Die erste Umsegelung Asiens und Europas
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Die erste Umsegelung Asiens und Europas

Auf der Vega durch die Nord-Ost-Passage

  1. 336 Seiten
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Die erste Umsegelung Asiens und Europas

Auf der Vega durch die Nord-Ost-Passage

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"(...) die glücklichste und brillanteste Polarreise die jemals durchgeführt wurde!" Sven Hedin Die waghalsige Expedition in arktische Gefilde war hervorragend geplant, und beinahe wäre Adolf Erik Nordenskiöld als erstem Menschen in der Entdeckergeschichte die Durchquerung der Nord-Ost-Passage gelungen. Doch nur wenige Kilometer vor den eisfreien Gewässern der Beringstraße werden die Vega und ihre Mannschaft vom arktischen Winter überrascht und stecken im meterdicken Eis fest. Erst ein gutes Jahr später, am 18. Juli 1879, gelingt den Finnen nach der lebensbedrohlichen Überwinterung die erfolgreiche Beendigung der Expedition, die Nordenskiöld zahlreiche Ehrungen einträgt.

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AUFBRUCH INS UNBEKANNTE

Am 21. Juli war die ganze Ausrüstung der Vega an Bord, ihre Mannschaft vollzählig und alles zur Abfahrt bereit, und an demselben Tage um 2 Uhr 15 Min. nachmittags lichteten wir den Anker und traten unter lebhaften Hurrarufen einer zahlreichen am Strand versammelten Volksmenge in vollem Ernst unsere Eismeerfahrt an.
Nachdem wir Tromsö verlassen hatten, steuerten wir anfangs innerhalb der Schären nach der Insel Masö, in deren Hafen die Vega einen Aufenthalt von einigen Stunden nehmen sollte, um Briefe auf dem dortigen Postbüro, wahrscheinlich der nördlichsten Poststation der Welt, abzugeben. Während dieser Zeit erhob sich aber ein so heftiger Nordwestwind, dass wir drei Tage lang dort aufgehalten wurden.
Masö ist eine kleine, unter 71° nördl. Br., nur zweiunddreißig Kilometer südwestlich vom Nordkap, in einer fischreichen Gegend etwa in der Mitte zwischen dem Bred- und dem Magerö-Sund gelegene Felseninsel. An der östlichen Küste der Insel liegt zwischen den Felsen eine kleine Bucht, welche einen wohlgeschützten Hafen bildet. Fischfang und Hafen haben dem kleinen Ort auf dieser Insel eine gewisse Bedeutung gegeben und ihn zu einem der höchsten Außenposten nach dem Norden hin gemacht. Hier, in einer Entfernung von nur wenigen Kilometern von der Nordspitze Europas, gibt es außer zahlreichen Fischerhütten auch eine Kirche, einen Handelsladen, ein Postbüro, ein Krankenhaus usw., und ich brauche wenigstens für diejenigen, welche das nördlichste Norwegen bereist haben, wohl kaum hinzuzufügen, dass man hier auch verschiedene gastfreundliche Familien findet, in deren Kreis wir manche Stunde unseres unfreiwilligen Aufenthalts in dieser Gegend recht angenehm verplaudert haben. Die Einwohner des Ortes leben natürlich nur von Fischfang, da jeder Ackerbau hier unmöglich ist. Zwar haben Kartoffeln manchmal eine reichliche Ernte auf der nahegelegenen Insel Ingö gegeben, indessen misslingt ihr Anbau meistens infolge der Kürze des dortigen Sommers. Von wilden Beeren trifft man Preiselbeeren, jedoch nur in so geringer Menge, dass man nur selten ein oder zwei Liter einsammeln kann; Heidelbeeren kommen etwas reichlicher vor, und die norwegische Multbeere (eine kriechende Himbeerart), die Traube des Nordens, findet sich sogar außerordentlich reichlich.
In der Nachbarschaft des Nordkaps erstreckt sich der Wald jetzt nicht mehr bis an die Küste des Eismeers selbst, aber an geschützten, eine kurze Strecke innerhalb des Meeresbandes gelegenen Stellen trifft man schon vier bis fünf Meter hohe Birken.
Das Klima von Masö zeichnet sich nicht durch besonders strenge Winterkälte aus, aber die Luft ist beinahe das ganze Jahr hindurch rau und feucht. Die Gegend soll jedoch ganz gesund sein, bis auf den Umstand, dass der Skorbut, besonders während feuchter Winter, die ganze Bevölkerung heimsucht, sowohl die Gebildeten wie die Ungebildeten, die Reichen wie die Armen und alte Leute wie Kinder. Nach Angaben einer im Orte wohnenden Frau wird sehr schwerer Skorbut mittels eingemachter Multbeeren mit Rum geheilt. Ich führe diese Art der Anwendung der Multbeeren, dieses alten, wohlbekannten Heilmittels gegen den Skorbut, hier deshalb an, weil ich überzeugt bin, dass diejenigen zukünftigen Polarexpeditionen, welche hieraus eine Lehre ziehen wollen, finden werden, dass dieses Mittel wesentlich zur Gesundheit und zum Wohlbefinden aller Leute an Bord beiträgt.
Zu dem Plan dieses Werkes gehört es ebenfalls, allmählich, je nachdem, wie die Vega vorwärtskommt, einen kurz gefassten Bericht über die Fahrten derjenigen Männer zu geben, welche den Weg, den dieselbe betritt, zuerst eröffnet und demnach in ihrer Weise zur Vorbereitung der Fahrt beigetragen haben, durch welche die Umseglung Asiens und Europas endlich vollbracht worden ist. In dieser Beziehung ist es meine Pflicht, zunächst über die Entdeckungsreise zu berichten, während welcher die Nordspitze Europas zum ersten Mal umsegelt wurde, und zwar besonders deshalb, weil der Bericht über diese Reise außerdem noch dadurch großes Interesse erweckt, dass er viele merkwürdige Aufklärungen über die frühen Bevölkerungsverhältnisse des nördlichen Skandinavien enthält.
Diese Reise wurde vor ungefähr einem Jahrtausend von einem Norweger Othere aus Halogaland oder Helgeland (die zwischen 65° und 66° liegende Küstenstrecke Norwegens) ausgeführt. Derselbe scheint weite Reisen gemacht zu haben, und auf seinen Irrfahrten kam er auch an den Hof des berühmten englischen Königs Alfred der Große. Diesem König gab er eine in einfachen, klaren Worten abgefasste Schilderung seiner Seereise, welche er von seiner Heimat aus nach Norden und Osten hin unternommen hatte.
Aus Otheres Bericht geht hervor, dass er eine wirkliche Entdeckungsreise unternommen hatte, um die nach Nordost gelegenen unbekannten Länder und Meere kennenzulernen. Diese Fahrt wurde deshalb auch besonders erfolgreich, weil während derselben der nördliche Teil Europas zum ersten Mal umsegelt wurde. Ebenso dürfte es keinem Zweifel unterworfen sein, dass Othere während dieser Fahrten bis an die Mündung der Dwina oder wenigsten des Mesenflusses vorgedrungen war. Die Erzählung lehrt uns auch, dass das nördlichste Skandinavien, wenn auch dünn, dennoch von Lappländern bewohnt war, welche ein Leben führten, das sich nicht besonders von der Lebensart unterschied, welche sie noch jetzt an der Küste führen.

BEI DEN LAPPEN VON CHABAROWA

Die Vega wurde durch anhaltenden Gegenwind, Regen, Nebel und außerdem durch schweren Seegang bis zum 25. Juli abends bei Masö aufgehalten. Trotz des fortdauernd sehr ungünstigen Wetters lichteten wir dann, ungeduldig weiterzukommen, die Anker und dampften durch den Magerö-Sund in die See hinaus. Gleichzeitig lichtete auch die Lena ihre Anker, da sie Befehl erhalten hatte, der Vega, soweit möglich, zu folgen und für den Fall, dass eine Trennung von uns unvermeidlich werden sollte, ihren Kurs nach Chabarowa in Jugor-Schar, d. h. nach der Stelle zu nehmen, welche ich als Sammelplatz für die vier Fahrzeuge der Expedition bestimmt hatte. Schon in der ersten Nacht verloren wir bei dem schweren Nebel die Lena aus den Augen und sahen sie erst am Sammelplatz wieder.
Der Kurs der Vega wurde nach dem südlichen Gänsekap abgesetzt. Obgleich ich mich schon in Tromsö dafür bestimmt hatte, in das Karische Meer durch die südlichste der dahin führenden Straßen, Jugor-Schar, einzulaufen, so wurde doch der Kurs so nördlich gelegt, weil die Erfahrung gezeigt hatte, dass zu Anfang des Sommers soviel Eis in der Bucht zwischen der Westküste, der Waigatsch-Insel und dem Festland hin- und hertreibt, dass das Segeln in diesen Fahrwassern bedeutend erschwert ist. Diese Schwierigkeiten aber vermeidet man, wenn man ungefähr bei Gänseland Nowaja Semlja anläuft und dort dem westlichen Ufer dieser Insel und der Waigatsch-Insel nach Jugor-Schar folgt. Diesmal war indessen diese Vorsicht nicht erforderlich. Die Eisverhältnisse zeigten sich nämlich besonders günstig, und wir erreichten Jugor-Schar oder die Jugorische Straße, ohne eine Spur von Eis zu sehen.
Die Überfahrt von Norwegen nach Gänseland wurde anfangs von gutem Wind begünstigt, welcher jedoch, als wir uns Nowaja Semlja näherten, schwächer und spärlicher wurde. Dessen ungeachtet ging die Fahrt mithilfe des Dampfes schnell und ohne andere Abenteuer vonstatten, als dass das starke Rollen des Schiffs ein Durcheinanderschütteln verschiedener Instrumente und Bücherkisten zur Folge hatte, glücklicherweise ohne irgendwelchen erheblichen Schaden.
Am 28. Juli, um 10 Uhr 30 Min. nachmittags, bekamen wir Land in Sicht. Dies war die Landspitze, welche sich im Süden von Gänseland unter 70° 33' nördl. Br. und 51° 54' östl. L. von Greenwich in die See hinausschiebt. Das Gänseland ist eine niedrige, von Grasflächen und unzähligen kleinen Seen bedeckte Küstenstrecke, welche von dem Hauptland Nowaja Semljas hervorspringt. Der Name ist eine Übersetzung der russischen Benennung Gusinnaja Semlja und ist entsprungen aus der Menge von Gänsen und Schwänen, welche in dieser Gegend nisten.
Obgleich das Gänseland, von fern gesehen, ganz eben und niedrig zu sein scheint, hebt es sich doch von der Küste in das Land hinein langsam und wellenförmig zu einer mit unzähligen, seichten Seen überstreuten Grasebene von etwa sechzig Metern Höhe. Diese Ebene fällt beinahe überall nach dem Meer hin mit einem steilen, drei bis fünfzehn Meter hohen Absatz ab, unterhalb dessen sich im Laufe des Winters eine gewaltige Schneewehe oder ein sogenannter Schneefuß bildet, welcher erst sehr spät wieder wegschmilzt. Wirkliche Gletscher gibt es hier nicht. Auch sind keine schneebedeckten Bergspitzen vom Meer aus sichtbar, und man kann deshalb zu gewissen Zeiten des Jahres (während des ganzen Augustmonats) von Norwegen nach Nowaja Semlja segeln, dort Jagdausflüge machen und zurückkehren, ohne auch nur eine Spur von Eis oder Schnee gesehen zu haben. Dies gilt zwar nur für den niedrig gelegenen Teil der südlichen Insel, zeigt aber auf alle Fälle, wie unrichtig die allgemein geltende Vorstellung über die Naturverhältnisse Nowaja Semljas ist. Schon Ende Juni oder Anfang Juli wird der größte Teil des Gänselandes schneefrei, und kurz darauf entwickelt sich in wenigen Wochen die nordische Blumenwelt in all ihrer Farbenpracht. Trockene, günstig gelegene Stellen bedecken sich jetzt mit einem niedrigen, aber reichen, von keinem hohen Gras oder durch Gebüsche verdeckten Blumenbett. An feuchteren Stellen trifft man sogar wirkliche Grasmatten, welche, wenigstens von fern gesehen, lachenden grünen Wiesen gleichen.
Infolge des Zeitverlustes, welcher durch die Verzögerung beim Segeln längs der norwegischen Küste und durch den Aufenthalt in Masö verursacht worden war, hatten wir keine Zeit, hier zu landen, sondern setzten unsere Fahrt längs der Westküste Nowaja Semljas nach Jugor-Schar bei einem meist herrlichen, stillen Wetter fort. Das Meer war völlig eisfrei, und das Land, außer einigen in den Talsenkungen noch liegen gebliebenen Schneefeldern, war ebenfalls frei von Schnee. Hier und da sah man auch noch an den steilen Strandabsätzen einige Überreste der winterlichen Schneewehen, welche oft, da die niedrigen Luftlagen von der Sonne stärker erwärmt waren, starke Luftspiegelungen zeigten, sodass sie in der Entfernung wie gewaltige, gegen das Meer steil abfallende Gletscher aussahen. Als wir weiter nach Süden kamen, hatten wir bei klarem Wetter eine gute Aussicht über die Waigatsch-Insel. Dieselbe schien, vom Meer aus an der Westküste gesehen, eine ebene Grasfläche zu bilden, als wir uns aber Jugor-Schar näherten, sahen wir, dass sich niedrige Höhenstrecken längs der östlichen Seite der Insel hinzogen, welche wahrscheinlich die letzten Auszweigungen des nördlichen Vorsprungs vom Ural bilden.
Als wir außerhalb des Einlaufens zum Jugor-Schar waren, wurde ein Dampfboot gemeldet. Nach vielem Hin- und Herraten erkannten wir die Fraser. Ich war anfangs unruhig und fürchtete, dass ein Unglück eingetreten wäre, da sie einen Kurs dampfte, welcher ihrer Bestimmung direkt entgegen war; als aber Kapitän Nilson bald darauf an Bord kam, hörte ich, dass er nur ausgefahren war, uns zu suchen. Express und Fraser hatten seit dem 20. an dem bestimmten Sammelplatz auf uns gewartet. Sie hatten am 13. Juli Wardö verlassen und ebenso wenig wie wir irgendwelches Eis während der Überfahrt angetroffen. Die Vega und die Fraser fuhren nun gemeinsam nach dem Hafen bei Chabarowa, wo am 30. Juli abends in einer Tiefe von vierzehn Metern Anker geworfen wurde. Die Lena fehlte noch. Wir fürchteten, dass dieses kleine Dampfboot Schwierigkeiten gehabt hätte, sich in der schweren See zu halten, welche wir jenseits des Nordkaps angetroffen hatten, da selbst bei der größeren Vega eine Sturzwelle über Deck geschlagen war und eine der daselbst festgeschnürten Kisten zerbrochen hatte. Unsere Besorgnis war jedoch unbegründet; die Lena hatte ihren Konstrukteuren Ehre gemacht und sich in dem Seegang gut gehalten. Die Ursache der Verzögerung war eine Kompassabweichung, welche in diesen nördlichen Breitengraden größer gewesen war als die, welche aus den Untersuchungen gewonnen war, die man vor der Abreise zu diesem Zweck angestellt hatte. Am 31. Juli warf die Lena neben den anderen Fahrzeugen Anker, und so war denn unsere ganze kleine Eismeerflotte an dem bestimmten Sammelplatz vereinigt.
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Die Kirche in Chabarowa
Chabarowa ist ein kleines Dorf, welches auf dem Festland südlich von Jugor-Schar und westlich von der Mündung eines kleineren, zu gewissen Zeiten sehr fischreichen Flusses gelegen ist. Im Sommer wird der Ort von einer Menge Samojeden [Lappen], welche ihre Rentierherden auf der Waigatsch-Insel und auf den umliegenden Tundren weiden lassen, sowie von einigen Russen oder russifizierten Finnen bewohnt, welche von Pustosersk hierher kommen, um Tauschhandel mit den Samojeden zu treiben und mithilfe derselben zu jagen und in dem umliegenden Meer zu fischen. Im Winter treiben die Samojeden ihre Herden nach südlichen Gegenden, und die Handelsleute führen ihre Waren nach Pustosersk, Mesen, Archangelsk und anderen Orten. So ist es wahrscheinlich seit Jahrhunderten zugegangen, doch sind die festen Wohnstätten erst in neuerer Zeit aufgeführt worden. Dieselben werden nämlich in der Beschreibung über die Reisen der Holländer in diesen Gegenden nicht erwähnt.
Jetzt besteht das Dorf, oder die »Samojedenstadt«, wie es die Fangmänner stattlich benennen, gleich anderen großen Städten aus zwei Stadtteilen, dem Stadtteil der Vornehmen – einigen aus Holz erbauten und mit flachem Torfdach versehenen Hütten – und dem Volksquartier, einem Haufen schmutziger Samojedenzelte. Außerdem gibt es auch noch eine kleine Kirche im Ort, bei welcher, gleich wie an mehreren Stellen des Strands, Votivkreuze aufgestellt sind. Die Kirche ist ein Holzhaus, welches durch eine Zwischenwand in zwei Abteilungen geteilt ist, von denen die innere, die eigentliche Kirche, nur wenig über zweieinhalb Meter hoch und ungefähr fünf Meter im Quadrat ist. An der östlichen Wand befinden sich während der Zeit, wo die Gegend bewohnt ist, eine Menge von Heiligenbildern, die von den Fangmännern bei Gelegenheit aufgestellt werden. Vor den Bildern hingen große verbogene alte Kupferlampen oder vielmehr Lichthalter, welche umgewendeten, an drei Ketten aufgehängten byzantinischen Kuppeln glichen. Dieselben waren mit vielen dünnen und auch einigen dicken Talglichten vollgesteckt, welche bei unserem Besuch angezündet wurden. Gleich oberhalb der Stelle, wo wir landeten, standen zahlreiche Schlitten, mit Waren beladen, welche die russischen Handelsleute hier eingetauscht hatten und die im nächsten Herbst nach Pustosersk abgehen sollten. Die Waren bestanden hauptsächlich aus Tran sowie aus Fellen von Eisfüchsen, gewöhnlichen Füchsen, weißen Bären, Wölfen, Vielfraßen, Rentieren und Seehunden. Die Bärenfelle hatten oft einen sehr dichten, weißen Winterpelz, waren aber dadurch verdorben, dass der Kopf und die Tatzen abgeschnitten worden waren. Außerdem sah ich unter ihren Vorräten Walrosszähne und Stricke aus Walrosshäuten. Bemerkenswert ist, dass die gleichen Waren schon in Otheres Bericht erwähnt werden.
Ich besuchte den Ort zum ersten Mal Anfang August 1875. Man feierte eben einen russischen Feiertag, und wir konnten schon von fern zahlreiche Gruppen von Russen und Samojeden am Strand stehen sehen. Als wir näher kamen, fanden wir sie mit verschiedenen Arten von Spielen beschäftigt, und obgleich es für sie wohl seit Menschengedenken das erste Mal war, dass europäische Herren ihre Stadt besuchten, ließen sie sich kaum mehr in ihrem Vorhaben stören, als wenn einige fremde Samojeden sich plötzlich in ihre Reihen gemischt hätten. Einige standen in einem Kreis und warfen abwechselnd ein Stück Eisen auf die Erde, das ungefähr wie eine kurze Rahe geformt war, wobei die Kunst darin bestand, dass das scharfe Ende so in einen auf den Boden gelegten Ring fiel, dass es in der Erde stecken blieb. Andere waren mit einem unserem Kegelspiel ähnlichen Spiel beschäftigt, und wieder andere mit Ringen und anderem. Russen und Samojeden spielten ohne Unterschied miteinander: die Samojeden, klein, hässlich, mit verwirrtem, ungeordnetem Haar, in schmutzige Sommertrachten aus Fellen gekleidet, die bei manchen mit einem grell gefärbten Baumwollzeug überzogen waren; die Russen, groß, wohlgewachsen, mit langem, von Öl glänzendem Haar, zierlich gescheitelt, gekämmt und gekräuselt sowie durch ein Stirnband oder eine Kopfbedeckung zusammengehalten, und in lange, mit einem Gürtel um den Leib befestigte, bunte Blusen gekleidet. Ungeachtet der anfangs gezeigten gekünstelten Gleichgültigkeit, welche ersichtlich zum guten Ton zu gehören schien, wurden wir freundlich empfangen. Zunächst wurden wir eingeladen, in Gesellschaft mit den anderen unser Glück und unsere Geschicklichkeit im Spiel zu versuchen, wobei es sich bald zur nicht geringen Freude unserer Wirte zeigte, dass wir uns auf diesem Feld durchaus in keinen Wettstreit, weder mit den Russen noch mit den Samojeden, einlassen konnten. Hierauf lud uns einer der Russen in seine Behausung ein, wo wir mit Tee, russischen Weizenbrezeln von ungesäuertem Teig und Branntwein bewirtet wurden. Einige kleine Präsente wurden uns überreicht, mit einer artigen Andeutung der Sachen, welche anstelle derselben willkommen sein würden, eine Andeutung, welcher ich, soweit meine Mittel es gestatteten, mit Vergnügen nachkam.
Anfangs herrschte vollständige Eintracht zwischen unseren russischen und samojedischen Wirten; am nächsten Tag aber war ein ernster Streit im Anzug, weil die Ersteren einen von uns einluden, mit einem in der Nähe einer russischen Hütte stehenden Rentiergespann zu fahren. Die Samojeden wurden hierdurch sehr beleidigt, gaben aber, soweit sich dies mit Zeichen tun ließ, zu erkennen, dass sie selbst auch gern fahren würden, wenn wir es wünschten; und dass es ihnen mit ihrer Erklärung ernst war, zeigten sie dadurch, dass sie dann und wann den Streit abbrachen und mit ihren Rentiergespannen eine sausende Fahrt zwischen den Zelten unternahmen. Die Schlitten der Samojeden sind sowohl für die Winterfahrt auf dem Schnee wie für die Sommerfahrt auf dem Moosbett der Tundra und den wassergetränkten Mooren berechnet.
Bei den Zelten wimmelte es von kleinen schwarzen und weißen langhaarigen Hunden mit spitzer Schnauze und spitzen Ohren. Sie werden ausschließlich zum Hüten der Rentierherden gebraucht. An einigen Stellen der Küste benutzt man sie auch als Zugtiere.
Da ich wusste, dass die Samojeden auf ihren Wanderungen immer Götzenbilder mit sich schleppen, so fragte ich, ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Über den Autor
  3. Zum Buch
  4. Titel
  5. Impressum
  6. INHALT
  7. Einleitung des Herausgebers
  8. Nordostwärts Die erste Umsegelung Asiens und Europas
  9. Anhang
  10. Kontakt zum Verlag