Verdammte Marie
Eine seltsame Sache, halb Komödie, halb Trauerspiel, sie beginnt in einem Fahrstuhl, dem Fahrstuhl eines Hochhauses, mit dem Blick auf eine Tausendmarkjacke, getragen von einem lächelnden Jüngling, während ich, Zeuge dieser Geschichte, nichts zu lachen und auch nichts zu lächeln hatte. Ich war zu einem Geldverleiher unterwegs, es ging flugs hinauf. Im Dreißigsten stieg der Jüngling aus, und niemand stieg zu. Der Geldverleiher, hieß es, wohne ganz oben. Ich hatte die Adresse bei einem Empfang für die Künstler der Stadt aufgeschnappt; ich brauchte Geld, denn kein Theater nahm sich meiner Stücke an. Außerdem war Sommer, und man flanierte im Geschmack der fünfziger Jahre, ein Spiel, bei dem ich mitspielen wollte; irgendwann in diesem Sommer war ich der Manie verfallen, schön sein zu müssen, und trug noch immer einen Anzug, der allem, was die Mode verlangte, stumm widersprach. Der Fahrstuhl hielt: ein kleines, kurzes Glücksgefühl im Magen – das war gratis.
In der obersten Etage gab es gegenüber den Liften nur eine einzige Tür, sie war angelehnt. Ich kämmte mein Haar aus der Stirn, ich drückte die Tür so weit auf, daß ich eintreten konnte, und kam in einen großen, lichtdurchfluteten Raum – viel Glas und Aluminium, ein weißer Schreibtisch und Sessel streng wie Turngeräte; und ich sah einen Safe und tropische Pflanzen in Kübeln, einen kleinen künstlichen Dschungel, der kreuz und quer an Stöcken emporwuchs; es fiel mir schwer, den Blick davon zu lösen. An den Wänden hing nur ein einziges Bild. Es war ein überwiegend rotes Gemälde der Golden Gate Bridge. Und rot war auch ein Vorhang, der das Büro von einem Nebenraum trennte. Gegenüber gab es nichts als Fenster; gläserne Wände beschlossen den Raum von zwei Seiten, man sah die Wölbung des Himmels. Und ich weiß noch, wie ich ausgeatmet habe, als hätte ich einen Gipfel erreicht, bis eine Stimme fragte: Bist du schon da?
Es war die Stimme einer Frau, sie mußte hinter dem Safe stehen. Ich hatte es mit einer Geldverleiherin zu tun, und sie erwartete jemand Vertrauten. Mit einem großen Schritt trat ich hinter die Pflanzen; da hatte ich Glück, mit dem künstlichen Dschungel.
Bist du gestorben? rief die Stimme.
Ich bog die Fächer des Blattwerks ein Stück auseinander, die Geldverleiherin erschien. Sie hielt Bündel von Banknoten in den Händen, sie brachte sie zum Schreibtisch. Dort stapelte sie das Vermögen und summte dazu. Sie summte Sentimental Journey, die alte Schnulze, und ich betrachtete sie. Die Geldverleiherin war eine Frau von großer gewöhnlicher Schönheit.
Das Glöckchensignal des Aufzugs erklang. Ich sah zur Tür und hörte auch schon Schritte, dann die Stimme eines Mannes. Da bin ich, Teuerste, da bin ich!
Die Tür flog auf, und ich erkannte den Altpräsidenten, der den Empfang für die städtischen Künstler gegeben hatte. Er ging sofort zum Schreibtisch. Dort nahm er die Hand der Geldverleiherin und führte sie an seinen Mund. Es war ein schreckliches Warten, rief er.
Nicht nur für dich, erwiderte sie.
Er gab ihre Hand wieder frei und trat an eine der Fronten aus Glas, während die Geldverleiherin hinter dem Schreibtisch Platz nahm. Sie zündete sich eine Zigarette an, ich sah ihre Nägel zwischen den Blättern des Dschungels, Nägel, die purpurrot waren und kurz. Sie stieß eine Säule von Rauch in die Luft, sie sagte: Und warum kommst du?
Weil du etwas hast, was ich brauche. Es hat sich nichts geändert, Marie. Nichts im Prinzip.
Damals mein Hintern, heute mein Geld. (Das waren ihre Worte, Worte, für die mich verbürge, falls das hier zählt.) Und die Antwort: So ist das Leben, Marie.
Der Altpräsident ging zum Schreibtisch zurück. Er war ein hellhäutiger Herr mit überraschend jungen Augen; er mochte Ende Siebzig sein, die Geldverleiherin dagegen Anfang Sechzig. Sie stand auf und schüttelte den Kopf, ein hochgesteckter Haarbusch löste sich, ein sogenannter Pferdeschwanz. Kein Geld heute, sagte sie leise.
Aber wir brauchen dein Geld. Nur noch dies eine Mal, hörst du.
Und wofür?
Marie, du fragst zuviel.
Wofür will ich wissen.
Der Präsident – er hatte jetzt gar nichts Altes oder Ältliches mehr – zog sein Jackett aus. Schwer zu erklären, begann er. Es muß ein öffentliches Haus errichtet werden. Aber nicht irgendein Haus, sondern ein echter Komplex, neben der Messe. Ein Hochhaus nur für die Liebe, ganz ohne Fenster. Wir wollen das Bahnhofsviertel säubern, es hat sich scheußlich verändert. Du würdest es nicht wiedererkennen. Es herrscht Inflation. Dreißig ohne Schutz, das ist gegen die Würde. Überall schossen die Preise nach oben, dort sind sie gefallen. Wir müssen eingreifen, versteh das, auch wenn es unserer Philosophie nicht entspricht. Der Markt kann nicht alles regulieren, nicht diese Dinge, Marie. Dort unten wimmelt es von Schwarzen und Gelben. Wir brauchen dieses Hochhaus, von dir finanziert.
Etwa zu diesem Zeitpunkt begann ich in meinen Taschen zu wühlen. Ich suchte Stift und Papier, aber fand nur ein Teile eines Kugelschreibers, Werbegeschenk vom Café der Tierfreunde, das ich regelmäßig besuchte, glücklicherweise war die Mine dabei; ich probierte sie auf dem Handrücken aus, mit Erfolg. Marie, notierte ich rasch.
Die Geldverleiherin fing an zu lachen. Lachend trat sie vor eins der Fenster und sah auf die Stadt hinunter; ihr Lachen endete in einer Melodie, Ganz Paris träumt von der Liebe. Dann sagte sie, über die Schulter nach hinten: Schön, unter einer Bedingung … Und ich wollte mir auch das notieren, doch da rief der Präsident schon: Du bekommst acht Prozent!
Nein – ich möchte ein Denkmal.
Achteinhalb, Marie – mein letztes Wort.
Denkmal, notierte ich mir jetzt in die Handschale und wollte ein durchgestrichenes Prozentzeichen daruntersetzen, als ich sah, wie Marie, die Geldverleiherin, von der Fensterfront zum Schreibtisch ging. Sie setzte sich auf die Kante, sie legte ein Knie übers andere.
Schau, begann sie. Ich gab Geld für Plätze, die vorher dem Mob gehört haben. Jetzt gibt es dort Bistros und Brunnen. Geld, das ich mit meiner Schönheit verdient habe. Oder hast du nicht für meine Schönheit bezahlt?
Unsummen, Marie, meine Familie leidet noch heute darunter. Aber ich konnte nicht anders.
Unsummen, die ich eisern zurückgelegt habe, sagte die Geldverleiherin. Sie rauchte, und ihr Blick verlor sich; die Zigarette schien zwischen den Fingern zu schweben. Auf dem Gesicht des Präsidenten lag jetzt ein kindlicher Schimmer. Er lächelte und rückte einen der Sessel an den Schreibtisch heran, und Marie – der Name sprach mich im Innersten an – legte ihre Füße darauf. Sie schlug wieder ein Knie übers andere und sorgte dafür, daß der Volant ihres Kostümrocks genau entlang der Wadenkurve verlief. Der Präsident oder Altpräsident trat darauf ein paar Schritte zurück. Er trat neben die Pflanzen – ich hielt die Luft an –, er nickte und rief: Du bist es, Marie! Und ihre Antwort: So wie früher? Und seine Antwort: So wie in unserem Versteck.
Alles Weitere ließ sich nur noch in Stichworten festhalten, zunächst auf den Armen, später auch auf Bauch und Beinen, aber ich will nicht vorausgreifen – So wie in unserem Versteck, wiederholte die Geldverleiherin. Meinem Apartment über dem Kino, nicht wahr?
Über dem Turmpalast, ja. Und ich kam immer wann?
Du kamst gegen Abend, ich empfing dich im Schlafrock, er hatte die Zimtfarbe meines Geschlechts.
Und unten im Kino lief was?
Ein Film mit Cowboys und Indianern.
Und die Leute vor der Kasse …
Waren arm.
Man sah es ihnen an?
Sie trugen lächerliche Kleidung.
Und wir, Marie, wir?
Es war sehr warm in dem Apartment …
Richtig, ich besinne mich wieder. Und was geschah bei dieser Wärme?
Es kam sofort zu einem Handel. Damals wie heute.
Wie heute?
Oder geht es jetzt nicht auch um Geld?
Es geht immer auch um Geld. Im Geld steckt Leben, was soll man tun; es atmet. Wie wir.
Nein, es verfällt. Wie meine Brüste! Marie lachte hell, für mich Gelegenheit, das Hemd auszuziehen, während der Altpräsident auf das Geld zurückkam. Wieviel gab ich dir jedesmal?
Fünfhundert, und ich sagte: Komm. Komm, knie dich über mich. Und schau mich bitte nicht so an. Du erinnerst dich: Schau mich bitte nicht so an …
Himmelherrgott, rief der alte Herr, hör auf zu singen, du machst mich schwach! Er hob beschwörend die Hände, und mit erhobenen Händen ging er langsam durch den Raum, vorbei an den Pflanzen, zum Greifen nah. Ich muß mit dir reden, sagte er.
Über mein Denkmal? Ich werde daliegen und lächeln. Es soll ein Denkmal für die Menschen werden. Auf einen öffentlichen Platz gehört ein ordentliches Denkmal. Etwas nach der Natur.
Marie, wovon sprichst du?
Von poliertem Marmor.
Und der soll wo stehen?
Die Geldverleiherin flüsterte jetzt, der Präsident begann zu husten. Er hustete so laut, daß ich Gelegenheit hatte, auch meine Hose auszuziehen; die linke Hand und auch mein linker Arm waren vollgeschrieben, nun käme der Rest dran, aber wenn ich je ein Stück schreiben wollte, das auf sämtliche Bühnen käme, dann wäre es dieses.
Das kann doch nicht dein Ernst sein, stieß der alte Herr, immer noch hustend, hervor. Auf diesem historischen Platz dein Denkmal – ein Fressen für jeden Japaner. Du auf Millionen Erinnerungsfotos! Und sie, empört, nach einer Zigarette greifend: Bin ich etwa nicht mehr s...