Die Insel Usedom
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Die Insel Usedom

  1. 244 Seiten
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Die Insel Usedom

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Über dieses Buch

In seinem 1953 erstmals erschienenen Erzählband zeichnet Hermann Heinz Wille ein anschauliches und lebensvolles Bild von einem Stück »Heimaterde«, stellt die Insel Use- dom und ihre Menschen so dar, wie sie sind und wie sie geworden sind.Vergangenheit und Gegenwert reichen sich in seinen Geschichten die Hand und weisen den Blick auf die Zukunft. Neben dem Historischen, das uns zeigt, wie das Land gewachsen ist und durch welche Ereignisse die Bevölkerung geprägt wurde, stehen gleichberechtigt die Schilderungen des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens. Hermann Heinz Wille schrieb seine Erzählungen aus Heimatliebe im besten Sinne: »Wer das Land kennt, in dem er lebt, dem bildet sich der Blick für das Große und Weite.« Der Band entstand nach zahl- reichen Urlaubswochen auf dem »gesegneten Fleckchen Erde, dem ich meine schönsten Sommer verdanke«, so Wille im Geleitwort.

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Information

Verlag
Hinstorff
Jahr
2016
ISBN
9783356020663
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Brot des Meeres

Der kühne Uferbogen nach der Swinemündung leuchtete unter der Sommersonne wie eine silberne Sichel. Blau wellte sich das Meer dem fernen Horizonte zu. Am Fuße des Kulms, der am Rande des undurchdringlich scheinenden Urwalds nach Katzenart seinen Buckel krümmt, herrschte Hochbetrieb.
Unter dem fröhlichen Gekreisch der Kinder zerrten die Fischer, auf dem Kopf noch den geölten Südwester, ein blaues Flanellhemd unter der weiten Jacke und die „Bücks“ in den großmächtigen Stiefeln, die Boote ans Land. In den feinmaschigen Netzen zappelte die silbernasse Beute. Die Fischerfrauen mit ihren breit krempigen, selbstgefertigten „Holländern“, von denen ein Stück Stoff schürzengleich in den Nacken hing, lösten die Heringe mit geschickten Händen aus den Maschen. Auf einfachen, schuppenglänzenden Holztafeln wurde der Fang an Ort und Stelle ausgewrakt, eingesalzen und in die bereitstehenden Fässer verpackt. Die ganze Familie war beschäftigt, und, sich selbst überlassen, spielten die Allerkleinsten, die noch in der „Pie“ steckten, einem ärmellosen, rotwollenen Leibchen, mit den Muscheln im Sand. Selbst Großvadding fehlte nicht am Strand, obwohl ihm Laufen in den schweren Holzschuhen Mühe machte.
„Tje, Minsch“, sagte er zu seinem Ältesten, „is dat’n gauden Fang!“ Nicht nur Großvadding, sondern alle Fischer der namenlosen kleinen Fischerkolonie am Rande des Gothener Forstes waren an diesem 6. Juni des Jahres 1820 mit ihrem Fang zufrieden. Auf ihren zweirädrigen Karren, den Spülsaum des Meeres als Straße benutzend, waren inzwischen auch die Fischhändler aus der Swinestadt eingetroffen. Kaum angelangt, begann sogleich das Feilschen um die Preise.
Immer erregter klangen die Stimmen der Fischer, denen das Gebot der Händler gar zu gering schien. „Nee, he is wiet äber Stüer!“ („Nein, er ist weit über Steuer!“) schimpfte der eine. Ein anderer stieß mit dem Fuß zornig gegen die kleine Heringstonne, daß die Salzlake überschwappte. Doch was nützte ihnen das Aufbegehren? Verkaufen mußten sie doch, wenn sie die Fänge nicht an die Schweine verfüttern oder die Frauen damit auf den weiten Weg zum Fischmarkt in Swinoujscie schicken sollten. Die feisten Fischhändler wußten das nur zu genau, und den zu erwartenden Gewinn ausrechnend, streichelten sie zärtlich ihre Geldkatzen. In Anklam, Sczeczin und Pasewalk erwarteten ihre Agenten schon die neue Lieferung. Bald würden die Usedomer Fänge noch weiter ins Land hineingehen, bis Berlin, Magdeburg, Dresden und Frankfurt. Selbst in der fernen Provinz Poznan (Posen) und in der Seestadt Hamburg begann sich der Ostseehering den Fischmarkt zu erobern.
Mit den Fischhändlern, die ihm den Weg gewiesen hatten, war ein junger, vornehm gekleideter Reiter aus der Swinestadt herübergekommen. Wie es schien, einer vom Adel. Während die Fischer ihrer Arbeit nachgingen, beobachtete er aufmerksam das duftige Treiben um sich her. Großvadding, dem das wunderliche Benehmen des Fremden zuerst auffiel, fragte einen der Fischhändler, wer der Unbekannte sei: „Segg mal, wat is dat fürn Pumpbücks?“ – „Pumpbücks?“ flüsterte der Händler. „Heww ick ok all dacht, äwer dat is de König sin grote Jung!“ – „Gottvadder!“ brummelte der Alte verlegen und zerrte den Strohhut vom Kopf. „Dat is ok gaud! ’n König sin grote Jung is bäter as dei Düwel! Hei süll den Ort glik eenen gauden Nam gäwen!“
Die Nachricht von der Anwesenheit des Kronprinzen machte schnell die Runde. Von allen Seiten wurde er bedrängt, der Fischerkolonie, die schon seit drei Jahren ein namenloses Dasein führte, einen Namen zu geben. Der Kronprinz überlegte nicht lange. Der Hering, dem die Fischer ihr karges Brot verdankten, sollte dem Ort auch seinen Namen geben. Ein Brett mit der Aufschrift „Heringsdorf“ wurde sogleich an einer Stange befestigt und am Strande aufgestellt. Die Fischer waren damit zufrieden, aber dennoch hatte die Geschichte ein Nachspiel.
Als am nächsten Morgen König Wilhelm III. mit seinem Gefolge auf der Fahrt von Swinoujscie nach Wolgast am Strande von Heringsdorf Rast machte und das Schild entdeckte, fragte er die Fischer, wer ihnen den Namen verliehen habe. In seiner gekränkten Eitelkeit beschuldigte er den Kronprinzen eines Staatsverbrechens, da es nur dem König erlaubt sei, den Namen der Dorfer zu bestimmen. „Hei hett äwer’n Mulwark!“ staunte Großvadding, der in respektvoller Entfernung dabeistand und sprach damit das letzte Wort in dieser Angelegenheit.
Soweit die Anekdote, die allgemein bekannt ist.
Dem Fischfang, besonders aber der „Jagd“ auf den geselligen, überaus fruchtbaren Hering, der zu Unrecht „Plepejer“ unter den Fischen genannt wird, verdankt Usedom weit mehr als nur Namen eines seiner schönsten Badeorte. Ihm verdanken zahlreiche Fischerkolonien, z.B.Karlshagen und Hammelstall (Trassenheide und viele andere an den Gewässern auf Usedom gelegene Dörfer ihr Entstehen. Das „Seebrot der Völker“ nährt Hunderte Usedomer Fischer, deren Handwerk für die Insel ebenso Begriff geworden ist wie die Spielzeugfabrikation für das Erzgebirge, die Porzellanmanufaktur für Meißen oder der Weinbau für das Rheinland. Mit 1719 Beschäftigten steht die Fischerei an der Spitze der Berufsstatistik der Inseln Usedom-Wollin vom Jahre 1907. (Bezeichnenderweise folgt an zweiter Stelle mit 1242 Beschäftigten das Schankwirtschaftsgewerbe!)
Die malerischen Liegeplätze der Fischerboote inmitten des Badestrandes, die alten halbzerfallenen Salzhütten mit ihren moosgrünen Schilfdächern in den Dünen von Zempin, Koserow und Ückeritz gehören wie die schmucken Fischersiedlungen rund um das Achterwasser untrennbar zum Landschaftsbild. –
Der „rike Steen“, ein Findlingsblock am Voßberg auf dem Gnitz, berichtet, daß hier die Fischer am 11. Februar 1769 in einer Stunde 27 Schümer (altes Hohlmaß; ein Schümer = zwölf Scheffel) Bleie gefangen haben. Beredter noch ist der Kronleuchter, den die Zempiner Garnfischer im Januar 1900 der Koserower Kirche stifteten. Mit einem einzigen Fischzug fingen die Zempiner 800 Zentner große und 50 Zentner kleine Bleie. Die Netze waren so prall mit der zappelnden Beute gefüllt, daß sie nicht ans Land gezogen werden konnten und mit Schaufeln entleert werden mußten. Dieser Fischzug brachte eine Einnahme von 13 000 RM und war Grund genug, dankbar und zufrieden zu sein.
Doch solche reichen Fischzüge sind selten; nicht mühelos fällt den Fischern der Segen des Meeres in den Schoß. Ihr Tagewerk ist gefahrenvoll und schwer und mag nur demjenigen romantisch-reizvoll erscheinen, der die Boote an einem schönen Sommer mit geschwellten Segeln und silberglänzender Fracht von weiter Fahrt zurückkehren sieht.
Wollte man eine Geschichte des Fischfangs schreiben, müßte man bis in die älteste Steinzeit zurückgreifen. Helleres Licht in die Dunkelheit bringen aber erst die Urkunden und Chroniken des frühen Mittelalters, die uns zwei wichtige Erkenntnisse über die ökonomische Lage der Usedomer Fischer vermitteln. Aus ihnen geht hervor, daß die Herren des Landes, Adel und Geistlichkeit, zugleich die Herren der Fischerei waren. Und zweitens, daß auf Usedom dem Fischfang im Brackwasser des Haffs und des Achterwassers ebenso wie in den kleinen Süßwasser-Binnenseen lange Zeit größere Bedeutung zukam als dem Fischfang auf dem freien Meer.
Der alte Thomas Kantzow schreibt darüber in seiner Chronik: „Von dem Gelde aber, das für die Fische einkommt, nehmen die Fürsten vom Lassan’schen Wasser (wie man das Achterwasser im Mittelalter nannte) den dritten und vom Haff den sechsten Pfennig, was bisweilen bei 3 000 Gulden im Jahre getragen hat, woraus man achten kann, was eine große Gewalt Fische da muß gefangen werden. Die Fische gehen bisweilen so dick die Swine hinauf, daß die Fischer sagen, eine Stange fiel nicht um, wenn man dazwischen stoße.“
Lampretten, Störe, Lachse und Karpfen durften überhaupt nicht verkauft, sondern mußten als „Herrenfische“ an den Hof geliefert werden. An den Stör, den man in früheren Zeiten bei Usedom recht häufig fing, erinnert noch heute die Störlanke bei Zinnowitz, deren eigenartige Lage ihre Bezeichnung als Blinddarm des Achterwassers weit angebrachter erscheinen ließ. Wie ich hörte, wohnt in Koserow ein alter Fischer, den ein solcher Riesenfisch von 4½ Zentnern Gewicht schwer verletzte. Weit bekannt geworden ist Friedrich Rückerts Gedicht „Bestrafte Ungenügsamkeit“, das frei nach Kantzow ebenfalls von zwei gewaltigen Stören berichtet, die alljährlich vor die Tore des Klosters Grobe bei Usedom geschwommen kamen, um den Mönchen als Nahrung zu dienen. Obwohl diesen auferlegt war, immer nur einen Stör davon zu nehmen, fingen sie, anstatt sich zu begnügen, in einem Jahre beide. Von da ab war es mit dem Fischsegen für immer vorbei. Heute ist der Störfang auf Usedom gänzlich ausgestorben; auch der Lachs, einer der größten und schönsten Fische der deutschen Gewässer, und die Lampretten, bei uns „Neunaugen“ genannt, werden nur noch selten gefangen.
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Der Sage von den habgierigen Mönchen in Grobe mögen die gleichen gesellschaftskritischen Hintergründe zu eigen sein wie dem bekannten Volksbuch vom „Reineke Fuchs“. Das Volk wollte damit den Mönchen, die sich längst nicht mehr auf das Fastenfischen beschränkten, sondern schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts eine ansehnliche, aus 48 Booten bestehende Fischereiflotte besaßen, einen Spiegel vorhalten.
Unter der Aufsicht der fürstlichen Kieper und in späteren Zeiten der königlichen Fischmeister, die darüber wachten, daß die Fischereiordnungen eingehalten wurden und kein Fisch unversteuert auf den Markt gelangte, waren die Fischer ebenso unfrei wie die Bauern. 1387 war die Empörung der Anklamer Fischer über die Kieper, die die Fischmaße nachprüften und die zu klein befundenen Gefäße am Schandpfahl zerschlugen, so groß, daß sie das Rathaus erstürmten, den Rat erschlugen und sich weigerten, während der Fastenzeit zu fischen. Nur mit brutaler Gewalt vermochte der Greifenherzog, die alte Lage wiederherzustellen. Nicht nur die Nutznießer der Fischerei, die endlose Prozesse um die Fischrechte führten, waren uneinig, sondern auch unter den Fischern selbst kam es immer wieder zu Streitigkeiten um die zappelnde Beute.
Fischräubereien und Freibeuterei waren deshalb bis ins 19. Jahrhundert keine Seltenheit, sondern geradezu an der „Tagesordnung“.
Einmal verstellten die Stromfischer die Swine durch Netze, um eben den Fischen den Weg ins Haff zu verlegen, ein andermal drangen die Haff-Fischer mit zwanzig, dreißig und noch mehr Booten bis in den Vietziger See vor und hoben die Reusen im fremden Fanggebiet. Oft waren diese Kämpfe so hart und erbittert, daß zu ihrer Beendigung Kanonenboote aus Swinoujscie herbeibeordert werden mußten.
Daß die Lassansche Wasserordnung von 1571 noch drückender als die Haffordnung war, zeigte schon die aus Kantzow zitierte Stelle. Dafür läßt sich noch eine Reihe anderer Beispiele anführen. Ein „Wintergarn“ kostete im Haff 5 Taler Jahressteuer, im Achterwasser 8 Taler; vier Bleienetze dort 1 Taler 15 Groschen, hier sechs Taler. Darüber hinaus mußten die Fischer aus Ückeritz, Loddin, Zempin und Koserow jährlich zwei Kähne Speisefische für die Hofküche in Wolgast liefern, und die Krumminer Nonnen erhielten auf Lebenszeit alljährlich 1 Viertel Schonenschen Hering und 1 Schock Winterbrassen (dazu natürlich noch andere Lebensmittel in großen Mengen).
Die pommerschen Herzöge hatten allen Grund, Haff und Achterwasser ihre „ergiebigen Vorratskämmerlein“ zu nennen. Noch im Jahre 1910 belief sich der Wert des im Achterwasser erzielten Fanges auf über 400 000 Mark. In den Tabellen des damaligen Oberfischereiamtes wird für 1910 der Fang von 405 000 kg Aalen, 173 000 kg Hechten, 58 000 kg Zander und Hunderttausenden von Zentnern anderer Speisefische angegeben. In den Landseen, die früher ebenfalls dem Staate gehörten, wurden hauptsächlich Hechte, Zander, Barsche, Bleie, Schleien, Plötzen und Karauschen gefangen.
Der Aufschwung der Küstenfischerei fällt in jene Jahre des späten Mittelalters, als sich die Landesherren bemühten, die große Einfuhr von Salzheringen aus Norwegen, Holland und Schottland, die eines der ertragreichsten Hansa-Monopole bildete, einzuschränken. Obwohl schon damals die Heringszüge nicht mehr so üppig waren wie im 12. und 13. Jahrhundert, mußten die Fischer lernen, die Heringe selbst zu salzen und zu verpacken. An sich waren den Usedomer Fischern diese Methoden nicht neu; denn schon der Biograph des Bamberger Bischofs berichtet, daß die Wenden an der Küste das Einsalzen der Heringe kannten.
Hochbetrieb herrschte in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts am Usedomer Strand. Landsleute des Holländers Willem Beuckels, der das Pökeln der Heringe erfand – er wurde um dieser Erfindung willen von Karl V. so verehrt, daß der Kaiser anno 1556 nach Buvlievet in Flandern reiste, nur um dort das Grab dieses großen Mannes zu sehen (wie Heine in der „Harzreise“ erzählt) –, lehrten den Usedomer Fischern neue Salzungsverfahren.
Das dazu benötigte Steinsalz überließ der Staat den Fischern zum Einkaufspreis; um aber zu verhindern, daß die Fischer mit dem Salz ihre eigenen Suppen würzten, wurden längs der Küste Salzhütten und Heringspackhäuser erbaut.
Bei den Salzhütten von Zempin, die heute den Fischern als Geräteschuppen dienen, traf ich im Vorjahre den 83jährigen Fischer Julius Walter. Auf einen derben Stock gestützt, stand er in den Dünen, um ein wenig auf das Meer hinauszuschauen, auf dem er ein Menschenalter lang zu Hause gewesen war. Nun hatte er sein Tagewerk getan, und daß es kein leichtes war, sah man seinem zerfurchten Gesicht und den gebeugten Schultern an. Man konnte mit ihm nur schwer ins Gespräch kommen. „As süll ick grot verteilen? Ick häfft nich väl erläwt!“ wehrte er ab.
Später, als die Tage schon kürzer wurden, besuchte ich ihn einmal in seinem Häuschen, dort, wo die ältesten Häuser des Dorfes stehen. Viel sprach er auch diesmal nicht, aber ich merkte, daß in ihm noch ein großes Stück Vergangenheit lebendig war. Während wir draußen vor dem Hause saßen und der Blick des Alten nachdenklich über das Achterwasser strich, begann sich seine Zunge zu lösen, und die weite Wasserfläche vor uns belebte sich unter seinen Worten auf merkwürdige Weise. Nun endlich erzählte Julius Walter von den „ollen Tiden“, als er und seinesgleichen beim Schein des Kienfeuers, das im Vorderteil des Bootes loderte, mit den langen Fischspeeren die geblendeten Fische stachen. Ein Boot lag dicht neben dem anderen, ein Bild, das südlicheren Breiten zu entstammen schien.
Lautlos glitt von Zinnowitz her eine Lichterkette übers Wasser, dann noch eine zweite. Doch das waren nicht die Boote der Zempiner, die zum „Blüsen“ ausliefen, sondern lampiongeschmückte Motorschiffe mit lachenden Menschen an Bord. Der Wind wehte ein paar Harmonikaklänge zu uns herüber. Julius Walter brannte sich eine Pfeife an, der Lichtschein huschte flüchtig über sein Gesicht, dann erzählte er weiter.
Auch im Winter, wenn die Fischer Eislöcher in die gläserne Dekke des Achterwassers schlagen mußten, um den Aal aus dem Moder zu stechen, war Julius Walter dabei gewesen. Selbst dann, wenn die Hände starr vor Kälte das Gefühl verloren, war jeder Griff bedacht und geschickt. Und so wie beim Aalstechen war es auch, wenn die Zempiner mit dem Wintergarn fischten und das Netz unter der Eisdecke von einem Loch zum anderen zogen. „Tje, dat wieren slichte Tiden. Kein Geld un immer nur Brod un Käs un Sünndag Hiering!“ Und immer wieder erzählt der Alte von der Arbeit; denn der Kalender des Fischers kannte und kennt keine müßigen Tage. –
Im Frühjahr, das hier im Norden später einzieht als in Mitteldeutschland, mischt sich die steife Brise, die vom Meer herüber durch die Dünen streicht, mit dem frischen Geruch von Teer und Farbe. Die Boote stehen kieloben aufgebockt und werden gewaschen, kalfatert und geteert. Auch die Netze und Segel werden präpariert, um ihre Haltbarkeit zu erhöhen.
Dann, im März, April beginnen die ersten Heringszüge. Nicht weniger erwartungsvoll als die Küstenfischer weisen die hungrigen Möwen den Booten den Weg zu den Fanggründen. Doch die Fischer würden ihren Weg auch ohne die gefiederten Lotsen finden; denn ebenso wie das feste Land hat die See ihre Karte, worauf die Berge und Täler, Straßen und Wege verzeichnet sind. Die Usedomer wissen aus Erfahrung, daß die „Vinetabank“ und die Klippen bei Koserow, das „alte Bollwerk“ vor Ückeritz und das „neue Bollwerk“ vor Ahlbeck gutbesetzte Laichplätze des Herings sind.
Hier stellen sie ihre Treibnetze auf, die acht bis zehn Stunden, oft über Nacht (da der Nachtfang besonders ergiebig ist) auf hoher See stehen bleiben. Die Maschenweite der Netze ist so berechnet, daß die Heringe wohl mit dem Kopf, aber nicht mit dem Körper hineinpassen und sich mit den Kiemendeckeln – wie mit Widerhaken – festhängen. Nur in selteneren Fällen bedient man sich des Schleppnetzes, der sogenannten Heringszeese. Der steinige Grund der Ostsee gestattet ihren Gebrauch nur in geringem Umfange. Im Juli verschwindet der Ostseehering, als fürchte er den Badebetrieb der „Hochsaison“, und kehrt erst im September in Küstennähe zurück, wo er bis November bleibt.
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Obwohl der Hering ein harmloser Geselle ist, hat er mancherlei Feinde. Es ist so, wie Karl Ewald in seinem reizenden naturkundlichen Märchen „Der kleine Hering“ den alten Fischer Ole sagen läßt: „Wenn der Hering nicht kommt, so hängt es damit zusammen, daß die Wale und Möwen und Dorsche ihn hier nicht hereintreiben.“ Auf die gefräßigen Räuber des für den Menschen so nützlichen Herings müssen die Fischer Jagd machen, besonders auf Dorsch und Makrele, deren Fanggebiete sich bis zur Südküste Schwedens erstrecken. Beide können fast das ganze Jahr über gefangen werden.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Dorsches wurde erst viel später als die des Herings, etwa um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, entdeckt und ist seit 1945 noch wesentlich gestigen. Nicht nur als wohlschmeckender Speisefisch, sondern auch als Lieferant des bekannten aus der Dorschleber hergestellten Medizinaltrans kommt ihm große Bedeutung zu.
Noch gefährlichere Fischräuber als Dorsch und Makrele sind Wal und Seehund, die in früheren Zeiten den Ostseefischern großen-Kummer bereiteten. Wie Micrälius, ein mittelalterlicher Chronist, berichtet, tummelten sich noch zu seiner Zeit vielhundertköpfige Seehundfamilien auf den Sandbänken in den Odermündungen und an der Küste. Ein Walfisch wurde um das Jahr 1360 bei Damerow an die Küste getrieben und gefangen. Von seinem Fleisch konnten 360 Fässer Tran gesotten werden. Die Rippen des Fisches schickte der Herzog „Wunders halber“ nach Wittenberg, Brandenburg und in andere Residenzstädte.
Kurz nach Beginn des Heringsfanges setzt im späten Frühjahr der Fang von Plattfischen ein, der in der Ostsee an erster ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Inhaltsverzeichnis
  4. Vorwort zum photomechanischen Nachdruck der Ausgabe von 1953
  5. Ein Wort zum Geleit
  6. Land am Meer
  7. Mit Steinbeil, Hakenpflug und Streitaxt
  8. Das Rätsel um Vineta
  9. Der weiße Greif auf rotem Feld
  10. Rings um das alte Schloß von Mellenthin
  11. Aus gärender Zeit
  12. Vom „Wigwam“ zum „Kaiserhof“
  13. Lachend triumphiert das Leben
  14. Unkel Kollett un annere Lüd
  15. Brot des Meeres
  16. Unerschöpfliche Natur
  17. Aus einer alten Truhe
  18. Das Flüsterbook
  19. Als Gorki in Heringsdorf weilte …
  20. Sturmflut
  21. Swante Wostrossna – Helgoland der Ostsee
  22. Impressum