Dunkelgrün fast schwarz
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Dunkelgrün fast schwarz

  1. 480 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Dunkelgrün fast schwarz

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Über dieses Buch

Raffael, der Selbstbewusste mit dem entwaffnenden Lächeln, und Moritz, der Bumerang in Raffaels Hand: Seit ihrer ersten Begegnung als Kinder sind sie unzertrennlich, Raffael geht voran, Moritz folgt. Moritz und seine Mutter Marie sind Zugezogene in dem einsamen Bergdorf, über die Freundschaft der beiden sollte Marie sich eigentlich freuen. Doch sie erkennt das Zerstörerische, das hinter Raffaels stahlblauen Augen lauert. Als Moritz eines Tages aufgeregt von der Neuen in der Schule berichtet, passiert es: Johanna weitet das Band zwischen Moritz und Raffael zu einem fatalen Dreieck, dessen scharfe Kanten keinen unverwundet lassen. Sechzehn Jahre später hat die Vergangenheit die drei plötzlich wieder im Griff, und alles, was so lange ungesagt war, bricht sich Bahn – mit unberechenbarer Wucht. Mareike Fallwickl erzählt von Schatten und Licht, Verzweiflung und Sehnsucht, Verrat und Vergebung. Ihr packendes Debüt bringt alle Facetten der Freundschaft zum Leuchten, die Leidenschaft, die Sanftheit – und die Liebe, in ihrer heilsamen, aber auch funkelnd grausamen Pracht.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783627022587
MORITZ
2017
Die Musik wummert ihm den Herzschlag weg. Sie dringt in seinen Körper ein, nicht nur durch die Ohren, auch durch die Haut, durch jede Pore, umwickelt seine Knochen, setzt ihn neu zusammen. Der Rhythmus lässt seine Muskeln zucken, er kann sich nicht wehren. Es ist viel zu laut. Moritz macht die Augen zu und tanzt.
Der Alkohol schwemmt die Wurzeln fort, die ihn so fest halten. Wenn Gin und Whiskey durch sein Blut jagen, bleibt kein Platz mehr für das Unbeherrschbare, das ihn sonderbar macht und hilflos. Sobald Moritz betrunken ist, haben die Dinge und die Menschen und die Lichter keine Grenzen. Alles verliert sich, er muss sich nicht fürchten vor einzelnen Wahrnehmungen, die herausfallen aus dem Normalen. Die Welt wird zu einem Strom aus Farben, Geräuschen und Bildeindrücken, durch den er tauchen und gleiten kann, mit dem er fließt. Es gibt keine Stimme, die nur er hört, kein Knacken, Schreien, Blitzen, keinen Geschmack nach Bittermandel oder Karton in seinem Mund. Wenn alles zusammengehört und verbunden ist, ist auch er Teil des Ganzen. Er hält der Musik nichts entgegen, sinkt in sie hinein, greift durch ihr weiches Gewebe bis hinunter zu ihrer Struktur, lässt davon seine Bewegungen bestimmen.
Er reißt die Augen auf, als jemand gegen ihn prallt. Eine Frau lacht ihn an, sie ist Anfang zwanzig oder jünger, macht eine entschuldigende Geste, die auch eine Tanzbewegung sein könnte. Sie hat braune Haare oder blonde, das ist im schwachen, flimmernden Licht des Clubs nicht zu erkennen. Moritz nickt ihr zu und rutscht in ihren Tanz hinein, spiegelt ihn, nimmt ihn auf. Sie kommt näher, der Beat stößt zu, als habe die Musik selbst einen Körper, der lebt und pulsiert und atmet.
Die Frau greift nach Moritz’ Händen, legt sie auf ihre Hüften, dreht ihm den Hintern zu, schwingt ihn hin und her. Ihr Rücken reibt an Moritz’ Bauch, sie geht in die Knie und wieder hoch, ihr hellgraues Kleid ist kurz, sie trägt silberfarbene High Heels. Er spürt den Schweiß auf seiner Stirn, auf seiner Brust. Langsam dreht sie sich wieder um, legt die Arme um seinen Hals. Ihre Augen sind stark geschminkt, sie riecht nach nichts. Moritz drückt sich an sie, fährt über den Stoff des Kleides, das kaum etwas verhüllt und doch zu wenig preisgibt. Der Gedanke, zwei Finger an ihrem Höschen vorbei in sie hineinzuschieben, lässt seinen Schwanz hart werden.
Ein Schlag zwischen die Schulterblätter bringt ihn ins Stolpern, die Frau löst sich von ihm. Moritz sieht an ihrem Gesicht, wer hinter ihm steht, an ihrem Erstaunen, das sofort übergeht in Abschätzen und Abwägen. Dieser Blick ist ihm vertraut, auch wenn er ihn lange nicht gesehen hat. Er liest darin die Erkenntnis, dass die bessere Partie aufgetaucht ist. Der Attraktivere. Der Begehrenswertere. Gehören die beiden zusammen, fragt sie sich jetzt, soll ich einen fliegenden Wechsel machen? Oder habe ich mehr Chancen, wenn ich die Uninteressierte spiele und beim Dunkelhaarigen bleibe? Moritz wartet das Ende ihrer sekundenschnellen Überlegungen nicht ab, er lässt sie los. Ohne sich nach Raffael umzuwenden, bahnt er sich einen Weg durch die tanzende Menge zur Toilette. Ein altes Gefühl steigt in ihm auf, wie ein Knochenfund kommt es ihm vor, der ans Tageslicht gelangt bei Bohrarbeiten. Knochen, von denen man erst nicht weiß, ob sie von einem toten Baby sind oder nur von einer Katze.
Er pinkelt und merkt am schwankenden Strahl, wie betrunken er ist. Die hin und her schwappende Pisse bringt ihn zum Lachen. Er lacht auch noch, als er beim Händewaschen in den Spiegel schaut. Scheiß auf die Frauen, scheiß auf sie alle!
Zurück auf der Tanzfläche, kann er Raffael und das Mädchen nicht sehen. Er lässt die Augen über die Menschen im diffusen Licht wandern, die Gesichter sind kaum zu erkennen, er sucht und sucht, gibt dann auf und geht an die Bar. Er bestellt zwei Whiskey Cola. Das Take Five ist sehr voll, und er genießt den Sog, das Gewimmel, den Geruch nach Schweiß und Ungeduld.
Raffael taucht plötzlich neben ihm auf. Sie prosten sich zu und trinken. Es muss nach Mitternacht sein, vermutlich zwei oder halb drei, Moritz spürt es an der Schwerelosigkeit, die er um diese Zeit fühlt. Längst hat er den Punkt der ultimativen Müdigkeit überschritten. Doppelt wach ist er jetzt, die Aufmerksamkeit auf dem Höhepunkt, auf maximale Stärke gedreht wie die Musik. Zu schlafen ist in dieser Phase unvorstellbar, er muss sich bewegen, muss tanzen, vielleicht auch schreien, um die Energie rauszulassen. Das ist die Zeit, in der alles möglich ist.
Moritz war lange nicht mehr aus, seit Jahren nicht unterwegs in den Clubs und Bars der Stadt, nicht berauscht von den kleinen Momenten, die in der dröhnenden Schummrigkeit einer Disco bedeutungsvoll erscheinen. Stattdessen hat er Weißwein getrunken in einem Restaurant mit Kristin, weil der so gut zu seinem Fisch passte und zu ihrem Salat, oder ein kleines Bier in einem Gastgarten mit romantischen Lichtern unter Kastanienbäumen. Um dann nachhause zu gehen, Arm in Arm. Darüber nachgedacht hat er nicht, er hat das ziellose Streifen durch das Nachtleben eingetauscht gegen gemeinsamen Schlafatem unter einer Decke, und es war gut.
Aber jetzt. Ein Ankommen ist es, ein Zurückschnellen an einem langen Gummiband, ein Wiedersehen mit sich selbst. Alles ist vertraut. Während er weitergemacht hat, da draußen, sind die anderen hier dringeblieben, so scheint es, haben getanzt und getrunken in Endlosschleife, haben sich versteckt vor der Welt mit ihren Tücken, haben sich ihr verweigert. Er erinnert sich an eine Zeit, in der es sein oberstes Ziel war, möglichst oft und schnell betrunken zu sein. Um normal zu sein. Um zu vergessen. Viele Jahre ist er durch die Nacht getigert, hat sich volllaufen lassen, hat sich weggeschossen.
Sie bleiben nicht lang zu zweit, Raffael ist ein Magnet. In den letzten Stunden hat ihn eine ganze Reihe Frauen angesprochen, junge Studentinnen mit schmalen Schultern und unordentlichem Dutt, üppige Vierzigjährige mit weit ausgeschnittenen Blusen und flachen Schuhen, blasse Schwarzhaarige mit Nasenring. Meist kommen sie zu zweit oder zu dritt, kaum eine traut sich allein. Und jedes Mal, wenn eine Frau auf sie zugeht, die Haare aufgeschüttelt und die Brust rausgedrückt, ist Moritz aufs Neue erstaunt. In Raffaels Gegenwart sind diese Frauen keine Frauen. Sie sind Mösen auf zwei Beinen, sie sind Blicke und Lippen und Form gewordener Trieb. Sie sind so voller Lust und voller Absicht, dass er eine Erektion nach der anderen bekommt, wenn er nur das Wollen in ihren Gesichtern sieht. Sie sind Jägerinnen, sie zeigen ihre Fingernägel und ihre Zähne, Nimm mich, nimm mich, sagt ihre schimmernde Haut.
Raffael bleibt höflich in seiner Ablehnung. Er lächelt, er unterhält sich, aber er spendiert keine Drinks, er schüttelt öfter den Kopf, als dass er nickt. Die Frauen verstehen schnell. Die dickeren, weniger Schönen stecken die Abfuhr mit einem wissenden Nicken ein, die Erfolgsverwöhnten verlieren kurz die Orientierung, machen jedoch, sobald sie sich gefangen haben, aus der Kollision ein Vorbeigleiten, lassen Raffael stehen, als hätten sie ihn schon vergessen. Manch eine wendet sich in diesem Moment Moritz zu, greift ihm an den Oberarm. Er weicht ihren Blicken aus, starrt an ihnen vorbei, bis sie wieder mit der Menge verschmelzen. Er weiß nicht, ob er das aus falschem Stolz tut oder aus echtem.
Zwei Mädchen stellen sich zu ihnen, sie halten Getränke mit bunten Schirmchen wie Schutzschilde. Moritz versteht kein Wort von dem, was sie sagen. Er schaut Raffael an, und Raffael schaut zurück. Sie müssen nicht reden, sie knallen gleichzeitig ihre leeren Gläser auf den Tresen und verlassen den Club. Die Nacht ist noch jung.
1996
»Und du bist sicher, dass deine Eltern nichts merken?«, flüsterte Motz.
Die Grillen zirpten, die Dämmerung ließ auf sich warten. Ohne die Dunkelheit waren sie kaum geschützt, aber sie mussten zuhause sein, sobald es finster war, und ihnen blieb nicht mehr viel Zeit.
Raf schnaubte abfällig.
»Wie sollten sie, bei den Mengen an Alk in ihrer Bar«, antwortete er.
Er schraubte die Flasche auf und reichte sie Moritz mit einem auffordernden Nicken. Den Deckel warf er ins Gebüsch.
»Die machen wir heut sowieso nicht mehr zu, die trinken wir aus«, sagte er, und dann: »Happy birthday. Jetzt bist du ein Mann.«
»Mit dreizehn?«, fragte Motz ungläubig.
»Na, was weiß ich«, stöhnte Raf ungeduldig, »jedenfalls mehr als mit zwölf. Trink endlich.«
Nach dem ersten Schluck musste Motz husten. Es brannte stärker, als er erwartet hatte. Und es schmeckte wie schlechtgewordenes Obst.
»Was ist das für ein Scheiß?«, fragte er keuchend.
»Irgendein Wein halt«, murmelte Raf und trank, als sei es Limonade.
»Sicher ein teurer. Mein Vater gibt sich ja mit nichts Minderwertigem zufrieden«, fügte er mit ironischem Unterton hinzu und nahm noch einen Schluck.
Dann gab er Moritz erneut die Flasche, sah ihm beim Trinken zu und schüttelte grinsend den Kopf, als Moritz absetzen wollte.
»Runter damit«, sagte er, »sonst wird das nix mit deinem ersten Rausch.«
»Warst du schon mal besoffen?«, wollte Moritz wissen, mehrfach hat er den Freund bereits gefragt in den letzten Wochen, seit sie beschlossen hatten, dass sie sich an Motz’ Geburtstag betrinken würden. Nie hat er eine eindeutige Antwort bekommen.
»Trink«, sagte Raf.
Moritz spürte, wie die Feuchtigkeit durch seine Hose kroch. Sie saßen auf den Steinstufen am Knappensteig, dem steilen Weg, der vom Halleiner Gymnasium auf den Dürrnberg führte. Hier raufzugehen war anstrengend, der Pfad erzwang Kraft in den Oberschenkeln und einen langen Atem. Im Winter war er meist zugeschneit, dann war das Bergaufgehen noch mühsamer und eigentlich sogar, den Hinweisschildern gemäß, verboten. Raffael und Moritz stapften hier entlang, wenn sie den Bus verpasst hatten und der nächste erst in zwei Stunden kam oder wenn es schon nach sechs Uhr abends war und gar keiner mehr fuhr. Zu Fuß nachhause zu gehen, dauerte mindestens eine Dreiviertelstunde, immer bergauf, bergauf. Wenn sie Glück hatten, wurden sie dann oben auf der Hauptstraße von jemandem aus dem Dorf aufgegabelt, der sie im Auto mitnahm. Nicht immer waren das Leute, die sie kannten. An Tagen, an denen es regnete oder bitterkalt war, versuchte Raf, aus der Telefonzelle vor der Schule seine Mutter zu erreichen, die sich vielleicht erbarmte und sie abholte. War sie nicht in der Verfassung zu fahren, gingen Raf und Motz zur Praxis von Motz’ Vater und klopften dort, aber nur selten war Alexander so spät noch da. Dann blieb bloß der Knappensteig mit seinen Waldwegen und grob in die Anhöhen hineingeschlagenen Treppen, mit seinen großen und kleinen Felsen. Einer davon, ein hoher, wurde Selbstmörderfelsen genannt, weil hier durch den Wald kletterte und runtersprang, wer ein schnelleres Ende haben wollte als vorgesehen. Man erzählte sich von einem Pärchen, sechzehn Jahre alt, das gemeinsam in den Tod gegangen war, ein Schritt zu viel, Hand in Hand. Ein anderer Felsen, ein kleiner, hieß Teufelssitz. Einer Sage nach sollte der Teufel hier gesessen haben, und wer genau schaute, sah den Abdruck seiner Hinterbacken im Stein. An beiden Felsen ging Motz stets sehr schnell vorbei, rannte fast. Die Farben waren dort düster und zerschlissen, bauschten sich zu Mündern, aus...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Über dieses Buch
  3. Titel
  4. Widmung
  5. INHALT
  6. MORITZ
  7. MARIE
  8. MORITZ
  9. JOHANNA
  10. MARIE
  11. MORITZ
  12. JOHANNA
  13. MARIE
  14. MORITZ
  15. JOHANNA
  16. MARIE
  17. MORITZ
  18. JOHANNA
  19. MARIE
  20. MORITZ
  21. JOHANNA
  22. MARIE
  23. MORITZ
  24. JOHANNA
  25. MORITZ
  26. DANKE
  27. Impressum
  28. Über die Autorin