Glück ist das, wonach alle streben. Seit Jahrtausenden denken die Menschen darüber nach und entwickeln Definitionen, Konzepte und Empfehlungen. Doch diese sahen bei den antiken Philosophen noch anders aus als heute. Dennoch können wir aus den damaligen Vorstellungen viel darüber lernen, was Glück heute bedeutet und wie wir es definieren können. Sprechen wir heute über ein anderes Glück als die Menschen vor 2000 Jahren? Was bedeutet Glück für uns heute und wie müssen wir es definieren, damit es unseren modernen Vorstellungen entspricht?
2.1 Was ist Glück?
Zahlreiche ideengeschichtliche Strömungen prägten im Laufe der Zeit die Vorstellung vom Glück. Eine allgemeingültige Definition des Glücksbegriffs ist bis heute nur schwer möglich. Ein lustvolles Leben, Seelenruhe, das Allgemeinwohl – auch eine einfache Übertragung der Glücksvorstellungen aus Antike und Neuzeit auf die heutigen Umstände wird durch das vielfältige Verständnis dessen, was Glück bedeutet, erschwert. Dennoch zeigen die klassischen Glückslehren, dass die Formulierung des Glücksbegriffs zugleich auch eine Weltanschauung beinhaltet. So wird die Definition des Glücks in den antiken Lehren beispielsweise durch die Annahme einer kosmischen Ordnung oder durch ein Berufen auf die Verantwortung des Einzelnen für sein persönliches Glück bedingt. Je nach Weltanschauung bedeutet Glück die Erfüllung einer Aufgabe oder die Annahme eines Platzes in einer vorgegebenen, gewollten Weltordnung. Anderen Auffassungen zufolge besteht es wiederum darin, die persönlichen Ziele zu erreichen und die Wünsche zu verwirklichen, die subjektiv glücklich machen. So wandeln sich die Vorstellungen von Glück mit dem Geistesstand der Zeit, ihrer Systeme, Werte, Erkenntnisse und Wünsche. Glücksvorstellungen variieren daher zwischen Kulturkreisen, Alters- oder Interessengruppen.
Im westlichen Kulturkreis nimmt das Individuum einen hohen Stellenwert ein. Das Glück ist hier stark an die eigenen Wertvorstellungen gebunden (Kapitel 2.2). Die Erfüllung dessen, was die Menschen aufgrund sozialer Konventionen oder der eigenen Weltanschauung als richtig und wichtig empfinden, wird meist als Glück bezeichnet.
Eine allumfassende Definition des allgemeinen Glücks macht aus Sicht einiger Disziplinen ohnehin wenig Sinn, da sie die individuellen und auch kulturell bedingten Unterschiede in der Benutzung des Begriffs nicht berücksichtigen könnte (Frey/Stutzer, 2009; Bond/Lang, 2018). Um allerdings eine Basis für die Begriffsverwendung z. B. zur Messung von Glück, zur Analyse von Determinanten und Effekten der Lebenszufriedenheit zu haben, werden im Folgenden einige Definitionen und Abgrenzungen von Glück aufgezeigt und diskutiert.
Hayppiness oder Glück
Veenhoven (1991a, 2) verwendet den Begriff „happiness“ als „the degree to which an individual judges the overall quality of his life favourably“. Er übersetzt diesen Satz als das Ausmaß, in dem der einzelne seine Lebensqualität positiv bewertet (Veenhoven, 1991b). Diese Definition beschreibt im Allgemeinen, was die meisten Menschen sagen, wenn man sie nach der Bedeutung des Glücksbegriffs fragt. Sie umfasst die individuelle Komponente des Glücks dadurch, dass das Individuum selbst (an individual/der Einzelne) evaluiert und bezieht sich dabei auf alle Lebensbereiche (overall quality/Lebensqualität). Dennoch ist die Definition für den Begriff „happiness“/Glück sehr allgemein.
Subjektives Wohlbefinden
Diener, Oishi und Lucas (2003) liefern mit der Beschreibung des Begriffs „subjective well-being“ eine weitere Abgrenzung. Der Begriff „subjektives Wohlbefinden“ wird in der Glücksforschung meist als Gegenstand der Untersuchung, anstelle des Begriffs „Glück“, verwendet: „The field of subjective well-being (SWB) comprises the scientific analysis of how people evaluate their lives – both at the moment and for longer periods such as for the past year“ (Diener et al., 2003, 404). Das Konzept des „subjektiven Wohlbefindens“ umfasst damit sowohl die emotionalen Reaktionen auf bestimmte Ereignisse als auch die Bewertung der Lebenszufriedenheit, der Erfüllung und Zufriedenheit mit bestimmten Lebensinhalten wie Arbeit oder Ehe – kurz- und langfristig. Wie es der Begriff jedoch schon sagt, handelt es sich bei dieser Definition um eine subjektive Einschätzung und keine allgemeingültige Erklärung des Glücksbegriffs.
Lebenszufriedenheit
Während das subjektive Wohlbefinden die emotionale Komponente einschließt, wird die Lebenszufriedenheit nicht von Gefühlen oder Launen beeinflusst, sondern ist ein kognitiver Prozess. Sie drückt die langfristige Einschätzung der eigenen allgemeinen Lebenslage aus, die sich an individuellen Standards orientiert (Diener et al., 1985b). In die Bewertung können verschiedene Bereiche, wie beispielsweise der Beruf, die Partnerschaft, die finanzielle Lage oder die Wohnsituation einbezogen werden. Eine häufig gestellte Frage zur Ermittlung der Lebenszufriedenheit ist „Alles in allem, wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Leben?“, die in verschiedenen Abstufungen beantwortet werden kann.
„Feeling good“
Layard (2005b) beruft sich auf die simple Definition von Glück als „feeling good – enjoying life and wanting the feeling to be maintained“, auf Glück im Sinne eines „sich gut fühlens“ und dem Wunsch, dieses Gefühl beizubehalten. Myers (2000) legt bei seiner Glücksdefinition den Fokus auf ein positives Gefühl und dessen Verhältnis zu negativen Gefühlen eines Menschen. Entscheidend sei das Überwiegen des Positiven: „a high ratio of positive to negative feelings“.
Dies sind nur einige der vielen Definitionen, die heute zum Glücksbegriff existieren. Im Wesentlichen haben sie gemein, dass sie in der Regel so allgemein gehalten sind, dass sie keine konkreten Rückschlüsse auf den „Glücksinhalt“, also das, was den Menschen tatsächlich glücklich macht, zulassen. So kommt jedem Individuum die Herausforderung aber auch die Möglichkeit zu, diese allgemeinen Glücksdefinitionen für sich selbst mit Leben und Inhalt zu füllen. Im Verlauf dieses Buches werden die Begriffe auch synonym verwendet.
2.2 Glückskonzepte in der zeitgeschichtlichen Entwicklung
Die Philosophen der Antike sahen ihre Aufgabe vor allem darin, jedermann den Weg zur Glückseligkeit zu zeigen und zu einem glücklichen Leben zu verhelfen. Diesem Ansinnen liegt die teleologische Annahme zugrunde, dass der Mensch von Natur aus nach dem Glück strebt und er seine Bestimmung darin findet.
Die griechische Eudaimonie
In der griechischen Philosophie stand der Begriff „eudaimonia“ im Zentrum der Auseinandersetzung. Gewöhnlich wird der Begriff mit Glück oder Glückseligkeit übersetzt. In seiner Nikomachischen Ethik definiert Aristoteles die Eudaimonie als die „Tätigkeit der Seele im Sinne der ihr wesenhaften Tüchtigkeit“ (Hossenfelder, 2010, 77). Seiner Theorie liegt ein Weltbild zugrunde, das eine absolute Ordnung des Kosmos definiert und das jedem Ding und Wesen eine bestimmte, einzigartige Rolle zuweist. Das Streben nach dem Glück ist in diesem Sinne die dem menschlichen Leben innewohnende Rolle.
Die Einzigartigkeit des Menschen und sein eigentlicher Zweck in einem derart geordneten Kosmos sei die Vernunft, die sich durch die Verstandestugenden wie Weisheit und Klugheit ausdrückt. Kraft seiner Vernunft kann der Mensch die richtige Harmonie zwischen Affekten und Willensbestrebungen herstellen und die richtige Mitte, die mesotes, zwischen Extremen erkennen. Gelingt ihm die vollkommene Anwendung dieser Vernunft, das heißt die Ausübung eines tugendhaften Lebens auf vollkommene Weise, habe er nicht nur das höchste Gut erreicht, sondern befände sich auch im Zustand der Eudaimonie.
Die Theorie von Aristoteles ist auf eine teleologisch ausgerichtete Denkweise zurückzuführen. Jede Handlung ist zielgerichtet, z. B. „Ich arbeite, um Geld zu verdienen“, „Ich ernte, um nicht zu verhungern“ etc. Das höchste Ziel, das jedoch über all diesen Teilzielen des Menschen steht, ist die Eudaimonie. Sie sei das höchste anzustrebende Gut, das um ihrer selbst willen erstrebenswert ist: als Zustand der „Glückseligkeit“. Dabei gibt Aristoteles eine konkrete Orientierung, wie dieses höchste Gut zu erreichen sei, nämlich durch die vollständige Verwirklichung der ethischen und sittlichen Vollkommenheit, d. h. der Tugend. Der Mensch erreiche die Eudaimonie dann, wenn er seinen, von der kosmischen Weltordnung vorgesehenen Zweck eines tugendhaften Lebens erfüllt (Horn, 2010).
Vernunft
Die Anwendung der Vernunft sei zwingend notwendig, um den Zustand der Eudaimonie zu erreichen. Die gezielte Ausbildung des eigenen Denkens mache den Menschen letztlich tugendhaft und tüchtig. Gleichwohl erkennt Aristoteles an, dass auch weltliche Güter eine Bedeutung für das Glück haben. Jedoch nur als notwendige, nicht aber als hinreichende Bedingung. Das bedeutet, es gibt nach Aristoteles „gewisse Güter, deren Fehlen die reine Form des Glücks beeinträchtigt, etwa vornehme Geburt, wohlgeratene Kinder oder Schönheit“ (Aristoteles zitiert nach Horn, 2010). Solche Ereignisse sowie manche Aktivitäten, wie beispielsweise das Erleben von Lust, sind im Sinne von Aristoteles zwar „freundliche Umstände“, trügen aber nicht zur Glückseligkeit des Menschen bei.
Hedonismus
Der griechische Philosoph Aristipp, der als fortschrittlicher Vertreter der Klassik gilt und dessen Ideen als Übergang zum darauffolgenden Hellenismus angesehen werden, sieht als höchstes Gut ebenfalls den Zustand der Glückseligkeit an. Er unterscheidet es jedoch von der von Aristoteles vertretenen Eudaimonie und legt ein anderes Weltbild zugrunde. Nicht die Vernunft, sondern die persönlichen Empfindungen des Menschen seien das, was ihn einzigartig mache. Nur über die eigenen Empfindungen habe der Mensch Gewissheit. Alles darüber Hinausgehende, so auch die Ursache der Empfindungen oder die Existenz einer Weltordnung, sei unsicher. Der alleinige Beurteilungsrahmen des Menschen läge im eigenen Dasein. Außerhalb dieses Daseins gäbe es keine Gewissheit. So behauptet Aristipp, das Handeln des Menschen müsse sich nach seinen Empfindungen richten, von denen Lust das höchste Gut und Unlust das größte Übel sei (Hedonismus).
Bei Platon und Aristoteles wird der „hedone“, der Lust, lediglich eine untergeordnete, beiläufige Rolle zugesprochen. Für Aristipp hingegen bedeutet Glück die Akkumulation von Lüsten, das Erleben von Lust, die um ihrer selbst willen erstrebenswert sei. Die Anhäufung der Lüste mündet laut Aristipp zwar automatisch in Eudaimonie. Das Lustempfinden an sich sei jedoch immer das vorrangige Ziel, aus dem sich letztendlich das Glück ableite. Da die Empfindung nach Aristipp das einzig Verlässliche ist, gilt es, jede Lustempfindung zu genießen (Hossenfelder, 2010). Was letztlich zum Empfinden von Lust oder Unlust führt, sei individuell und von den Vorlieben des jeweiligen Menschen abhängig.
Die Glücksvorstellungen von Aristoteles und Artistipp
Diese beiden Glücksvorstellungen von Aristoteles und Artistipp bieten eine Orientierung zum Verständnis des Glücksbegriffs und wie er sich verändert hat. Nach Aristoteles beruht Glückseligkeit auf der Verwirklichung eines tugendhaften Lebens. Ob und inwieweit jedes Wesen die ihm zugeschriebene, einzigartige Tätigkeit erfüllt, kann objektiv beobachtet werden. Der Erfüllungsgrad findet Ausdruck in dem objektiven Verhältnis von geistigem Zustand einerseits und kosmischer Ordnung andererseits. Im Rahmen dieser Theorie ist es jedem Menschen möglich, zu beurteilen, ob jemand diesem Zustand nahe ist oder nicht (Hossenfelder, 2010). So war die Philosophie des Aristoteles in der Lage, konkrete Lebensanweisungen zum Erreichen des Glückszustands zu geben.
Aristipps Auffassung von Glück beruht auf persönlichen, für dritte Personen nicht immer erkennbaren Empfindungen. Nichtsdestotrotz entscheidet laut Aristipp nicht die Person, sondern das Verhältnis von Lust und Unlust darüber, ob ein Mensch glücklich ist oder nicht. Die einzelnen Empfindungszustände von Lust und Unlust sind subjektiv. Bei Betrachtung aller dieser Zustände im Laufe eines ganzen Lebens lässt sich jedoch eine Tendenz feststellen, ob in der Summe mehr Lust oder mehr Unlust vorhanden war. Eine solche Betrachtung und Akkumulation von Empfindungen kann eventuell auch durch andere erfolgen (Hossenfelder, 1996), da sich im Großen und Ganzen die Vorstellungen der Menschen von Lust und Unlust durchaus ähneln. Somit ist auch bei Aristipp eine objektive Erkennbarkeit von Glück gegeben.
Hellenismus: Individualisierung des Glücksbegriffs
Eine für den Glücksbegriff entscheidende Wende in der Philosophie brachte die Zeit des Hellenismus (323–30 v. Chr.). In dieser Epoche wurde dem Individuum mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht und der Begriff des Individualismus stark geprägt. Dieser Fokus war neu. Anders als bei Aristoteles war Glück im Hellenismus nicht mehr an die inhaltliche Einordnung des Einzelnen in kosmische und soziale Zusammenhänge gebunden. Während in den anfänglichen Überlegungen der Vorsokratiker die Natur von vorrangigem Interesse war, wurde sich in der Klassik und Sophistik der Gemeinschaft zugewandt. Hier lag das Augenmerk auf dem Wohl der Gemeinschaft. Der Mensch wurde mehr als Teil des Ganzen statt als Individuum gesehen. Das Wohl der Gemeinschaft war dem des Einzelnen gleich. So sahen etwa Platon und Aristoteles das höchste Gut in der Eudaimonie des Gemeinwesens. Im Hellenismus hingegen wandte man sich dem Einzelnen, dem Individuum zu (Hossenfelder, 1996; Krüger, 1998). Wie schon bei Aristipp, stand für die Hellenisten das subjektive Empfinden im Vordergrund. Sie glaubten nicht an eine vorgegebene Weltordnung, sondern daran, dass der Einzelne seine Werte, Wünsche und seinen Lebenszweck selbst bestimmt. Die Erfüllung dieser selbstgesetzten Zwecke begriffen die Hellenisten – ebenso wie Aristoteles – als Weg zum persönliche...