Auf dem Laufband
eBook - ePub

Auf dem Laufband

  1. 136 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Auf dem Laufband

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Er möchte perfekt sein. Mehr als perfekt. Um sich das zu beweisen, spricht er auf der Heimfahrt von der Arbeit während Monaten in sein Diktaphon, erklärt sich seinen Alltag, sich selbst. Es ist etwas vorgefallen, was eine gefährliche Wunde in sein Selbstbewusstsein geschlagen hat. Jemand hat ihn im Supermarkt als "armes Schwein" bezeichnet, und zwar in einem Tonfall, der "die Brutalität einer unumstösslichen Tatsache hatte", wie er feststellen muss. Da ist nun also Selbstverteidigung angesagt, und der gibt er sich hin. Der Mann ist Bibliothekar. In leitender Stellung. Er kann auch auf sein Bildungsgut zurückgreifen, zur Verteidigung, und das tut er gern. Doch ach, in einem gewissen Sinn wird dieses ganze Unternehmen zum Gegenteil dessen, was der Sprecher bezweckt. Die Rechtfertigung wird zur Blossstellung. Hinter den Tugenden, die er sich zuschreibt, scheinen seine Feigheit, seine Unsicherheit, sein manchmal niederträchtiges Lavieren hervor, wahrhaftig: das "arme Schwein". Und wie in einem Spiegel, der uns das eigene Bild mehrfach vergrössert zurückwirft, müssen wir ­lesenderweise immer wieder überlegen: Sind wir frei von den Gemütsregungen und Strategien, die uns Michel Layaz' Ich-Erzähler hier so freimütig schildert? So ganz fremd, so ganz anders als wir alle ist es leider nicht, dieses arme Schwein."Le Tapis de course" erschien 2013 in den Editions Zoé. AUF DEM LAUFBAND ist die deutsche Erstübersetzung.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Auf dem Laufband von Michel Layaz, Yla M. von Dach im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Literatura & Literatura general. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2017
ISBN
9783905689945

1. Juni

Die Silhouette hatte sich mir eingeprägt, und selbst wenn ich die Hoffnung und die Lust verloren hatte, den jungen Mann wiederzufinden, schoss mir doch ein Schweissausbruch in den Nacken und ein anderer in die Kreuzgegend, als ich ihn in meiner Blickachse erkannte. Ich fuhr langsamer. Er lebte also weiter, nahm weiterhin seine Mahlzeiten ein, ging weiterhin spazieren, traf sich mit jungen Frauen, hörte Musik, ging durch die Stadt, als wäre nichts geschehen. Der junge Mann war allein, er wartete an einem Fussgängerstreifen, dass die Ampel auf grün schaltete. Ich habe abgebremst und auf seiner Höhe angehalten. Ich habe mein Wagenfenster hinuntergekurbelt, als ob ich ihn um eine Auskunft bitten möchte. Er hat sich zu mir heruntergebeugt. Eine Sekunde lang glaubte ich, er würde mich wiedererkennen. Mit der gleichen Stimme, die er im Supermarkt gehabt hatte, etwas beschwingter vielleicht, sagte der junge Mann: Kann ich Ihnen helfen? Ich habe ihm bedeutet, ich höre schlecht. Wie gewünscht, steckte der junge Mann den Kopf ins Wageninnere und wiederholte, immer noch lächelnd, seine Frage. Eine sympathische Miene aufsetzen und ihn dann am Kragen packen und zu mir heranziehen. Ihn schön direkt im Auge haben, schön gegenüber, schön im Griff, ein paar wenige Zentimeter von mir weg, und ihm aus vollen Kräften feucht in die Schnauze belfern: Arschloch. Der junge Mann hätte sich heftig losgerissen, wäre mit dem Kopf gegen die Wagentür geprallt, in einem dumpfen, starken Knall. Blut wäre hinausgespritzt. Mit einem einzigen, blutigen Wort, einem Wort, das gleich in der ersten Sekunde hätte kommen müssen, wäre alles wieder an seinen Platz gerückt. Ich hätte ihm nachgeschaut, hätte ihn weggehen sehen, verstört, Rotes auf dem Gesicht, auf den Kleidern, taumelnd, ein aufgeplatzter Augenbrauenbogen, Besseres vielleicht. Der junge Mann hätte sich mulmig gefühlt in seiner Haut, meine Stimme in ihn eingeätzt. Ich wäre losgeprescht wie ein Held aus der Krimiserie, mit diesem wohltuenden Arschloch, das im Wagengehäuse geträllert, auf den Sitzen herumgetanzt hätte, und der andere wäre zu Boden gestürzt, darniederliegend, unrühmlich ungeniert, so hätte ich ihn zum letzten Mal in meinem Rückspiegel gesehen.
Die Stimme war wieder da, liebevoll: Kann ich Ihnen helfen? Ich habe den jungen Mann angeschaut, seine blendende Weisse, sein freundschaftlich auf mich gerichteter Blick, seine schwarzen Haarsträhnen, seine Augen, die grau waren wie der See vor einem Gewitter, seine schmalen Handgelenke, seine schlanke Gestalt. Doch vor allem hörte ich den Klang seiner Stimme, eine schöne Stimme, ehrlich gesagt, eine sinnliche Stimme, die weiterhin fragte, ob sie mir helfen könne, diese Stimme, die man nur lieben konnte, wie Yannis das Lächeln seines Clochards nur lieben konnte. Ich erkannte diese Stimme, sie war mir vertraut, sie ähnelte zum Verwechseln der Stimme meines Sohnes, die Stimme dieses jungen Mannes verschmolz mit der Stimme von Gustave, dasselbe Timbre, derselbe Atem. Ich habe dem jungen Mann gedankt, habe ihm zugelächelt, ich habe es geschafft, ihm zu sagen, ich hätte mich geirrt, vollkommen geirrt, doch ich sei froh. Er hat gelacht und sich wieder auf den Weg gemacht. Ich habe ihm nachgeschaut, wie er die Strasse überquerte, seine grazile Gestalt, sein prinzlicher Gang. Ich hoffte, er würde sich umdrehen. Er hat sich umgedreht und mir zugewinkt.
1 Emil Michel Cioran (1911 – 1995), rumänischer Schriftsteller und Philosoph, lebte ab 1937 in Paris: Aveux et anathèmes
2 Mario Trejo (1926 – 2012), argentinischer Poet und Dramatiker
3 Joseph Joubert (1754-1824), fanzösischer Moralist, u.a. Sekretär von Diderot
4 Berthold Brecht (1898 – 1956), deutscher Dramatiker und Lyriker
5 Rémy de Gourmont (1858 – 1915), französischer Schriftsteller und Journalist
6 Pierre-Joseph Proudhon (1809 – 1865), französischer Ökonom und Soziologe
7 Joseph de Maistre (1753 – 1821), französischer Staatsmann, Schriftsteller und Philosoph
8 Emil Michel Cioran (1957-1972), rumänischer Philosoph und Aphoristiker: Carnets 1957–1972
9 Fernando Pessoa (1888 – 1935), portugiesischer Dichter und Schrifsteller: Erostrate
10 Shakespeare (1564 – 1616), englischer Dramatiker, Lyriker und Schauspieler: Hamlet
11 Aischylos (525 v. Chr. – 465 v. Chr.), Dichter der griechischen Tragödie: Agamemmnon
12 Gustave Flaubert, (1821 – 1880), französischer Romancier: Lettre à Louise Colet
13 Primo Levi (1919 – 1987), italienischer Schriftsteller und Holocaust-Überlebender: Si c’est un homme
14 Die Wortspiele, mit der sich der Erzähler an dieser Stelle über seine weniger »gebildeten« Mitmenschen lustig zu machen beliebt, wären ihm im Deutschen um einiges schwerer gefallen. Wie die in Klammer hinzugefügte Übersetzung deutlich macht, sind die Verwechslungsmöglichkeiten aufgrund einer teilweisen Homophonie (wie bei cahoteux und chaotique) oder aufgrund der diskreten Variante eines Lehnworts aus dem Lateinischen (immutabilité und immuabilité), wie auch aufgrund der wenig üblichen Bildung eines Adjektivs oder eines Substantivs im Deutschen viel weniger gegeben, vor allem deshalb, weil die meisten Lehnwörter für den gängigen Sprachgebrauch ins Deutsche übersetzt worden sind. Nur in der Fachterminologie haben sich die Lehnwörter erhalten.
Damit werden die Begriffe im Deutschen für jedermann unmittelbar, konkret verständlich – demokratisiert könnte man sagen! Das Französische, als eine lateinische, aber auch höfische Sprache verrät hier ein geschichtlich gewachsenes Potenzial der Herrschaftsausübung durch das Vokabular, für das es im Deutschen keine derart in den Begriffen selbst verankerte Parallele gibt. Entsprechend wird die Übersetzung dem deutschsprachigen Leser diese Erfahrung also nicht adäquat vermitteln können. Daher auch die Entscheidung, die französischen Begriffe beizubehalten und ihnen nur eine wörtliche Übersetzung hinzuzufügen. (Anm. d. Übers.)
15 Friedrich Nietzsche (1844 – 1900), deutscher klassischer Philologe: Menschlich Allzumenschliches – Ein Buch für freie Geister
16 Flaubert (1821 – 1880), französischer Schriftsteller: Briefe an Louise Colet
17 Raoul Vaneigem (*1934), belgischer Autor und Kulturphilosoph
image

Der Autor

Michel Layaz, geboren 1963 in Fribourg, lebt in Lausanne und Paris. Seit 1993 hat er in regelmässiger Folge Romane und Erzählungen veröffentlicht. Darunter Les larmes de ma mère (2003), der mit dem Prix Dentan ausgezeichnet wurde, Cher Boniface (2009), Les deux soeurs (2011), Le Tapis de course (2013) und 2016 Louis Soutter, probablement, alle bei Editions Zoé erschienen. Er gilt als einer der wichtigsten Westschweizer Autoren seiner Generation. 2014 erschien Die fröhliche Moritat von der Bleibe (La joyeuse complainte de l’idiot), übersetzt von Yla M. von Dach. Auf dem Laufband ist der zweite Roman im verlag die brotsuppe.

Die Übersetzerin

Yla M. von Dach lebt als freischaffende Autorin, journalistische und literarische Übersetzerin in Biel und Paris. Sie hat zahlreiche Westschweizer Autorinnen und Autoren (u.a. Nicolas Bouvier, Sylviane Chatelain, François Debluë, Marie-Claire Dewarrat, Sandrine Fabbri, Henri Roorda, Alexandre Voisard) sowie Lyrik und dramatische Texte übersetzt. Für ihre Übersetzung Melken mit Stil von Jean-Pierre Rochat erhielt sie 2016 den Terra-Nova Schillerpreis für literarische Übersetzung. Eigene Veröffentlichungen: Geschichten vom Fräulein, Niemands Tage-Buch (Prosa), PhiloZoo (Verse).
image
Michel Layaz
Die fröhliche Moritat von der Bleibe
Roman
übersetzt von
Yla M. von Dach
128 Seiten, gebunden
CHF 25 /
ISBN 978-3-905689-51-8
www.diebrotsuppe.ch

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. 22. August
  6. 23. August
  7. 26. August
  8. 30. August
  9. 3. September
  10. 7. September
  11. 9. September
  12. 12. September
  13. 17. September
  14. 19. September
  15. 24. September
  16. 26. September
  17. 28. September
  18. 5. Oktober
  19. 12. Oktober
  20. 17. Oktober
  21. 20. Oktober
  22. 12. November
  23. 15. November
  24. 18. November
  25. 22. November
  26. 24. November
  27. 2. Dezember
  28. 4. Januar
  29. 11. Januar
  30. 28. Januar
  31. 5. Februar
  32. 9. Februar
  33. 18. Februar
  34. 20. Februar
  35. 22. Februar
  36. 24. Februar
  37. 2. März
  38. 3. März
  39. 6. März
  40. 7. März
  41. 14. März
  42. 20. März
  43. 27. März
  44. 5. April
  45. 9. April
  46. 11. April
  47. 14. April
  48. 20. April
  49. 21. April
  50. 22. April
  51. 23. April
  52. 26. April
  53. 2. Mai
  54. 4. Mai
  55. 11. Mai
  56. 15. Mai
  57. 18. Mai
  58. 19. Mai
  59. 21. Mai
  60. 24. Mai
  61. 26. Mai
  62. 27. Mai
  63. 1. Juni
  64. Notes
  65. Der Autor
  66. Die Übersetzerin
  67. Weitere E-Books von Brotsuppe