Zweiundzwanzig
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Zweiundzwanzig

  1. 160 Seiten
  2. German
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Über dieses Buch

Mit zweiundzwanzig hat man das Leben noch vor sich. Normalerweise. Doch im Sommer 1986 glaubt der Erzähler, schon alles gesehen zu haben, nachdem das Schicksal ihn erbarmungslos getroffen und er durch zwei Autounfälle seine Eltern und seinen Bruder verloren hat. Ein einziges Ziel ist ihm geblieben: der Ort Morro Bay an der Pazifikküste, den Lloyd Cole in seinem Song "Rich" besingt. Mit der fixen Idee im Kopf, dort irgendeinen Frieden finden zu können, macht sich der Erzähler auf zu einer Reise nach Kalifornien, zusammen mit seiner Exfreundin Laure und seinem besten Freund Samuel. Der Weg zum Meer hält nicht nur einige Umwege (Las Vegas, Mexiko), Begegnungen (misstrauische Cops, Pianistinnen mitten in der Wüste) und Erinnerungen (an die Kindheit in einer französischen Kleinstadt) bereit und kuriert die drei jungen Franzosen von ihrem amerikanischen Traum; er wird auch zu einem Weg zurück ins Leben.Wie Jean-Philippe Blondel es geschafft hat, mit einem Schicksal weiterzuleben, das kein Schriftsteller seinem Helden zumuten würde, davon berichtet er aus dem Abstand von zweieinhalb Jahrzehnten. Mit unerhörter französischer Leichtigkeit und heilsamem Humor erzählt der Autor hier seine eigene Geschichte die Geschichte einer Reise, die ihn gerettet hat: aufrichtig, schonungslos, ohne falsches Pathos und mit dem Trost, der im Leben selbst liegt.

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783866483057

ZWEI

Weiß. Schwarz. Einmal Weiß, zweimal Schwarz.
Schlag die Augen auf.
Das Klingeln des Telefons. Ganz nah. Samuels kratzige Stimme. »Ich bin ein Freund von ihm. Ja. Er ist da. Ist gerade aufgewacht. Ich geb ihm den Hörer weiter.«
Nein, Samuel. Gib mir nichts. Zu spät.
Mach die Augen auf.
Ich habe ein Blackout. Bin geblendet.
Mein Onkel. Mein Onkel, der achthundert Kilometer weit weg wohnt und mich nie anruft.
Mein Onkel ist im Anmarsch, weil, für einen Zweiundzwanzigjährigen sind der ganze Behördenkram und das Ordnen der Sachen dann doch zu viel, da brauchst du Hilfe.
Du brauchst doch Hilfe, oder?
Ich zucke die Achseln, aber am Telefon bringt das nichts. Ich betrachte Laures Fuß, der unter der Decke hervorschaut. Brauche ich Hilfe? Also, eigentlich sollte ich wohl gerade allein in der Wohnung sein. Bin ich aber nicht.
Ich bin sogar überbelegt. Wir sind zu dritt. Wir ersticken.
In einer Ecke des größten Zimmers, hochtrabend Salon genannt, stehen noch Laures gepackte Umzugskartons.
Das Leben ist sonderbar. Man glaubt, dass man geht, und dann bleibt man doch.
Das Gute an meinem Onkel ist, dass er meine Antwort gar nicht abwartet. Er ruft von der Gare d’Austerlitz aus an. Mit der Metro und seinem Anschlusszug wird er in zwei oder drei Stunden hier sein. Du wartest auf mich mit der Identifizierung, ja? Welche Identifizierung?
Die des Leichnams, ist doch klar!
Gar nichts ist klar für mich. Es ist viel zu hell.
Mit einem Schlag eine Erinnerung an gestern. Samuel, spätnachts. Keine Ahnung, warum gerade er davon spricht. Von Behördengängen. Von morgen. Von Papieren, die vor der Beerdigung unterschrieben werden müssen. Das Auto meines Vaters ist reif für den Schrottplatz, aber ihn selbst hat es offenbar nicht allzu schlimm erwischt. Jedenfalls kommen jetzt Fachleute, um dem Verstorbenen ein wenig künstliches Leben einzuhauchen. Ein bisschen Schminke. Schwups. Heimlich, still und leise.
»Aber das kennst du ja alles«, sagte Samuel schließlich.
»Nein.«
»Wieso? Wie war das denn bei deiner Mutter und deinem Bruder?«
»Ich weiß nicht mehr. Es gab eine Messe.«
»Die kommt erst später.«
»Ich glaub, ich habe Tabletten bekommen.«
»Jetzt bist du aber gerade erst aus der Narkose aufgewacht. Da kriegst du nicht gleich die nächste Betäubung. Wie auch immer, jedenfalls kannst du deinen Vater sehen.«
»Kann ich oder muss ich?«
»Ein bisschen von beidem, denke ich.«
»Aha.«
So lief das also. Es war drei Uhr morgens. Ich wusste nicht mal, wo ich schlafen sollte. Aber offenbar war schon alles geregelt. Laure würde wieder in die Wohnung einziehen, aus der sie gar nicht erst ausgezogen war. Sie würde schlafen, wo eben Platz war. Samuel würde sein Lager im Wohnzimmer aufschlagen. So lange, bis ich wieder zu Atem käme. Also hole ich Luft.
Ich bin wirklich ganz schön durch den Wind.
Fahr dir übers Gesicht.
Ich stehe vor ihm.
Allein.
Ich wollte nicht, dass mein Onkel mit reinkommt.
Auch nicht Laure. Und auch nicht Samuel.
Wir sind zu viert hingefahren, zum großen Missfallen meines Onkels, der nicht verstand, was Samuel mit der Sache zu tun hatte. Dass Laure dabei sein sollte, ging gerade noch. Aber Samuel, nein. Ich sagte nur: »Er kommt mit.« Und alle gehorchten. Der Unglückskönig zu sein hat auch Vorteile. Die Untertanen beugen sich seinen Wünschen zwar nur widerwillig, haben aber nicht genug Mumm, sich aufzulehnen.
Mein Onkel musterte uns verstohlen. Er versuchte zu verstehen, wie wir drei tickten. Er hatte eine typisch männliche Intuition: Womöglich liebt er Männer. Oder Männer und Frauen. Man kann ihm nicht trauen, sag ich dir. Er macht, was er will, und jetzt hat er ja auch nichts mehr zu verlieren.
Wir mussten hundert Kilometer fahren. Wir tauschten ein paar Fakten aus. Was wir über den Unfall wussten. Was wir vermuteten. Redeten über die Papiere, die ich würde ausfüllen müssen. Die Schritte, die es in den nächsten Wochen zu unternehmen galt. Die Wohnung deines Vaters? Behalten? Verkaufen? Hat sich die Versicherung bei dir gemeldet? Die Grundsteuer, Kommunalsteuer, Einkommenssteuer, die Nebenkosten.
Ich sah durchs Fenster auf die Mailandschaft. Die Wälder, Felder, Häuser, Dörfer. Weiter oben die Wolken. Ich gab keine Antwort. Kurz eine Spur von Gereiztheit in der Stimme meines Onkels. »Was hast du vor?« Die einzige Antwort, die mir in den Sinn kommt, behalte ich für mich. Ich will nach Morro Bay.
Ich höre das neue Album eines Sängers namens Lloyd Cole. Seine Band nennt sich The Commotions. Das passt gut zu mir. Das erste Stück auf der Platte heißt Rich. Es handelt von einem Mann, der sein Leben in Morro Bay verbringt, in Kalifornien. Von den Dingen, denen er nachtrauert. Ich höre es ununterbrochen. Da ist etwas in seiner Stimme, etwas Brüchiges, Heiseres – und dann der Text, von dem ich nicht alles verstehe. Ich begreife nur Wortfetzen – dabei will ich später Englisch unterrichten und müsste im Hörverstehen besser sein. Stattdessen lasse ich mich einlullen. Ich schlüpfe in die Rolle dieses Mannes. Ich bin alt. Ich fläze mich in einen Korbsessel. Schaue auf den Pazifik. Rauche eine Zigarette. Ich verschwende mein Leben in Morro Bay.
Keine Ahnung, warum ich so gebannt bin von diesem Song. Ich nehme es hin, das ist alles.
Jetzt stehe ich vor ihm. Vor diesem anderen Mann – der alt ist, aber so alt auch wieder nicht. Nur so tot. Ich habe Angst, dass ich lachen muss. Dass ich mich totlachen muss. Aber nein. Plötzlich bricht es aus mir heraus in diesem leeren Raum voll Fliesen und Beton: Ich rede. Ich rede, als hätte ich seit Jahren nicht geredet. Ich presse die Worte zwischen meinen Zähnen hervor.
So kommt die Wut besser raus.
Ich starre auf diesen Körper. Ich habe davon geträumt, ihn zu vernichten. Ich sage: »Siehst du, ich hab gewonnen.« Und auch: »Na, das hat sich ja mal richtig gelohnt, ha, so eine Schande, wir waren zu viert, und jetzt stehe ich da und bin als Einziger übrig.« Die Worte hallen wider. Ich lasse mich nicht beirren. Ich bin in Fahrt. Ich rede weiter: »Wir haben so schön Theater gespielt, oder, sie wollte sich scheiden lassen, ich hab gewusst, dass sie sich scheiden lassen wollte, wir haben darüber gesprochen, nur hatte sie Angst vor deinen Handgreiflichkeiten, vor deiner Reaktion und auch vor der ihrer Eltern, ihrer Kollegen, der Nachbarn, sogar vor der ihrer Kinder, sie wäre gern weit weg gegangen, abends hat sie sich mir anvertraut, durch das Fenster sah man die Sonne über dem Pausenhof untergehen, man hörte die Amseln in den Bäumen, du bliebst über Nacht in Paris, und mein Bruder lebte auch sein eigenes Leben, sie aber setzte sich auf einen Stuhl, sah aus dem Fenster und sagte ›Ich wüsste gern, wie es in Amerika ist, vor allem in Kalifornien‹, und sie sang La Californie, c’est une frontière, dann zuckte sie mit den Schultern, schüttelte den Kopf und sagte: ›Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, wenn die Kleinen erst mal flügge sind, kann ich immer noch über den Atlantik, ich habe Bekannte dort drüben‹, und sie zwinkerte mir zu, weil ich sie schon auswendig kannte, die Geschichte von dem ehemaligen Verlobten, der in die USA gegangen war, während man hier nur noch auf die Heirat gewartet hatte, auf Kinder und das alles – ›So viel ist sicher‹, fügte sie hinzu, ›den ganzen Rest meines Lebens hier mit ihm, das kommt nicht infrage.‹
Das kommt nicht infrage, den ganzen Rest ihres Lebens hier mit dir.«
Ich rede weiter auf ihn ein, auch wenn er steif und kalt ist, die Worte schießen durch den Raum, so eine Schande, na, was mache ich denn jetzt damit, mit all den Worten, die ihr einander nie gesagt habt, mit all jenen, die ihr euch an den Kopf geworfen habt, während ich mir mit dem Kissen die Ohren zuhielt und mein Bruder las und so tat, als höre er nichts, aber in seinem Kopf kreiste der Gedanke »Sobald ich kann, gehe ich weit, weit, weit weg«.
Was für eine Ironie, nicht wahr, gerade als wir alle entgegengesetzte Richtungen einschlagen, den beengenden Kokon endlich sprengen wollen, just in dem Moment erreicht uns die Einladung von Großmutter, kommt doch alle miteinander für eine Woche her, und seltsamerweise sagen alle Ja, weil wir alle ein schlechtes Gewissen haben, weil wir uns vor dem großen Aufbruch noch einmal zusammenraufen möchten, also beschließen wir alle vier, ja, wir kommen, achthundert Kilometer Fahrt und sieben Tage zusammen, und danach werden uns die Sommermonate zu neuen Horizonten tragen; der einzige Punkt, bei dem ich standhaft bleibe, ist die Anreise, die ganze Nacht im Auto, mit deinem brutalen Fahrstil, wie du immer zeigen willst, dass du ein Mann bist, dass du der Boss bist, sobald du das Steuer in der Hand hältst, und dann in einem Irrsinnstempo Lastwagen überholst, während die Fahrer auf der Gegenspur wü...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Inhalt
  6. EINS
  7. ZWEI
  8. DREI
  9. VIER
  10. FÜNF
  11. SECHS
  12. SIEBEN
  13. ACHT
  14. NEUN
  15. ZEHN
  16. Über das Buch
  17. Weitere eBooks aus dem mareverlag