Traumschiff
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Traumschiff

  1. 320 Seiten
  2. German
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Über dieses Buch

"Vielleicht das letzte Radikalgenie."Frankfurter Allgemeine ZeitungDas Leben ist ein Traum! Ist es das? Gregor Lanmeister, einst ein erfolgreicher, wenn auch zweifelhafter Geschäftsmann, ist auf Weltreise an Bord eines Kreuzfahrtschiffes. Mit ihm reisen 144 Auserwählte, die das Schiff nicht mehr verlassen werden. Sie bleiben, um zu gehen. So wie er selbst - das wird ihm zunehmend bewusst. Minutiös beobachtet er das Geschehen an Bord und findet sich bald inmitten einer Gesellschaft eigenwilliger Persönlichkeiten wieder - da ist Monsieur Bayoun, sein Lehrmeister und Freund, der ihm ein geheimnisvolles Spiel hinterlässt; da sind die dralle, freche Frau Seifert sowie Kateryna, eine junge russische Pianistin, die er liebevoll Lastotschka, Feenseeschwalbe, nennt, außerdem ein schrulliger Clochard zur See und die stolze Lady Porto - sie alle und noch viele mehr nehmen mit ihm Abschied. Sodass er, von einer ihm vorher gänzlich fremden Sehnsucht erfasst, zu erkennen beginnt, was es mit diesem Sperlingsspiel auf sich hat. Über das Meer entdeckt Lanmeister den stillen Reichtum Leben, es eröffnen sich ihm immer neue Momente von märchenhafter Schönheit, bis Zeit und Meer, Vergänglichkeit und Traum zu einem rätselhaft entrückten Kosmos verschmelzen.In seinem neuen Roman schlägt Alban Nikolai Herbst einen ungewöhn- lichen, zärtlichen und gütigen Ton an. Geistreich, unmittelbar und humorvoll erzählt er vom Sterben als einem letzten großen Gesang auf das Leben.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783866483194

33° 14’ S / 13° 20’ O

Lange habe ich gedacht, dass wir einander erkennen. Aber das stimmt nicht. Wir verstehen uns nur. Dennoch lehne ich stets an der Reling des Promenadendecks, wenn die Reisegäste das Traumschiff verlassen. Und wenn die neuen eingeschifft werden, sehe ich mir jeden Menschen sehr genau an. Wie er seine Füße auf die Gangway setzt, zum Beispiel, ob fest, ob unsicher. Ob er sich am Geländer festhält.
Viele sind krank. Andere können nicht mehr richtig gehen und stützen sich auf rollbare Hilfen.
Ich möchte wissen, ob jemand das Bewusstsein schon mitbringt.
Ich habe es seit Barcelona. Das liegt lange zurück.
Einhundertvierundvierzig Passagiere von vierhundert, fünfhundert. Das ist ein Drittel, zumindest ein Viertel. Wie kann man sich da nicht erkennen?
»Vergangenheit«. Was für ein weiches Wort. »Gegenwart«. Was für ein hartes. Es bezeichnet doch alles, was ist. – Nicht aber alles auch, was war? Wissen das, frage ich mich, diese Menschen? Woran erkenne ich die, die es wissen? Erkennen sie mich?
Geht von den Neuen zufällig ein Blick zu mir hoch, schweift er meistens weiter. Als wäre ich nicht da oder niemand, der einem auffällt. Was auch stimmt. Auffällig bin ich wohl nicht. – Der einzige, der mich sofort bemerkte, und schneller als ich ihn, war Monsieur Bayoun. Dann war er abermals schneller, indem er mir vorausging.
Mein Rücken. Die Schulter. Das Bein. Von Frau Seiferts Gehstock sind unter meinen rechten Fingerwurzeln die schmalen Ballen zu Schwielen geworden. Sogar der Ring drückt. Wobei ich gar nicht weiß, wozu ich ihn noch trage. Von wem habe ich ihn? Schön ist er aber schon, mit diesem Mittwochs-Topas.
Obwohl er mir lieb ist, mag ich den Gehstock nicht.
An Monsieur Bayoun habe ich ein Gebrechen nie bemerkt. So etwas war zwischen uns kein Thema. Ich kam bei ihm auf gar nicht die Idee. So sehr hat seine Haut geglänzt, wie polierte Kaffeebohnen. Und wenn er lachte, musste man einfach mitlachen. Dann blitzten seine etwas schiefen, trotz der Cigarillos perlweißen Zähne. Er habe lange in Marseille gelebt, hat er mir erzählt. So leidenschaftlich sei sein Vater an den Unruhen beteiligt gewesen, dass seine Mutter mit ihm bis ganz nach dort habe fliehen müssen. Schieße deine Strahlen und schrecke sie! habe er oft ausgerufen.
Immer schwang ein Stolz mit, wenn Monsieur Bayoun seinen Vater erwähnte. Der meine, den ich nicht kenne, hat mich lebenslang beklemmt.
Ich habe darüber nachdenken müssen, ob es vielleicht die Diskretion so schwierig macht, dass wir einander erkennen. Darüber denke ich sogar ständig nach. Denn andererseits ist sie nötig. Das hat weniger mit dem eigenen Stolz zu tun als mit der Rücksichtnahme aufeinander. Für sich alleine klagt man ja auch nicht. Da wäre es stillos, seine Gebrechen vor anderen auszustellen. Das Bewusstsein ist, fürchte ich, nur bei jenen, die sich ein Leiden nicht anmerken lassen.
Aber vielleicht gibt es Blicke. Vielleicht gibt es Gesten. Einen bestimmten Lidschlag. Mit wie viel Bedacht jemand isst. Genau auf so etwas achte ich, wenn ich mir die neuen Passagiere ansehe. Vom Bootsdeck zur Gangway hinab.
Trotzdem mag ich diese Tage der Einschiffung nicht. Sie sind mir zu unruhig. Das fängt schon mit dem Tag der Ausschiffung an. Mindestens drei Tage vergehen, bis wir wieder ablegen. Das Schiff wird da komplett auf den Kopf gestellt. So gründlich wird geputzt, repariert und gewartet. Keine stille Ecke findet sich mehr. Dauernd wird man vertrieben.
Die nicht von Bord gehen, müssen zu denen mit dem Bewusstsein gehören – habe ich einmal zu uns gedacht? Dahinter steckte noch immer ein Wunsch. Ich bin noch nicht bereit gewesen. Vielleicht merkt man es d a ran. Als sich Monsieur Bayoun wieder von mir zurückzog, hätte ich aufmerken müssen. Dann wäre ich vorbereitet gewesen. So hat mich sein Fortgang fast ein bisschen schockiert.
Aber mir geht es um die Neuen. Ob auch irgend einer von denen.
Monsieur Bayoun wurde als letzter von Bord gebracht. Das war in Nizza. Wobei es falsch ist, »als letzter« zu schreiben, mit »r«. Was sie die Gangway hinuntertrugen, war nur noch sein Körper. Ich habe mir nie Illusionen gemacht.
Die Bahre war selbstverständlich abgedeckt. Sie wurde in ein Totenauto geschoben. Es stand schon einige Zeit lang an der Pier. Auch das sehr diskret. Die Passagiere wollen vom Sterben nichts wissen. Man möchte leben und muss sein Geld verdienen. Da zeigt man den Tod auch nicht dann, wenn alle längst fort sind. Die Reiseleitung hat mein Verständnis. Das Gebot gilt auch für sie. Dass sie verschweigt.
Je länger ich hier bin, desto rätselhafter wird mir, weshalb sie uns zulässt. Wir belegen Kabinen, die sie ohne uns vermieten könnte. Zum Beispiel habe ich selbst nur einmal gebucht. Ich habe auch nur für eine Reise bezahlt. Dennoch habe ich seither das Traumschiff nicht mehr verlassen. Doch niemand verlangt neues Geld. Stillschweigend sind wir geduldet. Wie zum Beispiel die Luft oder dass es heute zu heiß ist.
Wobei es für diese Meeresgegend ziemlich kühl ist.
So dass ich mich entschlossen habe, ebenfalls zu schweigen. Wäre Monsieur Bayoun nicht gewesen, ich hätte große Zweifel, von einem »wir« zu sprechen. Aber er hat mir bewiesen, dass es außer mir noch andere gibt, die das Bewusstsein haben. Gelegentlich hat er in ihre Richtung genickt, in seltenen Fällen auf sie gezeigt. Eben, um mir das Zweifeln zu nehmen. Denn es ist nicht nur von persönlich großer Bedeutung, dass man sich sicher ist. Solange das nicht erreicht ist, bleibt man auf dem Traumschiff.
Einhundertvierundvierzig Ziegel.
In gewissem Maß sind die Aus- und Einschiffungstage wiederum interessant. Zum Beispiel, nachdem das Totenauto fortgefahren war. Da wurde auf der Pier ein flaches, geräumiges Zelt errichtet. Das wird so in kleineren Häfen wie Nizza gemacht, die keine Kreuzfahrt-Terminals haben. In solchen Zelten werden die neuen Passagiere empfangen. Da melden sie sich an, da werden die Kabinennummern vergeben oder bestätigt. Auch das Gepäck wird erst dort deponiert. Oft drängt und stapelt es sich bis nach draußen. Bis die Burmesen kommen, um es vor die zugeordneten Kabinen zu tragen. Es sind meistens Burmesen. Manchmal sind es Filipinos, die tief im Schiffsbauch leben.
Wenn die Passagiere eingecheckt haben, versammeln sie sich in der Lounge. Dort wird ihnen ein Cocktail gereicht. Der Kapitän hält eine kleine Begrüßungsansprache. Danach wird die Crew vorgestellt. Dazu spielt die Showband. Sie ist mir zu einem Greuel geworden. Das liegt aber nicht an den Musikern. Sondern es liegt an den Songs.
Früher habe ich die leichte Muse gemocht. Sogar nach Barcelona bin ich noch jeden Abend in die Shows gegangen. Doch sie stört das Bewusstsein. Wozu sie auch da ist, anders als der Wind und die Wellen und als das behutsame Stampfen der Motoren. Als ich das begriff, wurde sie mir unerträglich. Sie blieb es über Monate, vielleicht sogar Jahre. Genau kann ich das heute nicht sagen. Der Moment war ohne Konturen. Doch irgendwann fand ich meinen Frieden damit. Ohne ihre Banalität sind die Menschen nicht zu verstehen. Die das Bewusstsein haben, gehören zu denen gar nicht mehr richtig.
Wobei ich selbstverständlich nicht ohne Bekanntschaften bin. Zu Anfang habe ich sogar ständig neue gemacht, jedenfalls bis ich Monsieur Bayoun kennengelernt habe. Einen Fühsommermenschen hat er mich genannt, schon bei unserer ersten Begegnung. Frühsommermenschen sind niemals allein. Immer liegt, sagte er, vor uns der Sommer, der Winter aber hinter uns.
Deshalb werde ich jetzt, wo er weg ist, erneut Bekanntschaften machen. Trotz meines Schweigens. Manche Passagiere sprechen mich ja an, wenn wir zum Beispiel beim Essen sitzen. Ich esse aber nur noch selten. Vielleicht suche ich auch dort nur nach einem Hinweis auf Monsieur Bayoun. Ob von ihm etwas auf sie übergegangen ist. Ich weiß, dass das ungerecht ist. Es beschwert neue Bekanntschaften. Sowieso sind Gespräche aus dem Bewusstsein mit normalen Menschen kaum zu führen. Deshalb ziehen sie sich immer schnell von mir zurück. Ich meinerseits bin von ihnen genauso schnell enttäuscht. Mir fehlt für sie die Geduld. Nur zwischen Monsieur Bayoun und mir war ein Verständnis sofort da. Das blieb so bis zum Schluss. Bis auch er sich zurückgezogen hat.
Das ist wieder so ein Wort, »Schluss«. Wie wenn das Ende plötzlich wäre. Als flösse nicht alles sehr langsam aus. Selbst wenn nicht nur das Bewusstsein zunimmt, werden wir alle zunehmend leichter. Am Ende sind wir ein Rinnsal ins Meer. Niemand kann mir erzählen, von Monsieur Bayoun sei darin noch etwas erhalten. Es gibt in der See keine Seele. Sondern sie ist sie.
In dem Totenauto fuhr etwas weg, das es vorher so nicht gegeben.
Viele Passagiere sind ungefähr meines Jahrgangs, manche sogar älter. Schon wie sie in der Lounge ihren Cocktail trinken, zeigt ihren Willen, sich in den folgenden Tagen und Wochen auf jeden Fall zu amüsieren. Derweil stehen die silbernen Mädchen dabei. Sie halten auf silbernen Tabletts die immer schon nächsten Gläser. Nur hat mir Monsieur Bayoun das bestritten. Also, dass sie für alle da sind. Nämlich sagte er, die hätte nur ich gesehen. Sie nicht? habe ich gefragt, weil ich da noch gesprochen habe. Ich sehe sie nicht mehr, hat er geantwortet und das »mehr« betont. Sie begrüßen uns bloß mit ihren verborgenen Perlen. Bei welcher Formulierung er auflachen musste mit seinem Cigarillo zwischen den Zähnen. Diese Augen, fragte er, sind Ihnen nicht aufgefallen?
Wenn er das nicht gesagt hätte, hätte ich die Mädchen schließlich für eine Halluzination gehalten. Tatsächlich habe auch ich sie kein zweites Mal gesehen. Als ich eines von ihnen ansprach, schwieg es. Doch lächelte es mich ungezwungen an. Mit diesen herrlichen großen Augen.
Manchmal entdecke ich ein etwas jüngeres Paar. Dann denke ich, ihm sind Kinder versagt geblieben. Kreuzfahrten sind teuer, jedenfalls für jeden, der schließlich wieder geht.
»Schließlich«, »Schluss«. »Schließliche Menschen«. Durch unsere gewissesten Ausdrücke huschen die flüchtigsten Schatten. Für Übergänge haben wir überhaupt keine Sprache. Das liegt natürlich auch daran, dass man nach ein paar Wochen auf See Übergänge kaum noch merkt. Geht nicht gerade, wer bleibt? Ich bleibe lediglich an Bord. Um schließlich wirklich zu gehen. Hatte ich selbst Kinder? Ich habe einen Sohn.
Trotzdem bin ich mir sicher, gesund an Bord gekommen zu sein. Anders als die meisten anderen. Das mit der Schulter, wegen des Herzens, ist erst hier losgegangen, besonders das Bein. Darum hat mir Frau Seifert den Gehstock geschenkt. Ich entsinne mich aber nicht mehr der Botschaft, mit der sie ihn versehen hatte. Bestimmt liegt das Billet noch in meiner Kabine. Vielleicht, dass ich es gelegentlich suche.
Besser, ich tue es gleich. Eh ich es wieder vergesse.
Dieses Licht heute!
Dass ich an Frau Seifert so lange nicht mehr denken musste.
Sie war eine witzige, dralle, ein bisschen anzügliche Person. Fast so breit wie hoch, war sie aber klein hoch. Dabei erstaunlich beweglich. – Was fällt mir noch von ihr ein? Meine Großmutter hätte sie liederlich genannt.
Stets glühten ihre Wangen. Sie verließ das Achterdeck fast nur zum Schlafen. Selbst wenn es kalt war, blieb sie dort bis in die späte Nacht sitzen.
Sie rauchte.
Wir alle haben sie gemocht. Seit wann sie davonist, weiß ich nicht mehr.
Was vorher war und was noch kommt, versinkt in dem Bewusstsein. Doch alles geht nur langsam unter. Wir sehen ihnen zu, den Dingen, und denken, wie gut sie doch schwimmen. Dafür gibt es ein Wort, wenn man etwas gegen die See abdichtet. »Kalfatern«. Wir denken, uns kalfatert zu haben. Auch ich dachte es. Bis ich zu bleiben beschloss.
Hat mir Monsieur Bayoun erzählt, dass wir einhundertvierundvierzig sind? Die müssen sich doch erkennen lassen, wenn die alle nicht von Bord gehen!
Dass zu denen, zu uns, auch Frau Seifert gehört hat, habe ich erst später verstanden. Da war sie schon fort. Hätte sie das Schiff über die Gangway verlassen, ich hätte es bemerkt. Auch deshalb beobachte ich immer alles. Auch jeden Aufbruch zu den Landausflügen.
Wenn ein Hafen für das Traumschiff zu flach ist, klettern die Passagiere in Tenderboote. Oder weil es gar keinen gibt, sondern nur eine Mole. Wie in Mossel Bay neulich oder auf sehr kleinen Inseln. Wann haben wir vor San Félix gelegen? Die andere Seite der Welt. Fast alles von ihr hab ich gesehen. Aber selbst bin ich nie mehr vom Schiff.

32° 30’ S / 7° 30’ O

Das war überraschend. Eben setzte sich jemand zu mir, nahm meine Hand und gab vor, mich zu kennen. Das Meer ist heute völlig glatt, obwohl der Himmel bedeckt ist. Er leuchtet aber. Trotz des böigen Windes und obwohl wir ziemlich rollen. Nicht eine einzige Schaumkrone aber glänzt auf der See.
Ich habe meine Sonnenbrille in der Kabine vergessen. Meine normale muss reichen.
Aber dass sie doch meine Frau ist, sagte diese Person.
Was sollte ich tun? Ich wollte nicht abweisend wirken. Nur deshalb zog ich meine Hand nicht weg. Für ein Gespräch ist so etwas natürlich keine Grundlage. Darum reagierte ich auch dann nicht, als mein Besuch zu weinen anfing. Was ja ein Zeichen dafür ist, dass er das Bewusstsein nicht hat. Schon deshalb hätten wir uns nicht verständigen können. Darum hätte ich der Frau am liebsten gesagt, sie möchte bitte still sein. Hören Sie dem Wind zu, hätte ich ihr sagen wollen. Und dass es doch eigentümlich ist, so viel Wind und gar keine Wellen. So vieles Reden und gar kein Bewusstsein.
Dass man darüber dann weint, ist allerdings verständlich.
Bei Monsieur Bayoun hingegen hatte ich immer das Gefühl, ihn schon seit langem zu kennen. So, wie man jemandem nach Jahrzehnten wiederbegegnet. Wie man sich aus seiner Jugend an jemanden erinnert. Das war natürlich schon deshalb nicht möglich, weil er aus Marokko stammt. Er ist auch in Tanger an Bord gekommen. Wir hatten dort einen herrlichen Liegeplatz. Bis zur Kasbah konnte ich hinaufschauen und zugleich unten die Passagiere beobachten. Wie sie von der Stadt zurückkamen. Da guckte Monsieur Bayoun zu mir hoch.
Ein neuer Passagier, dachte ich nur. Aber sein Blick ließ nicht los.
Ich verspürte den Drang, ihm entgegenzugehen. Aber ich fürchtete, mir etwas einzubilden. Deshalb war er es, der mich ansprach. Es waren zwei Wörter, Vous aussi. Sie hätten eine Frage sein können. Es war aber eine Feststellung. Ich versuchte, mich an mein altes Französisch zu erinnern. Ich erinnere mich auch immer sofort, aber nur so, dass ich alles verstehe. Das Sprechen ist ein Problem. Man versteht, aber kann nicht antworten, jedenfalls nicht gleich. Zumal ich wusste, meine Antwort wird kompliziert. Trotzdem versuchte ich es, brach aber mittendrin ab. Ich weiß noch genau, wie ich die ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. 33° 14′ S / 13°20′ O – (Südatlantik. Westlich von Südafrika 1)
  5. 32° 30′ S / 7° 30′ O – (Südatlantik. Westlich von Südafrika 2)
  6. 24° 31′ S / 3° 20′ W – (Südatlantik)
  7. 15° 55′ S / 5° 43′ W – (Sankt Helena)
  8. 14° 4′ S / 7° 40′ W – (Südatlantik. Zwischen Sankt Helena und Ascension 1)
  9. 10° 59′ S / 12° 13′ W – (Südatlantik. Zwischen Sankt Helena und Ascension 2)
  10. 7° 59′ S / 14° 22′ W – (Ascension)
  11. 7° 33′ S / 15° 7′ W – (Zentralatlantik. Nördlich von Ascension)
  12. 2° 49′ S / 16° 45′ W – (Zentralatlantik. Unter dem Äquator)
  13. 5° 55′ N / 24° 5′ W – (Zentralatlantik. Über dem Äquator)
  14. 11° 38′ N / 25° 20′ W – (Zentralatlantik. Unter den Kapverden)
  15. 16° 59′ N / 24° 58′ W – (Kapverden)
  16. 25° 37′ N / 19° 4′ W – (Zentralatlantik. Unter den Kanaren)
  17. 33° 38′ N / 12° 56′ W – (Zentralatlantik. Über Teneriffa)
  18. 38° 42′ N / 9° 7′ W – (Lissabon)
  19. 45° 46′ N / 10° 49′ W – (Biskaya)
  20. 49° 3′ N / 4° 5′ W – (Keltische See und Ärmelkanal)
  21. REQ
  22. Die Route
  23. Über das Buch
  24. Weitere eBooks aus dem mareverlag