Echo
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Echo

  1. 240 Seiten
  2. German
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Über dieses Buch

Der lang erwartete neue Roman des Autors von "Schneetage"Er ist ein Weggeher, sie eine Zuhausebleiberin, und trotzdem sind sie Freunde: Während einer Klassenfahrt an die polnische Ostsee im Spätsommer 1989 nimmt die Geschichte zwischen Gesa und Tom, dem Gitarristen der Schulband, ihren Anfang, später trennen sich die Wege der beiden und kreuzen sich doch immer wieder. Tom konzentriert sich auf seine Musikerkarriere und reist mit seiner Band um die Welt. Gesa bleibt in Flensburg, gründet eine Familie und ist da, wenn ihr alter Freund zu Besuch kommt. Ihr Gästezimmer im Gartenhaus wird Toms Ankerpunkt, dort hören die beiden zusammen Musik und teilen die alte Nähe. Zwischen Toms seltenen Besuchen sind die Postkarten, die er Gesa von unterwegs schreibt, ihre einzige Verbindung.Eines Tages steht für Toms Band ein wichtiger Auftritt bevor, der den musikalischen Durchbruch bedeuten könnte. Doch es kommt anders als geplant, und die Freundschaft zwischen Tom und Gesa wird auf eine harte Probe gestellt.Mit großem Einfühlungsvermögen und viel Spannung zwischen den Zeilen entwickelt Jan Christophersen die Geschichte zweier Menschen, die eigentlich Seelenverwandte sind, aber doch nie ganz zueinanderfinden. Gekonnt fängt der Autor das Schwanken zwischen Nähe und Distanz ein; er erzählt von genutzten und ungenutzten Möglichkeiten, von den Grenzen, die zu einer Persönlichkeit gehören, und davon, wie schwer es ist, füreinander da zu sein, ohne den anderen zu verletzen.

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783866483064

ZWEI

1999

1

Gesa selbst hätte nicht zu sagen gewusst, wann sie das Haus zum letzten Mal allein verlassen hatte. Es musste etliche Monate her sein. Ganz sicher war es im vergangenen halben Jahr nicht passiert, aber es fiel ihr sogar schwer, sich an eine Gelegenheit davor zu erinnern. Das Seltsame war, dass sie es anscheinend nicht vermisst hatte. Nicht ein einziges Mal war in ihr der Wunsch aufgekommen, etwas allein zu unternehmen; zumindest konnte sie sich im Moment nicht entsinnen. Auf ihr Gedächtnis war in letzter Zeit allerdings wenig Verlass, was sicher mit dem chronischen Schlafmangel zu tun hatte. Heute jedoch war es anders, heute wollte sie weg, allein. Da war sie sich sicher. Sie war verabredet.
Schneller als nötig lief sie den Gang zwischen ihrem und dem Nachbargrundstück hinunter, und obwohl sie sich etwas anderes vorgenommen hatte, drehte sie sich im Gehen noch einmal um und suchte die Fenster ihres Hauses nach Bewegungen ab. Versuchte jemand, ihr von dort aus Zeichen zu geben? Es war die letzte Chance dafür, gleich würde sie außer Sichtweite sein, und dann müssten sie wohl oder übel ohne sie zurechtkommen. Doch Gesa war sich bewusst, dass sie schon jetzt nicht mehr hätte umkehren können. Sie musste und wollte gehen, beschleunigte ihren Schritt und kam sich in diesem Augenblick wie auf der Flucht vor.
Dabei war natürlich alles von langer Hand geplant. Sie hatte Sascha genau instruiert und ihm gezeigt, was er wissen musste, mehrfach sogar. Wo er Feuchttücher finden könnte, falls sie ihm ausgingen, Lätzchen, das Thermometer fürs Fläschchen, die vorportionierten Milchvorräte im Kühlschrank, die sie gestern Abend und heute früh abgepumpt hatte, sowie die eingefrorenen im Tiefkühler.
»Du kommst doch wieder zurück?«, hatte Sascha angesichts der Menge an Plastikgefäßen gefragt und gleich hinzugefügt: »In zwei Stunden, wenn ich richtig informiert bin?« Daraufhin hatte sie dem Blick standhalten müssen, mit dem er sie bedachte. Als wäre sie verrückt geworden.
Sascha hatte sich erklärtermaßen auf die Stunden gefreut, die er an diesem Mittag mit seiner kleinen Tochter allein verbringen konnte. Selten genug hatte er Gelegenheit dazu. Immer war Gesa in der Nähe, mindestens in Hörweite, hielt sich im Nebenzimmer auf oder bemühte sich, im Wohnzimmersessel eine Viertelstunde die Augen zu schließen. Sogar noch kurz vor ihrem Aufbruch, als sie sich im Flur die Schuhe anzog, hatte Sascha ihr bestätigt, wie sehr er sich freue.
»Mach dir mal keine Sorgen um uns.«
Aber das tat sie gar nicht. Vielmehr hatte sie bis zuletzt die Befürchtung gehegt, dass noch etwas dazwischenkommen könnte. Ein plötzlicher Fieberschub bei Ida. Sascha, der aus Übermut die Treppe hinunterstürzt. Sie selbst, die es trotz allem nicht über sich bringt, das Haus ohne ihre Tochter zu verlassen. Aber alles war glattgegangen, sie war auf dem Weg und jetzt sicher auch nicht mehr vom Haus aus zu sehen.
Vom Hafen schallte Musik herüber oder vielmehr ein Grollen, das schwer zu unterscheiden war vom Straßenlärm, den der Mittagsverkehr auf dem Hafendamm machte. Gesa überlegte, zu welcher Band dieses Geräusch am wahrscheinlichsten gehörte. Eher Abrakadabra oder The Adrenalins? Oder etwa doch schon No Tunes? Sie kannte keine dieser Bands, hatte aber ihre Namen auf den Ankündigungsplakaten der School’s-Out-Party gelesen, die heute, am letzten Schultag vor den Sommerferien, am Hafen gefeiert werden sollte. Zu ihrer Zeit hatten sich die Schüler nach Unterrichtsschluss noch mitten in der Einkaufsstraße getroffen und an der Holmnixe die auf dem Weg besorgten Biere und Sektflaschen leer getrunken, bis alle besoffen genug waren, um nach Hause zu wanken, bereit für die Ferien und insbesondere für die Zeugnispräsentation vor den Eltern. Mittlerweile jedoch war der Ferienbeginn der Aufhänger für eine professionell organisierte Party, mit Musikbühne und Getränkewagen, unten an der Hafenspitze, gesponsert von irgendeinem Bierfabrikanten und ins Leben gerufen von einem ihrer ehemaligen Mitschüler, der das Potenzial erkannt hatte. Seit knapp einer Woche hingen die Ankündigungsplakate überall in der Innenstadt; das wusste Gesa, weil sie selbst Plakate geklebt hatte, nicht für diese Party, sondern für das morgige Konzert der Wiltons, Toms Band, die im Kühlhaus das Eröffnungskonzert ihrer kleinen Deutschland-Tour geben würde. Deshalb würde Tom auch heute in die Stadt kommen, endlich einmal wieder. Es war viel zu lange her, dass sie sich gesehen hatten.
Als Gesa die Kreuzung an den Kieler Anlagen überquerte, fiel ihr ein Mann auf, der vor der Plakatwand unter der Eisenbahnbrücke stand. Eine Cordjacke trug er, Jeans, grüne Chucks, die kinnlangen Haare hingen ihm ins Gesicht. Er starrte auf zwei Plakate, die Gesa selbst vor einigen Tagen dorthin geklebt hatte, dabei den Kinderwagen schuckelnd, in der Hoffnung, dass Ida nicht aufwachte. Der Mann strich sich die Haare hinter die Ohren. Eine runde Sonnenbrille trug er. Mit einem Mal griff er nach einem der Plakate, fuhr mit den Fingern dahinter und riss es mit einer schnellen Bewegung ab. Gesa traute ihren Augen nicht.
»Hey«, rief sie und beschleunigte ihren Schritt. »Lassen Sie das.«
Der Mann drehte sich in ihre Richtung, schob in aller Ruhe die Sonnenbrille auf seine Stirn und griff mit der freien Hand nach dem zweiten Plakat, das er ebenfalls herunterriss.
»Tom?«, sagte Gesa im Näherkommen. »Was machst du denn da?«
Beidhändig knüllte er die Plakate zusammen und stopfte sie in den Rucksack zu seinen Füßen. Jetzt erst fiel Gesa der Gitarrenkoffer auf, der gegen die Plakatwand gelehnt war.
»Wer kommen will, weiß es doch längst«, sagte Tom.
»Und die, die es nicht wissen, hätten es hier noch erfahren können«, sagte Gesa. »Das Konzert ist doch erst morgen Abend.«
»Hast recht.« Sie standen jetzt voreinander. »Ich fand trotzdem, dass die Plakate besser ab sollten.«
Bevor Gesa noch etwas einwenden konnte, trat Tom auf sie zu und umarmte sie, und wieder einmal dachte sie, dass sie das so nur bei ihm erlebte: umarmt zu werden, fast ohne jede Berührung. Noch in der Bewegung drehte Tom sich weg und tauchte ab, und nur an den Schultern hatte Gesa einen Moment lang seine Hände gespürt, die er dort für Sekunden hatte ruhen lassen. So war es immer mit ihm. Obwohl Tom ihr stets mit geöffneten Armen entgegenkam, vermittelte er gleichzeitig den Eindruck, dass sie im Begriff standen, eine Grenze zu überschreiten, die besser nicht überschritten werden sollte. Gesa unterdrückte daher den Wunsch, sich ihm in die Arme zu werfen. Tom mochte das nicht, hatte es noch nie gemocht, und sie musste das akzeptieren.
»Lange her«, sagte Tom, als sie wieder voreinanderstanden. Voller Ungeduld schien er auf die Worte zu warten, die sie stets zur Begrüßung sagte, wenn er sie besuchen kam. Aber Gesa ließ ihn zappeln.
»Wieder mal zu Hause?«, fragte sie schließlich.
Tom nickte. »So könnte man das nennen.«
Es waren weniger Zuschauer da, als sie erwartet hatte; gut möglich, dass ein Großteil bereits gegangen war, um den Ferienbeginn nicht unnötig hinauszuschieben. Die Bühne wurde gerade umgebaut, schwarz gekleidete Jungs trugen ihre Verstärker und Instrumente herunter, die Gesichter jeweils hälftig weiß und schwarz bemalt, dazu grellrote Lippen. Schreiende Münder und prall gefüllte Spritzen prangten auf ihren T-Shirts. Es musste sich um die Adrenalins handeln, die es offenbar fertiggebracht hatten, den Platz an der Hafenspitze leer zu spielen. Nur noch vereinzelte Schülergrüppchen standen vor den Getränkewagen, die Rucksäcke bereits geschultert, das letzte Bier in der Hand.
Gesa und Tom blieben in einiger Entfernung von der Bühne stehen. »Seltsam«, sagte Gesa, »aber wenn ich so was hier sehe, komme ich mir immer unglaublich alt vor. Obwohl es doch noch gar nicht so lange her ist.«
»Fühlt sich aber so an, oder?«, sagte Tom. »Willst du was trinken?«
»Ja, warum nicht.«
»Ich schau mal nach, was die haben.«
Tom stellte Rucksack und Gitarrenkoffer neben ihr ab und ging zu einem der Getränkewagen hinüber. Gesa nutzte die Gelegenheit, den ramponierten Solidarność-Aufkleber aus der Nähe zu betrachten, der an der Seite des Koffers klebte, immer noch. Für sie war er wie ein Gruß aus der Vergangenheit. Nach solchen suchte sie bei jedem ihrer Wiedersehen mit Tom, denn sie wollte sicherstellen, dass alles beim Alten geblieben war. Sie brauchte diese Form der Vergewisserung, selbst wenn sie nur auf kleinen Hinweisen beruhte. Insgeheim nämlich hegte sie die Theorie, dass jemand wie Tom, der dauernd unterwegs war und mit entsprechend vielen Menschen zu tun hatte, sich notwendigerweise anpasste und Eigenheiten ablegte, um nicht ständig anzuecken. Gesa war durchaus bewusst, dass sich diese Theorie ebenso gut umkehren ließ – wer ständig mit den gleichen Leuten zu tun hatte, war gezwungen, sich anzupassen –, doch in ihrem Kopf blieb es dabei: Viel unterwegs zu sein, war in ihrer Vorstellung etwas Gefahrvolles für die Persönlichkeit.
Und wo Tom nicht überall schon gewesen war, allein im letzten Jahr: Amsterdam, Malmö, Krakau, Århus, London – und das waren nur die Auslandsaufenthalte, von denen sie wusste; dazu kamen die Konzerte im Inland, bei denen sie regelmäßig den Überblick verlor, obwohl sie sich bemühte, auf dem Laufenden zu bleiben. Heute war Tom geradewegs aus Finnland angereist, aus Tampere, einer Stadt, von der sie bis zu Toms Anruf letzte Woche noch nie etwas gehört hatte. In einem Musikclub dort hatten die Wiltons mehrere Tage hintereinander gespielt, im Paapan Kapakka, nicht groß, wenige Zuhörer, es waren wohl eher eine Reihe öffentlicher Proben gewesen. Tom hatte ihr wie immer eine Karte aus der Stadt geschickt, eine Industrieanlage war darauf abgebildet gewesen, rauchende Schlote. Die Finnen spinnen, hatte er geschrieben, mehr nicht, und Gesa hatte wieder einmal Anlass gefunden, darüber nachzugrübeln, wie es sich für sie anfühlen würde, so viel zu reisen wie Tom. Allein um nicht vor Heimweh zu verkümmern, hätte sie sich mehr als zusammenreißen müssen, und für sie war es schwer vorstellbar, dass es anderen anders ging. Sie hatte schon so oft über diese Dinge nachgedacht, eigentlich immer, wenn eine Karte von Tom kam, besonders aber, wenn er sie besuchte. Er und sie, der Weggeher und die Zuhausebleiberin.
Tom machte sich die Entscheidung vor dem Getränkewagen offenbar nicht leicht. Er studierte ausdauernd die Angebotsliste und vertröstete mehrfach die Frau hinter der Theke, die nach seiner Bestellung fragte. Als er sich endlich entschieden hatte und sich mit den Getränken auf den Rückweg machen wollte, wurde er von einem der Musiker aufgehalten, der schwer beladen mit einer Box vor ihm stehen blieb. Der Musiker wirkte begeistert, Tom hier anzutreffen, erzählte ihm so einiges, und Tom nickte freundlich zu allem. Den Lippenbewegungen nach zu urteilen, wünschte er ihm zum Abschied toi, toi, toi.
»Hier«, sagte Tom und reichte Gesa einen der Becher. »Ananassaft. Das benutzen die sonst für einen Cocktail.«
»Da ist aber kein Alkohol drin, oder?«
»Natürlich nicht.« Tom sog an seinem Strohhalm. »Du stillst doch noch.«
Gesa fuhr zusammen. Hatte Tom, als er das sagte, tatsächlich mit seinem Becher auf ihre Brüste gedeutet? Und hatte er außerdem dieses Wort benutzt, das sie nicht ausstehen konnte: stillen? Instinktiv schob Gesa die Schultern vor und bemühte sich, die plötzliche Gefühlswallung zu kontrollieren, die sie überkam, denn zielgenau hatte Tom mit diesem einen Wort einen wunden Punkt bei ihr getroffen, mit dem sie seit Monaten haderte. Es ging weniger um den eigentlichen Vorgang des Stillens – obwohl auch der ihr nicht immer angenehm war –, sondern tatsächlich um dies so friedlich klingende Wort, das Gesas Ansicht nach unbrauchbar war, um zu beschreiben, was den Vorgang ihrer Erfahrung nach ausmachte, nämlich unvereinbare Empfindungen wie Nähe und Ausgeliefertsein...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. EINS 1989
  6. ZWEI 1999
  7. DREI 2004
  8. CODA
  9. Über das Buch
  10. Weitere Bücher von Jan Christophersen
  11. Weitere eBooks aus dem mareverlag