Teil B.
Kommentierung des PsychKHG Baden-Württemberg
Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKHG BW)
vom 25.11.2014 (GBl. S. 534), zuletzt geändert durch Gesetz
vom 1.12.2015 (GBl. S. 1047)
Teil 1
Allgemeines
§ 1 Anwendungsbereich
Dieses Gesetz regelt
- Hilfen für Personen, die aufgrund einer psychischen Störung krank oder behindert sind,
- die Unterbringung von Personen im Sinne von Nummer 1 und
- den Vollzug der als Maßregel der Besserung und Sicherung angeordneten Unterbringung nach § 61 Nummer 1 und 2 des Strafgesetzbuches (StGB).
§ 1 bestimmt den Anwendungsbereich des Gesetzes.
Nr. 1: „Hilfen“ sind in § 5 definiert. Der Begriff der psychischen Störung ist an die entsprechende Bezeichnung der Klassifikation nach ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) und ICF (International Classification Functioning, Disability and Health) der Weltgesundheitsorganisation angelehnt (LT-Drucks. 15/5521 S. 46). Vgl. Teil A Rn. 6. Darunter fallen z. B. Schizophrenie, Psychose, Suchtkrankheit. Im Gesetzestext wird nicht zwischen den einzelnen Erscheinungsformen der Erkrankung unterschieden, sondern der Oberbegriff gewählt. Zwischen der psychischen Störung und der Krankheit bzw. Behinderung muss ein Kausalverhältnis bestehen. Das notwendige Ausmaß der Behinderung ist in § 1 nicht angegeben. Die Behinderung muss nicht voraussichtlich mindestens sechs Monate bestehen, § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist nicht unmittelbar anwendbar. Von den „Hilfen“ sind die „Maßnahmen“ (der Unterbringung bzw. des Maßregelvollzugs) zu unterscheiden, vgl. § 2 Abs. 2.
Die Regelungen des PsychKHG BW gelten für Voll- und Minderjährige.
Nr. 2: Die öffentlich-rechtliche Unterbringung ist in §§ 13 bis 31 PsychKHG BW geregelt. In Betreuungssachen hat die bundesgesetzliche Regelung des § 1906 BGB Vorrang (LT-Drucks. 15/5521 S. 46). Für nach § 1906 BGB untergebrachte Volljährige gilt also das PsychKHG BW nicht; ebenso nicht für nach § 1631b BGB untergebrachte Minderjährige. Das kommt allerdings im Gesetzestext nicht zum Ausdruck, es folgt nur aus den Materialien.
Nr. 3: Vom Strafgericht können Maßregeln der Besserung und Sicherung gegen schuldunfähige erwachsene Straftäter angeordnet werden. Der Vollzug der angeordneten Unterbringung ist in §§ 32 ff. PsychKHG BW geregelt.
§ 2 Grundsatz
(1) 1Bei allen Hilfen und Maßnahmen aufgrund dieses Gesetzes ist auf die individuelle Situation der Person nach § 1 Nummer 1 besondere Rücksicht zu nehmen. 2Ihre Würde und ihr Wille sind zu achten.
(2) Bei der Ausgestaltung der Hilfen, der Unterbringung und des Maßregelvollzugs ist die Vielfalt der Lebensumstände, insbesondere die kulturelle und soziale Lebenssituation der betroffenen Person, angemessen zu berücksichtigen.
Abs. 1 Satz 1: Auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten ist „besondere“ Rücksicht zu nehmen, also gesteigert, nicht nur als schliche Rücksichtnahme; wie sich dieser Leitsatz im Einzelfall auswirken soll, bleibt offen.
Abs. 1 Satz 2: Die Notwendigkeit der Achtung der Würde des Patienten unabhängig von seiner körperlichen oder geistigen Verfassung ergibt sich bereits aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz. Der Begriff „Würde“ ist unscharf, nicht jeder versteht darunter dasselbe. Die Verwendung von Begriffen, die in besonderem Maße der Deutung durch den Richter bedürfen, ist allerdings in Gesetzen zulässig (BVerfG NJW 1993, 1457). Nach Satz 2 ist ferner der Wille des Patienten „zu achten“; das bedeutet nicht, dass der Wille des Patienten verbindlich ist, er darf nur nicht als unbeachtlich einfach zur Seite geschoben werden.
Abs. 2: In allen Fällen des § 1 ist die Vielfalt der Lebensumstände, insbesondere die kulturelle und soziale Lebenssituation der betroffenen Person, angemessen zu berücksichtigen. Wegen der „Formulierung“ sind auch weitere Lebensumstände zu berücksichtigen, z. B. das Alter des Betroffenen. Eine spezielle kulturelle Lebenssituation haben z. B. manche Zuwanderer aus dem Ausland. Die Lebenssituation ist lediglich „angemessen“ (also nicht unumschränkt) „zu berücksichtigen“. Wer aber in seiner Heimat in einem festen Zelt lebt kann nicht verlangen, dass im Klinikgarten für ihn ein Zelt aufgestellt wird; wer (wie in China) zuhause gerne Hundefleisch aß kann das nicht von der hiesigen Klinikküche verlangen. Besondere Probleme bereiten unterschiedliche religiöse Gepflogenheiten (vgl. § 24).
Rechtsanspruch. Der Untergebrachte kann aus § 2 Abs. 2 keinen Rechtsanspruch herleiten; er kann aber im Falle der Unterbringung nach § 13 PsychKHG BW gegen eine Maßnahme zu Regelung einzelner Angelegenheiten das Betreuungsgericht anrufen (§ 327 FamFG), wenn er sich in seinen Rechten verletzt fühlt.
Teil 2
Hilfen
§ 3 Allgemeines
(1) 1Hilfen nach diesem Gesetz werden geleistet, soweit sie freiwillig angenommen werden. 2Maßnahmen nach den Teilen 3 und 4 dieses Gesetzes bleiben hiervon unberührt.
(2) Die Hilfen sollen Anordnungen von Schutzmaßnahmen und insbesondere Unterbringungen vermeiden.
(3) 1Die Hilfen sollen gemeindenah vorgehalten werden. 2Sie sollen möglichst wenig in die gewohnten Lebensverhältnisse der Person nach § 1 Nummer 1 eingreifen.
(4) Eine stationäre Behandlung soll nur dann vermittelt werden, wenn das Ziel der Hilfen nicht auf anderem Weg erreicht werden kann.
(5) Die Prävention psychischer Erkrankungen hat einen hohen Stellenwert.
Abs. 1: Freiwilligkeit. Nach Satz 1 werden „Hilfen“ (definiert in § 5) nach dem PsychKHG BW grundsätzlich nur geleistet, soweit sie freiwillig angenommen werden. Hilfen dürfen dem Betroffenen nicht gegen seinen (natürlichen) Willen aufgedrängt werden (LT-Drucks. 15/5521 S. 47). Wer sich z. B. weigert, bestimmte Medikamente zu nehmen, darf nicht gezwungen werden, soweit nicht die Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung vorliegen, vgl. §§ 13, 20 Satz 2: „Hilfen“ dürfen bei „Maßnahmen“ (bei Unterbringung und Maßregelvollzug) aber auch gegen den Willen des Betroffenen geleistet werden; das ist selbstverständlich.
Abs. 2: Zweck der Hilfen: Vermeidung von Maßnahmen (der Unterbringung bzw. des Maßregelvollzugs). Die Anordnung einer Schutzmaßnahme ist z. B. die Anordnung der unteren Verwaltungsbehörde, der Betroffene müsse sich vom Gesundheitsamt untersuchen lassen. Die „Hilfen“ (§ 5) sollen solche Anordnungen sowie eine Unterbringung nach dem PsychKHG BW vermeiden. Ein genereller rechtlicher Vorrang der Hilfen vor der Unterbringung kann aus § 3 jedoch nicht hergeleitet werden (LT-Drucks. 15/5521 S. 47).
Abs. 3: Ortsnähe. Die Hilfen (§ 5) sollen den betroffenen Personen möglichst innerhalb des gewohnten Lebens- und Versorgungsraums zugänglich sein. Mit „gemeindenah“ ist „ortsnah“ gemeint. Mit „gemeindenah“ ist nicht das politische Gebiet der Gemeinde gemeint, Hilfen können deshalb auch durch eine Einrichtung in einer benachbarten Gemeinde oder einem benachbarten Landkreis geleistet werden (LT-Drucks. 15/5521 S. 47), etwa an der Gemeindegrenze. In bestimmten Fällen kann es sinnvoll und erforderlich sein, spezialisierte Therapieangebote in zentralen Einheiten umzusetzen, wenn nur durch einen großen Einzugsbereich eine notwendige Auslastung und Fallzahl erreicht wird (LT-Drucks. 15/5521 S. 47).
Abs. 4: Ambulante Hilfeleistungen sollen soweit möglich der stationären Behandlung vorgezogen werden, auch aus Kostengründen.
Abs. 5: Die Prävention psychischer Erkrankungen hat einen hohen Stellenwert; das besagt wenig Konkretes. Es handelt sich nur um einen Leitsatz, aus dem keine konkreten Rechtsansprüche abzuleiten sind.
§ 4 Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften
Im Rahmen einer bedarfsgerechten Versorgung werden Hilfen nach diesem Gesetz ergänzend zu Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erbracht.