Der falsche Amerikaner
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Der falsche Amerikaner

Ein Doppelleben als deutscher KGB-Spion in den USA

  1. 424 Seiten
  2. German
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Der falsche Amerikaner

Ein Doppelleben als deutscher KGB-Spion in den USA

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Am 8. Oktober 1978 passierte der Kanadier William Dyson am Flughafen in Chicago ohne Probleme die Einreisekontrollen. Zwei Tage später hörte er auf zu existieren. Dysons Identität war eine Erfindung des KGB, um einen ihrer Rekruten aus der DDR in die USA einzuschleusen. Der Plan ging auf. Ein junger, ehrgeiziger Agent begann ein neues Leben im Westen: Jack Barsky. Ein Jahrzehnt lang führte er im Kalten Krieg Geheimoperationen aus, bis sich seine Loyalität plötzlich auf überraschende Weise änderte und alles in Frage stellte, an das er geglaubt hatte. Jack Barsky enthüllt die Geheimnisse seiner beiden Leben zwischen Ost und West.

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TEIL II
AUSBILDUNG EINES SPIONS

10

Das Klopfen, das mein Leben veränderte, hörte ich im September 1970, direkt am Beginn meines vierten Studienjahres.
Ich war in den Jahren davor mehrmals umgezogen und wohnte jetzt in einem dreistöckigen Wohnheim ganz in der Nähe der Chemiegebäude in der August-Bebel-Straße 26. Spencer, der von Anfang an mein Zimmergenosse gewesen war, teilte mit mir ein Zimmer im ersten Stock, dessen Fenster auf die Straße hinausging.
An diesem Samstagnachmittag war ich allein in unserem Zimmer. Spencer hatte beschlossen, an diesem Wochenende die lange Heimfahrt auf sich zu nehmen und seine Eltern zu besuchen. Günter war auch nicht da. Deshalb beschloss ich, an einigen Laborberichten zu arbeiten, bis ich am Abend wie jeden Samstag in den Rosenkeller gehen konnte.
Als es klopfte, blickte ich von meinen Berichten auf und wartete, dass die Tür aufging. Es war unter Studenten üblich, anzuklopfen und einzutreten, ohne auf Antwort zu warten.
Ungewöhnlich, dachte ich, als sich die Tür nicht öffnete. Nach ungefähr zehn Sekunden rief ich: »Herein.«
Die Tür ging langsam auf, und vor mir stand ein kleiner, fast unscheinbarer Mann mit kurz geschnittenen Haaren und einer Hakennase, die ihn wie ein Wiesel aussehen ließ. Seinen linken Unterarm trug er in einem Gips. Dieser Mann war definitiv kein Student und auch keiner unserer Dozenten.
»Sind Sie Albrecht Dittrich?«, fragte er, noch bevor ich den Mund aufmachen konnte.
»Ja?«, antwortete ich in fragendem Tonfall, wie um zu sagen: »Und wer sind Sie
Der Mann trat ins Zimmer, zog einen der alten Holzstühle heran und setzte sich rechts neben mich.
»Ich komme von Carl Zeiss Jena«, sagte er. »Ich möchte mit Ihnen über Ihre berufliche Zukunft sprechen. Haben Sie ein paar Minuten Zeit?«
Das war seltsam. Firmen warben keine Studenten an und mein Gast hatte nicht einmal seinen Namen genannt.
Das Wort Stasi schoss mir durch den Kopf. Eine andere Erklärung gab es nicht. Dieser Mann musste vom Ministerium für Staatssicherheit kommen.
»Ja, ich habe ein paar Minuten«, sagte ich langsam, während ich meine Laborberichte zusammenschob.
Er setzte das Gespräch mit Small Talk fort.
»Sie sind fleißig, wie ich sehe. Sogar an einem Samstag.« Er deutete mit dem Kopf auf die Sammlung loser Blätter, die ich auf einen sauberen Stapel geschoben hatte.
»Sicher«, antwortete ich. »Chemie ist ein schweres Fach, besonders da wir jede Woche zwanzig Stunden im Labor verbringen.«
»Und wie sehen Ihre Pläne nach dem Studium aus?«
»Ich werde meinen Doktor machen und dann Professor werden. Ich liebe Jena und diese Universität.«
Er nickte, als wolle er mich ermutigen weiterzusprechen.
»Ich denke, ich habe gute Chancen, dieses Ziel zu erreichen. Ich habe die besten Noten in meinem Jahrgang und ich habe das Karl-Marx-Stipendium erhalten.« Ich konnte es mir nicht verkneifen, ein wenig zu prahlen.
»Glückwunsch«, sagte der Mann mit dem Anflug eines Lächelns. »Das ist mir bekannt. Genau genommen ist das der Grund, warum ich hier bin. Wir wissen, dass Sie ein ganz besonderer Student sind und dass eine große Zukunft vor Ihnen liegt, egal, für welche Laufbahn Sie sich entscheiden. Und jetzt muss ich Ihnen ein Geständnis machen: Ich komme nicht von Carl Zeiss. In Wirklichkeit arbeite ich für die Regierung.« Er beugte sich vor, als versuche er, eine verschwörerische Atmosphäre zwischen uns beiden zu schaffen.
Jetzt war die Katze aus dem Sack. Obwohl ich diesen Mann instinktiv nicht mochte, beschloss ich, das Spiel mitzuspielen, indem ich mich ebenfalls leicht zu ihm beugte.
»Oh, wie interessant!«, sagte ich aufgeregt. »Für welchen Teil der Regierung?« Ich war immer noch fest überzeugt, dass er von der Stasi sein musste.
»Dazu kommen wir später. Im Moment habe ich nur eine einzige Frage: Könnten Sie sich vorstellen, eines Tages für die Regierung zu arbeiten?«
Ich legte meine linke Hand an mein Kinn, als würde ich nachdenken. Nach einer längeren Pause antwortete ich: »Ja, das könnte ich mir vorstellen. Aber nicht als Chemiker.«
Er hatte den Köder ausgeworfen und ich hatte bereitwillig und voller Absicht angebissen. Ich war neugierig, wohin unser Gespräch führen würde. Vielleicht zu etwas Ungewöhnlichem und Aufregendem. Ich war für Herausforderungen immer zu haben.
Der Mann war über meine Antwort sichtlich erfreut. Er lehnte sich zurück und lächelte mich freundlich an. »Mehr wollte ich heute nicht erfahren. Wir sollten uns wieder treffen. Wie wäre es am nächsten Donnerstagabend in der Sonne? Kennen Sie dieses Restaurant?«
»Ja, natürlich. Dort gehe ich sonntags immer hin. Es ist zwar ziemlich teuer, aber einmal in der Woche kann ich es mir leisten. Bei der Mensa hier braucht man wenigstens einmal in der Woche ein anständiges Essen.«
Mit einem bestätigenden Nicken stand mein Besucher auf, schüttelte mir die Hand und verließ das Zimmer. Nachdem er gegangen war, wurde mir bewusst, dass ich seinen Namen immer noch nicht wusste.
Ich hatte jetzt also eine Verabredung mit einem anonymen Fremden, den ich nicht wirklich mochte und dessen wahre Absichten im Dunkeln lagen. Spannend. Mein Verstand arbeitete auf Hochtouren und spielte die verschiedenen Möglichkeiten durch. Ich konnte mich nicht mehr auf meine Laborberichte konzentrieren. Wohin würde das alles führen?
* * *
Die Zeit bis Donnerstag zog sich scheinbar endlos hin, und als es endlich fünf Uhr schlug, packte ich schnell meine Sachen zusammen und brach zu Fuß in die Stadtmitte auf, wo sich das Restaurant Die Sonne befand.
Als ich eintrat, entdeckte ich meinen Besucher vom Wochenende im hintersten Winkel des Raumes. Ich nahm an, dass er sich absichtlich diesen Platz ausgesucht hatte, um außer Hörweite der anderen Gäste zu sitzen, aber zu meiner Überraschung sah ich noch einen anderen Mann an seinem Tisch. Ohne zu wissen, wer das sein könnte, trat ich vorsichtig auf den Tisch zu. Mein Kontaktmann stand auf. Er unterließ es erneut, sich vorzustellen, und erklärte sachlich: »Albrecht, ich möchte Ihnen Hermann vorstellen. Wir beide arbeiten mit unseren sowjetischen Genossen zusammen.«
Das war alles. Sollte ich etwa für die Sowjets »arbeiten«? Die ganze Sache wurde noch spannender, da jetzt ein Vertreter einer der zwei Supermächte vor mir saß.
Hermann, ein blonder Mann Mitte dreißig mit blauen Augen und von durchschnittlicher Größe, stand auch auf und reichte mir die Hand. »Es freut mich, Sie kennenzulernen, Albrecht.« Ich hörte nur einen leichten russischen Akzent in seiner Stimme.
Ich gab ihm die Hand und setzte mich an den Tisch.
»Bestellen Sie sich doch etwas zu essen«, sagte mein namenloser deutscher Kontaktmann und schob mir die gedruckte Speisekarte hin.
»Ich weiß, was ich hier am liebsten esse.« Dann fügte ich etwas scheu hinzu: »Es ist allerdings das teuerste Gericht auf der Karte.«
»Keine Sorge«, sagte der Namenlose mit einer Großspurigkeit, die irgendwie nicht ganz zu seinem Wiesel-Gesicht passte.
»Danke. In diesem Fall nehme ich das Rumpsteak mit Kräuterbutter und Pommes frites. Sie sollten es auch probieren. Es schmeckt wirklich gut.«
Inzwischen hatte Hermann eine Runde Bier für uns drei bestellt und wir stießen auf die deutsch-sowjetische Freundschaft an. Dann kamen wir ohne Umschweife zum Grund für das Treffen. Hermann ergriff das Wort, während sich Herr Namenlos zurücklehnte, an seinem Bier nippte und zuhörte.
»Wir haben viel Gutes von Ihnen gehört«, sagte Hermann leutselig. »Das Karl-Marx-Stipendium. Das verrät mir, dass Sie einer der klügsten und aktivsten Studenten des ganzen Landes sind. Vielleicht können wir in Zukunft zusammenarbeiten. Wie gefällt Ihnen Jena und die Universität?«
»Ich bin sehr gern hier«, sagte ich. »In dieser Stadt fühle ich mich mehr zu Hause als an jedem anderen Ort, an dem ich je gelebt habe. Die Menschen sind nett, ich habe viele Freunde, und ich beabsichtige, noch mindestens zehn Jahre in der Basketballmannschaft zu spielen.«
»Wie sehen Ihre Berufspläne aus?«, fragte Hermann.
Ich berichtete erneut von meinem Plan, Professor zu werden. Ich wusste, dass der Stasi-Offizier ihm schon von meiner Offenheit für andere Optionen berichtet hatte.
»Nun ja«, sagte Hermann mit dem Anflug eines Lächelns, »vielleicht können wir Ihnen etwas anbieten, das noch ein wenig interessanter ist. Reisen Sie gern?«
»Sicher. Im letzten Sommer habe ich mit einem Freund am Schwarzen Meer gezeltet.«
»Ah, das Schwarze Meer. Schön. An der sowjetischen Küste?«
»Nein, ich war in Bulgarien. Burgas.«
»Würden Sie gerne noch andere Länder sehen?«
»Ich würde gern eines Tages nach Frankreich fahren. Ich möchte die Orte sehen, die Honoré de Balzac in seinen berühmten Romanen beschreibt.«
Hermanns Lächeln verzog sich zu einem freundlichen Grinsen. »Darüber sollten wir weitersprechen, wenn wir uns das nächste Mal treffen.«
Ich verstand, dass dies das Ende des offiziellen Gesprächs für diesen Tag war, und ich war vorsichtig genug, keine weiteren Fragen zu stellen. Wir schlossen das Essen mit einer Tasse Kaffee und einigen schrecklichen russischen Zigaretten ab, die uns Hermann anbot. Wir vereinbarten, uns in einer Woche wieder zu treffen. Am selben Ort, zur selben Uhrzeit.
Obwohl unser Gespräch ziemlich unverfänglich geblieben war, war ich sicher, dass es dem Versuch diente, mich als Kundschafter des Friedens anzuwerben, wie Spione der DDR offiziell hießen.
Auf dem Rückweg ins Wohnheim arbeitete mein Verstand auf Hochtouren und malte sich alle möglichen aufregenden Szenarien aus. War es möglich, dass ich einen wichtigen Beitrag zum Triumph des Kommunismus auf der Welt leisten durfte?
Ich dachte an die Aura, mit der die Sowjets und die Ostdeutschen historische Spione umgaben. Sie waren ein wichtiger Teil des Mythos vom Kampf gegen den Klassenfeind.
Im Geschichtsunterricht hatten wir von der Roten Kapelle gehört, einer antifaschistischen Gruppe, die unter Hitlers Herrschaft in Deutschland operiert hatte. Wir hatten von Richard Sorge erfahren, der für Stalin spioniert hatte, aber von den Japanern gefasst und während des Zweiten Weltkriegs hingerichtet worden war. Durch Lektüre hatte ich auch die Lebensgeschichte von Rudolf Abel kennengelernt, des sowjetischen Meisteragenten, der 1962 gegen Gary Francis Powers ausgetauscht worden war, den U-2-Piloten, den die Russen in großer Höhe über sowjetischem Territorium abgeschossen hatten. Dann war da noch der Superagent Kim Philby, der den britischen MI6 zum Narren hielt und damit ungeschoren davonkam.
In dieser Zeit stand in der ostdeutschen politischen Zeitschrift Der Horizont ein Bericht über George Blakes Flucht aus einem englischen Gefängnis, also über einen anderen prominenten KGB-Agenten.
Es gab zahlreiche Filme und Bücher, die heldenhafte Geheimagenten darstellten, am bekanntesten war der furchtlose Stasi-Agent in der Fernsehserie Das unsichtbare Visier, gespielt von Armin Müller-Stahl.
Und jetzt hatte sich anscheinend für mich die Tür zu diesem Heldenpantheon aufgetan. Es lohnte sich, mir über diese Möglichkeit ernsthaft Gedanken zu machen.
Die Verheißung von etwas Neuem und vollkommen Unerwartetem lag in der Luft, als ich allein in mein Wohnheim zurückging.
* * *
Hermann und ich trafen uns eine Woche später wieder in der Sonne. Dieses Mal kam er allein und ich fragte nicht nach Herrn Namenlos. Hermann war mir sowieso viel sympathischer.
Nach einem weiteren Rumpsteak mit Pommes frites schlug Hermann vor, dass wir unsere künftige Zusammenarbeit ernster angehen sollten.
»Das, worüber ich mit Ihnen sprechen will, lässt sich nicht in einem Restaurant besprechen. Ab sofort treffen wir uns jede zweite Woche in meinem Auto.«
Auch wenn ich es schade fand, dass mir der KGB mein Lieblingsessen nicht mehr bezahlen würde, war es spannend, dass Hermann nur im Geheimen mit mir sprechen wollte. Wir beschlossen, uns am nächsten Mittwoch um zwölf Uhr an der Ecke Beethovenstraße und Ebertstraße zu treffen, unweit meines Wohnheims in einer Wohngegend der Stadt, in der sich Studenten normalerweise nicht aufhielten.
Und so brach ich eine Woche später zum ersten Geheimtreffen meines Lebens auf. Ich ging einen großen Umweg zum Treffpunkt und schaute mehrmals hinter mich, um sicherzugehen, dass mich niemand erkannte. Obwohl überhaupt keine Gefahr bestand, schlug mein Herz wie wild, als ich auf Hermanns nagelneuen beigefarbenen Wartburg zutrat. Als er die Tür aufmachte, drehte ich noch einmal den Kopf, um meine Umgebung abzusuchen, und schlüpfte dann schnell ins Auto.
Hermann fuhr ungefähr zehn Minuten aus der Stadt hinaus und stellte das Auto gleich hinter einer verlassenen Landstraße auf einem Waldweg ab.
»Albrecht, als Allererstes musst du wissen, dass alles, worüber wir sprechen werden, streng geheim ist. Du darfst nichts weitersagen, nicht einmal deiner Mutter oder deinem besten Freund. Es geht hier nicht um dein Geheimnis, sondern um ein Staatsgeheimnis der Sowjetunion, das du hüten musst.«
»Kein Problem«, antwortete ich eifrig. »Ich kann Geheimnisse für mich behalten.«
»Heute beginnen wir einen sehr langen Prozess, um dich möglicherweise auf eine Geheimdiensttätigkeit auf feindlichem Gebiet vorzubereiten.«
Endlich lag das, was ich schon die ganze Zeit vermutet hatte, offen auf dem Tisch. Beim Gedanken daran, dass ich vom mächtigen KGB für eine Geheimmission in Betracht gezogen wurde, wurde meine Brust vor Stolz ganz weit.
Hermann sprach weiter: »Wir haben Grund zu der Annahme, dass du für eine solche Arbeit gut geeignet bist, aber bevor du oder ich eine Entscheidung treffen können, ist noch viel zu tun. Wir müssen dich kennenlernen, und du musst herausfinden, ob du einer solch herausfordernden Aufgabe gewachsen bist. Glaub mir, die Entscheidung liegt letztendlich bei dir. Ein Agent, der zu seinem Dienst gezwungen wird, wird unausweichlich ein schlechter Agent sein. Und noch etwas: Alle Agenten brauchen einen Decknamen.«
»Einen Decknamen?«
»Alle Agenten haben einen Decknamen, und ich habe beschlossen, dich Dieter zu nennen.«
Ich überlegte einen Moment. »Wie wäre es mit einem etwas interessanteren Namen wie ›Zitteraal‹?«
Das Grinsen verschwand aus Hermanns Gesicht. Offensichtlich missbilligte er meine lockere Einstellung zu diesem sehr ernsten Unterfangen.
»Wir sind hier nicht im Kino, Albrecht. Das hier ist die Realität.«
Ich nickte und sagte: »Dann also Dieter.«
In den nächsten fünfzehn Jahren sammelten sich in den KGB-Archiven neun Ordner mit der Aufschrift »Dieter« an. Zweifellos steht auf den ersten Seiten ein Bericht über dieses Treffen.
Erleichtert, dass eine endgültige Entscheidung anscheinend noch in weiter Ferne lag, fragte ich: »Und wie fangen wir an?«
»Darüber sprechen wir bei unserem nächsten Treffen. In unserem Geschäft ist es wichtig, gründlich und gewissenhaft zu sein. Du erfährst, was du wissen musst, dann, wenn du es wissen musst.«
Nachdem wir den offiziellen Teil unseres Treffens beendet hatten, unterhielten wir uns noch eine halbe Stunde über Belanglosigkeiten, bevor Hermann den Motor anließ und in die Stadt zurückfuhr. Unterwegs kamen wir an einigen grasenden Kühen und einem Kartoffelfeld vorbei, bevor wir die Straße erreichten, die in die Stadt führte und von hübschen Einfamilienhäusern gesäumt war.
Eines Tages, sagte ich mir, werde ich in einem dieser Häuser wohnen.
So begann meine inoffizielle Zusammenarbeit mit Hermann und dem KGB. Viele Monate lang waren diese Treffen nur eine interessante Unterbrechung des Alltags und wirkten sich kaum auf mein Studium an der Universität aus. Größtenteils ging mein Leben weiter wie gewohnt. Mit einer Ausnahme: Jeden Montagmorgen um halb neun rief ich Hermann an, und er sagte mir, ob, wann und wo wir uns treffen würden. Zuerst trafen wir uns nur in seinem Auto; aber nach drei Monaten verlegte er die Treffen in eine konspirative Woh...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Über die Autoren
  6. Prolog
  7. TEIL I KINDHEIT UND JUGEND EINES SPIONS
  8. TEIL II AUSBILDUNG EINES SPIONS
  9. TEIL III INTEGRATION EINES SPIONS
  10. TEIL IV TOD EINES SPIONS
  11. TEIL V FESTNAHME EINES SPIONS
  12. TEIL VI ERLÖSUNG EINES SPIONS
  13. Epilog
  14. Nachwort von Special Agent Joe Reilly, FBI (i. R.)
  15. Danksagung
  16. Anmerkungen
  17. Bildteil
  18. Leseempfehlungen