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Reportagen aus der Innenwelt des Rechts

  1. 476 Seiten
  2. German
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Interessante Zeiten

Reportagen aus der Innenwelt des Rechts

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Einzigartige Einblicke in die Welt des RechtsDie Welt der GerichtssĂ€le ist nur die Außenseite des Rechts. Weit entfernt von ihr arbeitet der grĂ¶ĂŸere Teil der AnwĂ€lte und Juristen in anderen Bereichen.Memoiren eines JuristenIn 29 eindrucksvollen und unterhaltsamen Reportagen liefert der Autor Professor Dr. Benno Heussen vielfĂ€ltige Einblicke in die Innenwelt des Rechts im Allgemeinen und die anwaltliche Arbeit im Besonderen.Die Aufzeichnung seiner beruflichen Stationen und Lebenserinnerungen ist einzigartig und illustriert, wie sehr sich das Berufsbild des Anwalts in den vergangenen Jahrzehnten verĂ€ndert hat. Er schreibt ĂŒber AnwĂ€lte, Richter, Politiker, Professoren und viele andere Menschen, denen er persönlich begegnet ist. Wo die Vertraulichkeit es erfordert, sind die Storys anonymisiert, verlieren aber nichts von ihrer Anschaulichkeit.

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783415051317
Auflage
1
Thema
Jura
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1973 – 1991
MĂŒnchen

AnfÀnger
Anwaltskammern
Grays Inn Chambers
Wirtschaftsrecht – die ersten Ideen
American Graffiti
Krisenmanagement und Insolvenzen
Die ersten BĂŒcher
M & A – Projekte, Start-ups und Fondsprobleme
Japanische Skizzen
Synthesizer in Bombay
Die Erfindung des Computerrechts
Rudern – steuern – segeln: Das Management
Der Fall der Mauer


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Benno Heussen
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Gunther Braun
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Justin von Kessel
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Reiner Ponschab

AnfÀnger

»Alles kann ein geistvoller Mensch ersetzen, nur nicht die Erfahrung.«
FĂŒrst Metternich (1773 – 1831)

In der Warteschleife

Der schriftliche Teil des Assessorexamens war fĂŒr uns alle ein großer Erfolg: Wir hatten nicht nur die Ministerialnoten, sondern hĂ€tten auch Notare werden können. Mich hat es da nie hingezogen, denn ich war bei einem Onkel aufgewachsen, der im Rheinland ein Notariat fĂŒhrte. Heute kann man sich schwer vorstellen, dass es damals auch arme Notare gab. Wenn er in der Nachkriegszeit die Testamente der Bauern aufnahm, die es nicht mehr zu ihm ins BĂŒro schafften, packte er sich seine Schreibmaschine in den Rucksack und fuhr mit dem Rad durch die Weinberge. Außer seinem »BĂŒrovorsteher« hatte er sonst keine Mitarbeiter. Wenn mir langweilig war, kroch ich unter seinen Schreibtisch und kaute an den Oblaten, mit denen er seine Urkunden verklebte. Das alles wirkte ziemlich trĂŒbsinnig. Wir hatten anderes vor. Aber was?
Zum Brainstorming saßen wir hĂ€ufig in der Rheinpfalz56, einer Schwabinger Kneipe unweit der UniversitĂ€t, die man hoffentlich bald unter Denkmalschutz stellt, denn wenn Hans Karp aufhört, wird renoviert und dann ist die Rheinpfalz nicht mehr zu retten. Der Wirt hatte vor Urzeiten mal Betriebswirtschaft studiert, sich dann aber mehr fĂŒr Jazz interessiert. Auch heute hat er noch seine Trompete griffbereit, falls die GĂ€ste Lust auf eine Jam Session haben, die Köchin Barbara kommt aus der Politologie und Klaus, der Kellner, spielt zwar nicht Gitarre, sieht aber aus wie Mick Jagger. An der Wand hĂ€ngt auch heute noch ein Kunstwerk aus Underberg-Flaschen. So im Stil von Daniel Spoerris EAT-ART. Das, die Musik und die Wiener Schnitzel haben nicht nur uns, sondern auch viele Leute aus der Kunstakademie angezogen.

Eine alternativlose Entscheidung

Jeder von uns hatte sich bei den Rechtsabteilungen der großen Versicherungen, die es in MĂŒnchen gibt, bei Siemens oder auch bei mittelgroßen Unternehmen umgesehen. Da gab es nichts, und man musste nur regelmĂ€ĂŸig die Neue Juristische Wochenschrift aufschlagen, um zu sehen, dass auch dort keine Stellenanzeigen fĂŒr Juristen zu finden waren. Die dicke Frankfurter Allgemeine oder die SĂŒddeutsche boten eine Reihe Jobs fĂŒr Betriebswirte, Mathematiker und Manager, aber die wenigen Planstellen fĂŒr Juristen wurden unter der Hand vergeben. Blindbewerbungen waren vollkommen unĂŒblich, Headhunter gab es keine und ĂŒber die Möglichkeit wissenschaftlicher Arbeit hat keiner von uns ernsthaft nachgedacht.
Also: Was sollten wir tun? Aus Bayern auswandern? In anderen deutschen StĂ€dten waren wir genauso wenig zuhause. HĂ€tte es in Hamburg, DĂŒsseldorf oder Frankfurt bessere Aussichten gegeben, hĂ€tte man Anzeigen in der NJW finden mĂŒssen. Da war aber nichts. Von Berlin ganz zu schweigen – die Stadt hatte gerade 800 AnwĂ€lte, und wie ich von meinem Freund Michael Ruland, der dort geblieben war, wusste, waren die so unterbeschĂ€ftigt, dass die Notare nebenbei Kleinkriminelle verteidigten, weil sie sonst zu wenig zu tun gehabt hĂ€tten. Es gab in Deutschland damals etwa 28.000 AnwĂ€lte (heute sind es etwa 160.000), aber der Markt war geradezu versteinert. Raus aus Deutschland? Das erschien in jeder Hinsicht unmöglich.
Zwei Wochen spĂ€ter. Es war Sonntag. In den vergangenen drei Jahren hatten wir gelernt, dass der Markt zwar unbeweglich war, aber die Eintrittsschwelle sehr niedrig. Also fragte ich an einem dieser Abende die anderen: »Warum machen wir uns nicht selbststĂ€ndig?«. Bedeutungsvolles Schweigen in der Rheinpfalz. Keiner von uns kam aus MĂŒnchen oder auch nur aus Bayern, alles Einwanderer. »Fremd ist der Fremde nur in der Fremde«, tröstete Karl Valentin, aber es kam noch schlimmer: Keiner von uns stammte aus einer Anwaltsfamilie. »Anwalt wird man nicht, Anwalt hĂ€lt man sich!«, hatte Justins Großvater bei Gelegenheiten gesagt, als die Frage auf die Berufswahl kam. Das war schon gefĂ€hrlich nahe an dem bekannten amerikanischen Spruch, dass AnwĂ€lte »one degree below prostitutes«57 rangieren.
In der Rheinpfalz tobte der Jazz. Wir dachten an andere Bands, die Toten Hosen, die Ärzte, meistens vier Leute (!): Die hatten es ja auch in die Charts geschafft. Also: »Warum nicht – was haben wir zu verlieren?« So fingen wir noch als Referendare am 15. April 1973 mit einer Einlage von 1000 DM an, die jeder in die Barkasse einzahlte. Am 16. April wurden Briefmarken fĂŒr 16 DM gekauft sowie ein Stempelkissen fĂŒr 5,80 DM (Kaufhof). Die grĂ¶ĂŸte Investition erfolgte am 7. Mai: zwei DiktiergerĂ€te fĂŒr insgesamt DM 1112,22. Zehn Tage spĂ€ter setzten wir uns im Kloster Andechs zusammen und unterzeichneten – noch ohne AnwĂ€lte zu sein – einen SozietĂ€tsvertrag, um uns gegenseitig zu versichern, dass wir es ernst meinen. Laufzeit vorerst bis 15. Mai 1976. Wenn wir bis dahin nicht das Gehalt eines Richters beim Landgericht erreicht hĂ€tten, wollten wir das Experiment beenden.
Charts oder Rankings fĂŒr AnwĂ€lte, wie sie heute selbstverstĂ€ndlich geworden sind, gab es damals noch nicht. Sie hĂ€tten uns gezeigt, wie weit der Abstand zwischen einer SozietĂ€t, die es schon seit mehreren Generationen gibt, und unserem Start-up tatsĂ€chlich war. Aber wir sahen nur unseren Briefkopf, auf dem fĂŒnf AnwĂ€lte waren, und sehr viel mehr fand man 1973 auf anderen Briefköpfen in MĂŒnchen auch nicht. Der fĂŒnfte Anwalt war mein Schwiegervater, der als Anwalt zugelassen war, aber nicht praktizierte. Er stellte uns vorĂŒbergehend seine BĂŒroadresse zur VerfĂŒgung, denn er fand es spannender, als StahlhĂ€ndler im Ruhrgebiet und im Ostblock tĂ€tig zu sein. Als sein oberlandesgerichtlich bestellter Vertreter war ich auch in seine Haftpflichtversicherung eingeschlossen, und das war ein GlĂŒck, denn kurz danach ist mir – noch bevor ich ĂŒberhaupt Anwalt war – der erste (und einzige) Haftpflichtfall gelungen: Das GrundstĂŒck eines Architekten war enteignet worden, weil ihm die Höhe der EntschĂ€digungssumme zu gering schien, und dagegen war er vorgegangen. Solche »Baulandsachen« wurden vor den Zivilgerichten gefĂŒhrt, aber damals nicht von Anwalt zu Anwalt, sondern nur von Amts wegen zugestellt. Das war mir im Eifer des Gefechts entgangen und ich hatte die Berufungsfrist verpasst. Den Schaden von 50.000 DM hat die Allianz klaglos ĂŒbernommen und fĂŒr mich war das ein Warnschuss vor den Bug. Er hat dazu gefĂŒhrt, dass wir vom ersten Tag an detaillierte Organisationsanweisungen verwendeten, die sich vor allem mit den Fristenproblemen beschĂ€ftigten.

Der Zauber des Anfangs

Dann endlich die ersehnte Zulassung: Ende September/Anfang Oktober bezahlten wir jeweils 40 DM dafĂŒr und schon am 12. Oktober wurde die erste Rechnung bezahlt: 144 DM. Mandat Nr. 1 im Register war eine OktoberfestschlĂ€gerei: Karl-Heinz Rieble, ein entfernter Verwandter aus dem SchwĂ€bischen, wurde von Max Hintermoser im Schottenhamelzelt ein Bierkrug ĂŒber den SchĂ€del geschlagen. Man hĂ€tte diesen Fall erfinden mĂŒssen, aber es ist wirklich so gewesen.
Nach wie vor arbeitete jeder von uns tagsĂŒber in den SozietĂ€ten, in denen wir schon als Referendare beschĂ€ftigt waren. Roben brauchten wir keine, denn die hatten wir in den BĂŒros, in denen wir tagsĂŒber arbeiteten. Die haben wir fĂŒr unsere eigenen FĂ€lle einfach ausgeliehen. Wir arbeiteten alle parallel dort weiter, wo wir angestellt waren, sonst hĂ€tten wir nichts zu essen gehabt und schon gar kein Geld, um das BĂŒro zu finanzieren. Unsere Chefs interessierten sich fĂŒr diese Konkurrenz nicht, die ihnen nicht gefĂ€hrlich werden konnte. Gritschneder sagte mir ausdrĂŒcklich: »Sehen Sie sich nur fleißig um, denn bald macht mein Sohn Examen, dann geht’s hier nicht weiter.« Und als Starthilfe verkaufte er uns eine seiner alten IBM-Kugelkopf-Schreibmaschinen (mit AnschlagzĂ€hler) zum Buchwert von 600 DM.
Junge AnwĂ€lte brauchen als einziges Kapital Neugier und Furcht. Auch unser erstes Kind war neugierig auf die Welt. Anfang Mai brachte ich morgens um sechs meine Frau in die Entbindungsstation, um gleich danach in Richtung Amtsgericht zu verschwinden: drei Termine, die ich keinem anderen aufladen konnte! Rechtzeitig zur Geburt meiner ersten Tochter Mirjam kam ich um elf Uhr wieder in der Klinik an und verschwand um zwölf zur Verhandlung einer Einstweiligen VerfĂŒgung im Landgericht. Multitasking – darauf war ich noch stolz! Bei meiner zweiten Tochter Nina (1975) habe ich mir einen halben Tag frei genommen.

Mut zum Risiko

Wir lebten von der Hand in den Mund. Nur wenige Leute wissen, dass auch AnwĂ€lte, die sehr viel zu tun haben, nie mehr als zwei Monate Arbeit auf dem Schreibtisch haben. Dieses Bewusstsein verliert man sein ganzes Berufsleben lang nicht. Vielleicht werden AnwĂ€lte deshalb selten insolvent. So etwas geschieht nur, wenn sie sich im Privatvermögen verspekuliert haben, aber nicht, weil ihnen die Arbeit ausgeht. In einigen BĂŒros gibt es laufende BeratervertrĂ€ge, aber das ist keine SelbstverstĂ€ndlichkeit. Bei WirtschaftsprĂŒfern ist die Lage erheblich besser: Ihre Mandate laufen im 5-Jahres-Turnus und so können sie entsprechend langfristig planen. Die Steuerberater sind zwar nicht in Ă€hnlicher Weise abgesichert, aber behalten die einmal akquirierten Mandate erheblich lĂ€nger als AnwĂ€lte – deshalb sind ihre BĂŒros auch doppelt so viel wert wie unsere.
Schon im ersten Jahr konnten wir immerhin fast die Kosten bezahlen: Ende 1973 betrug der Gesamtumsatz 13.000 DM. Ausgaben: 15.000 DM.
DarĂŒber waren wir so begeistert, dass wir Ralph Reithmann, einen jungen Architekten, ins Rolandseck einluden. Er war bei Prof. Gollwitzer tĂ€tig und fuhr in der ganzen Welt umher (Flachglasfabrik in Brasilien usw.). Der könnte uns vielleicht zu grĂ¶ĂŸeren Mandaten verhelfen. Rechnung: 144,80 DM. FĂŒrs Erste also ein VerlustgeschĂ€ft. Aber in den nĂ€chsten 20 Jahren zeigte sich der fĂŒr manche AnwĂ€lte nicht leicht erkennbare Unterschied zwischen Investitionen und Kosten: Von Gollwitzer kam zwar nichts, aber da Ralph sich bald danach auch selbststĂ€ndig machte und wir einen Schwerpunkt im Baurecht hatten, entwickelte sich eine ganze Reihe von Synergieeffekten, die uns sehr geholfen haben.
Bis zu solchen Mandaten sollten aber Jahre vergehen, denn vorher lagen ganz andere Sachen auf unserem Tisch. Einen dieser FĂ€lle hatte Sieghart Ott mir ĂŒberlassen. Er war im Armenrecht zu fĂŒhren: Ein Schankkellner verdĂ€chtigte seine Mutter, dessen Testament zu ihren Gunsten gefĂ€lscht zu haben, um den Sohn zu enterben, dem der Vater das GeschĂ€ft versprochen hatte. Das Tragische war: Eigentlich wollte der Sohn viel lieber Zirkusartist werden, aber dann hat er sich in sein Schicksal gefĂŒgt. Am Stammtisch saß ein Kriminalbeamter, dem er eines Tages sein Leid klagte. Dem zeigte er das Testament, brachte andere Dokumente zum Vergleich, und ich stĂŒtzte die Klage auf ein unbestrittenes Gutachten, dass das Testament nicht vom Vater stammen konnte. Im Gericht saß mir gegenĂŒber Dr. Alfred Stiefenhofer. Er vertrat die Gastwirtin. Die hatte zwar das Geld aus der Erbschaft, aber so einen Fall wĂŒrde die SozietĂ€t Noerr Stiefenhofer heute nicht mehr mit der Feuerzange anfassen. Damals entwickelte sich bei mir der Gedanke: Wenn du solche FĂ€lle auch beim Noerr bearbeiten musst, kannst du dich auch gleich selbststĂ€ndig machen.
Der Fall zog sich, ich fĂŒhrte ihn in unserem eigenen BĂŒro weiter und gewann in drei Jahren beide Instanzen. Stiefenhofer ging in die Revision. Der Bundesgerichtshof wies sie zurĂŒck. Mit meinem Antrag auf Haftbefehl fĂŒr die Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung bin ich gescheitert, weil die Schuldnerin stĂ€ndig Arztatteste vorlegte, die ihr bescheinigten, sie sei gesundheitlich nicht in der Lage, das Nachlassverzeichnis aufzustellen. Das war ungefĂ€hr acht Jahre spĂ€ter und die ganze Zeit standen Mutter und Sohn gemeinsam hinter der Theke. Dr. Stiefenhofer war nach so langer Zeit auch nicht mehr so recht bei der Sache. Wenn ich ihn irgendwann einmal zu erreichen suchte, kam meist die Antwort, er befinde sich »im außereuropĂ€ischen Ausland«. Da auf dem Briefkopf der SozietĂ€t unter anderem ein Bankkonto irgendwo in Afrika angegeben war, war er vermutlich da unten oder auf Tristan da Cunha – im europĂ€ischen Ausland hĂ€tte er vielleicht noch reagieren können. Der Sohn hat mir dann das vom Staat bezahlte Mandat wegen erwiesener UnfĂ€higkeit entzogen.
So lernte ich sehr frĂŒh, dass AnwĂ€lte im Zentrum von Aggressionen, Widerspruch, Kritik und Zorn stehen, eine Arbeitswelt, in der man stĂ€ndig vom Stress umgeben ist und trotzdem seine GefĂŒhle im Zaum halten muss. Der Ausgleich besteht aus einem einzigen Punkt: Wir sind die Steuerleute, die das Schiff auf Kurs halten, auch wenn der KapitĂ€n zusammengebrochen in der KajĂŒte liegt. Politiker, die in einem Ă€hnlichen Umfeld arbeiten, vermissen diesen Ausgleich und lassen sich daher allzu oft gehen.
In allgemeinen Sachen hatte ich seit 1970 genug Erfahrung, und so wurde ich ĂŒbermĂŒtig: »Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis«, wie meine Großmutter zu sagen pflegte. Ich startete den ersten und einzigen Prozess, den ich je fĂŒr mich selbst angestrengt habe, und er endete so, wie Sieghart Ott es prophezeit hatte – negativ. Der Anlass war trivial: Als wir aus unserer winzigen Zweizimmerbude in Schwabing (Sisalteppiche und Regale aus Backsteinen) ins Olympische Dorf umzogen, erschien der Vermieter, ein Professor Dr. Ing. Dr. med., der Dutzende HĂ€user besaß, höchstpersönlich in Begleitung seines Architekten und seiner AnwĂ€ltin, um die Wohnung abzunehmen. Es wurden vier DĂŒbellöcher in den Kacheln festgestellt. FĂŒr die sollte ich nun bluten. Mir ging das nicht ein, denn die waren schon vorher da gewesen, und ich klagte auf RĂŒckgabe der vollen Kaution. Man hĂ€lt es nicht fĂŒr möglich: Diesen Prozess habe ich verloren, denn es gab weder das AGB-Gesetz noch die heute Ă€ußerst differenzierte Rechtsprechung zu der Frage, ob man DĂŒbel grundsĂ€tzlich nur zwischen den Kacheln bohren darf, oder es wegen des »vertragsgemĂ€ĂŸen Gebrauches« ausnahmsweise auch mal in den Kacheln erlaubt ist58. Ich schwor mir, nie wieder in eigener Sache zu prozessieren. Dass man als Anwalt hin und wieder verklagt wird, ist wohl unvermeidbar, aber was Aktivprozesse betrifft, sollte man seinen Mandanten mit gutem Beispiel vorangehen. Ich habe deshalb auch nie einen Honorarprozess gefĂŒhrt.
Mit der Zeit kam ungefÀhr jede Woche ein weiterer Fall herein. Irgendeinen Verkehrsunfall gibt es immer in der Familie oder der Bekanntschaft und irgendwer lÀsst sich scheiden. So verdienten wir wie die meisten AnwÀlte, die anfangen, unser erstes Geld mit »Blech und Liebe«.
Mitte 1974 konnten wir in der Nussbaumstraße am Sendlinger-Tor-Platz ein kleines BĂŒro mit drei Zimmern mieten: Zwei AnwĂ€lte teilten sich einen Raum und ein Zimmer war das Sekretariat, in dem allerdings keine SekretĂ€rin saß. RĂŒdiger Greb, ein alter Freund, der auch Anwalt geworden war, verfolgte unseren Start mit freundlichem Interesse. Er hatte mit uns Examen gemacht, wechselte dann ins Management und ist spĂ€ter lange Jahre unser Mandant gewesen. Er empfahl uns Ulrike Leib, eine Medizinstudentin, die nachmittags 2–3 Stunden vorbeikam, um das Notwendige zu organisieren. Sie machte ihr Praktikum bei den Geisteskranken im Klinikum auf der anderen Straßenseite. Vermutlich ist sie manchmal vom Regen in die Traufe gefallen, denn wenn wir nach 17 Uhr aus den jeweiligen BĂŒros in unser eigenes kamen und uns gegenseitig andiktierten wie die Teufel, war vor 21 Uhr abends keine Ruhe. Am Freitagabend: Rheinpfalz.
Keiner von uns konnte sich vorstellen, durch welchen Sumpf von Kleinstmandaten wir in den nĂ€chsten drei Jahren wĂŒrden waten mĂŒssen, um zu vermeiden, Notare, Beamte oder Richter zu werden. TatsĂ€chlich gab es Laufkunden, also Leute, die beim Anblick eines Anwaltsschildes entdecken, dass sie ein Rechtsproblem haben. Das kön...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Über das Buch
  3. Titel
  4. Impressum
  5. Widmung
  6. Motto
  7. Inhaltsverzeichnis
  8. Berlin·Freiburg·MĂŒnchen 1965 – 1972
  9. MĂŒnchen 1973 – 1991
  10. Berlin 1992 – 1997
  11. MĂŒnchen 1997 – 2002
  12. Berlin 2002 – 2012
  13. Nachwort
  14. Quellennachweis
  15. Namensverzeichnis
  16. Über den Autor