Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (SOG LSA)
in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Mai 2014 (GVBl. LSA S. 183, ber. S. 380), geändert durch Gesetz vom 17. Juni 2014 (GVBl. LSA S. 288), durch Entscheidung des LVerfG vom 11. November 2014 (GVBl. LSA S. 547), durch Gesetze vom 3. Juli 2015 (GVBl. LSA S. 314), vom 27. Oktober 2015 (GVBl. LSA S. 559), vom 18. Dezember 2015 (GVBl. LSA S. 666)
Erster Teil
Aufgaben und allgemeine Vorschriften
§ 1 Aufgaben der Sicherheitsbehörden und der Polizei
(1) 1Die Sicherheitsbehörden und die Polizei haben die gemeinsame Aufgabe der Gefahrenabwehr, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. 2Sie haben im Rahmen dieser Aufgabe auch die erforderlichen Vorbereitungen für die Hilfeleistung und das Handeln in Gefahrenfällen zu treffen. 3Sie haben bei der Gefahrenabwehr zusammenzuarbeiten. 4Insbesondere haben sie sich unverzüglich gegenseitig über Vorgänge, deren Kenntnis für die Aufgabenerfüllung der anderen Behörde bedeutsam erscheint, zu unterrichten. 5Die Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten (§§ 14 bis 34) bleiben unberührt.
(2) Der Schutz privater Rechte obliegt den Sicherheitsbehörden und der Polizei nach diesem Gesetz nur dann, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne sicherheitsbehördliche oder polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde.
(3) Die Sicherheitsbehörden und die Polizei haben ferner die ihnen durch andere Rechtsvorschriften zugewiesenen weiteren Aufgaben zu erfüllen.
Erläuterungen:
Zu Abs. 1
Die Vorschrift enthält in Satz 1 einen wesentlichen Teil der Aufgabenbeschreibung der Sicherheitsbehörden (allgemeine und besondere Sicherheitsbehörden, die Aufgaben der Gefahrenabwehr wahrnehmen – §§ 84, 85 – sowie für sie handelnde Verwaltungsvollzugsbeamten – § 3 Nr. 8, 49 –) und der Polizei (Polizeibehörden sowie für sie handelnde Polizeidienststellen, Polizeibeamten und Hilfspolizeibeamten – § 3 Nr. 9, §§ 76, 83 –). Weitere Aufgaben der Sicherheitsbehörden und der Polizei sind in den Abs. 2 und 3 sowie in § 2 erfasst. Der in Abs. 1 umschriebene sog. materielle Polizeibegriff ist vom formellen Polizeibegriff, d. h. von der Frage, welche Behörden als „Polizei“ im organisationsrechtlichen Sinne anzusehen sind, zu unterscheiden (vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, S. 33 ff.). Unter den formellen Polizeibegriff fallen in Sachsen-Anhalt nur die Polizeibehörden und die Polizeieinrichtungen (§ 78), nicht dagegen die Sicherheitsbehörden, die Aufgaben der Gefahrenabwehr wahrnehmen.
In Übereinstimmung mit dem MEPolG ist eine strikte Trennung zwischen allgemeiner Aufgabennorm (Aufgabengeneralklausel) und allgemeiner Befugnisnorm (Befugnisgeneralklausel – § 13 –) erfolgt. Abs. 1, der durch die Abs. 2 und 3 sowie durch § 2 ergänzt wird, ist nur noch allgemeine Aufgabenzuweisungsnorm. Allgemeine Befugnisnorm ist dagegen § 13.
Die allgemeine Aufgabennorm gilt gleichermaßen für die Sicherheitsbehörde und die Polizei, wobei die Aufgabenabgrenzung des § 2 Abs. 2, die auch eine Aufgabenbeschränkung darstellt, zu berücksichtigen ist. Sie gilt nicht, soweit das besondere Gefahrenabwehrrecht spezielle Aufgabengeneralklauseln bereithält (vgl. z. B. §§ 29, 29 c LuftVG; s. auch Schneider, NVwZ 1988, 605).
Die Aufgabengeneralklausel des Abs. 1 Satz 1 macht den Sicherheitsbehörden und der Polizei die „Gefahrenabwehr“ zur Aufgabe. Dabei handelt es sich nach der Legaldefinition des § 3 Nr. 5 um die Aufgabe, „Gefahren gemäß Nr. 3 (des § 3) abzuwehren“. Die Legaldefinition des § 3 Nr. 5 stellt auf einen differenzierten und qualifizierten Gefahrenbegriff ab (Näheres unter RN 14). Soweit das SOG LSA auf die „Gefahr“ abhebt, handelt es sich um eine konkrete Gefahr, die durch Verwaltungsakte, andere Eingriffe oder durch sonstiges Handeln („präventiv“) abzuwehren ist. Auch die „repressive“ Beseitigung bereits eingetretener Störungen in Fällen, in denen von den Störungen eine erneute Gefahr ausgeht oder die bisherige Gefahr fortbesteht, fällt unter den Begriff der Gefahrenabwehr. Der Begriff der „Störung“ wird im SOG LSA – wie in den sonstigen neueren Landespolizeigesetzen – nicht mehr benutzt. Auch die Abwehr abstrakter Gefahren durch den Erlass von Gefahrenabwehrverordnungen (Näheres s. unter RN 13) ist „Gefahrenabwehr“.
Nach der Legaldefinition des § 3 Nr. 3 Buchst. a setzt die konkrete Gefahr eine Sachlage voraus, bei der im einzelnen Falle die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird. Die Legaldefinition der Gefahr beruht auf der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.2.1974, BVerwGE 45, 51/57 = DVBl. 1974, 842 = NJW 1974, 807; Urt. v. 17.3.1981, BVerwGE 62, 36/38). Schaden ist die nicht unerhebliche Minderung der Schutzgüter öffentliche Sicherheit und Ordnung. Bloße Nachteile, Belästigungen, Unbequemlichkeiten und Geschmacklosigkeiten begründen keine Gefahr (Drews/Wacke/ Vogel/Martens, S. 221/222; vgl. jedoch auch § 3 Abs. 1 BImSchG).
Beispiel: Der von einem Rummelplatz ausgehende Lärm muss von den Anwohnern hingenommen werden.
Allerdings kann die zeitliche oder örtliche Häufung bestimmter Einflüsse, die für sich genommen nur als Belästigung anzusehen wären, zu einem Schaden führen.
Der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ ist in § 3 Nr. 1 definiert als „die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie des Bestandes, der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und der sonstigen Träger der Hoheitsgewalt“. Dazu gehört auch die Einsatzfähigkeit der Polizeiorganisation, BVerwG, Urt. v. 18.3.2012, NJ 2012, S. 40; dort auch zur Zulässigkeit des Verbots des Fotografierens eines SEK-Einsatzes durch Reporter. Ein Verstoß gegen die Rechtsordnung hat die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zur Folge. Die Legaldefinition des § 3 Nr. 1 folgt der Umschreibung des Begriffs der öffentlichen Sicherheit in der Begründung zu § 14 Pr. PVG bei gleichzeitiger Aktualisierung (Drews/Wacke/Vogel/Martens, S. 232, vgl. ferner VGH Kassel, Urt. v. 5.10.1979, ESVGH 30, 115/117, 23.11.1982, HessVGRspr. 1983, 33 und Beschl. v. 23.12.1987, NJW 1988, 1281; BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, BVerfGE 69, 315/352; ferner OVG Koblenz, Urt. v. 29.9.1987, NJW 1988, 925; VG Karlsruhe, Urt. v. 11.12.1987, JZ 1988, 208 und VGH Kassel, Beschl. v. 1.3.1989, NVwZ 1990, 386 sowie Denninger in Lisken/Denninger, RN 6 ff. – S. 134 ff.).
Zu beachten ist, dass der Schutz privater Rechte primär den ordentlichen Gerichten unterliegt (Abs. 2). Ein in der unmittelbaren Nähe eines anderen Grundstückes stehendender gesunder Baum begründet für die privaten Rechtsgüter des Grundstückeigentümers, anders als ein im Absterben begriffener, umsturzgefährdeter keine Gefahr für die privaten Rechte des Grundstückseigentümers (VG Minden, Urt. v. 9.12.2005, NJW 2006, S. 1450). Zur Abwehr der Gefahren für die öffentliche Sicherheit gehört auch die Verhütung zu erwartender Straftaten (§ 2 Abs. 1).
„Öffentliche Ordnung“ ist nach § 3 Nr. 2 die Gesamtheit der im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung liegenden ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Zusammenlebens betrachtet wird (vgl. auch Drews/Wacke/Vogel/Martens, S. 245 ff.; Pr. OVG 91, 139/140; BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, BVerfGE 69, 315/352; VG Frankfurt a. M., Beschl. v. 19.7.1988, NJW 1988, 3032; VGH Kassel, Beschl. v. 3.2.1989, NJW 1989, 1448). Hinsichtlich der Untersagung von Laserspielen vgl. OVG Koblenz, Beschl. v. 21.6.1994, NVwZ-RR 1995, 30; VGH München, Beschl. v. 4.7.1994, NVwZ-RR 1995, 32; OVG Münster, Beschl. v. 28.6.1995, DÖV 1995, 1004 und Urt. v. 27.9.2000, DÖV 2001, S. 217; EU-Gemeinschaftsrecht steht einem Verbot sog. Laserdrome zum Schutz der öffentlichen Ordnung nicht entgegen, EuGH, Urteil der Ersten Kammer vom 14.10.2004 – C-36/02 –, DVBl. 2004, S. 1476; zuvor Vorabentscheidungsersuchen BVerwG vom 24.10.2001 – 6 C 3/01 –, NVwZ 2002, S. 598; gegen die Zulässigkeit eines Verbots sog. Paintball-Spiele auf Grund einer Störung der öffentlichen Ordnung Bay VGH, Beschl. v. 4.7.1994, NVwZ-RR 1995, 32, ferner Urt. v. 27.11.2012, DVBl. 2013, S. 525, VG Dresden, Beschl. v. 28.1.2003, NVwZ 2003, S. 849, ferner Urt. v. 31.1.2007 – 14 K 2097/03 –.
Der Begriff der öffentlichen Ordnung bedarf als Blankettbegriff der Ausfüllung durch Wertvorstellungen der Gesellschaft. Er ist nicht ohne Kritik geblieben (vgl. insbesondere Denninger, Polizei in der freiheitlichen Demokratie, 1968, S. 25 ff.; Götz, RN 93 ff.; Denninger in Lisken/Denninger, 25 ff. – S. 113 ff.; s. auch Ebert/Honnac...