China am Klavier
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China am Klavier

  1. 116 Seiten
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Über dieses Buch

Bei einem Sommerfestival in Südfrankreich spielt eine junge chinesische Pianistin (inspiriert von Yuja Wang) Scarlatti, Brahms und Chopin. Überwältigt von ihrer Kunst, ehrt ein Musikkritiker sie als die grösste Pianistin der Gegenwart. Ein anderer Kritiker, ironisch und distanziert, bemängelt bei der gleichen Interpretin ein Spiel ohne Seele, das lediglich aus Kunstgriffen und Imitation bestehe. Die beiden Journalisten streiten sich via Blog und E-Mail. Sie kennen einander schon lange, und ihre ästhetische Auseinandersetzung ist mit einem persönlichen Konflikt verbunden. Eher ein Zusammenstoss der Egos als der Kulturen? Auch wenn ihr immer heftigerer Wortwechsel darauf hinweist, entdeckt man in diesem Buch vor allem Überlegungen zur westlichen Musik: Warum geniesst sie im Fernen Osten so grosses Prestige? Ist Europa dabei, seiner Seele beraubt zu werden? Oder findet es sie vielleicht unter den Fingern einer chinesischen Pianistin wieder? Der Roman ist 2011 unter dem Titel "Piano chinois" bei Éditions Zoé erschienen und wurde bereits ins Japanische und Polnische übersetzt. CHINA AM KLAVIER ist die deutsche Erstübersetzung.

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Information

Jahr
2017
ISBN
9783905689938

XIV

Von:
An:
Datum:
03.08.201018.36
Betreff:
Weder Mao noch Mozart
Herr Ballade
Beginnen wir mit dem Ende Ihres Briefes, also mit dem Anfang: Meine Ehe wurde vor zwei Jahren geschieden, vielen Dank. Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Diese Scheidung hat nichts mit dem mehr oder weniger grossen Talent meiner Exfrau zu tun. Aber tatsächlich hatte Julie, deren Vorzüge an dieser Stelle zu preisen einigermassen müssig wäre, den Schönheitsfehler, kein Puppengesicht zu besitzen und folglich uninteressant zu sein für die Major-Labels, die unwiderstehlich angezogen werden vom grossen künstlichen Licht, das im Fernen Osten aufgeht.
Wie dem auch sei, meine Exfrau, die ich nie zu unterstützen, sondern nur aufzubringen vermochte, hat schliesslich einen blutleeren Kritiker gegen einen temperamentvollen Violinisten getauscht, dessen wilde Rosshaare häufig an seinem Bogen baumeln, wenn er nicht seine Saiten zum Reissen bringt. Ich glaube, sie ist nicht unglücklich. Auf jeden Fall nicht so unglücklich wie zu meiner Zeit. Und damit Sie nicht auf den Gedanken kommen, mich zu bemitleiden: Ich war es, der die Trennung veranlasste.
Seien Sie ausserdem ganz beruhigt: Ich bin nur noch Gelegenheitsagent. Was meinen Job als Musikkritiker betrifft, so ist bei mir das Feuer ausgegangen, vom dem Sie immer noch beseelt zu sein scheinen. Ich bin ziemlich überzeugt, dass diese Arbeit die Beschäftigung eines haarspalterischen Exzentrikers ist, wenn ich dem so sagen darf. Ich weiss die guten Interpreten weiterhin zu würdigen, es gibt sie, doch ich rieche nicht alle naselang ein Genie. Und wie ich Ihnen schon sagte, glaube ich nicht mehr an die Universalität der hochwohlgeborenen klassischen Musik – wenn ich denn je daran geglaubt habe.
Was uns trennt, ist also nicht nur unsere Beurteilung von Miss Jin: Auch wenn ich sie für das grösste Talent der Welt gehalten hätte, wenn der Anblick ihrer über die Tasten tanzenden Hände mich erregt hätte, wenn ihre stets halboffenen Lippen und ihr mädchenhaft aufreizendes Lächeln mich den Takt hätten schlagen lassen mit dem Stock, der mich leider bei keiner Gelegenheit verlässt, auch wenn ich also all diese Reaktionen für ein ästhetisches Urteil gehalten hätte, so hätte ich trotzdem nie in dem Ton gesprochen, den Sie wählen. Und ich glaube nicht, dass ich je in diesem Ton sprechen werde, auch nicht in zwanzig Jahren.
Ich gestehe, ich bin dennoch ziemlich verletzt, dass Sie als schlagendes Argument diese Geschichte mutmasslicher Missgunst oder Gehässigkeit gegenüber potenziellen Rivalinnen meiner Frau gefunden haben. Sie können die Texte lesen (ich wage nicht zu sagen: nochmals lesen), die ich zur Zeit meiner Flitterwochen und sogar noch nachher zu Papier gebracht habe. Zunächst einmal hat ein wohl von meiner Grossmama geerbter vager Sinn für Schicklichkeit bewirkt, dass ich keinen einzigen Artikel Julie gewidmet habe, nicht einmal unter einem zweiten Pseudonym. Ich habe Beruf und Privatleben nicht vermischt. Und dann glaube ich, dass ich niemanden verunglimpft habe. Ich glaube sogar, mein Eheglück, so kurz es auch dauerte, führte vielmehr dazu, dass ich bei allen und allem etwas Positives fand. Gut, das war keine Seelengrösse, sondern lediglich ein Erschlaffen der Kritikfähigkeit. Doch Ihre Anschuldigung ist nichtsdestoweniger ein harter Brocken. Ganz zu schweigen davon, dass sie endgültig jede Hoffnung vernichtet, ruhig und sachlich über den Kern der Angelegenheit zu diskutieren: Was ist eine gute Interpretation? Und: Was ist der Sinn der Musik? Fragen, auf die es wahrscheinlich keine Antwort gibt, über die zu diskutieren jedoch eine Würde verlangt, die wir beide mit Sicherheit nicht mehr erlangen.
Bevor ich zu ein paar Bemerkungen komme, die wieder persönlicher Natur sein werden, wie ich Ihnen leider sagen muss, möchte ich trotzdem ein letztes Mal versuchen, die Auseinandersetzung auf einer höheren Ebene zu führen. Es geht nicht um Mei Jin, die mich wirklich nicht besonders inspiriert, sondern um China im Allgemeinen: Wie versprochen, habe ich mir den Film Von Mao zu Mozart nochmals angesehen, der, wie Sie sich erinnern, aus dem Jahr 1981 stammt und in illo tempore die höchsten Auszeichnungen erfuhr. Ich war noch ein Kind, als ich ihn zum ersten Mal sah. Stellen Sie sich vor, das stärkste Gefühl, das ich diesmal dabei empfand, war Verblüffung.
In meiner Erinnerung wurde Isaac Stern, der erste «amerikanische» Künstler, der nach der Kulturrevolution den Fuss auf chinesischen Boden setzte, mit einer immensen Verehrung empfangen vom chinesischen Volk, das begierig war, die westliche Musik zu entdecken oder wieder zu entdecken. Er gab Konzerte, erteilte Ratschläge und beobachtete dabei mit grösstem Interesse die chinesischen Landschaften, die chinesischen Künste, die chinesischen Sportarten. Eine stets herzliche Atmosphäre, gegenseitige Bewunderung, Verbrüderung. Der Direktor eines Musikkonservatoriums erzählte mit massvollem Schmerz seinen Leidensweg und den eines älteren Lehrers während der Kulturrevolution, als die Roten Garden sie demütigten und folterten, indem sie ihre Instrumente und ihre Glieder zerbrachen – was für sie fast auf dasselbe herauskam.
Ich hatte das alles gesehen, und meine Erinnerung war richtig: Ich habe das alles auch jetzt wieder gesehen. Doch warum dann die Verblüffung, werden Sie mich fragen? Nun, dreissig Jahre später erkennen wir, erkenne wenigstens ich mit schrecklich peinlicher Klarheit, dass Herr Isaac Stern mit seiner ganzen Freundlichkeit sich den Chinesen gegenüber auf schändlich gönnerhafte Weise benimmt, es zum Beispiel mindestens drei Mal schafft, auf Kosten von jungen Vortragenden einen ganzen Saal zum Lachen zu bringen und sich dabei über jene Violinisten lustig zu machen, die spielen, ohne zu «singen». Was soviel bedeutet wie: jene armen Chinesen, die nicht fähig sind, die Unsterbliche und Unnachahmbare Seele der Westlichen Musik zu verstehen, der einzig Grossen, der einzig Wahren. Stern zögert nicht, die jungen Violinisten nachzuäffen, um ein allzu höfliches Publikum zu erheitern, das gezwungen ist, in nervöses Lachen auszubrechen.
Unser erhabener Diener der Grossen Musik nötigt eine unglückliche Kleine, mit gepresster Stimme und zugeschnürter Kehle vor zweitausend Personen eine Melodie von Mozart zu singen, bevor er ihr den spöttischen Kommentar serviert: «Good girl, siehst du, du kannst singen, versuch jetzt, auf deiner Violine zu singen!». Und so weiter. Ich fahre nicht fort. Umso weniger, als die arme Kleine die berühmte Melodie gar nicht schlecht gesungen hat auf ihrem Instrument, als Stern sie rüpelhaft parodiert, um den Eindruck zu vermitteln, sie habe ohne Herz und ohne Seele gespielt, ohne die Grosse Westliche Seele. Die Menge der chinesischen Zuhörer fühlt sich genötigt, unterwürfig zu lachen … doch jeder von ihnen sagt sich wohl: Du gemeiner westlicher Zieraffe, wir vergessen eine Beleidigung nicht so schnell. Eines Tages werden wir uns rächen; dann wirst du zu unseren Melodien singen, und sogar tanzen, bis du umfällst.
Und jetzt ist es tatsächlich soweit. Die Rache hat dreissig Jahre lang gegoren, doch das Resultat ist durchaus bemerkenswert, potenter als alles, was wir uns in unseren schlimmsten Albträumen vorgestellt hätten: China rächt sich, indem es uns nicht etwa mit chinesischen Opern oder irgendwelcher tausendjährigen Musik überschwemmt, sondern indem es uns Mei Jins schickt, das heisst Mädchen, die singen können, wie der arrogante Kerl wollte, dass sie singen. Mädchen, welche die westliche Romanze auf den Klaviertasten oder der Violine in einer Art jaulen, dass noch die abgebrühtesten Kritiker in Bewunderung erstarren; Mädchen, die begriffen haben, wie man vorgibt, den herablassenden Imperialisten zu verstehen, so tut, als würde man ihm gehorchen, nur um ihn besser vom hohen Ross herunterzuholen und ihn mit Füssen zu treten, nachdem man ihn in den Himmel versetzt, ihn zu Brei zu machen, nachdem man ihm um den Bart gestrichen hat. Gerechte Rache, ja.
Und die Stunde ist tatsächlich ernst, oder sie wäre es zumindest, wenn wir an den Westen glaubten, wie ich für meinen Teil nicht mehr an ihn glaube: Die Chinesen erreichen und übertreffen nicht nur unsere Technik, sondern imitieren darüber hinaus unsere eigentliche Expressivität, unser Herz und unsere Seele, unser grosses Herz und unsere schöne Seele, und sie tun es so gut, dass wir selbst nicht mehr fähig sind, die List aufzudecken, das Falsche zu wittern, den faulen Trick zu durchschauen. Und wir weinen, und wir seufzen vor Behagen, und wir lassen uns von den zarten Händen der China-Puppen wiegen, die uns in einem süsslichen Licht ihren Chopin aus Papiermaché servieren, verziert mit glitzernden Pailletten! Ah, ein wahres Meisterstück, und Isaac Sterns Opfer sind heute wahrhaftig hinreichend gerächt. Doch ich schweife ab und schweife aus. Es ist Zeit, zu prosaischeren Betrachtungen zurückzukommen.
Der Gipfel des chinesischen Triumphs besteht nicht nur darin, die Abendländer mit einer perfekt imitierten «Ausdruckskraft» zu blenden, einem Gesang, der uns anzieht, wie die Lockpfeife des Jägers die Vögel anzieht, sondern mehr noch, uns bis ins Mark unserer Seele zu bezirzen. Und ein Opfer zu finden, das genügend bezaubert ist, um vor aller Welt lauthals zu beteuern, dass die China-Puppen nicht nur in vollendeter Weise Scarlatti selbst, Brahms selbst und Chopin selbst wiedergeben, sondern ihr Genie geerbt haben, ihr Genie besitzen. Mei Jin, Gattin von Chopin! Oder vielmehr: Chopin zur Frau gemacht! Der Triumph ist vollkommen. Die Voraussetzung dazu war natürlich, dass die Chinesen hoffen, aber nicht garantieren konnten. Sie wussten nicht, dass unser grösster französischsprachiger Kritiker ein ewiger Teenager ist und dass er, obschon er es vehement bestreitet, sich auf der Stelle in ihr Spitzenprodukt verlieben würde.
Verzeihung, wenn ich brutal bin, aber warum die Tatsachen leugnen? Lesen Sie nochmals durch, was Sie geschrieben haben: Mei Jin hat Ihnen den Sinn von Chopins Sonate Opus 35 erschlossen, einen Sinn, der allen anderen irgendwie entgangen ist, einschliesslich des Komponisten! Mei Jin ist also mehr und besser als Chopin redivivus! Sie ist in jedem Sinn des Wortes Chopins Mätresse, wenn Sie erlauben, und es ist Ihnen, was nur verständlich ist, nicht unangenehm, sich mit dem Meister zu identifizieren.
Aber nein, ich untertreibe, die Wahrheit ist noch unerhörter. Nachdem sie Chopin und dann Jeanne d’Arc war, ist Ihr Schützling jetzt keine Geringere als Beatrice. Wenn es hier nicht darum geht, Ihre Angebetete zur Gottheit zu erheben, verstehe ich gar nichts mehr. In Ihrer Begeisterung scheinen Sie übrigens zu vergessen, dass Beatrice Dante nicht durch die Hölle führte, sondern diese undankbare Aufgabe Vergil überliess, um den Dichter erst am Eingang zum Paradies wieder in Empfang zu nehmen. Ah, bestimmt erlauben Sie sich eine dichterische Freiheit, und hat das Rot von Miss Jins Kleid Sie an die höllischen Flammen denken lassen, die an ihrem ganzen Körper emporzüngeln; doch schliesslich ist es Dante, der schmort und verbrennt.
Was mich betrifft, so halte ich mich lieber an die Frauen meines Alters, denn ich ziehe den Austausch der Anbetung vor. Jedem das Seine. Und stets ganz der Ihre
Léo Poldowsky

XV

Von:
An:
Datum:
04.08.201022:32
Betreff:
Ihre Absurditäten
Mein lieber Herr
Zuerst stelle ich fest, dass Sie mit keinem Wort auf meine Bemerkungen über die sichtbare Seite der Musik geantwortet haben, und über die Musik als Gesamtkunstwerk (in allen Zivilisationen übrigens, und es ist unser Europa, das dies am wenigsten berücksichtigt hat). Im Weiteren stelle ich fest, dass Sie, nicht zufrieden damit, an Unterstellungen festzuhalten, die mich lächerlich machen würden, wenn sie begründet wären, diese noch schlimmer machen und einen spöttischen Ton anschlagen, der bisweilen an reine Vulgarität grenzt.
Schliesslich stelle ich fest, dass Sie sich nicht sehr geschickt verteidigen, als ich die Hypothese erwäge (und ich wollte sie gar nicht aufrechterhalten), Ihre Reaktion beruhe auf Missgunst. Ich habe nicht vor, Sie werden mir verzeihen, die bestimmt von vernichtendem Humor strotzenden Artikel nochmals zu lesen, die Sie im Laufe der letzten fünfzehn Jahre verschiedenen Klavierrecitals gewidmet haben. Doch ich erinnere mich sehr gut, falls Sie es vergessen haben sollten, dass nur wenige Interpreten Gnade vor Ihren Augen fanden. Weit davon entfernt, ein Erschlaffen Ihrer Kritikfähigkeit festzustellen, habe ich vielmehr eine Art verbitterte Gleichgültigkeit erkannt, die immer grösser wurde und häufig sehr nah dem Zynismus war. Einem Zynismus, in den Sie schon bei den ersten Zeilen des Blogs verfallen sind, den Sie Mei Jins Recital widmen zu müssen glaubten, also bevor unsere Auseinandersetzung begann – und ausartete, wie das heute der Fall ist.
Ich hatte übrigens immer wieder Gelegenheit, Bemerkungen von Künstlern oder Musikologen- und Journalistenkollegen über Sie oder Ihre Artikel zu hören, die mir bestätigten, dass mein Verdacht begründet war. Sie sagen, dass Sie seit zwei Jahren geschieden sind und nie eine einzige Zeile zum Lob Ihrer Exfrau geschrieben haben. Ich nehme es zur Kenntnis. Doch das beweist nicht, dass Ihre Artikel nicht von Ihrem Willen beeinflusst waren, den Weg freizumachen für jene, in die Sie immerhin Ihre Hoffnungen gesetzt hatten, und zwar Ihre aktiven Hoffnungen, da Sie ihr Agent waren. Und was wäre normaler? Ich behaupte nicht, dass Ihre genauso absurden wie ungerechten und beleidigenden Attacken gegen die wohl talentierteste Pianistin, die in den letzten dreissig Jahren auf der internationalen Bühne erschienen ist, immer noch die direkte Auswirkung Ihrer ehelichen Situation sind. Doch Ihr Ton ist Ihnen zur Gewohnheit geworden. Dieser bittere Ton, der künftig in allem, was Sie sagen, mitschwingen wird, wie ich leider vermute.
Nach all dem befürchte ich, dass es keinen Grund mehr gibt, unsere Debatte fortzusetzen. Sogar zu Themen, die uns eigentlich nicht trennen sollten, wie Von Mao zu Mozart, geben Sie Urteile ab, deren Willkür und Überspitztheit erstaunen. Soviel ich mich erinnere (ich habe den Film vor ein oder zwei Jahren erneut gesehen, er ist mir noch ganz gegenwärtig), drückt sich Isaac Stern im äussersten Fall stellenweise in einem leicht paternalistischen Ton aus. Mein Gott, was ist da Schlechtes daran, bekundet er doch mit jedem Wort, mit jedem Atemzug seinen tiefen Wunsch, das Geheimnis der Musik diesen jungen Interpreten zu vermitteln, wobei er übrigens unablässig betont und wiederholt, wie wunderbar begabt sie sind.
Ihre Position ist nebenbei bemerkt ziemlich verdreht und widersprüchlich: Auf der einen Seite bemühen Sie sich, mir zu beweisen, dass die Chinesen rein gar nichts von unserer Musik verstehen und nur so tun, als würden sie diese lieben. Auf der anderen Seite prangern Sie Isaac Stern an, wenn er sie beschuldigt (das Wort ist übrigens vi...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Kapitel I
  6. Kapitel II
  7. Kapitel III
  8. Kapitel IV
  9. Kapitel V
  10. Kapitel VI
  11. Kapitel VII
  12. Kapitel VIII
  13. Kapitel IX
  14. Kapitel X
  15. Kapitel XI
  16. Kapitel XII
  17. Kapitel XIII
  18. Kapitel XIV
  19. Kapitel XV
  20. Kapitel XVI
  21. Kapitel XVII
  22. Kapitel XVIII
  23. Kapitel XIX
  24. Kapitel XX
  25. Kapitel XXI
  26. Kapitel XXII
  27. Kapitel XXIII
  28. Kapitel XXIV
  29. Kapitel XXV
  30. Kapitel XXVI
  31. Kapitel XXVII
  32. Kapitel XXVIII
  33. Kapitel XXIX
  34. Kapitel XXX
  35. Der Autor
  36. Die Übersetzerin