Zweiter Teil
Versammlungen unter freiem Himmel
§ 5
Anzeige
(1) Wer eine Versammlung unter freiem Himmel durchführen will, hat dies der zuständigen Behörde spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der Versammlung anzuzeigen. Bei der Berechnung der Frist werden Sonntage, gesetzliche Feiertage und Sonnabende nicht mitgerechnet.
(2) In der Anzeige sind anzugeben
- der Ort der Versammlung einschließlich des geplanten Streckenverlaufs bei sich fortbewegenden Versammlungen,
- der beabsichtigte Beginn und das beabsichtigte Ende der Versammlung,
- der Gegenstand der Versammlung,
- Name, Vorname, Geburtsdatum und eine für den Schriftverkehr mit der zuständigen Behörde geeignete Anschrift (persönliche Daten) der Leiterin oder des Leiters sowie deren oder dessen telefonische oder sonstige Erreichbarkeit und
- die erwartete Anzahl der teilnehmenden Personen.
Die Leiterin oder der Leiter hat der zuständigen Behörde Änderungen der nach Satz 1 anzugebenden Umstände unverzüglich mitzuteilen.
(3) Die zuständige Behörde kann von der Leiterin oder dem Leiter die Angabe
- des geplanten Ablaufs der Versammlung,
- der zur Durchführung der Versammlung voraussichtlich mitgeführten Gegenstände, insbesondere technischen Hilfsmittel, und
- der Anzahl und der persönlichen Daten von Ordnerinnen und Ordnern
verlangen, soweit dies zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit erforderlich ist. Die Leiterin oder der Leiter hat der zuständigen Behörde Änderungen der nach Satz 1 anzugebenden Umstände unverzüglich mitzuteilen.
(4) Die in Absatz 1 Satz 1 genannte Frist gilt nicht, wenn bei ihrer Einhaltung der mit der Versammlung verfolgte Zweck nicht erreicht werden kann (Eilversammlung). In diesem Fall ist die Versammlung unverzüglich anzuzeigen.
(5) Fällt die Bekanntgabe der Versammlung mit deren Beginn zusammen (Spontanversammlung), so entfällt die Anzeigepflicht.
INHALT
A. Zweck, Entstehungsgeschichte und Regelungssystematik
B. Der Veranstalter als Anzeigepflichtiger
C. Frist und Form der Anzeige, § 5 Abs. 1
D. Der notwendige Inhalt der Anzeige, § 5 Abs. 2
E. Rechtliche Folgen einer Nichtbeachtung der Anzeigepflicht
F. Zusätzliche Angaben, § 5 Abs. 3
G. Die Eilversammlung, § 5 Abs. 4
H. Die Spontanversammlung, § 5 Abs. 5
I. Der Umgang mit Scheinanmeldungen
Erläuterungen:
A. Zweck, Entstehungsgeschichte und Regelungssystematik
Die Vorschrift greift den Regelungsinhalt von § 14 VersG des Bundes auf, ersetzt den Begriff der „Anmeldung“ aber durch das Wort „Anzeige“. Regelungszweck ist die rechtzeitige Information der zuständigen Behörde. Die Anzeige dient der Grundrechtseffektuierung, indem sie die Voraussetzungen dafür schafft, dass die zuständige Behörde die notwendigen Informationen erhält. Diese benötigt sie für die Beurteilung, was einerseits zum möglichst störungsfreien Verlauf der Versammlung veranlasst werden muss und was andererseits im Interesse Dritter und im Gemeinschaftsinteresse notwendig ist und wie dies aufeinander abgestimmt werden kann.511 Die Anzeigepflicht entfällt aber nicht etwa, wenn der Behörde die geplante Versammlung bereits bekannt ist.512
Wer eine Versammlung veranstalten will, bedarf hierzu keiner Genehmigung. Eine Genehmigungs- oder Erlaubnispflicht wäre auch mit Art. 8 GG nicht vereinbar.513 Insofern ist es falsch, wenn in den Medien und gelegentlich sogar in Gerichtsentscheidungen von einer „genehmigten Versammlung“ die Rede ist. Es gibt lediglich eine (verfassungsrechtlich zulässige) Anzeigepflicht514; um zu verdeutlichen, dass es sich nicht um eine Erlaubnispflicht handelt, hat der Gesetzgeber bewusst den Begriff „Anmeldung“ durch den Begriff „Anzeige“ ersetzt.515
§ 5 normiert in Abs. 1 die Anzeigefrist. Die Frage, welche Informationen der zuständigen Behörde mitgeteilt werden müssen, ist zweistufig geregelt: Das – durch Gesetz vom 6.4.2017 reduzierte – Minimum an mitzuteilenden Tatsachen ergibt sich aus § 5 Abs. 2; diese Informationspflicht ist bereits mit der Anzeige selbst und damit durch den Anmelder zu erfüllen. Weitere Informationspflichten kann die Behörde unter den zusätzlichen Voraussetzungen nach § 5 Abs. 3 im dort normierten Umfang dem Versammlungsleiter auferlegen. Zudem sieht die Norm in Abs. 4 und Abs. 5 erstmals gesetzliche Definitionen für Eil- und Spontanversammlungen vor.
Wer eine Versammlung anzeigt, braucht daneben keine Erlaubnisse oder Genehmigungen (z. B. nach Straßen oder Straßenverkehrsrecht) einzuholen. Die Festlegung der Anzeigepflicht in § 5 NVersG privilegiert die Versammlung und verdrängt alle sonstigen der Gefahrenabwehr dienenden Vorschriften, nach denen üblicherweise eine Erlaubnis oder Genehmigung vorliegen muss.516 Die Versammlungsbehörde entscheidet aus einer Hand auch über das Vorliegen der Voraussetzungen anderweitiger Erlaubnis-Vorschriften (Konzentrationswirkung).517
Durch die bloße Anzeige einer Versammlung entsteht keine Verwaltungsgebühr, vgl. § 25 NVersG; eine solche wäre wohl auch verfassungsrechtlich nicht zulässig.518
Sollte die angezeigte Veranstaltung nicht als Versammlung einzustufen sein, führt die Anzeige nicht etwa zur (umfassenden) Geltung des NVersG für die Veranstaltung. Die Behörde kann durch einen feststellenden Verwaltungsakt dem Anzeigenden mitteilen, dass eine Versammlung nicht vorliegt519; als Rechtsgrundlage hierfür wird § 8 Abs. 1 heranzuziehen sein.520
B. Der Veranstalter als Anzeigepflichtiger
Die Anzeigepflicht trifft den Veranstalter. Im Hinblick auf die in § 21 Abs. 1 Nr. 4 normierte Ordnungswidrigkeit muss sich aber auch der Versammlungsleiter vergewissern, ob die Anmeldung tatsächlich erfolgt ist. Als Veranstalter kommen nicht nur natürliche Personen, sondern auch juristische Personen oder Personenvereinigungen in Betracht.521
Veranstalter einer Versammlung ist derjenige, der zu der Versammlung im Freien einlädt, oder – wenn keine Einladung ergeht – der in einem anderen den Willen zum Sichversammeln hervorruft oder die äußeren Vorbereitungen für die Versammlung trifft und ein gewisses Maß von Verantwortungsbewusstsein für die Veranstaltung hat oder zumindest durch seine Handlungsweise dokumentiert. Veranstaltung ist Urheberschaft in bezug auf eine Versammlung und ihre Durchführung. Aber auch derjenige, der nur äußere Voraussetzungen für eine Versammlung schafft, kann unter den dargelegten Voraussetzungen Urheber und damit Veranstalter der Versammlung sein. Der Veranstalter ist der Veranlasser der spezifischen Gruppenbildung. Es kann ausreichen, dass jemand die bewußtseinsmäßige Bereitschaft einer Gruppe von Gesinnungsgenossen zu Aktionen nutzt, in diesen den Willen zum Sichversammeln hervorruft und sich entweder ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten für die Versammlung als verantwortlich erklärt.522
Allerdings genügen etwa nur geringfügige Organisationshandlungen, eine nur allgemein gehaltene Aufforderung oder die Initiative zu einer unverbindlichen Verabredung in der Regel nicht, um jemanden zum Veranstalter einer Versammlung werden zu lassen. Auch wird jemand nicht dadurch Veranstalter, dass er dazu auffordert, die Veranstaltung eines Anderen zu besuchen.523
Sind bei einer Großveranstaltung mehrere Einzelveranstalter vorhanden, so hat jeder einzelne von ihnen die Rechte und Pflichten eines Veranstalters und ist für die gesamte Versammlung anzeigepflichtig.524
C. Frist und Form der Anzeige, § 5 Abs. 1
Die Frist für die Anzeige beträgt 48 Stunden. Für die Fristberechnung gelten die allgemeinen Grundsätze gemäß §§ 186 ff. BGB.
Die Anzeige muss spätestens 48 Stunden vor Bekanntgabe der Versammlung erfolgen. Die Behörde muss zu dieser Zeit in Kenntnis gesetzt sein. Bei postalisch an die Behörde gesendeten Anzeigen kommt es auf den Posteingang bei der Behörde an. Sinn der Mindestfrist ist es, der Behörde zu ermöglichen, andere Stellen zu beteiligen und gegebenenfalls mit dem Ver...