harmonie« abbringen lässt.
Armin Nassehi hat gute Gründe dafür, seine Deutung der Moderne als »ein Kind der Krisenerfahrung« mit dem Allerheiligentag des Jahres 1755 zu beginnen. Leider folgt daraus nicht viel. Und das nicht allein aufgrund der trivialen Tatsache, dass in der Moderne gelernt wurde, zwischen Natur und Geschichte, zwischen einem Tsunami und dem Konkurs einer Bank zu unterscheiden. Die entscheidenden Fragen werden nicht gestellt, sondern im Rückgriff auf die Entstehungszeit aufgeklärten Bewusstseins umgangen. Hier wird geschickt ausgewichen. Wer wollte bestreiten, dass die Moderne letztlich unregierbar sei. Allerdings gehört es ebenso zur Moderne, dass ständig regiert wird. Es mag ja sein, dass neoliberale Paradigmen ebenso lächerlich sind wie »der Glaube an die prinzipielle Lösbarkeit aller Probleme durch Partizipation oder die vollständige Ethisierung von Entscheidungsalgorithmen«. Nassehi gibt bereitwillig zu, dass dies die praktische Wirksamkeit diverser Programme keineswegs behindert. Statt den Paradoxien der regierten Unregierbarkeit, der Bedeutsamkeit von lächerlichen Paradigmen, der praktischen Folgen von Illusionen und Heilsversprechen, der Normalität des Anomalen jedoch weiter nachzugehen, wird der Rückzug in Gelassenheit empfohlen. Aufrufe zur Gelassenheit sind nie falsch. Auch sie haben Tradition, gehören zur Moderne, die nach Odo Marquards kluger Beobachtung das Theodizee-Problem nie losgeworden ist und das Geschäft einer »Entübelung der Übel« munter betreibt.
Für das neue Kursbuch hat die programmatische Gelassenheit, so sympathisch sie ist, Folgen, die mir problematisch scheinen. Es verweigert Zeitgenossenschaft. Gegenwärtiges kommt zwar immer wieder vor, wird aber rasch eingeordnet. So wie Pangloß die Vorstellung einer »vorherbestimmten Harmonie« sich nicht nehmen lässt, so das Kursbuch nicht die Gemütsruhe. Die Krisen, die Entscheidungssituationen und -zwänge der Gegenwart werden überführt in den gehegten Raum des akademischen Diskurses und dort stillgestellt, statt aus dem akademischen Raum heraus Stimmungen, Lagen, Argumente zu analysieren und an ihnen das herauszuarbeiten, was öffentlich von Interesse ist. Diese Selbstbescheidung, die Scheu vor dem Handgemenge bringt es mit sich, dass jeder in seinem Metier bleibt.
Man mag bestreiten, dass die Krise von 2008 für unsere Weltwahrnehmung ähnliche Folgen hat wie das Erdbeben von Lissabon für die Aufklärer des 18. Jahrhunderts, wird aber kaum umhinkommen, die ungeheure Bedeutung des Krisennarrativs zuzugeben. Entscheidend, politisch, mental und auch ökonomisch, wird sein, welche Krisenerzählung sich durchsetzt. Geht es wirklich nur um einen weiteren, notwendig vergeblichen Versuch, die Wirtschaft politisch zu zähmen? Oder handelt es sich um ein Kapitel in der langen Auseinandersetzung zwischen kapitalistischen Märkten und demokratischer Politik, wie der Sozialwissenschaftler Wolfgang Streeck in einem fulminanten Aufsatz darlegt1. An der Berliner Schaubühne hat Streeck vor Kurzem Recherchen des Magazins Rolling Stone und Informationen aus dem Film Inside Job zusammengefasst und das Bild einer Verschwörung der »Kapitalversteher« gezeichnet, die dazu übergegangen seien, demokratische Staaten in Inkassoagenturen zu verwandeln. Im Zentrum der Intrigen steht für ihn das Bankhaus Goldman Sachs, das der eifrigen Mithilfe von Politikern, Wirtschaftswissenschaftlern und Journalisten gewiss sein kann, die den Regierten erklären, was die Märkte wollen. Die »geballte Präsenz« von »Goldmännern« in der Politik zwingt dazu, so Streeck, wieder über Verschwörungen und Intrigen zu reden, auch wenn dies akademisch als unfein gelte. Von Clintons Finanzminister Robert Rubin bis hin zum Präsidenten der Europäischen Zentralbank Mario Draghi und dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti reicht die illustre Reihe derer, die bei oder für Goldman Sachs gearbeitet haben und später bestenfalls mäßig bezahlte öffentliche Ämter übernahmen. Monti verzichtet sogar auf sein Gehalt.
Wolfgang Streecks Krisenerzählung scheint weniger elegant, weniger reflektiert als die Gelassenheit des Kursbuches, aber auch Voltaires Candide war ja deutlich weniger subtil als der Essais de Théodicée des Gottfried Wilhelm Leibniz. Immerhin spricht Streeck von Interessen, Herrschaft, Macht und Konflikten und entwirft ein plausibles Szenario gegenwärtiger Auseinandersetzungen. Man kann ihm widersprechen, man kann andere Deutungen dagegensetzen. Wer lediglich auf Komplexität und Kompliziertheit, auf Krisenhaftigkeit und Unregierbarkeit verweist, bezahlt dies mit einem Verlust an Relevanz.
Das Beharren auf der Gemütsruhe und der Nicht-Adressierbarkeit von Unwillen erzeugt nicht nur eine gewisse Langeweile, es übergeht Fragen, die zu beantworten im Augenblick weder Zeitungen noch Blogs in der Lage sind und die daher in einer Zeitschrift, die entschlossen ist, das lastende Erbe des enzensbergerschen Kursbuchs anzutreten, gut aufgehoben wären. Die erste Frage wäre die nach dem Ort der eigenen Gelassenheit, oder wenigstens die nach der erstaunlichen ökonomischen und sozialen Stabilität in Deutschland. Obwohl die Welt, wie seit 2008 unermüdlich versichert wird, die größte Krise nach der »Großen Depression« des Jahres 1929 erlebt, konnte man diese hier beinahe für ein Spiegel online-Phänomen halten. Die Auswirkungen, in den USA wie in Spanien oder Griechenland nicht zu übersehen, waren in der Bundesrepublik im Alltag kaum spürbar. Der Ernst der Lage wurde nie bestritten, aber dem Land geht es, wie nicht nur Angela Merkel weiß, gut. Blamiert haben sich alle, die im Herbst 2008 ihren apokalyptischen Impulsen nachgaben und glaubten, jetzt offenbare sich Wahrheit, jetzt sehe man, dass Marx recht gehabt habe oder die Zeit für Revolution gekommen sei. Was aber heißt es, wenn heftige, jahrelange Krisenbeschwörungen – gerne verbunden mit dem Hinweis, dass es so nicht weitergehen könne – auf die Alltagserfahrung von Stabilität und Prosperität treffen? Wächst die Lust, ein rasches Ende herbeiführen zu wollen, oder verliert öffentliche Rede überhaupt an Autorität? Auf jeden Fall mehren sich die Anzeichen für eine neue Sehnsucht nach kollektiven politischen Leidenschaften, man denke nur an die Wutbürger, an Occupy oder die Piraten. Das hätte in einem Heft unter dem Titel »Krisen lieben« Platz finden können und sollen.
Ein erschütterbares Gemüt kann sehr gut mit Bewusstsein für die grundsätzliche Krisenhaftigkeit der Moderne einhergehen. Der Schriftsteller Rainald Goetz hat gezeigt, wie es geht. Er hat seinen Luhmann gelesen und radikale Schlussfolgerungen gezogen: »Es gibt in Luhmanns Welt nichts selbstverständlich Gegebenes«, notiert er in Abfall für alle. »ALLES könnte auch ANDERS sein. Jedes letzte kleine Detail lebt von der Möglichkeit her, so unwahrscheinlich zu sein, daß es auch NICHT sein könnte. Deshalb lese ich in Luhmanns Darstellungen des Bestehenden ein ganz schweres Aufatmen mit, daß die Welt eben NICHT nicht ist, wie es ja viel wahrscheinlicher wäre, sondern eben genau so ist, wie sie ist.«
Das ist die Voraussetzung, aus der man keine große Nummer, keinen großen Auftritt machen sollte. Sie hindert nicht daran, die akute Krise aufmerksam zu registrieren, statt sie unter »bekannt« abzubuchen, sich mitreißen zu lassen. In Loslabern schreibt Goetz: »Es war der Herbst der stürzenden Kurse an der Börse, (…) die Kernschmelze des globalen Finanzsystems fühlte sich gut an, die Katastrophennachrichten aus der Welt der zusammenbrechenden Banken hatten einen extremen Gegenwärtigkeitsflash, der um jede von ihnen herum im Erstmoment ihres Erscheinens grellstens und eisig kalt leuchtete, man war schon ganz süchtig danach …« So klingen Krisenliebhaber auf der Höhe der Zeit, sie sind süchtig nach Spuren eines Neuen, auch wenn sie davon keine Erlösung, keine Harmonie erwarten. Entdramatisierung ist unfruchtbar geworden, Gelassenheit spätestens seit 1755 in der Krise.
Anmerkung
1 Streeck, Wolfgang: »Die Krisen des demokratischen Kapitalismus. Inflation, staatliche Defizite, privater Verschuldung, faule Kredite«. In: Lettre International, 95, Winter 2011.
Birger P. Priddat
Die Leere der Fülle
Das Ende des Kapitalismus als Religion
In der Aufklärung verschwindet die religiöse Bindung der Gesellschaften, darin auch die alte Ökonomie der Schöpfungsordnung (der – heute fast unbekannten – oeconomia divina). In diesem Umbruch bot im 18. Jahrhundert die Politische Ökonomie eine neue Ordnung: den effizienten, sich selbst regulierenden Markt – entweder als Substitut der göttlichen als weltliche Ordnung oder als eine moralische Ökonomie. Die Erfahrungen mit den Krisen aber lösen im Kapitalismus des 19. Jahrhunderts Misstrauen aus: Auch den Gleichgewichtsmythos des Marktes muss man glauben. Die neue Religion wird als Glaube an den Markt gehandelt. »Das Fortschrittsaxiom selbst ist für den modernen Menschen Teil seines Status quo geworden. Es ersetzt ihm das herkömmliche Gottvertrauen.«1 Der neue Glaube heißt Systemvertrauen.
Der Gott, der bei Adam Smith seine »invisible hand« ins Spiel bringt, ist ein zwar zurückgezogener Schöpfer (Deus absconditus), bleibt aber von der Vorsehung bestimmt präsent: Die Ordnung der Wirtschaft ist ein Teil der Vorsehung. Ähnlich wie Newton sind auch für Smith die Bewegungen der Wirtschaft einer »natürlichen« (Schöpfungs-)Ordnung unterstellt. Doch bietet diese neue Ökonomie etwas, was bisher noch keine Wirtschaft zu leisten vermochte: Wachstum und höhere Einkommen, den Reichtum (wealth of nations) für alle (wenn auch ungleich verteilt). Was die ersten Leser Smiths noch für eine Utopie hielten, erweist sich in der Folge als ein System irdischer Wohlfahrt: Der Kapitalismus wird zu einem Erlösungsmodell. Das alte eschatologische Versprechen verzweigt sich: Erlösung im Himmel post mortem und Erlösung auf Erden ante mortem.
Nun mag man diese Übertragung in irdische Erlösung nicht mehr als Religion ansehen: Der Glaube, Gott regiere die Welt, ist auf Systeme übertragen, deren Geltung allerdings weiterhin geglaubt wird. Damit aber ist die Ökonomie keine Ersetzung des Glaubens, sondern dessen Kontinuität in funktionaler Äquivalenz. Die semantische Umklappung von Hoffnung (auf Gottes Reich) in Erwartung (das Funktionieren des Systems) ist entscheidend: nicht mehr als Glaube an Gott und seine Schöpfungsordnung, sondern als Glaube an das System. Die Ökonomen verwenden später einen anderen Begriff: Erwartungen als rational expectations. Im 20....

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Verlag
  3. Benutzerhinweise
  4. Inhalt
  5. Armin Nassehi
  6. Jens Bisky
  7. Birger P. Priddat
  8. Niels Pfläging
  9. Jörn Müller-Quade
  10. Lydia Rea Hartl
  11. Peter Felixberger
  12. Thorsten Baensch
  13. James Shikwati
  14. Ingo Rechenberg
  15. Sabine Maasen
  16. Irmhild Saake
  17. Christian Gansch, Armin Nassehi
  18. Gert Heidenreich
  19. Anhang