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Weibliche Körper im Kapitalismus - Nautilus Flugschrift

  1. 128 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Weibliche Körper im Kapitalismus - Nautilus Flugschrift

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Unsere Kultur ist besessen von der Kontrolle über den weiblichen Körper, sie quillt über von Darstellungen unwirklicher weiblicher Schönheit. Gleichzeitig weidet sich die Presse an magersüchtigen Starlets, schwangeren Unterschichts-Teenagern und feuchten Schoßgebeten. Laurie Penny, angry young woman und Star der englischen Bloggerszene, legt den Finger auf die Wunde: "Man erwartet von uns, dass wir selbstbewusst auftreten und sexuell allzeit verfügbar wirken, aber wir sollen uns schämen und werden geächtet, wenn wir Arroganz, Ehrgeiz oder erotisches Verlangen zeigen. Riot, don't diet"

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Information

Jahr
2012
ISBN
9783864380747

1. Anatomie der modernen Frigidität

»Sex sells. Das ist unsere Rechtfertigung
für alles. Jede Industrie ist Sexindustrie.«

Ariel Levy
Die sexuellen Körper der Frauen sind außer Rand und Band. Schauen Sie sich einmal um: Teenager, die Ingwerbier trinken und Picknicks veranstalten sollten, tragen Thongs und hören Lily Allen.2 Kinder durchwühlen verbotenerweise gegenseitig ihre pornografischen Schulmäppchen. Babys kommen heute mit dem Playboy-Häschen auf den Augäpfeln zur Welt. Selbst schuld, die kleinen Luder, was schauen sie auch schon so früh in die Zukunft?
Folgt man Ariel Levy und ihrem 2006 erschienenen Text Female Chauvinist Pigs, so sind sich die westlichen Gesellschaften nunmehr darin einig, dass die Art von Sexualität, die jungen Frauen im 21. Jahrhundert verkauft wird, weder positiv noch selbstwirksam sein soll. Die durch Frauenmagazine, GoGo-Tanz und Girls Gone Wild-Filme (GGW) geprägte ›Vulgärkultur‹ (raunchculture) ist ohne Frage ein Kontrollmechanismus.3 Der patriarchale Kapitalismus ermutigt junge Frauen, sich auf monetarisierte und geruchlose sexuelle Transaktionen einzulassen, und zwar unter dem Deckmantel von ›freier Wahl‹ und ›Selbstermächtigung‹, obwohl die ökonomische Grundlage jeder sexuellen Arbeit, egal ob bezahlt oder nicht, ignoriert wird.
Sich der Vulgärkultur zu entziehen, ist jedoch keine ausreichende Antwort auf die Marginalisierung des weiblichen Körpers in der heutigen Gesellschaft. Hochglanzmagazine, in denen viel nackte Haut gezeigt wird, und Striptanz sind Symptome des Problems, aber sie sind nicht das Problem. Die Gruppierungen des zeitgenössischen Feminismus, die ihre Bemühungen darauf konzentrieren, böse Briefe an die Herausgeber von Magazinen wie Nuts und Playboy zu schreiben, sind so fadenscheinig wie der ausrangierte Thong einer Stripperin. Um die Mechanismen der Verdinglichung und körperlichen Marginalisierung zu verstehen, die dafür verantwortlich sind, dass der Kampf der Frauen weitergeht, müssen wir eine etwas ehrgeizigere Sicht auf die Dialektik des Sexuellen entwickeln.

Die Kehrseite der Sexualisierung

Wenn über Frauen von heute und ihre Sexualität berichtet wird, so wird sie meist mit einer Art Hurerei in Verbindung gebracht. Allmählich wird der Erwachsenenwelt klar, dass das Aufwachsen in einem Hagelsturm von Medienbotschaften, die die Verfügbarkeit der weiblichen Erotik propagieren, für die jungen Frauen, die mit ihren sexuellen Gefühlen ringen und ängstlich darum bemüht sind, keinesfalls das beschämende Etikett »Schlampe« verpasst zu kriegen, ziemlich verwirrend sein kann. Dieselbe Dialektik geißelt junge Frauen als schamlose Nutten, die rumvögeln, komasaufen und ihre wertlosen Schulabschlüsse mit runtergelassenen Schlüpfern in den Rinnstein kotzen. Offenbar unfähig, in ein Hochglanzmagazin zu gucken, ohne schwanger, anorektisch oder beides zu werden, firmieren die jungen Frauen von heute als besondere Objekte des Mitleids und der Verachtung. Das schadenfrohe Entsetzen über weibliche Promiskuität wird von rechten und linken Experten gleichermaßen kultiviert und hat wenig mit Feminismus zu tun.
»Es gab durchaus einen Wandel im Sexual verhalten junger Frauen, aber er ist lange nicht so dramatisch, wie die Medien ihn darstellen«, sagt die Wissenschaftlerin Dr. Petra Boynton, die Sexualerziehung unterrichtet. »Die meisten jungen Menschen verlieren ihre Jungfräulichkeit nach wie vor erst nach ihrem 16. Geburtstag. Schaut man die Generation der heute Vierzig- und Fünfzigjährigen an, so hatten auch etliche von denen in ihrer Jugend ziemlich viel Sex, oft ungeschützt. Als Erwachsene sind wir schnell dabei, auf junge Menschen runterzuschauen und zu sagen: ›Oh Gott, sind die furchtbar.‹ Viele Gespräche, in denen scheinbar Sorge um die Jugendlichen zum Ausdruck kommt, enden letztlich damit, dass über ihr Verhalten moralisiert und verhandelt wird, was sie anziehen, sagen und tun und lassen sollten.«
Natürlich beinhaltet diese Auffassung der sexualisierten Opfer auch einen Klassenaspekt. Die händeringenden Artikel über Teenagerschwangerschaften in Boulevardzeitungen werden immer begleitet von Fotos von ketterauchenden und finster blickenden jungen Frauen, die ihren Kinderwagen durch einen heruntergekommenen Problembezirk schieben. Natürlich sind die Fotos mit Models nachgestellt. In respektablen Zeitschriften und politischer Rhetorik kommt diese Auffassung als Anspielung auf ›Mädchen aus benachteiligten Bezirken‹ zur Hintertür herein. ›Sexualisierung‹ ist schön und gut, wenn Eltern aus der Mittelklasse kistenweise Champagner für den 16. Geburtstag ihrer pubertierenden Sprösslinge ordern, aber schlichtweg unerträglich, wenn Kids aus der Arbeiterschicht versuchen, sich mit Hip-Hop und Sex die Kante zu geben. »Die Wahrnehmung geht dahin, dass nur bestimmte junge Mädchen schwanger werden«, erklärt Boynton. »Es sind die bösen Mädchen, die kurze Röcke tragen und die Stadt unsicher machen. Klasse wird oft mit den schlimmsten Aspekten negativer Geschlechterklischees assoziiert.«
2009 hatte der Fotograf einer Boulevardzeitung ein Bild der 20-jährigen Referendarin Sarah Lyons veröffentlicht, die im Stadtzentrum von Cardiff mit einer um die Fußknöchel schlotternden Unterhose herumalbert. Das führte dazu, dass sich die weltweite Missbilligung des Weiblichen auf ihre Person konzentrierte. Es spielte dabei keine Rolle, dass sie überhaupt nichts Anstößiges zeigte, auch nicht, dass Tanzen mit einem Schlüpfer an den Knöcheln rechtlich nicht zu beanstanden ist und dass das Höschen, um das es ging, überhaupt nicht ihre Unterwäsche war, sondern eine Scherzartikel-Unterhose mit David-Hasselhoff-Aufdruck, die eine Freundin in einer Bar aufgelesen hatte. Egal war auch, dass die arme Sarah Lyons gerade Antibiotika einnehmen musste und daher zu dem Zeitpunkt, als das Foto entstand, stocknüchtern war: Das neue Pin-up des komasaufenden Mannweibes wurde vom Dienst suspendiert und hatte ein Disziplinarverfahren am Hals – wegen des zweifelhaften Verbrechens, in der Öffentlichkeit Spaß gehabt zu haben.
Die fragliche Zeitung war The Sun des Medienkonzerns News Corporation von Rupert Murdoch. Auf der berühmten Seite drei dieser Zeitung werden andererseits jeden Tag barbusige Models aus der Glamourwelt abgebildet, was Bestandteil einer gesellschaftlichen Dialektik ist, die nur dann ein Problem mit in Unterhosen auf der Straße tanzenden Frauen hat, wenn diese für ihren Auftritt nicht bezahlt werden. Den Sturm der öffentlichen moralischen Empörung, die dem Foto folgte, nutzte der Kolumnist Quentin Letts, um den Feminismus anzuprangern, der angeblich »eine ganze Generation von weiblichen Trampeln mit locker sitzenden Schlüpfern« hervorgebracht habe.
»Das britische Mädchen ist zur ›Ladette‹ (Mannweib) mit aufgedunsenem Gesicht und Gänsehaut an den nackten Beinen verkommen, die am Wochenende auf ihrem Weg zur Disko und zum ersehnten Fick lautstark über den Asphalt klackert… Die ältere Generation würde diese Frauen als ›Flittchen‹ bezeichnen – zu Recht!«4
Letts war mit seiner Lästertirade über die fetten Frauenkörper und die unmöglichen Klamotten, mit der er jede Frau als Nutte brandmarkt, die versucht, ihr sexuelles Begehren zu artikulieren, aber noch nicht zufrieden, sondern fuhr fort, nachdem er ausführlich und aufgeregt auch über Teenagerschwangerschaften, den Niedergang der traditionellen Ehe, Drogen, freie Liebe und Einwanderer als Symptome des vermeintlich pandemisch um sich greifenden Niedergangs des weiblichen Geschlechts hergezogen war, den Feminismus als Ursache aller sozialen Übel anzuprangern. Es spielt dabei keine Rolle, dass die Horden von geifernden Jungamazonen, die angeblich in der primitiven Brünftigkeit ihrer trüben, versoffenen und Flaschen schwingenden Schwanz-Ekstase durch die Straßen unseres ruhmreichen Landes streunen, letztlich niemanden belästigen: Nach wie vor werden nur 14% aller Gewaltverbrechen in Großbritannien und Amerika von Frauen begangen, aber dennoch gibt man uns die Schuld am sozialen Niedergang. Dabei ist das Einzige, was wir niederreißen wollen, das morsche Gebäude der moralischen Beurteilung und der sexuellen Repression.

Die neue Spaßpolizei

Dieser wiederauferstandene Puritanismus wird von der absoluten Libertinage, auf der die moderne Kultur besteht, makaber konterkariert, sodass jede offene Infragestellung der erotischen Glaubenssätze der Werbe- und Pornoindustrie als ›Spaßbremse‹ betrachtet wird: als lustfeindliche Ablenkung von der aufsteigenden Utopie eines befreiten Hedonia in der westlichen Welt. Die Frigidität der merkantilen Erotik ist der Geist bei diesem Festmahl, weshalb fast jede öffentliche Diskussion über Sexualmoral daran scheitert, zwischen dem in der Konsumgesellschaft üblichen Handel mit unmenschlichen sexuellen Phantombildern und richtigem Sex zu unterscheiden. Die Vermutung hinter der von den aufgeblasenen Wortführern der ›Familienwerte‹ dahergebeteten Moralbotschaft ist, dass wir immer mehr echten Sex, im Sinne von feucht und stöhnend, haben wollen, weil wir von erotisch aufgeladenen Bildern umgeben sind. Dies ist überhaupt nicht der Fall. Was uns umgibt, ist nicht Sex an sich, sondern die Illusion von Sex, eine Airbrush-Fantasie von Sexualität mit erzwungenem Spaßfaktor, die so steril wie umbarmherzig ist.
Die Werbung umgibt uns mit Bildern, die sinnliches Vergnügen darstellen sollen: Von den Spots für Kräuteressenzen bis hin zur kultigen Kampagne zum 40. Geburtstag der Müsliriegel von Cadbury werden uns die Gesichter von weißen Frauen präsentiert, die Lust simulieren und sich mit leicht geöffneten Lippen und elegant geschlossenen Augen abwenden, als ob die orgasmische Wirkung des fraglichen Produktes X sie beschämen würde.
Aber bei diesem Bild stimmt etwas nicht. Ein aktueller und sehr gelungener Akt von Gegenkultur im ursprünglichsten Sinne ist die Webseite Beautiful Agony, ein Gruppenprojekt, bei dem anonyme Teilnehmer kurze Videoaufnahmen ihrer Gesichter beim Orgasmus ins Netz stellen. Wenn man dem haarigen Motorradfreak aus Australien und den coolen Ladys mittleren Alters beim Knurren, Schnaufen und Grimassieren zusieht, was durchaus an brünstige Schimpansen erinnert, wird einem klar, wie groß die Lüge ist, die von der merkantilen Erotik am Leben erhalten wird. All diese Videoclips, von denen jeden Monat Hunderte ins Netz gestellt werden, haben eine Sache gemeinsam: Sie animieren den Betrachter in keinster Weise dazu, in den nächsten Laden zu eilen, um Schokolade zu kaufen.
Jean Baudrillard weist in La société de consommation darauf hin, dass es von größter Bedeutung ist, »das Erotische als allgemeine Dimension des Tauschs in unseren Gesellschaften klar von der eigentlichen Sexualität zu unterscheiden. […] Im ›erotisierten‹ Körper ist die soziale Funktion des Tauschs vorrangig. […] Hier irren alle zeitgenössischen Zensoren (oder wollen sich irren): In der Werbung und in der Mode verweigert sich der nackte Körper (der Frau oder des Mannes) als Fleisch, als Geschlecht oder als Ziel des Begehrens, vielmehr werden fragmentierte Teile des Körpers in einem weitreichenden Prozess der Sublimation instrumentalisiert, sodass das Heraufbeschwören des Körpers zugleich seine Verbannung ist. […] So bewegt sich das Erotische immer auf der Ebene der Zeichen und niemals auf der des Begehrens…5
Die von Baudrillard beschriebenen ›fragmentierten Teile des Körpers‹ sind in der zu Werbezwecken genutzten Erotik Schlüsselelemente: körperlose Teile, besonders von Frauen, werden zu fetischisierten Symbolen einer Sexualität, zu der die Frauen selbst keinen Zugang haben. Shampoolauge läuft über nackte Körper im Weichzeichner, Dessous spannen über idiotisch überdehnten Leisten und überall, auf Buchdeckeln, Müslipackungen und Schachteln mit Damenbinden, symbolisieren rumpflose Beine in High Heels mit Stilettoabsätzen den wohldurchdachten, auf Frauen abzielenden Konsumimperativ, der danach drängt, genuin erotische Impulse zu ersetzen. Und wie ernst es damit ist, hat O’Brien in George Orwells 1984 beispielhaft vorgeführt, der schwört, dass die herrschende Elite den Orgasmus abschaffen will. Orwell paraphrasierend kann man sich die Zukunft des Feminismus auch vorstellen wie einen Stilettoabsatz, der auf ein Frauengesicht niederfährt.

Erotisches Kapital lernen

Baudrillard unterscheidet zwischen erotischem Kapital und Sexualität an sich, und diese Unterscheidung muss bezüglich der zeitgenössischen sexuellen Verhaltensweisen als real verstanden werden. Junge Menschen, die mit dem Druck aufwachsen, in jedem Bereich ihres Lebens etwas zu leisten, finden sich in der Situation wieder, einer roboterhaften, kapitalistischen Erotik nachzueifern, die kaum etwas mit ihren eigenen legitimen Wünschen und Bedürfnissen zu tun hat.
Ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, wie ich als mürrische Vierzehnjährige genötigt wurde, mit anderen Mädchen meines Jahrgangs an einem Musical-Wettbewerb teilzunehmen, bei dem wir vor dem Rest der Schule eine eigene Version eines populären Musikvideos aufführten. Ziel der Aktion war, den ›Gemeinschaftssinn‹ zu stärken. Ich hatte für »No Feelings« von Offspring votiert, aber letztlich wurde entschieden, dass wir uns alle als ›Schulmädchen‹ kostümieren (natürlich nicht mit unseren echten Schuluniformen) und versuchen sollten, Britney Spears’ »Baby, One More Time« nachzumachen.
Die Mädchen, die sich gerade in einem heiklen Stadium ihrer Pubertät befanden, wurden mit künstlichen Brüsten aus Toilettenpapier ausgestattet, wir malten uns mit Kuli falsche Sommersprossen über unsere echten Sommersprossen und bildeten, als der Tag gekommen war, mit unseren Lippen die Worte des Liedtextes, in dem ein unbestimmtes männliches Geschöpf angefleht wird, gelegentlich undefinierte Akte sexueller Gewalt auszuüben. Das Publikum tobte. Wir waren weder gut, noch hatten wir es so gezielt verhunzt, dass wir Punkte für eine wunderbare Persiflage verdient hatten. Vielmehr war es ein miserabel koordinierter Auftritt von jaulenden Teenagern, die sich bemühten, erotische Gebärden nachzuäffen. Das Ganze wurde verschlimmert durch die Anwesenheit von drei unverschämten Schauspielschülerinnen in der ersten Reihe, die Kaugummiblasen machten und ihre Schlüpfer zeigten. Wie Britney, die zu dieser Zeit das Ende ihrer Pubertät noch vor sich hatte, produzierten wir mit unserem Auftritt eine bizarre Anmache und spielten mit einer Art Plastikversion erwachsener Sexualität. Wir bekamen an dem Abend den größten Applaus.
Und wir wurden disqualifiziert.
Was unser Auftritt für die elterlichen Preisrichter allzu deutlich und unerträglich machte, war unser unschuldiges Bestreben, dieses vorgeprägte erotisch-sexuelle Verhalten nachzumachen. Wir hatten schon von früher Kindheit an gelernt, dass unsere körperlichen Wünsche nur der unbedeutende Teil unserer sexuellen Entwicklung sind. Viel wichtiger für junge Menschen ist die Bildung und Bewahrung von erotischem Kapital.
Jugendliche Sexualität, wie sie von den älteren Generationen verstanden und vermarktet wird, ist auf einen ritualisierten Akt erotischer Anmache reduziert: eine erbitterte, unfrohe Pflicht, den richtigen Look zu kennen und das kokette Schmollen und gelegentliche teilnahmslose Rumvögeln draufzuhaben, das jeder junge Mensch praktizieren muss, der sozial – oder ökonomisch – nicht zurückbleiben will. Jugendliche werden nicht nur von der Porno- und Werbebranche in die Mangel genommen, die uns um jeden Preis sexualisieren will; vielmehr waren wir immer schon mehr als eine Zielgruppe. Was viele von uns deutlich wahrnehmen, ist, dass sexuelle Performanz und Selbstverdinglichung Formen von Arbeit sind: Aufgaben, die wir übernehmen und perfektionieren müssen, wenn wir vorwärtskommen wollen.
Pornografie ist Bestandteil des erotischen Pflichtdiskurses, und jede Diskussion um die ›Pornifizierung‹ der zeitgenössischen Jugendkultur muss diesen Kontext berücksichtigen. Die Pornoindustrie setzt allein in Amerika 14 Milliarden Dollar um, und das pornografische ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Inhalt
  6. Einführung. Körper als Marke
  7. 1. Anatomie der modernen Frigidität
  8. 2. Raum einnehmen
  9. 3. Geschlechtskapital
  10. 4. Drecksarbeit
  11. Fazit
  12. Danksagung