Kapitel II
Stalking
1. Kriminologie-Phänomenologie des „Stalking“
Nicht wenige Menschen werden von anderen Menschen belästigt oder gar verfolgt. In diesem Kontext fällt sodann der Begriff „Stalking“. Es gilt als sozialwissenschaftlich abgesichert, dass rd. 10 % der Bevölkerung einmal im Leben von Stalking betroffen sind, wobei die Opfer zu etwa 90 % weiblichen Geschlechts sind. In einem Drittel aller Fälle droht der Täter gar explizit Gewalt an; auch kommt es bisweilen zu Tötungsdelikten.1 Die international Kreise ziehenden Stalking-Diskussionen haben letztendlich nicht nur Deutschland erreicht.2
Am 30.11.2006 wurde vom Bundestag der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 08.02.20063 mit einigen vom Rechtsausschuss beschlossenen Modifikationen4 angenommen und mit § 238 StGB ein Straftatbestand für vom Gesetzgeber als typische Stalking-Verhaltensweisen angesehene „beharrliche Nachstellungen“ verabschiedet.5 Der neue Straftatbestand dient dem Schutz der eigenen Lebensführung vor gezielten hartnäckigen und schwerwiegenden Belästigungen, vor unzumutbaren Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung6, insofern soll die Strafvorschrift auch dem Opferschutz dienen.7 Ergänzt wurde auch die Strafprozessordnung. Dort wird v. a. der Haftgrund der Wiederholungsgefahr des § 112a StPO insoweit ergänzt, als in schwerwiegenden Fällen auch gegen gefährliche Stalking-Täter die Untersuchungshaft angeordnet werden kann, wenn schwere Straftaten gegen Leib und Leben zu befürchten sind.
1.1 Begriff 8
Der englische Begriff Stalking basiert auf dem englischen Verb „stalk“, stammt aus der Jägersprache und bedeutet so viel wie „anpirschen“ oder „anschleichen“.9 Der Stalker ist in direkter Übersetzung ein Pirschgänger. Der Ausdruck des Stalking hat sich im angloamerikanischen Raum eingebürgert für Verhaltensweisen, bei denen Personen von anderen Personen verfolgt, belästigt und drangsaliert werden.10 In der amerikanischen Sprache bezeichnet „stalking“ nach neuerer Bedeutung zusammengefasst das zwanghafte Verfolgen und Belästigen einer anderen Person.
In der deutschen Sprache gibt es keinen entsprechenden Begriff für dieses Verhalten. Inzwischen wird der Begriff aber auch in Deutschland als Umschreibung für eine fortgesetzte Verfolgung, Belästigung oder Bedrohung einer anderen Person gegen deren Willen verwendet. Durch die durch § 238 StGB eingeführte Bezeichnung „Nachstellung“ ist der Begriff „Stalking“ zwar nicht genau übersetzt, gleichwohl scheint die Prämisse „Nachstellung“ der Wortbedeutung „Stalking“ recht nahe zu kommen.
In der Psychiatrie wird Stalking als Verhaltensmuster beschrieben, bei dem der Täter das Opfer „wiederholt mit unerwünschten Kontaktaufnahmen belästigt“. Das Wort „Kontaktaufnahme“ kann zwar verharmlosend unterstellen, dass eine gegenseitige Kommunikation stattfindet. Stalking meint hier indes die einseitige Kommunikation in Richtung Opfer, die in rascher Folge und penetrant durch eine Vielzahl von Einzelakten erfolgt.11
Stalking war mehrfach Gegenstand von diversen Hollywood-Produktionen. Bekannt wurden v. a. „Eine verhängnisvolle Affäre“ (Michael Douglas) von 1987 und „Der Fan“ (Robert di Niro) von 1997.
Gordon Matthew Summer – besser bekannt als Sting – hatte 1983 mit einführend zitierten Liedzeilen Stalkingverhalten bereits recht zutreffend umschrieben:
„Every breath you take, every move you make, every bond you break,
every step you take, I`ll be watching you …“12
Auch wenn Sting Stalking-Verhalten passend beschrieben hat, so existiert gleichwohl eine allgemeingültige Definition des Stalking nicht. Trotzdem ist der Begriff des Stalking weit verbreitet. Dabei ranken sich rund um diesen Begriff (immer noch) etliche Mythen, für die auch die mediale Berichterstattung verantwortlich ist. Zu den häufigsten Mythen gehören folgende Annahmen:13
- alle Stalker sind psychisch krank: Werden Stalking und psychisch Kranke gleichgesetzt, besteht die Gefahr, dass der unauffällige und im sozialen Umgang freundliche Stalker nicht als Täter wahrgenommen wird und dem Opfer kein Glauben geschenkt wird
- Stalking ist Liebeswahn: Liebeswahn (Erotomanie) ist eine Wahnerkrankung; bei Stalkern leiden nur rund 3 % unter dieser Krankheit
- der Stalker ist der Fremde: Jeder 2. Fall ist ein „Ex-Partner-Stalking“
- Stalker sind immer Männer: In jedem 5. Fall ist eine Frau die Stalkerin.
Aus psychologischer Sicht kann bei folgenden Verhaltensmerkmalen von Stalking gesprochen werden:14
- wiederholte Handlungen der Kontaktaufnahme, Annäherung oder Belästigung,
- die sich über einen längeren Zeitpunkt hinweg ziehen,
- die die impliziten Regeln sozialer Interaktion überschreiten,
- die sich auf eine spezifische Person richten,
- die von der Zielperson zumindest teilweise wahrgenommen werden,
- die von der Zielperson direkt nur eingeschränkt oder gar nicht beeinflussbar sind.
Die Beziehung zwischen Stalker und Opfer kann hierbei variieren. Typische Konstellationen sind ehemalige Intimpartner, Bekannte, Arbeitskollegen und berufliche Kontakte und seltener Fremde, Familienmitglieder und Personen des öffentlichen Lebens. Die meisten Fälle geschehen allerdings im sozialen Nahraum, bei schwerem Stalking sind sogar die Hälfte der obsessiven Verfolger und Belästiger ehemalige Intimpartner.15
1.2 Historie
Der Begriff „Stalking“ wurde Ende der 1980er Jahre in den USA eingeführt, um das immer häufiger beobachtete Phänomen des zwanghaften und systematischen Verfolgens und Belästigens einer Person zu erfassen.16 Der Begriff tauchte verstärkt in der US-amerikanischen Yellow Press auf. Der bezeichnete dabei das exzessive Verfolgen von Prominenten durch besessene „Fans“. Nachdem es in den 1980er Jahren in den USA durch einen auf die Schauspielerin Jody Forster fixierten Stalker zu einem Attentat auf den damaligen Präsidenten Ronald Reagan gekommen war, nahm das Thema Stalking „Fahrt auf“. Die Liste ausländischer und deutscher Stars, die Erfahrungen mit Stalking „sammelten“, ist lang (Madonna, Nicole Kidmann, George Harrison, Sabine Christiansen, Costa Cordalis).17 Personen des öffentlichen Lebens (sog. „absolute Personen der Zeitgeschichte“18) machen wohl regelmäßig Erfahrungen mit Kontaktversuchen ungewöhnlicher Natur. Indes hört der „Spaß“ beim „Prominentenstalking“ auf.19
Mit der Ermordung der Schauspielerin Rebecca Schaeffer und dreier nicht prominenter Frauen 1989 in Kalifornien wurde die Gewalttätigkeit von „Stalking“ öffentlich thematisiert. Die Ermordung von Schaeffer brachte dabei einen regelrechten Schub an wissenschaftlichen, aber auch polizeilichen Aktivitäten.20 Neben der Einführung einer speziellen Anti-Stalking-Gesetzgebung in Kalifornien und später auch in allen anderen US-Bundesstaaten, rief das Los Angeles Police Department 1990 eine sog. „Threat Management Unit“ ins Leben. Zugrunde lag die Idee, Bedrohungen früh zu erkennen und durch gezielte Intervention eine Eskalation möglichst bereits im Vorfeld zu verhindern. Man setzte hierbei mithin auf die Zusammenarbeit von Polizei mit Psychologen und Psychiatern. Nachdem man anfangs nur Prominenten-Fälle bearbeitete, wurde immer mehr deutlich, dass Stalking ein Phänomen war, das „Jedermann“ treffen kann.21 1990 trat in den USA mithin das erste Anti-Stalking-Gesetz in Kraft. Bereits drei Jahre später verfügten alle 50 Staaten sowie der District of Columbia über entsprechende Vorschriften.
Im Jahre 1996 wurde dann auch ein Stalking law auf Bundesebene verabschiedet.22 Der Begriff wurde letztlich in den 1990er Jahren in den USA für ein Verhaltensmuster geprägt, das dadurch charakterisiert ist, dass ein Täter einen anderen Menschen ausspioniert, verfolgt, belästigt, bedroht, unter Umständen auch körperlich attackiert und, in seltenen Fällen, sogar tötet. Durch diese Verhaltensweisen fühlt sich das Opfer des Stalkers...