Das Herz der Natur
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Das Herz der Natur

Natur und Geografie Tibets

  1. 256 Seiten
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Das Herz der Natur

Natur und Geografie Tibets

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Francis Younghusband bestreitet die ihm anvertraute Tibet-Expedition mit einer Mischung von Forscherdrang und politischen Zielen. Der Marsch von Peking durch die Wüste Gobi und über den Himalaya bis nach Tibet endet in einem Massaker. Die Auswirkungen des Feldzugs auf Younghusband werden in Herz der Natur deutlich: Darin unternimmt er den Versuch, des Wesen der Natur zu ergründen, mit ihr in Verbindung zu treten und ihre wahre Schönheit zu erkennen. Ihn fasziniert die reiche Tier- und Pflanzenwelt Tibets in ihren Details ebenso wie im Gesamteindruck. Geographische Forschung und die Beschreibung der Naturschönheit gelten ihm als unzertrennlich.Nach mehreren Reisen in Asien vertraut Lord Curzon, britischer Vizekönig in Indien, Francis Younghusband das Kommando über eine Expedition ins Innere von Tibet an. Die eigentlich diplomatische Mission endet in einer Invasion.Durch überlegene Feuerkraft bahnt sich Younghusband ohne große Verluste seinen Weg bis in die geheimnisvolle "verbotene Stadt" Lhasa. Hier richtet das Expeditionskorps ein Massaker unter den verteidigenden Mönchen an. Das Mysterium Lhasa ist entzaubert und die Reise hinterlässt Spuren bei Younghusband.Schon immer war er von der Schönheit der Natur fasziniert gewesen, war Bergsteiger und fertigte auf seinen Reisen geschickt Skizzen von Flora und Fauna an. Nach seiner Rückkehr aus Tibet vollzieht sich eine spirituelle Wende. Das Herz der Natur bezeugt diese Veränderung durch präzise und gleichzeitig mystische Beschreibungen der Himalaya Region.

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NATURSCHÖNHEIT UND GEOGRAPHIE

ZWEI REDEN

Naturschönheit und die geographische Wissenschaft

Rede des Präsidenten der Königlichen Geographischen Gesellschaft auf der Jahresversammlung vom 31. Mai 1920

Ich habe Ihnen etwas vorzutragen, was den Geographen vom alten Schlag stark revolutionär erscheinen mag, und Sie werden vielleicht zögern, es ohne Weiteres anzunehmen. Es ist nicht nur das Ergebnis meiner ausgedehnten, verschiedenartigen geographischen Forschertätigkeit, sondern entsprang auch dem Anhören verschiedener vor dieser Gesellschaft gehaltener Vorträge und der Abfassung meiner heutigen Rede und fünf von mir vor Ihnen gehaltener Vorträge. Der erste Vortrag geht ins Jahr 1888 zurück, zu meiner Reise durch Innerasien von Peking nach Indien; der zweite behandelte meine Reise nach Hunza und Pamir; der dritte führte nach Tschitral; der vierte betraf meine Mission nach Tibet und der fünfte den Himalaja. Ich gebe mich der Erwartung hin, dass Sie bei reiflicher Überlegung meine Schlussfolgerungen nicht gar so verzweifelt revolutionär, sondern als ganz einleuchtend und natürlich finden werden.
Was ich Ihrer ernstesten Erwägung vorlegen möchte, ist Folgendes: Wir sollten die Geographie tiefer und breiter erfassen, als wir es bisher getan haben, sowohl in ihrem Grundgedanken als auch in ihren Zwecken und Zielen; wir sollten die Erde als die Mutter Erde betrachten und die Schönheit ihrer Züge in den Aufgabenkreis der Geographie mit einbeziehen.
Ich will diese Frage so klar und kurz wie möglich erörtern. Geographie ist eine Wissenschaft. Wissenschaft heißt Lernen, Wissen, Verstehen. Der Gegenstand für das geographische Lernen, Wissen und Verstehen ist die Erde. Wir müssen daher zunächst eine richtige Auffassung von dem haben, was die Erde wirklich ist. Und dann müssen wir uns überzeugen, was wir am notwendigsten von ihr zu wissen brauchen.
Um mit unserer Auffassung von der Erde zu beginnen. Im Morgendämmer der Geographie glaubte man, sie sei eine flache Scheibe. Später entdeckte man ihre Kugelgestalt. Noch später fand man, dass sie nicht eine harte und feste Kugel ist wie eine Billardkugel, sondern dass sie nur auf der Oberfläche hart, im Inneren aber bis zur Weißglut erhitzt ist. Jetzt erkennen wir sie allmählich sowohl als Geist wie als Körper, ihrer Wesensnatur nach eher als geistig denn als körperlich.
Wenn wir so weit zurückgehen, wie es der Wissenschaft möglich ist, finden wir, dass die letzten Teile, aus denen die Erde aufgebaut ist, nicht winzige Teilchen irgendeiner Substanz oder Materie sind, dass sie vielmehr Zentren strahlender Energie sind. Selbst das allerschärfste Mikroskop wäre nie imstande, eines von ihnen zu sehen, wie wir etwa ein Korn des Wüstenstaubs oder ein Sandkorn sehen. Und hätten wir auch noch so zarte Finger, wir könnten niemals eines der Teilchen zwischen Daumen und Zeigefinger nehmen und es befühlen. Diese letzten Teilchen sind unsichtbar und ungreifbar. Nichts könnte weniger substanziell sein. So unfassbar winzig sie aber auch sind, finden wir, dass sie unter dem gegenseitigen Einfluss aus sich selbst heraus tätig sind. Elektronen sind keine Schrotkörner, die durch äußere Einwirkung sich aufeinandergehäuft haben und die auf den Boden rollen, sobald ihnen jemand von außen einen Stoß gibt, die sonst aber unbeweglich bleiben. Die Elektronen sammeln sich aus eigenem innerem Antrieb. Sie gleichen einem Mücken- oder Bienenschwarm, in dem jedes einzelne Tier aus eigenem Antrieb handelt und wo, wie bei den Bienen, alle miteinander eine bestimmte Organisation bilden, mit einem eigenen Kollektivsinn. Die Erde wird von der ihr verwandten Sonne beeinflusst und betätigt sich nach den gleichen Gesetzen, sie wird von den gleichen Antrieben gelenkt, die das ganze Universum beherrschen, in dem wir nur ein winziges, allerdings höchst wichtiges Teilchen bilden. Die Hauptsache aber ist, dass die Erde nicht etwa ein Lehmklumpen ist, den ein Töpfer zur Hand nimmt und zu einer Kugel knetet. Die Erde formt sich selbst aus den ihr innewohnenden Kräften.
Durch den ganzen, gewaltigen Elektronenschwarm, den wir Erde nennen, zieht sich das Streben nach Ordnung, Organisation, System. Die Myriaden von Millionen der kleinsten Teile werden in ihrer Gesamtheit und durch Wechselwirkung untereinander von einem zwingenden Drang nach Vollkommenheit erfasst. Die Elektronen sammeln sich zu Atomen; die Atome ballen sich zu Molekülen; die Moleküle vereinen sich zu chemischen Verbindungen und diese zu immer größeren und zusammengesetzteren Organismen. So entstanden im Lauf der Zeiten aus der Erde selbst erst die niederen Formen von Pflanzen und Tieren, dann immer höhere Formen, die immer höhere Eigenschaften zur Schau trugen, bis die Blumen des Feldes, die Tiere und der Mensch selbst ins Dasein traten.
Nun kommen wir zu dem Punkt, auf den ich großes Gewicht lege. Wenn uns die Physiker und Biologen hiermit eine zutreffende Darstellung von der Erde gegeben haben, dann sollten wir Geographen die Erde weniger als bisher vom materiellen und mehr vom geistigen Gesichtspunkt aus betrachten und sollten, wie die Naturvölker auf der ganzen Erde es tun, in ihr die Mutter Erde sehen und unsere innigen Beziehungen zu ihr erkennen. Die Naturvölker sehen allgemein die Erde als ein lebendes Wesen an, als ihre Mutter. Ja, manche sind so von dieser Lebendigkeit durchdrungen, dass sie sich scheuen, den Pflug durch das Erdreich zu ziehen, um nicht den Busen der Mutter Erde zu zerfleischen. Sie sehen, wie Pflanzen und Bäume der Erde entspringen, wie diese Pflanzen und Bäume sie mit Frucht und Samen, mit Blättern und Wurzeln zu ihrem Lebensunterhalt versorgen. Und ganz natürlich sehen sie die Erde als ihre Mutter an. Wir Menschen höher entwickelter fortgeschrittener Rassen haben noch mehr Grund, sie als unsere Mutter zu betrachten, weil wir wissen, dass nicht nur Pflanzen und Bäume, sondern wir selbst aus ihr entsprangen; speist sie uns doch täglich, indem wir uns von ihren Pflanzen und von den Tieren nähren, die von ihren Pflanzen leben. Und wie wir eine Lilie nicht nach ihrem Ursprung, der hässlichen Zwiebel, beurteilen, sondern nach ihrer höchsten Entwicklung, der herrliche Blüte, so dürfen wir auch die Erde nicht nach ihrem Ursprung, dem feurigen Nebel, beurteilen, sondern nach ihren Sprösslingen, der strebenden menschlichen Gesellschaft. Wenn wir sie aber danach beurteilen, finden wir eine unserer Zuneigung würdige Mutter in ihr.
Der erste Punkt, den ich Ihnen unterbreiten muss, besteht also darin, dass wir Geographen den Gegenstand unserer Wissenschaft nicht als vergrößerte Billardkugel, sondern als Lebewesen – als Mutter Erde betrachten sollen. Nicht als hart, träge, empfindungslos, unempfänglich für äußere Eindrücke, sondern als lebensvoll, sanft, gefühlvoll und tätig; tätig bis zu einem Grad der Tätigkeit, der alle Fassungskraft übersteigt. Dies alles nicht in einer chaotischen Lebenstätigkeit, sondern in einer Tätigkeit von festem Zusammenhang und in einer Richtung, die Vollkommenheit anstrebt.
Nun zu dem, was wir über die Erde wissen sollten. Während die Geologie sich mit ihrer Zergliederung befasst, beschränkt sich die Geographie aufgrund alten Übereinkommens mit der äußeren Erscheinung der Erde. Infolgedessen interessieren uns Geographen hauptsächlich die äußeren charakteristischen Züge der Mutter Erde. Wir müssen etwas von den Grundlehren der Geologie verstehen, wie der Maler über die Anatomie des tierischen und menschlichen Körpers etwas wissen muss. Aber unsere besondere Aufgabe als Geographen gilt dem äußeren Eindruck. Der zweite Punkt, den ich hervorheben möchte, ist der, dass das Charakteristische im Antlitz und in den einzelnen Zügen der Erde, das, was am meisten wert ist, dass wir es kennenlernen, wissen und verstehen, in ihrer Schönheit beruht, und dass das Verständnis für ihre Schönheit mit vollem Recht in das Gebiet der geographischen Wissenschaft gehört.
Wohl mag angeführt werden, die Geographie befasse sich mit Quantitäten, mit dem Messbaren, und die Schönheit der Natur sei eine Qualität und spotte aller Messung. Die Wissenschaft der Geographie sollte es aber ablehnen, sich in solch enge willkürliche Grenzen einspannen zu lassen, und sie sollte von der Qualität ebenso wie von der Quantität Kenntnis nehmen. Das ist es, was ich anstrebte. Ich behaupte nicht, dass die Freude an der Schönheit der Natur dieser Erde zu den Aufgaben der geographischen Wissenschaft gehören soll, obgleich diese Gesellschaft als organisierte Körperschaft an dieser Freude recht wohl teilnehmen könnte. Freude ist ein Gefühl, während die Wissenschaft eine Kenntnis ist. Gefühl und Wissen sind verschiedene Fähigkeiten. Der Unterschied ist leicht zu erkennen. Es mag vorkommen, dass wir auf einer Reise nach Plymouth, die uns in einem wichtigen Unternehmen nach Südafrika führt, in Gedanken derart mit unserem künftigen Erlebnis beschäftigt sind, dass wir den Anblick des berühmten Westens, durch den der Zug führt, gar nicht genießen, obwohl wir uns seiner Schönheit wohlbewusst sind. Wir genießen diese Schönheit gegenwärtig nicht, obwohl wir genau wissen, dass sie vorhanden ist. Ein andermal kehren wir vielleicht nach langer Abwesenheit aus Ländern von ganz verschiedenem Charakter zurück. Keinerlei störende Gedanken beschäftigen unseren Geist. Wir sind in der Stimmung, uns an all dem Schönen, das sich unseren Blicken bietet, voll zu erfreuen. England erscheint uns dann wahrhaftig wie ein Garten mit seinem frischen Grün allüberall, den gestutzten Hecken, den Flächen voll purpurner Hyazinthen und einiger letzter Primeln. All das erfüllt uns mit Freude, obwohl wir diese Schönheit schon längst kannten. Dieses Mal erkennen wir die Schönheit und genießen sie auch. Das Beispiel zeigt uns den Unterschied zwischen der Kenntnis der Naturschönheit und ihrem Genuss. Ich behaupte nicht mehr, als dass die Kenntnis der Naturschönheit – das Sich-bewusst-Werden derselben – einen Teil der Geographie ausmacht. Aber ich verlange auch die Freiheit, unsere Kenntnis bis zur äußersten Grenze auszudehnen, wo sie in das Gefühl übergeht.
Wir müssen nun den Wert dieser Schönheit der Natur erwägen. Eine Gegend mag flach oder gebirgig, trocken oder feucht, fruchtbar oder unfruchtbar, für politische oder Handelszwecke geeignet oder ungeeignet sein. Es ist aber nicht die Ebenheit oder die Unebenheit einer Gegend, nicht ihre Brauchbarkeit oder Unbrauchbarkeit für Zwecke der Politik oder des Handels, was uns schließlich als das bemerkenswerteste Kennzeichen auffällt, sondern ihre Schönheit, die der Gegend eigene Schönheit.
Der berufsmäßige Gold- oder Ölsucher, der Eisenbahningenieur, der Pflanzer, der Plätze für Gummi- oder Kaffeepflanzungen oder Weideland für Schaf- und Rinderherden sucht, wird sich keine Gedanken über die Schönheit der Wälder, Flüsse, Prärien und Gebirge machen, die er durchforscht. Das Bedürfnis des praktischen Lebens erfüllt ihn zu sehr, als dass er sich durch so etwas Phantastisches, wie er es ansieht, ablenken lassen könnte. Aber auch er sieht die Schönheit, und lange danach kommt er zur Erkenntnis, dass das Schöne in ihm einen starken Eindruck hinterlassen hat. Hat er die Schönheit gedankenlos zerstört, so beklagen kommende Geschlechter seine Tätigkeit und treffen Maßnahmen zur Erhaltung der noch vorhandenen Schönheit. Öffentliche Ankündigungen zeigen uns täglich, dass fast alle Länder, und anscheinend die neuen – wie Kanada und Neuseeland – ganz besonders, die Naturschönheiten zu ihren wertvollsten Besitztümern rechnen. Der Grund, weshalb die Naturschönheit der Erde als besonders kennzeichnender Zug so hoch geschätzt wird, ist bei einiger Überlegung nicht schwer zu verstehen. Die Schönheit ist eine Eigenschaft, die das Universelle im Menschen anspricht und sich in immer stärkerem Maß an alle Menschen aller Zeiten wendet. Sie ist etwas, das alle Menschen bewundern und genießen können. Je größer der Genuss, desto größer das Verlangen, ihn mit anderen zu teilen. Je mehr Naturschönheit die Menschen sehen, desto mehr scheint vorhanden. Dichter weisen in ihren Dichtungen, Maler in ihren Bildern uns weniger scharfsichtige Naturen unaufhörlich auf die immer neuen Schönheiten in den Zügen unserer Erde hin. Der Mineralreichtum der Erde hat seine Grenzen. Selbst der Ertragfähigkeit des Bodens sind Schranken gesetzt, obwohl sie von Jahr zu Jahr erneuert wird. Aber die Schönheit der Natur ist unerschöpflich. Und nicht bloß unerschöpflich; sie erhöht und vermehrt sich zweifellos, je mehr wir von ihr erblicken und je mehr von uns sie genießen. Sie wird deshalb mit gutem Recht als der wertvollste Charakterzug der Erde betrachtet.
Ist aber die Schönheit wirklich ihr wertvollster Charakterzug, so folgt daraus, dass die Kenntnis davon die wertvollste Kenntnis von der Erde ist.
Eine Kenntnis anderer Merkmale wird gewiss für einzelne Menschen für einen bestimmten Zweck zeitweilig von größerem Wert sein. Wenn ein Ingenieur eine Eisenbahn bauen soll, ist ihm die genaue Kenntnis der Lage verschiedener Punkte über dem Meeresspiegel oder die allgemeine Bodengestalt ungleich wichtiger als alle Kenntnis von der Schönheit. Denkt jedoch der Ingenieur nicht gerade an seine Eisenbahn, so gilt für ihn wie für die Menschheit im Allgemeinen, dass die Kenntnis der Schönheit jede andere an Wert übersteigt.
Jahrelang war ich mit der Erforschung des Gebietes beschäftigt, in dem sich drei Reiche begegnen, dort, wo der Himalaja, das Hindukuschgebirge und die Gebirge, die das Dach der Welt bilden, sich in einem Punkt treffen. Ich hatte zu berichten, inwieweit dieses Gebiet eine Schranke bot gegen das Vordringen Russlands nach Indien und wo die günstigste Grenzlinie zwischen Indien und Russland, zwischen Indien und China und zwischen Russland und China zu ziehen sei. Was ich von diesem Gebiet hinsichtlich seiner Eignung zu einer Schutzwehr gegen feindlichen Einfall kennenlernte, war entschieden von größerem Wert für den Vizekönig und den Oberkommandierenden in Indien sowie für die politischen und militärischen Behörden Englands bei der Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit als alles, was ich über ihre Schönheit kennengelernt hatte. Für die Menschheit im Allgemeinen ist aber die Nutzbarkeit des Gebietes als einer militärischen Schranke nicht das wertvollste Kennzeichen. Für sie hat die Schönheit den größten Wert, die Ehrfurcht einflößende Schönheit der schreckenerregenden Bergschluchten und der staunenerregenden Höhen. Die Kenntnis dieser Schönheit ist das Wertvollste und besitzt auch in geographischer Beziehung den höchsten Wert.
Abgesehen von der Erforschung dieses entlegenen Gebietes jenseits Kaschmirs war ich mehrere Jahre hindurch mit der Oberaufsicht über die ganze Verwaltung von Kaschmir betraut. Sachverständige pflegten mir Berichte zu erstatten, die alle geographisch bedeutenden Einzelheiten enthielten. Topographen sandten mir pflichtgemäß Karten zum allgemeinen Gebrauch, für den Bau von Straßen und Bahnen, für die Abgrenzung von Dörfern und für die Eintragung der einzelnen Grundeigentümer. Geologen berichteten über den Aufbau der Erdkruste (wie die Züge der Mutter Erde wenig passend genannt werden). Fachleute vom Forstwesen und Ackerbau sowie Botaniker berichteten über die Erzeugnisse des Bodens, über die Pflanzen und Bäume und deren gegenwärtiges und mögliches künftiges Vorkommen. Mineralogen brachten Meldungen über Mineralien, ihr Vorkommen und die Möglichkeiten kommerzieller Ausbeutung. Die Wissenschaft der Geographie zeigte sich mir von allen Seiten. Jeder einzelne Zweig der Kenntnis war für den besonderen Zweck der Wissenschaft von hohem Wert. Ich muss aber darauf aufmerksam machen, dass meine geographische Kenntnis von Kaschmir unvollständig gewesen und die wichtigsten Charakterzüge des Landes mir fremd geblieben wären, wenn ich nicht auch seine Schönheit gekannt hätte. Auch wenn ich die genaueste Kenntnis der Form und des Aufbaus der Oberfläche dieses Teils der Erde gehabt hätte, der Fruchtbarkeit des Bodens, der Verteilung seiner Bevölkerung, Tiere und Pflanzen, der Wirkung der Oberflächenformen auf Tiere und Pflanzen und der Tiere und Pflanzen auf die Oberfläche sowie des gegenseitigen Einflusses des Ganzen auf den Menschen und des Menschen auf das Ganze, es wäre mir doch fremd geblieben, was das Wertvollste in der Kenntnis von Kaschmir war, wenn ich nicht auch die Schönheit der Oberflächenformen erkannt hätte und den Einfluss, den diese Schönheit auf den Menschen hat. Meiner geographischen Kenntnis dieses Landes hätte gerade der allerwichtigste Bestandteil gefehlt.
Diese Beispiele werden hoffentlich klarmachen, warum ich besonderen Wert darauf lege, dass die Schönheit der wertvollste Charakterzug in der Gestalt der Erde ist und dass die Aufgabe der Geographie dahin ausgedehnt werde, die Kenntnis auch dieser Schönheit in ihren Rahmen aufzunehmen.
Man sollte nicht lange mit der Annahme der zweiten Hälfte dieser Schlussfolgerung zögern, wenn man bedenkt, dass die Schönheit der Natur die Bewegungen des Menschen beeinflusst und dass der Mensch einen immer größeren Einfluss auf die Naturschönheit gewinnt. Er zerstört sie wohl in leider allzu vielen Fällen, veredelt sie in vielen anderen, zweifellos aber übt er eine Wirkung auf sie aus. Es besteht demnach eine ganz bestimmte Beziehung zwischen dem Menschen und der Schönheit der Natur, und es wäre eine Aufgabe der Geographie, diese Beziehungen zur Kenntnis zu nehmen. In steigendem Maß sucht der Mensch nach neuen Naturschönheiten oder nach dem Genuss der Schönheit, wo sie ihm bereits bekannt geworden ist. Aus allen Ländern strömen die Menschen scharenweise nach der Schweiz, von ihrer Schönheit angezogen. In der englischen Heimat besuchen sie das Themsetal oder Dartmoor, die Küste von Cornwall oder Nordwales und das schottische Hochland, aus reiner Freude an der Naturschönheit. Eisenbahngesellschaften und die Regierungen von Kanada, Australien und Neuseeland halten es für angebracht, große Summen an die Veröffentlichung von Bildern zu wenden, die die Schönheiten ihrer Länder wiedergeben und Vergnügungsreisende oder Ansiedler anlocken sollen.
Hier wie in anderen Fällen begnügt sich der Mensch nicht mit der Rolle des untätigen Zuschauers, er will nicht ganz unter die Herrschaft seiner Umwelt geraten. Er überlässt nicht den Oberflächenformen die Oberhand in diesem Punkt. Er lässt nicht zu, dass er nichts Weiteres zu tun habe, als sich seiner Umwelt anzupassen. Diese sklavische Auffassung der Stellung des Menschen im Universum ist im raschen Schwinden begriffen. Wir sind fest entschlossen, die Oberhand zu haben. Und so sehr wir auch die Schönheit der Erde bewundern, wir gehen daran, sie zu verbessern. Ich gebe zu, dass unsere Kräfte dabei manchmal furchtbar versagen. Oft aber gelingt es uns doch, bald unbewusst, bald auch mit voller Absicht. An so mancher Stelle machten wir die Erde schöner, als sie zuvor gewesen war, und wir haben die Möglichkeit dazu deutlich dargetan. Meine Eindrücke aus unbewohnten Ländern lassen mich ermessen, was die Flusstäler Englands vor dem Erscheinen der Menschheit gewesen sein müssen – gewiss schön, aber nicht so schön wie jetzt. Sie waren wohl nichts als eine abwechslungslose Masse von Wald und Sumpf. Jetzt sind die Sumpfe entwässert und in treffliche Wiesen verwandelt. Die Wälder sind teilweise gelichtet, und gutgehaltene Parkanlagen nehmen ihre Stelle ein. Besonders ausgewählte zurechtgestutzte, wohlgepflegte Bäume werden an solche Stellen gepflanzt, dass ihre schattenreichen Formen überall gut gesehen werden können. Gärten wurden angelegt, die berühmten Rasenplätze Englands geschaffen, verschiedenes blühendes Gesträuch aus aller Herren Länder ringsum gepflanzt. Wohnstätten wurden errichtet – das einfache Heim des Armen und das stattliche Heim des Reichen, die durch das Anpflanzen von Bäumen und durch die Anlage von Gärten und Rasenflächen unzweifelhaft zur Naturschönheit des Landes neuen Reiz beitragen. Der St.-James-Park in London mit seinem See, seinen gut gepflegten Bäumen, seinen mit Gänseblümchen durchsetzten Rasenplätzen, seinen Blumenbeeten, mit seinem Weißdorn und Flieder, seinem Goldregen und seinen Kastanienbäumen, im Hintergrund die Türme der Westminster-Abtei und das Parlamentsgebäude, dies alles ist gewiss schöner, als dasselbe Stück Land vor 2000 Jahren in seinem Naturzustand war.
Was in dieser Hinsicht in England geschah, ist typisch für das, was in allen Ländern und was schon in längst vergangenen Zeiten geschehen ist. Die Mogulkaiser legten Gärten an den Ufern des Dal-Sees in Kaschmir an und erhöhten dadurch seine Schönheit. Die Japaner sind berühmt durch die Wahl schöner Umgebungen für ihre Tempel und dadurch, dass sie durch den Bau anmutiger Tempel, durch besonders gut gehaltene Bäume und Gärten die Schönheit der Tempelplätze noch steigern.
Durch die Schönheit der Formen der Erde wird der Mensch ebenso sehr beeinflusst, wie er seinerseits Einfluss nimmt auf ebendiese Schönheit. Von dieser Beziehung zwischen dem Menschen und den Naturschönheiten der Erde müsste die Geographie ebenso sehr Kenntnis nehmen, wie sie es gegenüber den Beziehungen der Menschen untereinander und der Produktivität der Erde tut.
Die Schönheit der ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Über den Autor
  3. Zum Buch
  4. Titel
  5. Impressum
  6. Inhalt
  7. Vorrede
  8. Einleitung
  9. Erstes Kapitel Der Sikkim-Himalaja
  10. Zweites Kapitel Das Tistatal
  11. Drittes Kapitel Der Wald
  12. Viertes Kapitel Die Bewohner des Waldes
  13. Fünftes Kapitel Der Gesamteindruck
  14. Sechstes Kapitel Der Kantschindschanga
  15. Siebtes Kapitel Einsame Höhen
  16. Achtes Kapitel Das Himmelsgewölbe
  17. Neuntes Kapitel Schönheit daheim
  18. Zehntes Kapitel Das Wesen der Natur
  19. Elftes Kapitel Das Ideal der Natur
  20. Zwölftes Kapitel Das Herz der Natur
  21. Naturschönheit und Geographie Zwei Reden
  22. Kontakt zum Verlag