§1
Wirtschaft heißt Andersdenken
«Was darf’s denn heute sein?»
«Bitte 100 Gramm Benchmarking, 150 Gramm Best Practices und noch ein Stückchen Blaupause für den Erfolg von morgen und eine Scheibe Perfekter Chef. Ach, und wenn Sie mir auch noch die 10 Gebote für erfolgreiche Innovatoren einpacken würden. Das können Sie alles in eine Tüte tun. Danke schön.»
Stopp! Patentrezepte in Erfolgsbibeln gepresst und als Schritt-für-Schritt-Anleitung zum Nachbauen vermarktet – das ist absoluter Blödsinn. Erfolg lässt sich nicht beim Berater um die Ecke einkaufen. Zukunftsweisende Ideen lassen sich nicht schön vorsortiert, exakt abgewogen und hübsch verpackt im Einkaufskorb mitnehmen. Auch wenn eine ganze Ratgeberindustrie gut davon lebt, das zu suggerieren.
Wider die geistige Schonhaltung
«Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!» ist der Wahlspruch der Aufklärung – und der ist so aktuell wie je!
Wir kommen nicht umhin, unsere Denkfähigkeit zu aktivieren und sie auf die Welt loszulassen: traditionelle Überzeugungen hinterfragen, konventionelle Erfolgsmuster attackieren, intellektuelle Zwangsjacken abstreifen, Denkgrenzen sprengen, neue Einsichten aufspüren, Experimente wagen, Misserfolge analysieren und wieder von vorn beginnen – und das so lange, bis der Arzt kommt.
Das Hinterfragen, Prüfen, Widerlegen und Neudenken hört nie auf.
Andersdenken ist kein Luxus, sondern lebenswichtig. Es ist wilde, tiefe und manchmal auch sehr anstrengende Denkarbeit, die uns mit uns selbst bekannt macht. Die uns aus Denkroutinen aufweckt. Die uns permanent daran erinnert, worum es eigentlich geht: Spuren zu hinterlassen und nicht nur Staub.
§2
Andersdenken schafft Freiheitsgrade
Das Industriezeitalter mit seinen Strukturen, Hierarchien und Regeln war ein toller Platz für Routinedenker. In einem Umfeld mit vorgegebenen Leitplanken, Zuständigkeiten und Richtlinien folgt das Handeln vertrauten Mustern und bewährten Erfolgsrezepten. Das alles beherrschende Motto lautete: Weiter so wie bisher!
Dieses Erfolgsmodell hat seinen Zenit längst überschritten. Endgültig. Tempi passati.
Und das ist auch gut so!
Die Antwort auf eine immer komplexere und sich verändernde Welt lautet nicht: Struktur. Planung. Vorgaben. Kontrolle. Das gleicht dem Wunsch, die Flut mit einer Sandburg aufzuhalten. Netter Versuch, aber chancenlos.
Andersdenken stört die Routine – oder zerstört sie sogar
Deshalb streiten wir für ein neues Verständnis von Führung und Zusammenarbeit. Für das Aufbrechen verkrusteter Strukturen. Für Führungskräfte, die mit Mut und frischem Denken soziale Laboratorien schaffen, in denen mit neuen Formen des Zusammenarbeitens experimentiert wird.
Dazu braucht es Freiraum, Selbstbestimmung und ein anderes Verständnis von Menschenführung. Führung ist nicht das, was per Jobtitel verliehen wird, sondern hängt von der Akzeptanz der Geführten ab. Andersherum bedeutet es aber auch, dass Mitarbeiter ihre Rolle neu begreifen müssen.
Das erfordert offene Debatten ohne Denkverbote. Mut, die Strukturen zu verändern. Und Tatkraft, es umzusetzen. Und zwar ohne Netz und doppelten Boden. «Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße», hat Martin Walser gesagt. Das Zulassen dieses Gedankens ist der erste Schritt zur Freiheit.
§3
Freiheitsgrade ermöglichen Ideen
In einem Wettbewerb, bei dem Erfolg aus der Erforschung des Unbekannten und der Realisierung von Ideen entsteht, brauchen Unternehmen Mitarbeiter, die es wagen, kalkulierte Risiken einzugehen, Regeln klug zu brechen und neue aufzustellen. Solche Menschen sind per Definition keine angepassten Unternehmenssoldaten. Ganz im Gegenteil. Sie lassen sich in kein Schema pressen, denken kreativ und haben keine Angst davor, die Initiative zu ergreifen.
Wie bekommt man diese Andersdenker? Wie hält man sie?
Freiheit ist der Schlüssel!
Freiheit ist nicht gefährlich, sondern die Quelle menschlicher Kreativität
Erfolgreiche Führungskräfte wissen das. Sie geben ihren Mitarbeitern Raum zur Entfaltung. Und sie gewähren Freiräume für «ernsthaftes Spiel». Große Ideen sind niemals das Ergebnis von permanentem Beschäftigtsein. Sie entstehen nicht durch Beschleunigung, sondern durch Entschleunigung. Gerade beim Loslassen tut sich oft Entscheidendes. Der Klassiker ist hier der Geistesblitz, der frühmorgens unter der Dusche kommt – und eben nicht Punkt neun am Schreibtisch.
Fließbänder funktionieren auf Knopfdruck, Kreativität tut es nicht. Man kann Menschen dressieren, sich dem Rhythmus von Fließbändern anzupassen. Zur Kreativität abrichten lassen sich Menschen nicht.
§4
Ideen bringen Vielfalt
An alle Plan-Fetischisten und Nachkommastellen-Hörigen: Das ökonomische Schicksal lässt sich nicht bis ins Letzte steuern! Wer nicht fortlaufend Neues probiert und eine Vielfalt an Ideen schafft, dem bleibt nur ein sehr enger Möglichkeitsspielraum. Das geht eine Zeit lang gut, denn Begrenzung sorgt zunächst für Übersicht. Mit der Zeit wird aber aus der Begrenzung Begrenztheit. Und aus der Begrenztheit wird Einfalt.
Also: Erstens, die Vielfalt der Möglichkeiten erschließen! Zweitens, den Möglichkeitsspielraum nach geeigneten Entwürfen durchsuchen und nur das, was tauglich ist, weiterverfolgen! Das ist übrigens auch das Grundprinzip der Evolution: Variation und Selektion.
Uniformität führt zu Konformismus und intellektueller Verstopfung
In anderen Worten: Wir müssen experimentieren, experimentieren und nochmals experimentieren. Diese Herangehensweise ist Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil ausnahmslos alle, die offen experimentieren, dabei auch Rückschläge und Niederlagen erleiden. Segen, weil wir neue Ufer nur dann erreichen, wenn wir zu ihnen aufbrechen, also spannende Dinge ausprobieren. Wir müssen lernen, damit umzugehen, dass wir nicht mehr auf Köni...