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1 | Charles Darwin: Ein Naturforscher bewegt die Welt |
„Ich habe wenigstens, wie ich hoffe, einen guten Dienst getan, dazu beizutragen, das Dogma der separaten Schöpfungen umzustürzen.“ *
Die Evolutionslehre ist untrennbar mit dem Namen Charles Darwin verbunden. Darwins Hauptwerk „Über den Ursprung der Arten“ („On the origin of species“) erschien im Jahr 1859 in einer Auflage von 1.250 Exemplaren und erlebte fünf Folgeauflagen. Damals war Charles Darwin 50 Jahre alt. Das Jahr 2009 bot somit Anlass für ein Doppeljubiläum. Am 12. Februar jährte sich zum 200. Mal der Geburtstag von Darwin und am 24. November 2009 zum 150. Mal die Veröffentlichung des „Ursprungs der Arten“. Viele Veranstaltungen und eine Flut von Publikationen begleiteten dieses Ereignis – auch das Buch, das Sie gerade in der Hand halten.
Darwin dürfte im Bereich der Biologie der einflussreichste Wissenschaftler der letzten zwei Jahrhunderte sein. Es gelang ihm, die gesamte Biologie unter die Leitidee (Paradigma) der natürlichen Abstammung (Evolution) zu stellen. Das ist in der Tat Grund genug, seine Ideen und Hypothesen immer wieder neu zu würdigen. Darwin hat in mancherlei Hinsicht vorbildlich wissenschaftlich gearbeitet. Er besaß eine ausgeprägte Gabe zur detaillierten Beobachtung, trug mit großem Fleiß ein immenses Datenmaterial zusammen und hat viel darüber mit Kollegen korrespondiert. Darwin veröffentlichte neben seinem Hauptwerk etwa 30 Bücher zu wissenschaftlichen Themen, von Rankenfüßern über die Tätigkeit von Regenwürmern, von der Blütenbiologie der Orchideen bis zur Abstammung des Menschen. Seine wissenschaftlichen Leistungen verdienen Anerkennung.
Zur Würdigung des Lebenswerks Darwins gehört auch eine kritische Einschätzung seiner Theorien über die Entstehung und die Veränderung der Lebewesen aus heutiger Perspektive. Darwin selbst hat mögliche Kritikpunkte an seiner Abstammungslehre formuliert und verschiedentlich angegeben, welche Befunde seine Theorie schwächen oder gar zu Fall bringen würden. Auch darin zeigt sich vorbildliches wissenschaftliches Arbeiten. Dieses knapp gehaltene Buch soll in groben Zügen auch den Werdegang und die Bedeutung seiner Theorie bis zur Gegenwart nachzeichnen.
Die natürliche Entstehung und Veränderung des Lebens (ein Prozess, der erst seit etwa 1870 von Darwin selbst als „Evolution“ bezeichnet wurde) war zur Zeit der Veröffentlichung von Origin of Species keine neue Idee. Schon Darwins Großvater Erasmus hatte spekulative Vorstellungen dazu in Gedichtform veröffentlicht. Im Geburtsjahr von Charles Darwin erschien die Zoologie philosophique von Jean Baptiste de Lamarck, in der bereits eine Entwicklungstheorie vorgestellt wurde. (Im Übrigen finden sich evolutionäre Erklärungsansätze bereits in den frühesten kulturellen Überlieferungen.) Charakteristisch für Darwin war das umfangreiche Zusammentragen detaillierter Belege für Evolution (auch wenn deren Beweiskraft schon damals kritisch beurteilt wurde). Neu war insbesondere die Einbindung der Selektionstheorie, die unabhängig auch von Alfred Russel Wallace entwickelt wurde. Damit formulierte Darwin erstmals einen Mechanismus, der im Verbund mit anderen Mechanismen (z. B. Vererbung erworbener Merkmale) eine natürliche, nicht-schöpferische Entstehung der Arten plausibel erscheinen ließ und den er durch viele Befunde belegen konnte. Jedenfalls sahen es viele Wissenschaftler damals so, und dieser Aspekt hat bis heute große Bedeutung.
Wenn wir im Folgenden in groben Strichen eine kurze Bestandsaufnahme gut 150 Jahre nach der Veröffentlichung von Darwins Theorie versuchen, ist es wichtig, zwei verschiedene Bedeutungsebenen von „Evolution“ zu unterscheiden: Erstens: Evolution als ein (hypothetisch) rekonstruierbarer Ablauf der Geschichte der Lebewesen. Wenn es diesen geschichtlichen Prozess gab, kann er nur anhand von Indizien oder Spuren (z.B. Fossilien, vergleichende Anatomie oder Molekularbiologie) indirekt erschlossen werden. Die zweite Bedeutung von Evolution ist die einer Leitidee oder eines Paradigmas für wissenschaftliche Fragestellungen. Z. B.: Wie kann man das bekannte biologische Wissen durch Evolution erklären, welche Faktoren bzw. Mechanismen verursachen den Formenwandel? Dazu kann man direkte Beobachtungen und Experimente durchführen.
Abb. 1 Charles Darwin im Alter von 51 Jahren, kurz nach der Veröffentlichung von „Der Ursprung der Arten“. (wikimedia.org)
Der zentrale „Darwinsche Mechanismus“ (beschrieben durch die Selektionstheorie) beruht auf drei Beobachtungstatsachen: 1. Es gibt eine Variabilität der Lebewesen (nicht alle Individuen einer Art sind genau gleich gestaltet), 2. Es gibt eine Überproduktion von Nachkommen, 3. Die Anzahl der Individuen einer Fortpflanzungsgemeinschaft bleibt dennoch längerfristig oft annähernd gleich. Daraus folgt, dass es eine Auslese geben muss, da nicht alle Nachkommen bis zur Geschlechtsreife überleben. Es ist naheliegend, dass diejenigen am ehesten überleben, die am besten mit den jeweiligen Umweltbedingungen zurechtkommen: Das ist das berühmte survival of the fittest, das Überleben der Bestangepassten. Aus der Konkurrenz um die Ressourcen (z. B. Nahrung, Lebensraum, Paarungspartner) ergibt sich eine Art Triebfeder, sich immer wieder neu anpassen zu müssen, um weiterhin konkurrenzfähig zu sein. Darwin stellte sich vor, dass dadurch auch eine Tendenz zur Entstehung neuer Organe unterstützt würde (vgl. das Zitat auf Seite 17). Natürliche Variation, ein langsamer Artenwandel (Gradualismus) und die natürliche Auslese (Selektion) sind Kernstücke der Darwinschen Theorie, die als „Darwinismus“ in die Wissenschaftsgeschichte einging. Diese Kernstücke sind auch aus neueren Evolutionsvorstellungen nicht wegzudenken.
Abb. 2 Titelseite des Hauptwerks von Charles Darwin über die Abstammungstheorie: „Über den Ursprung der Arten durch natürliche Auslese oder die Erhaltung begünstigter Rassen im Kampf ums Dasein“. Das Werk erschien am 24. November 1859 in London. (wikimedia.org)
Eine Reduktion von Darwins Theorie allein auf die Selektionstheorie wird seinem Erklärungsansatz aber nicht gerecht. „Darwinismus“ steht für die Vorstellung einer speziellen Kombination von Evolutionsmechanismen, nicht für den Vorgang einer Evolution aller Lebewesen an sich. Das wird oft miteinander vermischt. Viele Kritiker des Darwinismus bezweifeln nicht Evolution als Vorgang, sondern halten nur Darwins Mechanismen für unzureichend oder falsch. In den nachfolgenden Kapiteln werden wir uns mit beiden Aspekten von Evolution befassen, wie auch Darwin es tat: Mit der Frage, ob es beweiskräftige Indizien dafür gibt, dass eine Evolution stattfand, und mit der Frage, wie sie abgelaufen sein könnte.
Die Evolutionsvorstellung hat ohne Zweifel wissenschaftliche Forschung angeregt und zu neuen Erkenntnissen geführt. Aber es ist nicht zu übersehen, dass Evolution für viele weit mehr ist als ein wissenschaftlicher Leitgedanke. Sie hat in unserer Gesellschaft teilweise religiöse oder ideologische Züge angenommen. Das haben auch Autoren beobachtet, die Evolution selber gar nicht in Frage stellen.1 Der religiöse Charakter von „Evolution“ wird an verschiedenen Symptomen deutlich, z. B. daran, dass Evolution als Erklärung für alle Facetten des menschlichen Daseins herangezogen wird. „Erkenne Dich selbst – mit Darwin“ titelte die Zeitschrift Focus am 1. Dezember 2008. „Evolution“ wird als Etikett allen möglichen Phänomenen angeheftet. So soll sogar der Fortschritt in Technik und Medizin ohne die Akzeptanz der „Tatsache“ Evolution gefährdet sein. Die Zustimmung zu einer Evolutionsanschauung wird geradezu zur Überlebensnotwendigkeit für die moderne Gesellschaft hochstilisiert. Ein Beweis für einen solchen Zusammenhang wurde nie erbracht, aber mit derartigen Assoziationen werden Stimmungen erzeugt, Ängste geweckt und Abwehrhaltungen gegen Kritiker provoziert. Die Abschottung gegen grundlegende Kritik an der „Tatsache“ Evolution ist ebenfalls ein Zeichen für eine religiöse Seite der Evolutionsanschauung. Der häufig vorgebrachte Verweis auf die aktuell sehr kontrovers geführten Diskussionen zu den vielen Evolutionstheorien kann darüber nicht hinwegtäuschen. Denn der Konsens, „Evolution“ als biologische Leitidee nicht mehr zur Disposition zu stellen, wird nicht angetastet. All das zeigt, was bei diesem Thema auf dem Spiel steht: Es geht auch um unsere Weltanschauung, um das rechte Verständnis des Menschen und seines Verhaltens und den daraus resultierenden Konsequenzen für sein Handeln.
Diesen Linien wollen wir in diesem Buch aber nicht folgen; es soll nur deutlich werden, dass es in Ursprungsfragen um weit mehr geht als um das pro und contra wissenschaftlicher Hypothesen. Gerade deshalb ist eine nüchterne Analyse der Reichweite naturwissenschaftlich begründeter Aussagen rund um das Thema „Evolution und Schöpfung“ wichtig. Wenn Evolution als wissenschaftlich begründete „Tatsache“ und Evolutionstheorien als wissenschaftlich formulierte Modellierungen dieses Prozesses ausgegeben werden, dann müssen sie sich Kritik gefallen lassen, denn kritische Auseinandersetzung mit „Tatsachen“, Leitideen und ihren Theoriengebäuden gehören zum Wesen der Wissenschaft.
Im Folgenden werden einige Themen der Evolutionsforschung erörtert, mit denen sich bereits Darwin beschäftigt hat und die bis heute Gegenstand der Wissenschaft sind. Die einzelnen Kapitel haben einführenden Charakter. Die Darstellungen in diesem kleinen Buch können natürlich nur zusammenfassende Skizzen sein und die Begründungen müssen kurz ausfallen. Auf viele Einwände kann nicht eingegangen werden. Um diesen Mangel auszugleichen, sind im Anhang zu jedem Kapitel Quellen angegeben, die eine vertiefende Beschäftigung ermöglichen und dem kritischen Leser die Möglichkeit eröffnen, den vorgestellten Schlussfolgerungen auf den Grund zu gehen.
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„Das alte Argument vom Design in der Natur, wie es von Paley verwendet wurde und das mir früher so schlüssig erschien, scheitert nun, nachdem das Gesetz der natürlichen Auslese entdeckt worden ist.“
Charles Darwin, so sagt man, habe gezeigt, dass man keinen Schöpfer benötige, um die Entstehung der Lebewesen und ihrer Vielfalt zu erklären. Der Evolutionsbiologe Francisco Ayala spricht für viele, wenn er schreibt: „Es war Darwins größte Errungenschaft zu zeigen, dass die zielgerichtete Organisation der Lebewesen als Ergebnis eines natürlichen Prozesses – natürliche Selektion – erklärt werden kann, ohne irgendeine Notwendigkeit, auf einen Schöpfer oder einen anderen äußeren Agenten zurückgreifen zu müssen.“1 Richard Dawkins, berühmter Autor populärwissenschaftlicher Bücher, geht noch weiter, wenn er schreibt, Darwin habe es möglich gemacht, ein „intellektuell erfüllter Atheist“ zu sein.2 Soweit gehen freilich nicht alle Biologen, und auch Darwin war in der Gottesfrage zurückhaltender.
Aber eines gilt seit Darwin als ausgemacht: Die Theorie von der natürlichen Auslese habe einen zielorientiert handelnden Schöpfer überflüssig gemacht. Darwin selbst drückte es in seiner Autobiographie so aus: „Wir können nicht länger argumentieren, dass z. B. das schöne Scharnier einer zweiklappigen Muschel von einem intelligenten Wesen geschaffen worden sein müsse wie das Scharnier an...