Wolfgang Schmidbauer
Die Richtigen
Wie Mann Frau und Frau Mann wählt
Im ersten Akt von Mozarts Oper erklärt Don Giovannis Diener Leporello dem Publikum eine Marotte seines Herrn. Dieser sammelt Frauen, genauer: Eroberungen. Er verführt seine Opfer, schläft mit ihnen und lässt sie in ein Verzeichnis aufnehmen, in dem neben einigen Hundert Französinnen, Deutschen und Italienerinnen sowie einigen Dutzend Exoten (etwa aus Persien) 1003 Spanierinnen verzeichnet sind. Voll zynischem Spott soll die Arie Leporellos eine hartnäckige Exgeliebte entmutigen. Donna Elvira besteht darauf, dass Liebesschwüre erfüllt werden. Am Ende der Oper fährt der Wüstling zur Hölle, Leporello geht ins Wirtshaus, um einen neuen Herrn zu finden, Donna Elvira sucht Zuflucht im Kloster.
Wer sich unter Don Giovanni einen Mann vorgestellt hat, der das Leben und den Sex genießt, gerät angesichts des Registers ins Zweifeln. Dieser Weiberheld genießt die Liebe nicht, er genießt die Trophäe. Seine Buchführung kündet davon, dass das feudale Zeitalter zu Ende geht und der Kapitalismus der Banker und Buchhalter den Narzissmus der Edelleute aufgefressen hat, ohne dass diese es bemerkten.
Don Giovanni sang unter dem Fenster seiner Angebeteten, er werde sterben, wenn sie ihn nicht erhöre. Heute erinnern wir uns an Bob Dylan, der von oben herunter der ihn anbetenden Frau das Gegenlied sang: »Geh weg von meinem Fenster, geh, so schnell du kannst, ich bin nicht der, den du haben möchtest, nicht der, den du brauchst!«
Der näheängstliche Sänger fürchtet sich vor Forderungen, die auf ihn zukommen: Stärke zeigen, Halt geben, Opfer bringen. Liebe ist zur Leistung geworden, Partner investieren in eine Beziehung und klagen darüber, wenn sie einer Person ihr Kapital anvertraut haben, die sich am Ende als bankrott erweist. Sie wollen sich absichern, scheuen das Risiko der festen Bindung, wollen die Liebe optimieren, ehe sie sich auf sie einlassen.
Die aktuelle Variante des Leporello-Albums ist die Excel-Tabelle, mit deren Hilfe Mitglieder der Internet-Partnerbörsen die verfügbaren Liebhaber und Liebhaberinnen erfassen. Vorzüge und Nachteile lassen sich mit diesem längst vertrauten Instrument jeder Kalkulation und Statistik auf einen Blick erkennen. Die Ethnologin Julia Dombrowski vom Hamburger Völkerkundemuseum hat in dieser postindustriellen Kultur geforscht und das Liebeswahlinstrument der Tabelle in seiner Ambivalenz beschrieben. Wer sich ewig bindet, muss prüfen. Wer prüfen will, muss vergleichen. Warum nicht das tägliche Bürohandwerk auf das Chaos der Liebe projizieren? Nachträglich werden dann die Beziehungen re-romantisiert: »Gerade wollte ich mich ausloggen, da kam deine Mail!«
In den virtuellen Kontaktbörsen sind allein in Deutschland täglich mehrere Millionen Menschen unterwegs. Verglichen mit den Bekanntschaftsanzeigen einer analogen Vergangenheit sind die Partnerbörsen digitaler Welt schneller, hektischer und viel effektiver. So effektiv, dass die Suchenden in Not geraten: so viele, zu viele Angebote, wie die Verwirrung ordnen? In den Werbespots der Partneragenturen erscheinen Paare, denen romantische Verbundenheit aus den Augen leuchtet. In der Realität steigert sich der Entscheidungsstress. Soll ich, nachdem ich aus meinem Single-Elend in eine Beziehung gefunden habe, mich schon zufriedengeben? Soll ich die Gebühren verfallen lassen? Oder weitersuchen?
Papagenos frivoles Paradox aus der Zauberflöte wird Alltag: »Ich will dich ewig lieben (beiseite) … bis ich eine Schönere finde!« Papageno ist oberflächlich. Als ob Schönheit das Einzige wäre, das zählt! Die Excel-Tabelle ordnet die Vielschichtigkeit der Ansprüche an den richtigen Partner. Sympathie, räumliche Nähe, sexuelle Performance, wirtschaftliche Sicherheit, vergleichbarer akademischer Status und viele andere Variablen sind doch wichtig! Daraus erwächst ein kleines, jedoch hartnäckiges Problem: Wann die Suche beenden? Wann sich zufriedengeben mit dem Angebot, das unter Lebenspartner.xlsx abgespeichert und durch ein Passwort (»Leporello«?) geschützt ist?
Eine Gruppe von Singles beider Geschlechter kann diese Suche nicht mehr beenden. Sie gleichen Prüfungskandidaten, die über der Materialsammlung für ihre Abschlussarbeit gar nicht mehr dazu kommen, diese auch zu schreiben. Für die Entscheidung fehlt der Mut; an seine Stelle tritt die Vorbereitung als Selbstzweck. Aber so wenig sich aus einer riesigen Sammlung von Skizzen ein Kunstwerk erzeugen kann, so wenig wird aus der Suche nach dem oder der Richtigen eine Partnerschaft fürs Leben.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet…
Ob das korrekte Gen sich findet? Angesichts der Partnerqual steht »Wissenschaft« hoch im Kurs. Kaum eine Partnerbörse, die nicht den Anspruch erhebt, wissenschaftliche Prüfungen einzusetzen, welche die Auswahl erleichtern und es den Partnern ersparen, sinnlos wühlen zu müssen auf der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Dass das Herz zum Herzen findet, wie es in Schillers »Glocke« heißt, ist viel zu pauschal; es müssen schon Fragebögen sein oder noch fortschrittlicher: Die Partner schicken Wattestäbchen ein, mit denen sie Speichelproben genommen haben.
In den 1950er-Jahren konnte das sexualforschende Kind im elterlichen Regal noch an Bücher wie Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind von Johanna Haarer geraten. Die anatomischen Zeichnungen verrieten leider wenig, aber die energisch drohende Forderung nach erbgesundem Nachwuchs ist mir in Erinnerung geblieben. Ob ich das war? Der Partner sollte genau betrachtet werden, ob sich an ihm Zeichen rassenfremder Artung oder kranken Blutes bemerkbar machten. Hatten meine Eltern das getan? Die Angst ging um, dass die Begabten sich mit allem anderen beschäftigen, nur nicht mit Kinderkriegen, während die Minderwertigen nichts Besseres zu tun finden, als sich fortzupflanzen wie die Karnickel.
In den 2000er-Jahren hat die Erbmythologie ihre Unschuld zurückgewonnen und ist zum Geschäft geworden. »Aussehen? Charakter? Quatsch. Auf die Gene kommt es an. Behauptet zumindest eine Agentur und bietet Partnersuche per DNA-Test an. Unsere Autorin Lissy Kauffmann hat es ausprobiert.« So die Frankfurter Rundschau am 20. Januar 2011.
Bei der Probiererei ist nichts herausgekommen und die Beweislage in biologischer Sicht ist derart dünn, dass der Speicheltest eher als soziologisches Phänomen gedeutet werden muss. Wo es sonst keinen Halt gibt, greift man eben zum Strohhalm beziehungsweise in diesem Fall zum Mäuseschwanz.
Denn nur bei Mäusen ist nachgewiesen, dass sie sich bevorzugt mit anderen Mäusen paaren, deren Geruch eine andere Zusammensetzung der MHC-Gene signalisiert. Die MHC-Gene stehen für »major histocompatibility complex«; sie wurden vor allem von den Transplantationschirurgen erforscht, weil sie die Abstoßung implantierter Organe regulieren. Je mehr Vielfalt in diesen Genen bei den Eltern, desto besser sind die Kinder gegen Erreger geschützt (und desto anfälliger wären sie für Allergien).
MHC-Unterschiede spiegeln sich im Geruch; nicht nur Mäuse, auch Menschen können Unterschiede zwischen Mäusen erschnuppern, die genetisch sonst identisch sind, sich aber im MH-Komplex unterscheiden. Diese Beobachtung hat zu Forschungen geführt, die nahelegen, dass sich Mäuse bevorzugt mit Partnern paaren, die andere Gene in ihrem MH-Komplex haben als sie selbst. Sie erkennen diese am Geruch.
In den entsprechenden Experimenten mit menschlichen Probanden geht es überhaupt nicht mehr um Paarungen, sondern um Anmutungen, in diesem Fall durch T-Shirts, die von Männern und Frauen tagelang getragen und als Duftspender konserviert werden. Parallel dazu wurden die Gene im MH-Komplex der Versuchspersonen bestimmt. In der Tat fanden die Versuchspersonen den Geruch von Personen des anderen Geschlechts anziehender, wenn deren Gene sehr verschieden von den ihren waren.
Warum einfach, wenn es kompliziert auch geht? Warum einen Gentest einreichen und getestete Partner beschnuppern, wo doch völlig klar ist, dass den Ausschlag nicht der Test gibt, sondern die eigene Wahrnehmung – Sehen, Hören, Riechen, Berühren.
Weil Wissenschaft, auch wenn sie wenig mehr ist als Theater, Sicherheit verspricht. So wird sich ein von der Qual der Wahl geplagtes Herz zu einem ebensolchen gesellen. Gmatch schickt ein Wattestäbchen. Die MHC-Gene werden analysiert. Nach kurzer Wartezeit steht einem dann auf der Single-Börse das genetische Matching zur Verfügung. Es zeigt exakt, dass es andere gibt, die genauso viel Angst haben, etwas falsch zu machen, wie ich. Von »genetisch passen«, wie angekündigt, kann eine wissenschaftliche Rede so wenig sein wie von den »unterbewussten« Geruchsbotschaften, die sich angeblich auf diesem Weg entschlüsseln lassen.
Da haben wir uns nun erfolgreich davon emanzipiert, dass nicht mehr Mama, Papa und Pate die passenden Partner zusammenbringen– und wem vertrauen wir uns an? Den Testpsychologen, den Mikrobiologen, der Excel-Tabelle.
Die Liebe ist kein sicherer Ort
Familie ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern Sehnsucht und Problem gleichermaßen. Nach wie vor sehnen sich die meisten Menschen danach, mit einem geliebten Partner Kinder aufzuziehen. Sie verbinden mit diesem Bild Geborgenheit, einen sicheren, überschaubaren sozialen Ort in einer globalisierten Welt, deren Strukturen selbst Experten nicht mehr durchschauen.
Als in Japan nach Erdbeben und Tsunami ein Atomkraftwerk versagte, wurde deutlich, dass derart komplexe Maschinen nur dann begreifbar sind, wenn die Kontrollinstrumente funktionieren. Sobald die Energiezufuhr gestört ist, verwandelt sich der von Menschen gemachte Apparat in eine diesen Menschen unbegreifliche Welt, fremder und feindlicher als ein Dschungel voller reißender Tiere und unergründlicher Sümpfe, aus denen mörderische Dämpfe quellen.
Die globalisierte Welt führt in der Wirtschaft zu einer heftigeren Konkurrenz, die gnadenlos in die Strukturen der einzelnen Nationen greift. Sichere Orte gehen verloren, wie sie in der Arbeitswelt vor 50Jahren noch die Post, die Bahn, das Militär, die Schule, das Krankenhaus, die Universität oder die großen Industriebetriebe waren. Überall werden Organisationen verändert, gespalten, entwickelt.
Die Steigerung des Konkurrenzdenkens hat die intimen Beziehungen nicht verschont. Bereits in Schulklassen wachsen die Ängste, körperlich nicht attraktiv zu sein. Vor 50Jahren waren Mädchen und Jungen vorwiegend zufrieden mit ihrem Aussehen; heute fühlen sie sich mehrheitlich nicht attraktiv. Magersucht und Bulimie greifen um sich, erfassen auch Männer. Die Verunsicherung durch den von den Massenmedien verallgemeinerten Zwang zum Vergleich führt dazu, dass kompensatorisch Sicherheit gesucht wird. Bin ich »gut« als Liebespartner? Wie ist mein Marktwert? Soll ich es mal mit Turbo-Dating versuchen?
Im Mittelalter hieß es »Stadtluft macht frei!«. Wer aus der Leibeigenschaft in eine Stadt kam und sich dort einzupassen wusste, gewann auch eine für ihn vorher nicht mögliche Freiheit. Heute hat sich dieser Prozess multipliziert – die Dörfer, in denen jeder jeden kennt und Familien sich kontrollieren, werden überall zurückgelassen, um in einer Megacity zu leben, in der Einzelne ihre Situation selbst bestimmen.
Damit hat sich die Möglichkeit, einen sicheren sozialen Ort zu finden, einerseits vervielfältigt, andererseits gerät das Individuum unter einen früher undenkbaren Entscheidungsdruck. Es muss wählen, wohin es geht, was es lernt, mit wem es Freundschaft schließt, sich sexuell verbindet, eine Familie gründet. Sobald Kinder da sind, multiplizieren sich die Entscheidungen: Stillen oder Flasche? Welche Windelmarke, wann Sauberkeitserziehung, Krippe oder Tagesmutter, Montessorischule oder Regelunterricht, eine Spielkonsole oder ein Goldhamster?
Die Partner müssen ersetzen, was in einer traditionellen Umwelt eine kompakte Gruppe bot. Damals haben Väter über Söhne, Mütter über Töchter, Männer über Männer, Frauen über Frauen entschieden, ob diese in Angst leben sollten oder in Sicherheit. Die Spielräume waren gering, entsprechend gering die Entscheidungsmöglichkeiten. Dafür waren die Regeln auch überschaubar. Wer sich an ihrer Här...