Jelena Obraszowa
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Jelena Obraszowa

Eine russische Opernlegende

  1. 260 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfĂŒgbar
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Jelena Obraszowa

Eine russische Opernlegende

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

"In welcher Erscheinung die Obraszowa auch vor uns tritt, wir werden sofort zwei GegensĂ€tze wahrnehmen, zwischen denen sich ihre Persönlichkeit bewegt. Da ist einmal ihr pulsierendes Temperament, ihr mit "brennender" Energetik aufgeladenes menschliches und kĂŒnstlerisches Wesen - und zum anderen eine seltsame, besitzergreifende Magie, eine tief verborgene "NuminositĂ€t", die sich schwer in Worte kleiden lĂ€sst." Alexej ParinJelena Obraszowa (1939-2015) sang in den berĂŒhmtesten Theatern der Welt die wichtigsten Partien fĂŒr Mezzosopran: Die Prinzessin Eboli und die Ulrica, Dalila und Carmen, Marina Mnischek und die GrĂ€fin aus Pique Dame. Sie begeisterte Dirigenten wie Carlos Kleiber und Herbert von Karajan, Georges PrĂȘtre und Daniel Barenboim, die Regisseure Franco Zeffirelli und Luca Ronconi. Das Kammerrepertoire der SĂ€ngerin umfasste mehr als dreihundert Werke vom Barock bis zur zeitgenössischen Musik.Dieser Band veröffenlticht GesprĂ€che des Musikkritikers und Dramaturgen Alexej Parin mit Jelena Obraszowa, in denen die wichtigsten Ereignisse in ihrem persönlichen und beruflichen Leben und ihre individuelle kĂŒnstlerische Herangehensweise an die Vokalmusik beleuchtet werden. In ausfĂŒhrlichen analytischen BeitrĂ€gen untersucht Parin die kĂŒnstlerischen und technischen Besonderheiten der vokalen Interpretation Obraszowas.

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INTERVIEWS

JELENA OBRASZOWA IM GESPRÄCH MIT ALEXEJ PARIN

Als sich Jelena Obraszowa einverstanden erklĂ€rte, fĂŒr mein geplantes Buch einige Interviews mit ihr zu fĂŒhren, bestand zwischen uns bereits eine vertrauensvolle Beziehung. So konnte ich die GesprĂ€che mit ihr auf ihrer Datscha fĂŒhren. Wir setzten uns in Sesseln in den Schatten der BĂ€ume auf der kleinen Wiese vor dem Haus und sprachen jeweils anderthalb bis zwei Stunden miteinander. Dabei hat Jelena Obraszowa mir buchstĂ€blich ihr Herz geöffnet und viele Details ihres KĂŒnstlerlebens vor mir ausgebreitet. Oft ging sie vom Sie auf das Du ĂŒber, was ihre völlige Offenheit mir gegenĂŒber zeigte.
SpĂ€ter, als die GesprĂ€che niedergeschrieben waren, war sie selbst erstaunt, wie offen sie mit mir gesprochen hatte. Sie hatte Bedenken, dass viele erwĂ€hnte Einzelheiten ihre Kollegen und Freunde verletzen könnten. Sie bat mich, die Interviews noch einmal zu ĂŒberarbeiten, und sie erschienen deshalb in meinem russischsprachigen Buch (Alexej Parin: Jelena Obraszowa – Stimme und Schicksal, Moskau, 2009) in verkĂŒrzter Form. Sie gab mir aber die Erlaubnis, sie ungekĂŒrzt zu veröffentlichen, wenn sie nicht mehr am Leben wĂ€re.
FĂŒr dieses Buch wurden die Interviews neu transkribiert und nur ganz unwesentliche KĂŒrzungen vorgenommen, sodass der Text vollstĂ€ndig vorliegt und auf Deutsch eher erscheint als auf Russisch (das neue russische Buch wird voraussichtlich 2019 vorliegen).

„WERDE MIR BLOSS KEINE PRIMADONNA 
“

Meine allererste Frage. Wir alle kennen „die Obraszowa“. Das ist ein Begriff in der russischen Kultur. Aber es gibt auch Jelena Obraszowa selbst – den lebendigen Menschen. Wie nimmt dieser lebendige Mensch diesen Begriff „die Obraszowa“ wahr? Hat er sich lĂ€ngst daran gewöhnt oder schaut er von der Seite her auf „die Obraszowa“? Wie blickt er von innen auf sie? Was bedeutet „die Obraszowa“, die fĂŒr uns existiert, fĂŒr den Menschen Obraszowa?
Bei mir ist das absolut getrennt: Die Obraszowa, die auf der BĂŒhne spielt und singt und die ganz normale Frau. Übrigens sehr sympathisch, kann ich Ihnen sagen. (lacht)
Oh, das wissen wir. Alle, die mit Ihnen zu tun hatten, wissen das.
Ich erinnere mich, als ich zu singen begann, war mein Vater absolut dagegen, dass ich mich mit Gesang beschĂ€ftige. Er sagte immer, wenn man SĂ€ngerin werden will, dann nur „die Nummer eins, aber aus dir wird nicht mal ein vernĂŒnftiger Hausmeister“.
Das glaubte er?
Ja. Und man hat mich in der Familie ohnehin terrorisiert – und gesagt, dass das alles zu nichts fĂŒhrt. Nur meine Mutter hat mich immer unterstĂŒtzt, und ihre Worte haben mir geholfen, wenn sie sagte: „Ljalenka (so wurde ich in der Familie genannt), es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Warum solltest du schlechter sein als andere?“
Wie alt waren sie damals?
Ich war noch ein ganz junges MĂ€dchen – fĂŒnfzehn war ich. Und ich bin damals trotz allem aufs Konservatorium gegangen, ohne es dem Vater zu sagen, er hat ein ganzes Jahr nicht mit mir gesprochen, er hielt das alles fĂŒr Unfug und so weiter 

Was wollte er denn, womit Sie sich beschÀftigen sollten?
Er wollte, dass ich am Institut fĂŒr Radiotechnik studiere, ich sollte sogar Ingenieur werden. Aber als ich vom Festival in Helsinki zurĂŒckkam, wo ich meine erste Goldmedaille bekommen hatte, da erwartete mich zuhause ein Plakat, das er selbst gemalt hatte. Darauf stand: „Sei gegrĂŒĂŸt, PreistrĂ€gerin!“ Das zeigte mir, dass nun alles in Ordnung und er zufrieden war. Aber mein Vater hat mir auch immer gesagt: „Werde mir bloß keine Primadonna, das sind alles dumme GĂ€nse.“ (lacht laut) Daran habe ich oft gedacht in meinem Leben. Er war ein sehr kluger Mensch, sehr begabt. Und in seinem Beruf auch – er war Konstrukteur im Schwermaschinenbau, er baute Turbinen. Im Werk schĂ€tzte man ihn sehr (er arbeitete im Leninwerk in Leningrad). Er war immer die Seele seines Kollegenkreises: Er liebte Anekdoten, spielte ausgezeichnet Geige (zuhause habe ich seine zwei Geigen), und er sang bemerkenswert gut. Er hatte einen phĂ€nomenalen Bariton, wie auch sein Bruder, mein Onkel. Wenn wir zusammenkamen, spielte irgendjemand auf dem Klavier, Papa auf der Geige und dazu sang er. Und ich glaube, wenn diese zwei Obraszow-BrĂŒder ihre Stimmen ausgebildet hĂ€tten, wĂ€ren sie hervorragende SĂ€nger geworden, ihre Baritone waren einfach umwerfend. Wenn mein Vater anfing zu singen, zitterte der KristalllĂŒster. Aber professionell hat niemand in der Familie gesungen. Sehr gut sang auch meine Großmutter – im Kirchenchor. Auch meine Mutter hatte eine bemerkenswerte Stimme, aber als sie ihr Technikum fĂŒr Autostraßenbau beendet hatte, fuhr sie nach Archangelsk und die jungen MĂ€dchen veranstalteten einen Wettstreit, wer am lĂ€ngsten im Schnee stehen konnte. Mama siegte natĂŒrlich, aber mit dem Singen war es vorbei. Also mein Vater hat mich gelehrt, immer bescheiden zu sein und die Grenzen meiner FĂ€higkeiten zu sehen, und was die Leute reden 
 Im Übrigen hat er mich sehr richtig erzogen.
Und das, was mit einem im wirklichen Leben vor sich geht?
Richtig. Das ist etwas absolut Anderes. Als meine Mutter zu meinen Konzerten kam (sie vergötterte mich, genauso wie ich sie) fragte ich sie: „Freust du Dich eigentlich, dass Deine Tochter auf der BĂŒhne steht und singt?“ Sie antwortete mir: „Weißt Du, ich höre Dich als SĂ€ngerin und verbinde die beiden Begriffe Tochter und SĂ€ngerin nicht im Geringsten miteinander.“ Also in der Beziehung ist bei uns alles in Ordnung gewesen, und ich hatte niemals Flausen im Kopf. (lacht)
Gut. Dann frage ich mal anders – wenn Sie, als Mensch, Ihre Aufzeichnungen hören oder Ihre Videos anschauen – sind Sie dann auch nur Zuschauer, oder? Und was sagen Sie dann dazu?
Erstens höre ich sehr selten meine Aufnahmen. Wenn ich mich fĂŒr ein Konzert vorbereite, rufe ich mir den musikalischen Text ins GedĂ€chtnis zurĂŒck, und dazu benutze ich meine CD. Vor kurzem kam Makwalotschka Kasraschwili zu mir und bat mich, mit ihr die Aufnahme von Adriana Lecouvreur zu hören, weil sie sich gerade auf diese Oper vorbereitet. Wir schauten uns die Videos von Adriana, der Eboli und der Carmen aus Prag an. Ich muss sagen, da gab es einige Stellen, da dachte ich: „Bin ich das wirklich? Das ist ja umwerfend! Das kann doch nicht sein.“ (lacht)
Sie schauten sich also von der Seite aus zu?
Ja. Und im Moment tue ich das gleiche, weil ich mir das StĂŒck von Wiktjuk ins GedĂ€chtnis rufen will (wir fahren bald nach Deutschland, und ich muss mich vorbereiten) – ich lege die CD auf und denke: „Oh, was fĂŒr eine lustige Person.“ Ich verschmelze nie mit der BĂŒhnen-Obraszowa.
Aber psychologisch gesehen, wie geht diese Teilung vor sich? Ich erinnere mich, zum Beispiel, was Wascha Tschatschawa mal erzĂ€hlte von einem Konzert in der MailĂ€nder Scala. Sie hatten ein Problem mit den StimmbĂ€ndern und wollten ĂŒberhaupt nicht singen. Zeffirelli ĂŒberredete Sie und sagte: „Lena, du musst auftreten und wenigstens zwei Nummern singen und dann erst das Konzert absagen, so wird es besser sein.“ Sie kommen auf die BĂŒhne, Wascha schaut Sie an und denkt, jetzt gibt es gleich eine Katastrophe, aber es passiert ein Wunder 

Ich sage Ihnen, wenn ich auf die BĂŒhne komme, ist es mir, als betrete ich einen anderen Kanal meines Lebens. Ich bin dann nicht auf der Erde, nicht hier. Wenn ich auf die BĂŒhne komme, beginnt ein anderes Leben, als ob das nicht ich wĂ€re.
Also es passiert da eine gewisse Transformation?
Ja, völlig richtig. Und nicht nur psychisch, sondern auch physisch. Ich bin einfach eine andere. Sogar wenn ich jetzt in dem StĂŒck von Wiktjuk mitwirke und dort tanze und springe und laufe 
 Aber davor sitze ich da wie eine Tote und denke: „Wie soll ich bloß auf die BĂŒhne gehen und das alles machen?“ Aber auf der BĂŒhne lebe ich ein anderes Leben, ein paralleles Leben. Manchmal denke ich: „Mein Gott, wie alt ich schon bin, wieviel Leben ich schon gelebt habe.“ Ich habe ja nicht nur mein Leben gelebt, das bewegt und stĂŒrmisch genug war, sondern auch all diese Opernpartien, die ich durchlebt habe, und wie oft ich sie durchlebt habe. Manchmal denke ich, dass ich eine recht weise Frau bin, und woher kommt das – natĂŒrlich von all diesen Leben, die ich wirklich durchlebt habe.
Im Theater auf den Kanarischen Inseln habe ich meine erste Carmen gesungen und Mario del Monaco seinen letzten Othello. Ich habe ihn gehört und war begeistert, wie er zuerst spielte und dann sang und sang und dann spielte er und spielte und sang, immer der Reihe nach, nicht zusammen. Am nĂ€chsten Tag kam er zu meiner Carmen und sagte: „Mein Gott, wie schade, dass ich nicht mehr in der Carmen singen kann, so eine Carmen habe ich mir immer gewĂŒnscht.“
Der Archipowa hÀtte man das nicht gesagt. (lacht)
Um Gotteswillen, nein!
Nun ja, als ich meine erste Carmen sang und mich JosĂ© – Alain Vanzo, ein französischer SĂ€nger – in den Bauch schlug (ich konnte ihn auch in Wirklichkeit nicht leiden, meinen ersten JosĂ©), dachte ich: „Wie schade, dass ich so jung sterben muss. Warum hat er mich getötet? Wie traurig, vom Leben schon Abschied nehmen zu mĂŒssen.“ Und als ich hinfiel, hörte ich ein GerĂ€usch, Ă€hnlich der Brandung. Meine Mutter hat mir einmal erzĂ€hlt, als sie mich zur Welt brachte, war sie einige Zeit klinisch tot. Sie erzĂ€hlte mir, dass sie einen hellen leuchtenden Kanal sah und das GerĂ€usch der Brandung hörte. Deshalb dachte ich damals: „Auch die Mutter hat mir von diesem GerĂ€usch der Brandung gesprochen. Wie schade, dass ich gestorben bin, was fĂŒr ein törichter, dummer Tod.“ Dann öffnete ich die Augen und als GerĂ€usch der Brandung entpuppte sich der Beifall, der bis hinter den Vorhang drang. Damals begriff ich, bis zu welchem Grad ich ein anderes Leben lebe auf der BĂŒhne, dass ich alles als RealitĂ€t erlebe. Oder, zum Beispiel im zweiten Akt, wenn JosĂ© aus dem GefĂ€ngnis kommt, in Spanien steht auf der BĂŒhne echter Wein, und er die Flasche fallen lĂ€sst, und mich dabei mit Wein begießt, da dachte ich: „Das wird sicherlich ein schlechtes Ende nehmen.“ Und das alles erlebe ich in der Tat. So auch jetzt, wo wir mit Domingo Pique Dame spielen. Er ist ein umwerfender Hermann, ich glaube der beste Hermann ĂŒberhaupt. Ich mochte auch Wolodja Atlantow als Hermann sehr, keiner konnte ihm das Wasser reichen, aber jetzt kam Domingo. Wissen sie, er singt mit einer solchen Leidenschaft, so eine wilde 

Ja, ich habe das Video gesehen – das war sehr stark!
Wir haben erstaunliche Dinge erlebt. Als ich das Liedchen von GrĂ©try singe und tanze, und mich an meine Liebhaber erinnere, versinke ich vollkommen in diesen TrĂ€umen. Und als Hermann hereinkommt, erschrecke ich nicht vor ihm, sondern denke, dass wiedermal ein Liebhaber zu mir kommt. Lustig ist auch, dass sich das Liedchen als Walzer erweist, es geht im Dreivierteltakt. Wir beginnen zu tanzen, und es zeigt sich, dass ich nach vierzig Jahren, solange ich schon dieses Liedchen singe, zum ersten Mal bemerke, dass es ein Walzer ist. (lacht) Wir tanzen den Walzer und dann, als ich sterbe, begreift er nicht, dass ich tot bin. Und er tanzt weiter und tanzt mit einer Toten. Und als er begreift, dass ich schon tot bin, wirft er mich auf die Erde. Das Wichtigste ist, dass ich das alles wirklich erlebe: Ich sehe diese Kerzen, die Pagen in den Livreen 
 Ich erinnere mich, als ich jung war, sang ich einmal in Versailles und ein Saaldiener in Livree verließ den Raum und klopfte dabei mit einem Stock auf den Boden. Ich war damals empört und dachte: „Was fĂŒr eine UnverschĂ€mtheit, so ein LĂ€rm vor einem Konzert!“ Aber das war anstelle der Konzertklingel gemeint, wie in alten Zeiten. Und das Konzert fand bei Kerzenbeleuchtung statt. Verstehen Sie, das legt sich alles in Schichten ĂŒbereinander – die Erinnerungen, die BĂŒcher, alles was ich gelesen habe, alles, was ich gesehen habe. All das verwandelt sich in Leben, in ein absolut anderes als unser Leben.
Jelena Wassiljewna, aber das kam doch nicht ganz plötzlich? Ich habe Ihre frĂŒheren AuffĂŒhrungen gesehen – die „Zarenbraut“, zum Beispiel. Und ich erinnere mich, dass die Obraszowa damals noch nicht das „BĂŒhnentier“ war, wie Abbado einmal sagte. Sie stand da, mit ausgestreckten Armen, wie die Aida, und sang. In welchem Moment ist das passiert, wie haben Sie gefĂŒhlt, dass das ein Übergang in einen anderen Zustand ist?
Ich werde es Ihnen erzĂ€hlen. Zu Anfang hatte ich große Schwierigkeiten – gesangliche und technische. Als ich jung war, hatte ich Angst, irgendeine hohe Note nicht zu treffen, ich fĂŒrchtete kein legato singen zu können und dachte viel darĂŒber nach. Dann merkte ich, dass ich eine sehr schöne Stimme habe, groß und ausdrucksvoll, und ich wollte diese Stimme allen zeigen. Das war so eine jugendliche Dummheit. Dann fing die Arbeit an 
 Ich habe noch meine Notizen und Aufzeichnungen. Allerdings nicht ĂŒber die „Zarenbraut“. Ich nahm den Brief an Werther auf
 Oder, zum Beispiel, als ich in der „Pique Dame“ die Polina sang – irgendwie gelang mir die Romanze nicht, ich sang sie viel zu laut, wie alle. Es klang scheußlich. Aber dann – ich erinnere mich sehr gut an diesen Moment – als ich nachts wach lag (denn ich konnte nicht schlafen, weil ich immer darĂŒber nachdachte, wie ich die Romanze singen sollte), zĂŒndete ich im Haus Kerzen an, setzte mich an den FlĂŒgel und sang. Mama kam heraus und sagte: „Jetzt bist du verrĂŒckt geworden.“ (lacht) Aber ich suchte diese AtmosphĂ€re intonationsmĂ€ĂŸig. Und allmĂ€hlich, als ich diese AtmosphĂ€re in die Oper mitnahm, spĂŒrte ich, wie mir ein Schauer ĂŒber den RĂŒcken lief, ich hatte ein merkwĂŒrdiges GefĂŒhl, die Natur schien mir zu antworten – sie nahm mich mit in den Kosmos. Ich war mit dem Kosmos verbunden, was bis heute der Fall ist. Zum Beispiel passierte mir folgendes (ich habe darĂŒber noch nie gesprochen) – einmal sang ich ein ganz wichtiges Konzert im Großen Saal des Konservatoriums und plötzlich fĂŒhlte ich, dass ich kurz vor dem Zusammenbrechen bin und keinerlei Kraft mehr habe. Aber das Publikum schreit: „Zugabe, Zugabe!“ Und ich dachte: „Lieber Gott, gib mir Kraft, gib mir Kraft“. Und plötzlich sehe ich, wie sich die Decke und der Balkon des Großen Saals öffnen, und ich sehe den schwarzen Himmel mit den Sternen. Zwei Meter breit war der Spalt, wie er wieder zuging, habe ich nicht gesehen. Aber, dass er sich öffnete, habe ich absolut klargesehen. Und ich begriff, dass s i e mich mitgenommen hatten...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelei
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. VORWORT: Der verwegene Hang zu ĂŒberraschender Verwandlung
  6. INTERVIEWS: Jelena Obraszowa im GesprÀch mit Alexej Parin
  7. KONZERT- UND TONTRÄGER BESPRECHUNGEN: Wovon singt Jelena Obraszowa?
  8. REPERTOIRE
  9. Autorinnen und Autoren
  10. Anmerkungen
  11. Weitere Infos