Martin Luther als Seelsorger
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Über dieses Buch

Martin Luther, der große Reformator, unerschrocken und mutig, doch auch niedergeschlagen und verzweifelt. Nach tiefem Ringen erlebte er die Gnade Gottes. Seine zahlreichen Briefe und Schriften sind heute wie damals eine Quelle der Ermutigung und des Trostes. Dr. Rolf Sons zeigt, wie Luthers seelsorgerlicher Rat in Krisen und menschlichen Nöten auch heute noch guttut und Menschen in die Freiheit führen kann.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783775172783

Kapitel 1 Wie Martin Luther zum Seelsorger wird

Kapitel 1 | Wie Martin Luther zum Seelsorger wird

1. Eine seelsorgerliche Frage als Ausgangspunkt

Was waren Ursache und Anlass der Reformation? Wie kam es zu dieser Bewegung, die in wenigen Jahren das Gesicht Europas verändern sollte? Ich erinnere mich, wie mir diese Frage völlig überraschend in meinem ersten theologischen Examen gestellt wurde. War es nicht der Thesenanschlag vom 31. Oktober 1517, mit dem Luther, der Wittenberger Theologieprofessor, mit einem Mal bekannt wurde? Oder war es Luthers mutiger Auftritt auf dem Reichstag in Worms im April 1521, als er seine Sache vor dem Kaiser und den Kurfürsten zu vertreten hatte? Oder war es vielleicht seine Übersetzung des Neuen Testamentes auf der Wartburg im September des Jahres 1521? Was war der eigentliche Anlass der Reformation?
Wir müssen hier zwischen Anlass und Ursachen unterscheiden. Ursachen gab es gewiss viele. Etwa die Tatsache, dass die katholische Kirche des späten Mittelalters moralisch tief gesunken, der Klerus verweltlicht und die römische Kurie hauptsächlich auf Macht und Geld aus war. Ganz sicher ist bei der Frage nach den tieferen Gründen der Reformation auch an den Ablass zu denken. Papst Leo X. hatte im Jahre 1515 den Ablasshandel genehmigt und den Erzbischof von Mainz mit seiner Durchführung beauftragt. Diesem kam dieser Umstand ganz gelegen. Denn so konnte er seine immensen Schulden begleichen, mit denen er bei den Augsburger Fuggern in der Kreide stand. Doch führte dieses Geschäft mit menschlicher Schuld und Sündenstrafen zur Reformation? Viele weitere Ursachen könnten an dieser Stelle genannt werden. Nicht zuletzt etwa die Tatsache, dass sich die Welt am Abend einer zu Ende gehenden Epoche und am Beginn eines neuen Zeitalters befand. Johannes Gutenberg hatte 1450 den Buchdruck erfunden und Christoph Kolumbus im Jahre 1492 Amerika entdeckt (oder was er dafür hielt). In Deutschland nahm der Bergbau einen Aufschwung und sorgte für eine frühe Industrialisierung und Wohlstand.
Alle diese unterschiedlichen Ereignisse, Bewegungen und Umbrüche haben den Weg für die Reformation vorbereitet. Der eigentliche Anlass aber ist damit noch nicht genannt. Die Initialzündung für die Reformation war letztlich eine seelsorgerliche Fragestellung. Davon bin ich überzeugt, und diese These lässt sich gut begründen. Obwohl Luther die Missstände in der römischen Kirche sah, trat er nicht in erster Linie dazu an, diese Missstände abzuschaffen oder die Kirchenorganisation zu reformieren. Auch das Papsttum war zunächst nicht sein Gegner. Seine Motivation lag tiefer, nämlich im Grunde seines eigenen Herzens. Dort rumorte die verzweifelte Frage eines jungen Mönches. Sie lautete: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Luther suchte in dieser für ihn entscheidenden Lebensfrage die Gewissheit, die ihm die mittelalterliche Kirche, die Theologie, ja die ganze Welt nicht geben konnte. Diese Frage hatte ihn einst ins Kloster getrieben, und sie ließ ihn fortan nicht los. Sie beschäftigte ihn als Mönch genauso wie als Theologe und Bibelwissenschaftler. Luther war ein Mensch, der nach dem gnädigen Gott Ausschau hielt und ihn doch lange nicht zu Gesicht bekam. An diesem Punkt hat aus meiner Sicht die Reformation ihren Ursprung.
Eindrücklich schildert Luther, wie er gequält von Angst und Leistungszwang betete, meditierte, sich selbst kasteite und bis zur Erschöpfung mit Schlafentzug plagte. Das beherrschende Bild jener Jahre war für ihn Christus als der Weltenrichter, der über einem Regenbogen thronte und das Schwert in der Hand hielt. Rückblickend auf diese Zeit konnte er sagen: »Denn ich glaubte nicht an Christum, sondern hielt ihn nicht anders denn für einen strengen, schrecklichen Richter, wie man ihn malet auf einem Regenbogen sitzend.«2
Luther, der seine eigene menschliche Unzulänglichkeit und Sündhaftigkeit spürte, wusste, dass er vor diesem Richter niemals bestehen konnte. Desto begieriger suchte er nach einer Antwort auf seine Ausgangsfrage. Sie besaß schließlich das Potenzial, das Leben dieses Mönchs und daraus resultierend ganz Europa zu reformieren. Vorbereitet wurde die Antwort auf diese Frage bei Johann Staupitz, dem Seelsorger Luthers.

2. Johann Staupitz als seelsorgerlicher Wegbegleiter

Martin Luther ist uns vor allem als ein Mann der Öffentlichkeit bekannt. Vertraut ist uns jenes Bild, wie er auf der Kanzel seiner Kirche in Wittenberg steht und öffentlich das Evangelium verkündigt. Bekannt ist er uns als streitbarer Theologe und mutiger Kirchenmann.
Weniger bekannt ist die Tatsache, dass Luther die meiste Zeit seines Lebens selbst Seelsorge in Anspruch nahm. Besonders in seinen Jugendjahren war dies der Fall. Die neuere Lutherforschung hat zu Recht auf diesen Sachverhalt hingewiesen.3 Wir müssen diese frühen Jahre Luthers beachten, wenn wir sein inneres Werden und Wachsen verstehen wollen. Seine reformatorische Erkenntnis war demzufolge kein punktuelles »Aha-Erlebnis«. Vielmehr legte Luther einen mühevollen Weg zurück, auf dem sich Stück um Stück die neue Erkenntnis anbahnte. Luther tastete sich gewissermaßen an das Evangelium heran, ehe es zu jenem bahnbrechenden Durchbruch kam. Ein wichtiger Wegbegleiter war ihm in jener Zeit Johann von Staupitz. Staupitz stand dem jungen Luther als Beichtvater zur Seite. Er war sein Berater in geistlichen und seelsorgerlichen Fragen.
Da Staupitz einen sehr nachhaltigen Einfluss auf Luther ausübte, lohnt es sich an dieser Stelle, ihn etwas genauer zu betrachten. Staupitz war Augustinermönch und zugleich Theologieprofessor, der nach verschiedenen Stationen im Jahre 1502 nach Wittenberg berufen wurde. Der mächtige und für die Wissenschaft und Kunst aufgeschlossene sächsische Kurfürst Friedrich der Weise wollte dort unter anderem eine nach dem Vorbilde Tübingens geartete Universität etablieren. Dass Staupitz selbst in Tübingen promoviert wurde und dort in den Jahren 1497–1502 Prior des Augustinerordens war, mag ein möglicher Grund für dessen Berufung gewesen sein. Staupitz wurde somit Gründungsdekan der Universität in der aufstrebenden Residenzstadt Wittenberg. Als Luther im Jahre 1508 sein Studium in Wittenberg aufnahm, saß er Staupitz zu Füßen und lauschte seinen biblischen Vorlesungen. Staupitz erkannte das Potenzial des jungen Theologen und wurde zum Förderer des begabten Studenten. Schon bald drängte er ihn zu einer Doktorarbeit. Aufschluss darüber gibt die folgende Szene, die sich im Garten des Augustinerklosters zwischen Luther und Staupitz abgespielt haben soll: »Staupitz, mein Prior, saß einmal unter dem Birnbaum, der noch heute mitten in meinem Hof steht. Endlich sprach er zu mir: ›Herr Magister, Ihr sollt den Doktorgrad erwerben, so kriegt Ihr etwas zu schaffen.‹«4 Als Luther allerlei Gründe anführte und sich weigerte, ein solches Projekt anzustreben, entgegnete ihm wiederum Staupitz: »Wisst ihr nicht, dass unser Herrgott viele große Sachen auszurichten hat? Dazu bedarf er vieler kluger und weiser Leute, die ihm helfen raten. Wenn Ihr denn je sterbt, so müsst Ihr sein Ratgeber sein.«5 Staupitz schätzte Luther sehr und wollte ihn schon bald in eine verantwortungsvolle Position bringen. Im Jahre 1512 war es schließlich so weit: Staupitz übertrug Luther seinen eigenen theologischen Lehrstuhl.
Luther hatte Staupitz indes weit mehr zu verdanken als nur die Förderung seiner wissenschaftlichen Karriere. Aus mehreren biografischen Notizen Luthers wissen wir, wie sehr Staupitz auf Luther seelsorgerlich einwirkte. Im Jahre 1545, also ein Jahr vor seinem Tod, erwähnte Luther in einem Schreiben, dass Staupitz sein Vater gewesen sei, dem er die reformatorische Lehre verdanke und der ihn wiedergeboren habe. An anderer Stelle sagte er »ich hab all mein Ding von Doktor Staupitz«6 oder auch »Staupicius hat die doctrinam [Lehre – Anm. d.Verf.] angefangen«.7 Die Anrede »Vater«, die Luther auch an anderen Stellen Staupitz gegenüber verwendete, lässt erahnen, wie vertrauensvoll die Beziehung zwischen beiden gewesen sein muss. Staupitz war für Luther ein geistlicher Vater, bei dem er beichten konnte und der ihn auch in persönlichen und theologischen Fragen beriet. Hier fand Luther Trost, wenn ihn sein eigenes skrupulöses Gewissen plagte. Hier konnte er seine Schuld loswerden, wenn er nach qualvoller Gewissenserforschung Erleichterung suchte. Dabei konnte Staupitz seinen jungen Kollegen auch deutlich kritisieren. Luther kam immer wieder zu Staupitz und bat um Vergebung seiner Sünden. Staupitz wies Luther wegen dieses zwanghaften Beichtverhaltens zurecht. Er habe doch gar keine rechten Sünden vorzuweisen. Christus sei die Vergebung von schweren und großen Sünden wie »die Eltern morden, öffentlich lästern, Gott verachten und die Ehe brechen«. Er solle also nicht mit »Humpelwerk und Puppensünden« zur Beichte kommen »und aus jeglichem Bombart eine Sünde machen«.8 Luther komme mit scheinbaren Sünden und missachte damit, dass Christus der wahre Heiland sei.
Das Problem waren in diesem Zusammenhang weniger die Schuldgefühle, die Luther beichtete, als vielmehr die Tatsache, dass er schon vor der Vergebung sündlos sein wollte. Luther litt darunter, dass er überhaupt Sünden auf sich lud. Damit machte er im Grunde das Erlösungswerk Christi hinfällig. Seine eigene Skrupelhaftigkeit versperrte ihm den Zugang zur Gnade. Sein religiös motivierter Wunsch, vor Gott tadellos und perfekt dazustehen, hielt ihn von Gottes Herzen fern. Allein das Evangelium konnte ihn aus diesem Zwang befreien. Wie tief er diese Befreiung erlebt haben muss, zeigt ein Zitat aus späteren Jahren, als er seinem Weggenossen Melanchthon folgenden Rat gab: »Sündige tapfer, aber glaube noch tapferer«9 (lat. pecca fortiter, sed crede fortius). Denn Gott erlöse nicht von eingebildeten, sondern von wirklichen Sünden. Luther gibt hier keinen Freibrief zum Sündigen. Vielmehr will er skrupulösen Menschen zur Freiheit verhelfen. Nicht die Sünde ist das erste Thema der Christen, sondern die Erlösung, die Christus schenkt. An dieser Wahrheit hat sich seit den Tagen Luthers nichts geändert.
Bei Staupitz hat Luther gelernt, den Blick von den eigenen Sünden weg hin zu Christus zu wenden. Einmal kam Luther zu Staupitz, um mit ihm eines der größten und schwersten theologischen Themen überhaupt zu diskutieren. Es ging um die Frage der göttlichen Erwählung, der Prädestination. Luther zweifelte offenbar, ob Gott auch ihn, den sich so unvollkommen fühlenden Mönch, erwählt hatte. Die Antwort von Staupitz ist berühmt und lässt nicht nur dessen eigene Verankerung in Christus, sondern auch seine seelsorgerliche Weisheit erkennen.
»Ich führte einmal bei meinem Staupitz Klage über die Erhabenheit der Prädestination. Er antwortete mir: In den Wunden Christi versteht und findet man die Prädestination, nirgends anders, denn es ist geschrieben: ›Diesen hört!‹ Der Vater ist zu hoch, aber der Vater hat gesagt: Ich werde euch einen Weg geben, um zu mir zu gelangen, freilich Christus. Geht, glaubt, hängt auch an Christus, so wird es sich wohl finden, wer ich bin, zu seiner Zeit. Das tun wir nicht, daher ist Gott für uns unbegreiflich, undenkbar; er wird nicht begriffen, außerhalb Christ will er nicht erfasst sein.«10
Luther klagt, denn der Gedanke an die Größe, Unerforschlichkeit und Erhabenheit der göttlichen Erwählung ließ ihn erzittern. Wie kann ein Mensch jemals gewiss werden, dass er von Gott erwählt und geliebt ist? Luthers Frage ist wohl nicht nur seiner eigenen Skrupelhaftigkeit zuzuschreiben. Im Kontext der mittelalterlichen Gnadentheologie blieb es für einen Menschen völlig im Dunkeln, ob er von Gott angenommen sei oder nicht. Eine letzte Gewissheit konnte es in der Frage des ewigen Heils bzw. der ewigen Verdammnis nicht geben. Der Rat von Staupitz wirkt vor diesem Hintergrund nicht nur befreiend, er ist auch zutiefst reformatorisch und seelsorgerlich. Die Frage der eigenen Prädestination lässt sich weder durch Grübeln noch durch theologisches Nachdenken lösen. An dieser Stelle stößt der Mensch an eine Grenze. Die alles entscheidende Antwort auf diese anfechtungsschwere Frage findet sich in den Wunden Christi. Wer über die Prädestination grübelt, wird verzweifeln. Wer aber über die Wunden Christi meditiert, der findet Trost.
Wir sehen an dieser Stelle, wie Staupitz einen Grund legte, der für Luthers weiteres theologisches und seelsorgerliches Wirken entscheidend sein sollte. Weg vom Fragen – hin zum Vertrauen. Weg vom Spekulieren – hin zum Betrachten. Weg von den eigenen Gefühlen – hin zu Christus. Staupitz wies Luther weg von seinen eigenen Befindlichkeiten. Die Betrachtung der Wunden oder auch des Leidens Christi war für Luther nicht erschreckend oder grausam, sondern zutiefst tröstlich.
In den Wunden Christi findet sich der Mensch geborgen und geliebt. Nicht der majestätische Gott wird zum Ausgangspunkt der Theologie Luthers, sondern der Gekreuzigte. Staupitz hatte ihm diese Spur gelegt: »Man muss den ansehen, der da Christus heißt.«11 Der Blick auf Christus führt zum Trost. Diesen Rat von Staupitz hat Luther nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine eigene Seelsorge übernommen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang zweierlei. Zum einen stellt Staupitz Luther ein Bild vor Augen. Er tröstet Luther nicht mit theologischen Gedanken, sondern mit dem Gnadenbild der durchbohrten Hände und Füße von Jesus. Heil und Trost findet man weniger durch das Verstehen als vielmehr durch das Betrachten. Zum anderen ermahnt er ihn, die Worte des Vaters zu hören. Nicht die eigenen Einreden und Zweifel führen den Menschen aus seinen Nöten, sondern das Hören auf die Stimme Gottes. Auch diese Weisung wurde bedeutsam für Luthers eigene Seelsorge.
Staupitz beschreitet an dieser Stelle mit Luther einen grundsätzlich anderen Weg, als die Freunde mit Hiob gingen. Jene wollten im Verhalten bzw. in der Gottesbeziehung Hiobs einen Anhaltspunkt für sein Leiden finden. Damit aber wendeten sie Hiobs Blick zurück auf sich selbst. Staupitz geht mit Luther anders um, und ebenso machte es Luther mit vielen Ratsuchenden in seiner späteren Seelsorge. Seelsorge ist gerade nicht der Rekurs auf das eigene Verhalten, den eigenen Glauben, eigene Schuld oder Unschuld. Es geht allein um Christus, der für uns Menschen ist. Die Richtung der Seelsorge Luthers zeichnet sich damit schon ab: Ihm geht es in der Seelsorge nicht darum, dass man von allen Anfechtungen ein Leben lang frei werden könne, sondern darum, durch die Anfechtung hindurch auf Christus zu schauen. Luthers Seelsorge gibt damit der Anfechtung eine Richtung und ein Ziel. Sie lenkt unseren Blick auf Christus hin.

3. Die Heilige Schrift als Seelsorgerin

Gotteserfahrung und Gottesbegegnung gibt es für Martin Luther nicht unmittelbar. Das unterscheidet ihn bis heute von vielen, die meinen, man könne Gott direkt, übernatürlich oder in besonderen spirituellen Erfahrungen und Meditationen erleben. Gott erfährt man nach Luther nur mittelbar, und zwar durch die Heilige Schrift. Deshalb ist sie zugleich verbindlich für Leben und Lehre der Christen und auch die kritische Norm gegenüber jeder anderen Art von Offenbarung oder vermeintlicher Gotteserfahrung.
Luther war Professor für biblische Theologie. Als solcher legte er in den Jahren 1513 bis 1516 die Psalmen und den Römerbrief aus. Wenig später folgte der Galaterbrief. Gerade diese Schriften hatten einen bedeutenden Einfluss auf sein ganzes Leben als Christ und Theologe. In diesen Texten entdeckte er die Freiheitsbotschaft des Evangeliums klar und kräftig formuliert. Eine Kostprobe, wie überschwänglich und begeistert er von dieser Freiheit schreiben konnte, finden wir in einem Galaterbrief-Kommentar Luthers zur Stelle Gal 5,1: »Zur Freiheit hat Christus uns befreit.« Luther schreibt dazu:
»Er [Christus – Anm. d.Verf.] hat uns also befreit, dass unser Gewissen frei, getrost und fröh...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort
  6. Kapitel 1 Wie Martin Luther zum Seelsorger wird
  7. Kapitel 2 Wenn die Rechtfertigung das Leben trifft
  8. Kapitel 3 Wie das Gewissen zur Ruhe kommt
  9. Kapitel 4 Wie Angefochtene überwinden
  10. Kapitel 5 Luthers Schöpfungs-Seelsorge
  11. Kapitel 6 Seelsorge für Eheleute
  12. Kapitel 7 Seelsorge an Kranken
  13. Kapitel 8 Trost im Angesicht des Todes
  14. Kapitel 9 Seelsorge und Sakramente
  15. Kapitel 10 Seelsorge der Freiheit – Impulse zum Weiterdenken
  16. Literaturverzeichnis
  17. Fußnoten